Archaische Kämpfer vs. Staatsbürger in Uniform

Versucht die Bundeswehrführung Kritiker mit Disziplinarstrafen mundtot zu machen?

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Vor einigen Monaten gab Oberstleutnant Jürgen Rose von der kritischen Soldatengruppe Darmstädter Signal Telepolis ein Interview. Anlass war eine Hassmail, die er von einem Angehörigen der Elitetruppe KSK erhalten hatte. Nun verhängte die Bundeswehr eine Disziplinarbuße in Höhe von 3.000 Euro gegen den Berufssoldaten.

Die Vorwürfe gegen Rose stützen sich auf sehr allgemein gehaltene Vorschriften aus dem Soldatengesetz (SG): So soll er gegen die "Zurückhaltungspflicht" verstoßen, dem Ansehen der Bundeswehr geschadet, sich in nicht zulässiger Weise politisch betätigt und allgemein gegen seine "Pflicht zum treuen Dienen" verstoßen zu haben.

Anlass der Vorwürfe war eine im Telepolis-Interview vom 27. März geäußerte Passage über Entwicklungen und Einstellungen der Bundeswehrführung:

Der amtierende Inspekteur des deutschen Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, verkündete: "Wir brauchen den archaischen Kämpfer!". Und ein Fallschirmjäger-Kamerad ergänzte im selben Geiste: "Man muss sich diesen archaischen Kämpfer vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat nach eigenen Gesetzen lebt und handelt." Dieser Inspekteur ist nach wie vor unbeschadet in Amt und Würden. Solche Äußerungen geschehen seit der Endphase des Verteidigungsministers Wörner, und es hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges verstärkt. Wenn man also von ganz oben her diesen wehrmachtsinspirierten Kämpferkult predigt, solche Latrinenparolen ausgibt, die sich dann kaskadenartig über alle Hierarchieebenen ergießen, dann muss man sich nicht wundern, wenn an unterster Ebene solche Kloaken entstehen wie in Calw oder in Coesfeld. Der Fisch beginnt bekanntlich vom Kopfe her zu stinken.

Die in dieser Passage geäußerte Kritik hatte Rose mit eben diesen Beispielszitaten seit 2004 insgesamt 19 Mal in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften geäußert - ohne jede Kritik von Oben. Drahtzieher hinter dem nicht nur aufgrund dieser Tatsache überraschenden Disziplinarverfahren ist offenbar der FDP-Politiker Rainer Stinner, der das Verteidigungsministerium zweimal schriftlich dazu aufforderte, Roses Äußerungen dienstrechtlich zu überprüfen. Als der Oberstleutnant in dem Verfahren davon erfuhr, leitete er einen Artikel in der Wochenzeitung Freitag, in dem er sich ebenfalls kritisch äußerte, an seinen Stabschef mit der Bemerkung weiter:

[…] um uns den lästigen Umweg über das Büro des Denunzianten Stinner zu ersparen, lege ich Ihnen in der Anlage meinen Leitartikel […] auf direktem Wege vor.

Seiner Wortwahl sieht er dabei durch die Definition der Denunziation im Brockhaus-Lexikon gerechtfertigt: Danach ist diese eine "politische Verdächtigung, die den Denunzierten der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt und im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen bestraft oder sonst geschädigt zu werden." In der "Qualifikation" des schreibfreudigen FDP-Politikers als Denunzianten sieht Rose deshalb "keinen abwertenden Charakter" weil sie ja einer "realistischen Sprachregelung" entspricht.

Trotzdem wurde auch diese Bezeichnung Bestandteil der Vorwurfssammlung, die schließlich zur Verhängung der Geldbuße in vierstelliger Höhe führte. Außerdem in die Bestrafung ein floss eine Email, in welcher der Fachmann für Psychologische Verteidigung einen in der Bundeswehrzeitung Intranet aktuell veröffentlichten Artikel über den Iran als atomare Bedrohung kritisiert, der "aufgrund seiner Diktion und seines Inhalts zweifelsohne den Tatbestand von Propaganda und Desinformation" erfüllt.

Die Höhe der Strafe wirkt vor allem dann bemerkenswert, wenn man sie mit derjenigen in Relation setzt, die der KSK-Soldat für seine Hassmail an Rose erhielt: Einen milden Verweis. Eine "Schräglage in der Behandlung", die unter anderem der Verteidigungsexperte der Grünen, Winfried Nachtwei, kritisierte.

Rose selbst legte gegen die Disziplinarbuße Beschwerde ein, da er nach eigenen Angaben die im Soldatengesetz ebenfalls geforderte Pflicht zur Wahrheit gegenüber dem Zurückhaltungsgebot in einer Rechtsgüterabwägung höher bewertete.