Mit Vollgas gegen die Wand

Warum das derzeit herrschende Wirtschaftssystem die anstehenden, zivilisationsbedrohenden, globalen Probleme nicht lösen kann

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

So langsam macht sich angesichts der permanent steigenden Preise für Rohstoffe, Lebensmittel und Energieträger so etwas wie Panik breit. Inzwischen hätten an die 85 Prozent aller Deutschen „regelrecht Angst“ vor der anhaltenden Teuerung, ermittelte eine im Auftrag der ARD durchgeführte Umfrage. Jeweils um die Hälfte der an der Befragung beteiligten Personen gab an, bereits jetzt beim Autofahren und bei Lebensmitteln zu sparen und pessimistisch in die Zukunft zu blicken.

Die Preisexplosion wird nicht nur als „gefühlte Inflation“ von den Bürgern Europas wahrgenommen, wie man uns im Zuge der Euro-Einführung weiszumachen versuchte - diesmal ist der Preisauftrieb so stark, dass er sogar in den amtlichen Statistiken Einzug findet und die Europäische Zentralbank zum Handeln zwingt. Um der offiziellen Inflationsrate von vier Prozent in der Eurozone entgegenzuwirken, erhöhte die Europäische Zentralbank am Donnerstag den Leitzins auf 4,25 Prozent. „Wenn wir nicht entschlossen sind, besteht das Risiko, dass die Inflation explodiert,“ begründete der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, seine Entscheidung.

Diese im Rahmen klassisch monetaristischer Theorie getroffene, auf die Regulierung der Geldmenge abzielende Entscheidung wird nichts bringen. Die explodierenden Priese für Rohstoffe und Energieträger, die ursächlich für weltweit anhaltenden Teuerungsschub sind, steigen ja nicht deswegen, weil die EZB eine zu lockere Geldpolitik führte. Diskutiert wir inzwischen nur noch, ob ein zu niedriges, die Nachfrage nicht abdeckendes Angebot oder eine Spekulationsblase für den Preisauftrieb verantwortlich sind.

Die Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) macht Spekulanten für den hohen Erdölpreis verantwortlich, deren Treiben zu „75 Prozent“ zu der Verteuerung der der letzten Monate beigetragen haben soll. „Das Steigen der Preise hat nichts damit zu tun, dass es am Angebot mangelte“, sagte OPEC-Generalsekretär Abdallah Salem al-Badri. Die Internationale Energieagentur (IEA), die die Interessen der erdölimprotierenden Industrienationen vertritt, macht hingegen eine hohe Nachfrage, die ab 2010 schneller wachsen werde als das Angebot an Rohöl, für die Preisexplosion verantwortlich. Die hohen Preise seinen somit laut IEA gerechtfertigt, womit die Forderungen der Industrieländer nach einer Ausweitung der Erdölförderung untermauert wurden.

Eine neue Spekulationsblase

Im gewissen Sinne haben beide Seiten hier recht. Eine erfolgreiche Spekulation antizipiert zukünftige Entwicklungen, und es ist ja tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis die täglich wachsende Nachfrage nach Rohstoffen und Energieträgern nicht mehr befriedigt werden kann. Wenn Gasprom-Chef Alexej Miller Weltmarktpreise von 1000 US-Dollar für Erdgas und 250 US-Dollar für Rohöl voraussagt, dann stellt sich ja nur die Frage, wann es soweit sein wird – in Wochen, Monaten, Jahren?

Es handelt sich also um eine „todsichere“, ökonomisch fundierte Spekulation, die derzeit zu Preisexplosion bei Rohstoffen, Nahrung und Energie abläuft. Die derzeitige Bonanza auf den Warenterminmärkten nimmt nur die zukünftige Entwicklung vorweg. Die von der IEA angekündigte kurz- bis mittelfristig Verknappung des Angebots, die Aussicht auf bald versiegende Ölquellen, wird nun aktuell „eingepreist“. OPEC-Generalsekretär Abdallah Salem al-Badri machte auch die wichtigste Triebfeder dieser Spekulation aus:

Aufgrund der Schwäche der amerikanischen Wirtschaft und der Hypothekenkrise in den USA hätten Investoren neue Bereiche für Kapitalanlagen gesucht. Daher sei viel Kapital in den Rohstoffsektor geströmt und Erdöl für Spekulanten besonders attraktiv geworden. ... Wenn wir den Markt den Spekulanten überlassen, wird dort Panik herrschen. Viele Leute verdienen ein Vermögen mit dem Mythos vom Mangel an Erdöl.

