Gruselkabinett der Ideen

Der neue Entwurf zur Telekommunikationsregulierung liest sich wie eine lange Liste des Schreckens. Nutznießer wäre einmal öfter die "Contentindustrie", bzw. die Verwerterindustrie. Kein Wunder, wenn man sich manche Formulierung ansieht

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Pünktlich kurz vor der Sommerpause wurden seitens der EU-Kommission Änderungsvorschläge zum im November vorgestellten Telekommunikations-Gesetzespaket zur Verabschiedung eingereicht. Die in gewohnter Rabulistik als Verbraucherschutzverbesserungsvorschläge(!) bezeichneten Ideen, die gestern Abend im Industrie- und der Binnenmarktsausschuss des EU-Parlaments behandelt wurden, lassen nicht nur Bürgerrechtlern die Haare zu Berge stehen, auch Verfechter von freier Software, Verschlüsselung oder der Rezipientenfreiheit dürften in diesen Vorschlägen ihre schlimmsten Vorahnungen bestätigt sehen. Tatsächlich erinnern die Ideen auch fatal an das, was John Walker in seinem Essay "Digital Imprimatur" (eine Übersetzung findet sich auf Telepolis unter: Das Ende des Internet) bereits in geschickt irreführender Marketingverpackung prognostizierte: ein kontrolliertes Internet, die Aufhebung der Privatsphäre und ein Blankoscheck für Verfechter des "Trusted Computing".

Three Strikes and you are out

Das amerikanische System "Three strikes and you are out" stand Pate für die Idee der Trennung des Netzzuganges, sofern der Nutzer sich z.B. der Urheberrechtsverletzung schuldig macht. Nach dreimaliger Ermahnung durch die Provider(!) soll der Zugang zum Netz gekappt werden, was letztendlich neben der Frage, wieso hier ein Computerverbot durchgesetzt werden soll, das nicht einmal Stalker, Betrüger etc. trifft, noch etliche andere Fragen aufwirft, die spätestens dann, sollte das Gesetzespaket auf EU-Ebene durchgesetzt werden, bei einer deutschen Umsetzung wichtig sind:

  1. Wie sollen die Provider diese Urheberrechtsverletzungen etc. feststellen? Sofern sich die Provider nicht nur auf die leicht zu fälschenden Logfiles der Verletzungsanzeigenden verlassen, müssten die Provider selbst das Verhalten der Nutzer kontrollieren und analysieren, aufzeichnen und auf ggf. Illegales abklopfen. Dies ließe sich aber mit dem Telekommunikationsgeheimnis sowie grundlegendem Datenschutz nicht vereinbaren.
  2. Wie kann die Rechtssprechung Karlsruhes eine solche Maßnahme zulassen? Während der Urteilsverkündigung zum Verfassungsschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen hatte sich Bundesverfassungsgerichtspräsident Papier insbesondere auch zur Thematik „Die Rolle der IT in der Gesellschaft bzw. für den Einzelnen“ geäußert. IT-Systeme seien gewissermaßen allgegenwärtig und "für die Lebensführung der Bürger von zentraler Bedeutung" führte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier aus. Außerdem nehme die Bedeutung der IT für die Persönlichkeitsentfaltung durch die zum Normalfall werdende Vernetzung zu, so Papier weiter. Ob also gerade Urheberrechtsverletzungen eine Begründung dafür sein können, dass der Zugang zu solchen Systemen gesperrt wird, ist fraglich. Die Verhältnismäßigkeit dürfte - gerade angesichts der Tatsache, dass selbst bei Straftaten, die Leib und Leben anderer betreffen und die mit dem Netzzugang im Zusammenhang stehen, ein Netzverbot nicht erwogen wird - hier kaum begründbar sein.
  3. Wie soll diese Netzsperrung faktisch durchgesetzt werden? Eine Netzsperrung für eine bestimmte Person lässt sich letztendlich nur dann durchsetzen, wenn tatsächlich jeder Netzzugang auch an eine natürliche Person gebunden ist. Dies ist schon bei Familien nicht der Fall. Hier stellt sich die Frage, ob dann der Netzzugang des Erziehungsberechtigten gesperrt werden soll, was einer Sippenhaft gleichkäme. Wäre dies nicht der Fall, so käme als Nächstes ein Netzzugang nur noch mit einer Identitätskarte in Frage, wobei gleichzeitig sichergestellt werden müsste, dass niemand diese Karte verleiht usw. - hier sieht mancher schon die Unicard John Walkers als Vorbild, ausgestattet mit biometrischen Merkmalen und dergleichen mehr. Dies würde letztendlich das Aus für die anonyme oder pseudonyme Benutzung des Internets bedeuten. Internetcafes müssten so verpflichtet werden, die Identität eines jeden Kunden zu überprüfen und nicht zuletzt müsste, da es sich ja um eine europäische Regelung handelt, auch ein Datenaustausch stattfinden, damit sich der Bestrafte nicht der Bestrafung entzieht, indem er vom Angebot eines Providers im Nachbarstaat oder Ausland Gebrauch macht. Einfach ausgedrückt: Wenn Udo Urheberrechtsverletzer in Deutschland keinen Netzzugang mehr bekommt, was sollte ihn daran hindern, z.B. in Österreich seiner Internetlust zu frönen? Soll hier ein EU weites Strafregister für Internetnutzer angelegt werden, auf das jeglicher Provider und jegliches Internetcafe, egal wie klein und von wem betrieben, Zugriff bekommen soll? Auch hier wäre dies nur sinnig, wenn gleichzeitig auch alle EU-Länder den Netzzugriff erst mit Identitätsnachweis ermöglichen. Dies würde aber auch auf eine Registrierungspflicht für Internetcafes hinauslaufen und...

