Schulpolizei für das Lumpenproletariat

Ein Berliner Politiker wünscht sich eine "repressive" Ordnungspolitik - laut Pädagogen Freerk Huisken kann er auf gängige Rassismen und herrschende Logik zurückgreifen

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Ein Berliner Politiker hat London und Rotterdam besucht. Nach Hause mitgebracht hat er die Idee von "Repression". SPD- Parteimitglied und Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky sorgte damit für Unruhen in den eigenen Reihen. Ein so unbefangenes rechtes Plädoyer für soziale Kontrolle dürfte die SPD denn doch als peinlich empfinden. Auch mit dem Vorschlag von einer gedeckelten Sozialleistung für kinderreiche Familien kann Buschkowsky, so kurz nach den veröffentlichten Armutsberichten, nicht punkten. Er stellte am Mittwoch beim Abgeordnetenausschuss der FDP seine ordnungspolitischen Wünsche für Berlin vor – Ideen, die er bei seinen Reisen eingeholt hatte. Seine eigenen Parteigenossen blieben der Einladung fern.

Das Motto aus Rotterdam "Keine Prävention ohne Repression". "Das hat was", meint Buschkowsky, der seine Sichtweise auch im Tagesspiegel-Interview am 1. Juli entfaltete. Es gehe ihm nicht zuletzt um "Identifikation mit dem Staatswesen". "Ein geregeltes Erwerbsleben" möchte er besonders bei migrantischen Jugendlichen mehr kontrolliert sehen. Und die Polizei solle stärker mit Schulen zusammenarbeiten.

Buschkowsky ist Bürgermeister von Neukölln, einem Bezirk mit einem Migrantenanteil von rund 40 Prozent. Das hindert nicht, dass er schon 2005 der rechten Zeitung "Junge Freiheit" ein Interview gab, und gegen "das Multi-Kulti-Konzept" in Neukölln wetterte. Auch heute weiß er eine Volksgemeinschaft zu beschwören, und warnt vor migrantischen kinderreichen Familien, die sich "im Sozialsystem eingerichtet haben". Zufällig geschieht das in derselben Woche, in der bundesweit mit einer Demonstration auf die soziale und gesetzliche Diskriminierung von Flüchtlingen aufmerksam gemacht wird.

Mit Unverständnis äußert man sich über Buschkowskys Ideen bei dem Berliner Arbeitskreis Marginalisierte - gestern und heute. In dem Bündnis haben sich politische Aktivisten und Sozialwissenschaftler zusammengetan, um in einer laufenden Veranstaltungsreihe an die gesellschaftlich Ausgegrenzten in der Geschichte zu erinnern. Ein Schwerpunkt war das Gedenken an die vergessene NS- Opfergruppe "Asoziale".

"Buschkowskys Forderung nach der Disziplinierung Erwerbsloser weist ihnen die Schuld für gesellschaftliche Probleme zu und bedient die Sündenbock-Mentalität", so Lothar Eberhardt vom AK Marginalisierte. "Seine Äußerungen wirken sich diskriminierend aus und verstoßen gegen die Menschenwürde." Letztlich würde dabei von dem eigentlichen Problem Armutsverwaltung abgelenkt. Hartz IV selbst sei ein "System der Ungerechtigkeit, das von Buschkowskys Äußerungen noch zementiert wird".

Migrantische Jugendliche als Problemfall – das wurde durch den SPD-Politiker und einen zustimmenden FDP-Ausschuss wieder einmal Thema. Die öffentliche Debatte über Jugendliche beschäftigt seit langem den Professor für Pädagogik Dr. Freerk Huisken in Bremen, der über den Schwerpunkt Ausbildungssektor arbeitet. Nach dem Neuköllner Rütli-Schulen-Eklat schrieb er das Buch "Über die Unregierbarkeit des Schulvolks", in dem er eine zunehmend autoritäre Ordnungspolitik anprangert, die von den gesellschaftlichen Problemen der Jugendlichen nichts wissen will.

"Politik gegen die, die sich nicht in ihr Elend schicken"

Herr Huisken, Mittlerweile will der Bürgermeister von Neukölln bereits "Repression" gegen Jugendliche anwenden, die nicht sofort einen Job annehmen. "Sozialverhalten" und das Wahrnehmen von Jobangeboten möchte er gerne kontrollieren, und bei Verstößen Sozialleistungen kürzen.