OPEC-Generalsekretär Abdallah Salem al-Badr

Die Spekulationsblase auf dem US-Immobilienmarkt, deren Platzen immer noch die Weltfinanzmärkte erschüttert, geht somit nahtlos in eine spekulative Dynamik auf dem Warenterminmärkten über. Somit schlägt die seit der Jahrhundertwende etablierte, globale "Blasenökonomie" nach der Asienkrise (1997/98), der Dot-Com Blase (2001), und der Immobilienbonanza (2007) ein weiteres Kapitel auf. Die aus dem zusammenbrechenden US-Hypothekenmarkt flüchtenden „Investoren“, also zumeist Investment- und Hedgefonds oder auch Pensionskassen, kaufen nun massiv auf den Warenterminmärkten Future-Kontrakte für Öl, Gas, Nahrungsmittel oder sonstige Rohstoffe.

Bei Future-Kontrakten erwirbt man Ansprüche auf bestimmte Warenkontingente, die man zum aktuellen Preis zu einem festgelegten, zukünftigen Zeitpunkt – in ein paar Wochen oder Monaten – erwirbt. Steigt in der Zwischenzeit der Weltmarktpreis für die betreffende Ware, entsteht Spekulationsgewinn. Ursprünglich dienten die Future-Kontrakte dazu, den landwirtschaftlichen Produzenten eine feste betriebliche Kalkulationsgrundlage zu liefern. Sie konnten ihre Erzeugnisse über die Warenterminbörsen lange Zeit vor deren Ernte zu einem festen Preis verkaufen und so das Risiko fallender oder steigender Preise an die Spekulanten delegieren.

Inzwischen ist dieses Absicherungssystem der Warenterminbörsen zu einer Spekulationswiese für renditesüchtiges Kapital verkommen. Auch Lebensmittel sind betroffen. Nestlé-Chef Peter Brabeck beschrieb die Auswirkungen dieser neuen Hausse, unter der selbst die Schwergewichte der Nahrungsmittelbranche leiden, in einem Interview mit der NZZ:

Die Hedge-Funds verlagern sich zunehmend von den Finanzmärkten in die Rohwarenmärkte. Früher konnten wir ungefähr abschätzen, wie die Ernten ausfallen werden – und konnten uns auf entsprechende Preise einstellen. Das ist vorbei. Wichtiger als die Ernte ist heute, ob die kalifornische Pensionskasse Calpers entscheidet, mit 750 Mio. $ in den Rohwarenmarkt einzusteigen – weil dann alle anderen Pensionskassen der Welt dasselbe tun und auf einen Schlag 5 Mrd. $ in einen Agrarmarkt investiert werden. Es ist alles sehr spekulativ geworden.

Nestlé-Chef Peter Brabec

„Peak Evertything“

Dennoch sollte man nicht auf massiv fallende Priese bei einem „Platzen“ dieser jüngsten Spekulationsblase setzten, denn diese nimmt ja tatsächlich das anstehende Fördermaximum bei Rohöl – den Peak Oil – nur vorweg. Doch eine ähnliche Entwicklung, bei der eine steigende Nachfrage durch ein fallendes Angebot nicht mehr gedeckt werden kann, droht ja nicht nur bei Energieträgern.

Einen Hinweis auf die zukünftige Preisentwicklung bei Energie und Lebensmitteln gibt die Hausse beim Goldpreis, der binnen sechs Monaten einen stürmischen Anstieg von 650 $ auf 1000 $ im März dieses Jahres verzeichnete. Hiernach „platzt“ diese Spekulationsblase, doch stürzt der Goldpreis nur auf 850 $ ab. Seitdem oszilliert die Feinunze Gold um die 900 $ - bis zur nächsten Preisrallye?