Anonyme Hotspots adieu?

In Österreich hat beispielsweise die NGO Quintessenz einen anonymen Hotspot im Wiener Museumsquartier zur Verfügung gestellt. Solcherlei Hotspots würden der Idee des Netzverbotes zuwiderlaufen, müssten somit entweder auf Anonymität verzichten (wobei gerade dieser Hotspot, der nicht zuletzt auch ein politisches Signal darstellt, somit ad absurdum geführt werden würde) oder aber ganz eingestellt werden.

Die Frage, inwiefern dann ungesicherte Netzwerke, die von Bestraften genutzt werden können, als Beihilfe zur Umgehung von Sanktionen angesehen werden sollten, wäre ebenfalls zu klären. Theoretisch müssten Softwareprodukte dann Einstellungen vorsehen, die gerade keine anonyme Nutzung, Teilen des Zuganges usw. ermöglichen – was genau mit dem kollidiert, was Datenschützer zur Zeit in Deutschland fordern.

Ausländische Provider?

Auch wenn sich die EU-Staaten auf eine derartige Regelung einigen könnten, so wäre es interessant zu wissen, wie sich dies auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme ausländischer Provider auswirken sollte. Hier muss man nicht einmal bis zu den Bahamas gehen, schon der in Lindau oder Konstanz ansässige Deutsche wird sich fragen, was ihn daran hindern soll, einen schweizer Provider zu nutzen.

Mit der Sperrung des Netzzuganges ist aber das Arsenal an Ideen noch bei weitem nicht erschöpft. So sollen, was nicht weiter überraschend ist, die Verbindungsdaten für „alle juristischen Personen“ bei berechtigtem Interesse einsehbar sein, eine Vorschaltung von Gerichten ist nicht mehr im Gespräch. Der direkte Auskunftsanspruch (nicht nur) für Verwertungsindustrien ist also einmal öfter – allen Beteuerungen zum Trotz – auf dem Vormarsch.

Doch den Urheberrechtsverletzungen wird auch noch in anderer Hinsicht Priorität eingeräumt. So sollen auch standardisierte technische Systeme eingerichtet werden, die die Verletzung "geistiger Eigentumsrechte" automatisch unterbinden, aufspüren und verhindern. Die Umsetzung dieser Ideen soll ohne das EU-Parlament ablaufen.