AQ: Da liegt der Sozialdemokrat voll im Trend der übrigen Parteien von FDP über CDU bis zur NPD. Erst sorgen Politik und Wirtschaft mit schulischer, ökonomischer und ausländerpolitischer Sortierung selbst dafür, dass immer mehr hier lebende Jugendliche keine Chance besitzen, sich unter den eingerichteten Konkurrenzbedingungen eine einigermaßen haltbare Lebensgrundlage zu verschaffen, und dann erklärt dieselbe Politik, dass gegen diese Jugendlichen nur das „Null-Toleranz-Konzept“ hilft, sofern sie sich nicht brav und rechtskonform in ihr Elend schicken. Deswegen sind seine Vorstellungen zum „Erwerbsleben“ auch reine Ordnungsmaßnahmen und haben mit „Erwerb“, da ist wohl irgendwann einmal Gelderwerb mit gemeint gewesen, gar nichts mehr zu tun.

Buschkowsky will sie von der Straße haben, und deswegen kann ein Sozialdemokrat seines Schlages heute auch kein Verständnis dafür aufbringen, dass Jugendliche vielleicht nicht so scharf auf „Jobs“ sind, von deren Entgelt man nicht leben kann, die als Arbeit unzumutbar sind und in denen sie – besonders als „migrantische“ Jugendliche – Schikanen ausgesetzt sind, die über das normale Maß der Schikaniererei einheimischer Lohnarbeiter hinausgehen.

"Disziplinierung" und "aktives repressives Durchgreifen" – Lieblingsworte von Buschkowsky. Er wünscht sich nach Londoner Vorbild eine Schulpolizei, die auf Bedarf eingreifen soll. Wie schätzen Sie diesen Vorschlag ein?

Freerk Huisken: Völlig unzureichend: Er müsste dringend ergänzt werden um Schuleingangskontrollen mit Detektoren, Lehrerbewaffnung und die Wiedereinführung des Karzers, wie früher der Schulknast hieß. Oder man verordnet allen Schulen gleich die Schuluniformierung nebst Fahnenappell, Strammstehen und Nationalhymne vor Schulbeginn. Das ist doch offensichtlich, dass das Einbläuen „kultureller Werte“ wie der „Ächtung von Gewalt“ – so Buschkowsky im Tagesspiegel – nur mit dem Einsatz von Staatsgewalt, die natürlich von jeder Ächtung ausgenommen ist, erfolgen kann.

"Gängige Rassismen: Schwarze, die offen dealen"

Buschkowsky bezeichnet die Einwohner mit migrantischem Hintergrund in Neukölln als "Minderheit", unter der "die Mehrheit zu leiden" habe. Wohin geht eine Gesellschaft mit solchen politischen Repräsentanten?

Freerk Huisken: Wenn Buschkowsky als gewählter Vertreter einer Volkspartei die herrschende Mehrheit repräsentiert, dann muss einem um die Sicherheit der Mehrheit vor der Minderheit wirklich nicht bange sein. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit der Bezirksbürgermeister die Dinge unter kalkulierter Benutzung aller gängigen Rassismen – von „Schwarzen“, die offen dealen, von Frauen in „Ganzkörperverhüllung“, die nicht hierher gehören, vom „Kinderreichtum“ armer Leute, die bloß Sozialknete abgreifen wollen, auf den Kopf stellt: Als ob sich diese Menschen ihr Armutsschicksal selbst ausgesucht hätten, um dann von dort aus die „Mehrheit“ zu tyrannisieren. Wer tyrannisiert hier eigentlich wen?

Wohin die Gesellschaft mit den Buschkowskys geht? Geradewegs in jenes kapitalistische Zeitalter, in dem immer mehr ökonomisch überflüssig gemachte Menschen als Lumpenproletariat ausgesondert und ordnungspolitisch eingehegt werden. Was das Konzept der G8-Staaten für die Herkunftsländer von Immigranten ist – einhegen, Grenzen dicht und Lagerleben -, das lässt sich im Innern der Metropolen mit durchorganisiertem Gewaltmonopol und Sozialerpressungen allemal bewerkstelligen.