Propagiert von Richard Heinberg, einem der profiliertesten Theoretiker des Peak Oil, etabliert sich innerhalb der angelsächsischen globalisiserungskritischen Community ein neuer Begriff, der die reale, materielle Grundlage der derzeitigen spekulativen Bonanza bei Rohstoffen und Energie beleuchtet: Peak Everything (Video). Sollte das derzeitige spätkapitalistische Wirtschaftssystem nicht überwunden werden, sieht Heinberg im 21. Jahrhundert ein Zeitalter des Verfalls anbrechen, das durch Rückgang der Förderung und Produktion etlicher vitaler Ressourcen gekennzeichnet sein werde.

Neben dem Peak Oil drohen auch bei der landwirtschaftlichen Produktion Ernterückgänge. Zudem macht Heinberg das klassische Peak-Szenario - ein Fördermaximum, nach dessen Überschreitung die Produktion des betreffenden Gutes rasch abfällt – in weiteren Bereichen aus: Bei der Erdgasförderung, beim Uranabbau, der Wasserversorgung, dem verfügbaren Ackerland, den Fischbeständen und bei der Förderung von Kupfer, Platin, Silber, Gold und Zink. Diese Förder- und Produktionsmaxima würden zudem mit abnehmender „Klimastabilität“ einhergehen und auch einen „Peak“ bei der globalen Bevölkerungszahl mit sich bringen.

Indirekt bestätigt auch Nestlé-Chef Brabeck in seinem NZZ-Interview das Peak-Szenario bei Wasser und Lebensmitteln, das zusätzlich durch den Anbau von Pflanzen zur Gewinnung von Biotreibstoff befördert wird.

Um 1 Liter Bioethanol zu produzieren, brauchen Sie 4000 Liter Wasser! Wasser ist das grössere Problem als der CO 2 -Ausstoss. Wir zapfen heute schon nicht nur die erneuerbaren, sondern auch die fossilen Wasservorräte an. Diese fossilen Vorräte wurden wie das Erdöl vor Millionen von Jahren geschaffen... die großen Produzenten bewässern ihre Felder heute fast alle künstlich.

Nestlé-Chef Peter Brabec

Diese fossilen Wasservorräte befinden sich hauptsächlich in den USA, Indien und China, wo sie einem regelrechten Raubbau ausgesetzt seien. „In Indien und China gehen die Wasserspiegel heute bereits um 1,5 Meter pro Jahr zurück. Im indischen Punjab muss man schon 100 Meter tief bohren, um noch Wasser zu finden“, warnte Brabeck.

Wie eine kapitalistische Landwirtschaft beschaffen ist, die mittels exzessiver Überbeanspruchung natürlicher und fossiler Ressourcen eine auf effiziente Verschwendung abzielende Nahrungsmittelindustrie beliefert, das illustriert der US-Dokumentarfilm King Corn vortrefflich. Die Autoren der Films versuchten sich während eines Jahres selber als Mais-Landwirte, um während dieser Zeit die Struktur der um den Mais entstandenen Industrie kennen zu lernen, die darauf abzielt, eine durch Subventionen geförderte Überproduktion in gesundheitsschädliche, zur massenhaften Dickleibigkeit in den USA beitragende Produkte – wie Maissirup - zu verwandeln. Eine Umkehr von der auf maximale Quantität gerichteten Waren-Landwirtschaft sei notwendig, ein radikales Umsteuern der Landwirtschaft, so die Autoren des Films in einem hörenswerten Radio-Interview. Zudem müsse man die Abhängigkeit der hochtechnisierten Landwirtschaft von den Fossilen Energieträgern senken, betonten die Filmemacher.