Schutzmittel gegen Risiken persönlicher Sicherheit, Privatsphäre und persönlicher Daten

Nicht nur Informationen über Nutzer oder Urheberrechtsverletzungen sollen die Unternehmen (Provider) den Rechteinhabern zur Verfügung stellen, die Regulierungsbehörden sollen die Provider auch noch verpflichten, Informationen über „Schutzmittel gegen Risiken persönlicher Sicherheit, Privatsphäre und persönlicher Daten“ zu liefern. Einfach ausgedrückt wären dies Informationen über Firewalls, die Nutzung von Verschlüsselungstechniken usw.. Woher diese Informationen kommen sollen, und – viel wichtiger – weshalb sie die Provider(!) etwas angehen sollten, bleibt unbeantwortet. Gleichermaßen die Frage, weshalb diese Informationen weitergegeben werden sollten.

Und auch Informationen über die illegale Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste sollen weitergegeben werden, womit die Tauschbörsen gemeint sein dürften, welche aber, rein logisch gesehen, nur dann (wenn überhaupt) als illegal genutzt angesehen werden dürfen, wenn die Provider überprüfen könnten, sollten und würden, welcher Nutzer denn was in einer Tauschbörse erledigt. Wie aber überprüft werden soll, ob (betont salopp formuliert) Tante Klara ihre Urlaubsphotos jedem zur Verfügung stellt, und diese somit auch von jedem heruntergeladen werden dürfen oder ob sich hinter tanteklarasphotosencrypted ein urheberrechtlich geschütztes Werk verbirgt, welches ohne Genehmigung der Urheber und Verwerter feilgeboten wird, wird bisher nicht weiter erläutert.

Spyware? Aber nicht doch...

Auch die Definition von Spyware soll sich verändern. So wären Programme, die illegitime Handlungen des Nutzers aufzeichnen, nicht mehr als Spyware anzusehen. Dies würde nicht nur das bekannte Sony-Rootkit schlagartig legalisieren, es würde auch dazu führen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich des neuen Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ad absurdum geführt, bzw. für die Ideen der Verwertungsindustrien geopfert wird. Dieses Grundrecht ist natürlich ein in Deutschland verankertes Grundrecht, doch obgleich diese Gesetzgebung lediglich die EU-Gesetzgebung wäre, steht zu befürchten, dass hier einmal öfter die "wir-müssen-eine-Richtlinie-umsetzen"-Philosophie verfolgt wird, die alle Verantwortung gen Brüssel abgibt.

Lawful content

Die Provider sollen weiterhin "ermutigt" werden, gesetzeskonforme Inhalte zu schützen und zu fördern. Im Umkehrschluss also nicht gesetzeskonforme Inhalte nicht zu schützen und zu fördern. Manch einer sieht hier bereits diese bekannten Internetfilterideen wieder auferstehen. Und wieder stellt sich auch die Frage, wie "lawful" (gesetzeskonform) definiert werden soll, bzw. nach welchen Regeln hier etwas kontrolliert, geschützt oder eben ggf. ausgesperrt werden soll. "Am europäischen Wesen soll das Internet genesen" ist wohl ein treffender Kommentar.

Dass die neuen Telekommunikationsregulierungen die Verwerterindustrie nicht gerade in geringem Umfange berücksichtigen, ist wenig verwunderlich, so man das nachliest, was auf Netzpolitik.org zu finden ist:

Die Aktivitäten von Industrie und den ihr nahestehenden EU-Abgeordneten treiben dabei auch merkwürdige Blüten. Die französische Initiative La Quadrature du Net, die gegen das HADOPI-Gesetz kämpft, hat in den Eingaben der EU-Parlamentarier Manolis Mavrommatis [Griechenland; konservativ] und Ignasi Guardans [Spanien; liberal] wortwörtliche Übereinstimmungen mit den Vorgaben der französischen AV-Medienlobby SACD festgestellt.

Auf der gleichen Seite finden sich auch Anregungen, wie man als Internetnutzer aktiv werden kann, um seinem Protest gegen diese neue Art der Idee, den Verwertern immer mehr Macht zu übertragen, Ausdruck zu verleihen. Anregungen, die man (dies als kleiner persönlicher Kommentar) nutzen sollte.