Buschkowsky kritisiert ja auch, dass Jugendliche die Schule mangelhaft besuchen, und dann für einen Ausbildungsplatz nicht qualifiziert genug seien. Würden Sie zustimmen, dass da ein Problem vorliegt?

Freerk Huisken: Problem sicher, es fragt sich nur, welches und für wen? Was der Herr Sozialdemokrat als Probleme auflistet, das sind allemal nicht diejenigen, die die jugendlichen oder erwachsenen Angehörigen des hiesigen Prekariats haben, sondern solche Probleme, die sie der staatlichen Aufsicht machen! Wenn er „Probleme ernst nimmt“, wie es im Interview heißt, dann allein seine eigenen. Wenn Jugendliche irgendwann anfangen, die Schule zu schwänzen, da ihre Chancen, wenigstens einen Zipfel von geordnetem Leben nebst gesichertem Lebensunterhalt zu erwischen, ohnehin gegen Null abgesunken sind, dann nur, weil sie wissen, dass Schule ihnen keinerlei „Perspektive“ bietet. Dann erfinden sie sich ihre „Perspektive“ auf der Straße. Wo auch sonst. Das stört die Ordnung der Buschkowskys!

Ich gehe sogar noch weiter und meine, wenn jugendliche „Schulvermeider“ nach zehn Jahren Staatsschule nicht gescheit lesen, schreiben und rechnen können, dann liegt das sicher nicht an den versäumten Stunden, sondern vielmehr an denen, die sie nicht versäumt haben: Als Migranten ohne Sprachförderung vom schulischen Mitkommen ausgeschlossen, von Mitschülern aus gepflegtem Elternhaus von vornherein im Leistungsvergleich abgehängt und dann noch von der Lehrerschaft in die Restschule abgeschoben – so produziert das hiesige Schulsystem mit Fleiß Analphabeten. Das stört – auf Ämtern und die Dienstherren.

Schule würde gerade Analphabeten hervorbringen? Was könnten dann Ihrer Ansicht nach herrschende Politiker mit "Qualifikation" meinen?

Freerk Huisken: Wenn nun Buschkowsky die Kids mit der Schulpolizei in die Schule karren will, dann „qualifiziert“ sie das ungeheuer. Da lernen sie einiges fürs Leben. Z.B.: In die Schule muss man, weil die Schulpflicht keine Ausnahmen zulässt. Auch wenn die Lehrerschaft über Schüler längst das Versagerurteil gesprochen hat, und der Schulbesuch damit ziemlich sinnlos wird. Sie lernen auch: Hierzulande regiert die Gewalt, von der man sich nicht erwischen lassen darf, wenn man es schon nicht schafft, stärker zu sein. Und sie lernen: Ihr „Leben“ findet nur außerhalb von Schule und Polizeiaufsicht statt.

"Du hast keine Chance, also nutze sie – gilt heute für migrantische Jugendliche"

"In Brixton sehen Sie nur Schwarze auf der Straße"- offenbar ein Schrecknis in den Augen Buschkowskys. Welche gesellschaftlichen Chancen haben migrantische Jugendliche unter solch einem Bürgermeister?

Freerk Huisken: Es ist schon etwas Merkwürdiges mit diesen deutschen Politikern, die jedermann empfehlen, so sie es sich leisten können, im Urlaub fremde Menschen und Kulturen kennen zu lernen: schwarze, gelbe, rote Menschen, in ungewohnter Bekleidung – „Ganzkörperverhüllung“ – und mit fremdartigen Gebräuchen. Da entdeckt man am Elend nur Pittoreskes. Hier entdeckt man umgekehrt am „Pittoresken“ nur das Elend, das man in seinen Erscheinungsformen dann prompt zur Ordnungsstörung erklärt. Die Chancen, welche migrantische Jugendliche unter so einem Lokal- , Regional- oder Nationalregime haben, folgen der alten Sponti-Parole: Du hast keine Chance, also nutze sie. Also: Brav jede Ablehnung von Betrieben akzeptieren, jeden Ein-Euro-Job dankbar annehmen, weil der bekanntlich dem Leben einen Sinn und dem Tag einen Rhythmus gibt, und darauf hoffen, dass bei etwaigen Entgleisungen nicht gleich die Ausweisung droht.