Da der weltweite Energiebedarf zu 85 Prozent von fossilen Energieträgern gedeckt wird, da zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Landwirtschaft die fossilen Wasserreserven aufgebraucht werden, prognostiziert Heinberg bei Beibehaltung dieser Wirtschaftsstrukturen einen allumfassenden sozialen Abstieg in den Industrieländern. Als wichtige Momente dieses sozialen Verfalls macht er einen Einbruch beim Wirtschaftswachstum, dem privaten Konsum, bei der Massenmobilität und der Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaften aus. Mit dem sozialen Abstieg breiter Bevölkerungsschichten werde eine Abnahme politischer Stabilität gehen. Mit etwas guten Willen könnte man die aktuellen wirtschaftlichen Verwerfungen als den Beginn eben dieser langfristigen Entwicklung ansehen – und den in allen Industrieländern forcierten Ausbau des Polizeistaates als die einzige „Lösungsstrategie“, zu der unsere politische Eliten fähig sind. Als eine Mindestvoraussetzung zur Abmilderung dieser düsteren Tendenz zumindest benennt Heinberg eine globale Transformation der energetischen Basis menschlicher Zivilisation:

Unsere zentrale Überlebensaufgabe in den vor uns liegenden Dekaden, als Individuen wie auch als Spezies, muss in einem Übergang weg von den Fossilen Brennstoffen liegen – und dies muss so friedlich, gerecht und intelligent wie irgend möglich vonstatten gehen.

Richard Heinberg

Radikalisierung der bestehenden Energiepolitik

Offensichtlich findet genau dies nicht statt – die aktuellen Entwicklungen verlaufen genau konträr zu dem Postulat Heinbergs. Einem Junkie gleich stürzen sich Staaten und Konzerne auf die verbliebenen Reserven an Energieträgern, wird fieberhaft in allen Ecken und Enden der Welt nach neuen Erdgas- und Ölvorkommen gefahndet.

Das Abschmelzen des Einspanzers in der Arktis, das höchstwahrscheinlich katastrophale Auswirkungen auf das Klima der nördlichen Hemisphäre mit sich bringt, verleitet deren Anrainerstaaten nur zu einem Wettlauf um die unter dem rapide schmelzenden Eis verborgenen, fossilen Energieträger – um noch mehr CO2 in die Luft zu pusten. Überall wird die kostspielige Erschließung neuer, bislang nicht rentabler Öl- und Gasfelder erwogen, wie beispielsweise vor der Küste Brasiliens. Selbst im US-Bundesstaat North Dakota machen die letzten entdeckten Ölquellen noch einmal für einige Wenige den Traum vom Ölmillionär wahr. Die ökologisch desaströse Ausbeute von Ölsand in Canada war noch vor einer Dekade kaum lohnenswert, nun fahren die daran beteiligten Konzerne sprudelnde Gewinne ein.

Noch verhängnisvoller ist der mit den ersten Pauperisierungsschüben in den Industrieländern - beispielsweise in den USA - einhergehende Meinungsumschwung bezüglich Umwelt- und Klimaschutz. Einer neuen Umfrage zufolge findet aufgrund der einsetzenden Energiekrise geradezu eine Radikalisierung der öffentlichen Meinung statt, die nun mehrheitlich einen forcierten Abbau fossiler Energieträger, eine Intensivierung der bestehenden Energiepolitik befürwortet. An die 60 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass nun die Vergrößerung der Energievorräte wichtiger als der Umweltschutz sei – dies ist eine Steigerung um sechs Prozent gegenüber der letzten Umfrage im Februar.

Die Zahl der Menschen, die das Energiesparen als Priorität ansehen, sank um zehn Prozent auf 45 Zähler. Nun ist mit 47 Prozent nahezu die Hälfte der Befragten der Ansicht, dass die Ölförderung und der Bau neuer Kraftwerke für fossile Energieträger absoluten Vorrang haben. Diese Umfrage goss weiteres Wasser auf die Mühlen der Kampagne des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, der ohnehin dafür eintritt, nun auch in Naturschutzgebieten und den Küstengewässern der USA nach weiteren Erdöl zu bohren.

Barrack Obama hingegen – der sich für alternative Energien stark macht – dürfte in dieser Frage nun verstärkt Gegenwind erhalten. Wie der Guardian berichtete, werde der Klimaschutz aufgrund der einsetzenden „ökonomischen Panik“ von der politischen Agenda etlicher Industrieländer genommen. Nahezu alle Regierungen stehen nun vor der Frage, ob sie den Planeten oder die Ökonomie retten wollen, da aufgrund aufkommenden Rezessionen der Druck zunehme, „grüne Politik“ aufzugeben. So hätten Berater des britischen Premiers gegenüber dem Blatt erklärt, dass die Regierungspläne zum Ausbau regenerativer Energien „auf der Kippe“ dessen stehen, was die Bevölkerung zu tolerieren bereit sei. Konfrontiert mit den ersten Ausläufern einer zumindest zivilisationsbedrohenden Krise, scheint das in blinder Dynamik verfangene, kapitalistische Weltsystem mit einer Beschleunigung des bestehende desaströsen energiepolitischen Kurses zu reagieren, noch ein letztes Mal richtig Vollgas geben zu wollen – der Aufprall wird um so heftiger ausfallen.

Diese Unfähigkeit des Systems, auf diese schwerwiegendsten zivilisatorischen Bedrohungen – die Ressourcenverknappung und den Klimawandel – adäquat zu reagieren und statt dessen mit einer Radikalisierung der bestehenden Energiepolitik die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen, ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen.

40 Milliarden US-Dollar Unternehmensgewinn

Zu den wichtigsten Faktoren gehören die Eigentums- und Produktionsverhältnisse in etlichen Schlüsselindustrien der „Ersten Welt“. Einer umfassenden, radikalen Energiewende, dem notwendigen schnellen Ausbau regenerativer Energien stehen die Interessen derjenigen einflussreichen Konzerne gegenüber, die am Status quo blendend verdienen. So konnte der weltweit größte Ölkonzern im vergangenen Jahr mit 40,6 Milliarden US-Dollar (27,3 Milliarden Euro) den höchsten Gewinn eines US-Unternehmens in der gesamten Wirtschaftsgeschichte des Landes erzielen.

Der Umsatz des Konzerns von 404,5 Milliarden US-Dollar (272 Milliarden Euro) bewegte sich dabei in Dimensionen des Bruttoinlandsproduktes mittlerer Staaten. Südafrika, die größte Volkswirtschaft des südlichen Afrika, erzielte 2006 eine Gesamtwirtschaftsleistung von umgerechnet 255 Milliarden US-Dollar. Insbesondere die US-Konzerne genießen eine nahezu totale Unterstützung seitens der scheidenden Bush-Administration. Nahezu ohnmächtig angesichts dieser Rekordprofite kommentierte Daniel J. Weiss vom Think Tank Center for American Progress:

Präsident Bush verbrachte einen Gutteil seiner Amtszeit damit, die großen Ölgesellschaften zu verteidigen, und es zahlte sich aus. Im Dezember verhinderte er geplante Steueranreize für Wind- und Solaranlagen, für alternative Antriebe, für Energieeffizienz und saubere Autos – all das tat er, um die Eliminierung von Steuerschlupflöchern für Ölkonzerne zu verhindern.

Insbesondere Exxon tat sich über einen langen Zeitraum zudem durch die Finanzierung von „Klimaskeptikern“ hervor. Exxon Mobil investierte seit den 90ern Millionenbeträge in scheinbar seriöse und unabhängige Denkfabriken und Institute, die Zweifel über den wissenschaftlichen Konsens zur Klimaerwärumng und notwendigen Gegenmaßnahmen säten. Einige der bekanntesten, angeblich „unabhängigen“ Denkfabriken der USA, wie das Cato Institute oder die Heritage Foundation, zählten zu Exxons Spendenempfängern. Eine beliebte Taktik in der Öffentlichkeitsarbeit der Exxon-Lobbyisten bestand darin, Pseudowissenschaftler medial aufzubauen, die den Eindruck erwecken, dass es eine kontroverse Diskussion über die Ursachen der Klimaerwärumg innerhalb der Wissenschaft gebe. Die Lobbyisten des Ölmultis waren in Europa wie in den USA am Werke und konnten nach Ansicht von Kritikern mit ihrer erfolgreichen Arbeit tatsächlich eine öffentlichkeitswirksame Thematisierung der Klimaproblematik – und somit auch effektive Gegenmaßnahmen - um ca. eine Dekade verzögern.

Bis zum heutigen Tag wirken vor allem im angelsächsischen Raum diese Propagandakampagnen nach. Umfangreiche Hilfe erhielten die Ölmultis seitens des Fernsehimperiums des Medienmoguls Rupert Murdoch, der selbst noch in diesem Jahr bei seinen FOX-News Zweifel an den Ursachen des Klimawandesl streuen lässt.

Zumindest ergehen sich die derzeit noch das Weiße Haus okkupierenden Ölmänner um George W. Bush nicht in heuchlerischen Appellen zum Klimaschutz. Um einiges heuchlerischer ist da die Politik der sich als Vorreiter beim Klimaschutz gerierenden Bundesregierung. Hier kämpft Kanzlerin Angela Merkel in vorderster Front gegen ihre eigenen Klimaversprechen. So lässt die Bundesregierung auf Wunsch der Stromkonzerne das Land mit neuen, besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerken zupflastern. Merkel wehrte sich zudem verbissen und erfolgreich gegen die von der EU angestrebte Entflechtung der eine Monopolstellung innehaltenden Stromkonzerne, die ebenfalls jährlich Rekordprofite einfahren. Überdies verhinderte Berlin aufgrund massiven Widerstands jegliche EU-Klimaschutzinitiative, die von der deutschen Autolobby als ein Wettbewerbsnachteil angesehen wurde. Auch die deutschen Strom- und Energiekonzerne bemühen sich nach Kräften die regenerative Erzeugung von Energie zu behindern.

Allein aufgrund einer stark dezentralisierten - eher demokratische Eigentumsverhältnisse begünstigenden - Produktionsstruktur in einem potentiellen, unter massiven Einsatz von Solar- und Windkraft zu errichtenden regenerativen Energiesektor, könnte die Marktherrschaft einiger weniger, ein Oligopol bildender Konzerne kaum aufrecht gehalten werden. Mit Tausenden von Windkraftanlagen und Hunderttausenden von Solarmodulen würde praktisch jeder, der über eine geeignete Fläche verfügt, zum Stromproduzenten. Dies dürfte eine Horrorvorstellung für unsere Stromkonzerne sein. Die neuen, aus regenerativen Energien bestehenden Produktivkräfte geraten sozusagen in Konflikt mit den durch Öl- und Energiekonzenrne monopolartig dominierten Produktionsverhältnissen im Energiesektor der Industriegesellschaften.

Ende des kapitalistischen Wachstums

Doch die mit „Peak Everything“ einhergehende Verknappung elementarer Ressourcen rührt auch am Kern der kapitalistischen Produktionsweise, wie auch an deren spezifische Organisationsform in individuellen Produktionseinheiten, in Betrieben und Konzernen.

Zum einen ist gerade die scheinbare Effizienz der einzelbetrieblichen Kalkulation, der Kosten-Nutzen-Rechnung eines Unternehmens, die im Widerspruch zu den gesamtgesellschaftlichen Folgekosten kapitalistischer, privatwirtschaftlicher Produktion steht. Das einzelne Unternehmen kommt direkt nur für einen Bruchteil der Kosten auf, die es während der Warenproduktion verursacht, auf. Den überwiegenden Rest, wie die Ausbildung der Arbeitskräfte, wissenschaftliche Grundlagenforschung oder die Verkehrsinfrastruktur, stellt die Allgemeinheit. Genauso kommt der Steuerzahler für Umweltzerstörung auf, die im Zuge der Warenproduktion verursacht wurde.

Im Fall des Klimawandels wird nun dieser Widerspruch auf die Spitze getrieben: Selbstverständlich ist es aus der Sicht deutscher Autokonzerne richtig, die Bundesregierung dazu zu bringen, gegen europäische CO2-Normen bei PKWs vorzugehen, da eben diese die einzelbetriebliche Kosten-Nutzen-Rechnung nachteilig beeinflussen würden. Genauso müssen deutsche Stromkonzerne und US-Ölmultis die regenerativen Energien marginalisieren, da dies im Rahmen ihrer betrieblichen Kalkulation rationell ist. Die globalen Kosten des Klimawandels werden diesen Unternehmen nicht direkt angelastet, es bestehen kaum ernsthafte Versuche einer gesamtwirtschaftlichen Kostenrechnung – ein Unternehmen, dass auf eine Maximierung seiner Gewinnspanne, auf ein weiteres Wachstum freiwillig verzichtete, versündigte sich ja geradezu an seinen Besitzern. Dabei kann es gerade dieser durch die Konzerne finanzierte, auf die Realisierung kurzfristiger Gewinne gerichtete Lobbyismus sein, der letztendlich die Grundlagen des Kapitalismus untergräbt, wie der Guardian feststellte

Es gibt eine lange Geschichte konzernfinanzierten Lobbyismus, der sich gegen Gesetze richtet, die letztendlich die Konzern dominierte Wirtschaft retten.

Doch inzwischen kann man der kapitalistischen Staatlichkeit nicht mal mehr der Rest an Würde attestieren, den selbst Karl Marx dieser noch zugestand. Für Marx war der Staat der „Ideelle Gesamtkapitalist“, er musste das Systeminteresse des gesamten Kapitals im Auge behalten und die optimalen Verwertungsbedingungen für diesen sicherstellen. Dazu gehörte es auch, dass der Staat als eigenständiger Machtfaktor auftrat und notfalls gegen Kapitalfraktionen und Gewerbezweige vorging, deren Treiben das gesamte System gefährdete. Nun ist der spätbürgerliche Staat heutzutage aber zu nichts weiter als zur Beute konkurrierender Fraktionen des Kapitals verkommen.

Ein weiteres bestimmendes Moment kapitalistischer Gesellschaften, das die Triebfeder des widersprüchlichen - schöpferischen wie destruktiven – „Wirtschaftswachstums“ darstellt, scheint ebenfalls an seine Grenzen zu stoßen, wie der Guardan bemerkt:

Es ist schwer vorstellbar, wie die derzeitige globale Wachstumsrate von 3,7 Prozent im Jahr (was bedeutet, dass die globale Ökonomie sich alle 19 Jahre verdoppelt) aufrecht erhalten werden könnte, selbst wenn alles durch Wind und Sonne angetrieben wäre.

Tatsächlich ist das Wachstum, das nur der volkswirtschaftlich sichtbare Ausdruck der Akkumulation von Kapital ist, an seine „stoffliche Grundlage“ gebunden. Der Unternehmer investiert sein als Kapital fungierendes Geld in Rohstoffe, Arbeitskräfte und Energie, um in Fabriken hieraus neue Waren zu schaffen, die mit Gewinn verkauft werden. Das hiernach vergrößerte Kapital wird in diesem Endlosen Wervetungsprozess des Kapitals in noch mehr Energie, Rohstoffe etc. investiert, um wiederum noch mehr Waren herzustellen. Dieser uferlose Kernprozess kapitalistischer Produktion setzt permanentes Wachstum des Kapitals voraus – niemand investiert sein Geld, um danach weniger oder genauso viel zu erhalten. Hiermit müssen auch die Aufwendungen – Rohstoffe und Energie – für diesen Verwertungsprozess permanent erhöht werden. Aufgrund des anstehenden, von Richard Heinberg diagnostizierte „Peak Everything“ käme dieser Prozess sozusagen an seine „physikalische Grenze“.

Ein weiteres Problem im Zuge der Akkumulation von Kapital ergibt sich aus der herrschenden Definition von „Nachfrage“. Für das Kapital wie auch die gängige Betriebswirtschaftslehre gibt es nur dort Nachfrage nach einer Ware, wo es auch die Mittel gibt, diese zu erwerben. So kann ein jeder BWLer ruhigen Gewissens feststellen, dass am Horn von Afrika, wo sich gerade eine Hungersnot anbahnt, keine Nachfrage nach Lebensmitteln herrscht.

Zahlungskräftige Nachfrage nach Waren können aber nur die Personen ausbilden, die entlohnt werden, die also an der Warenproduktion teilnehmen. Und dieses Prinzip, wonach gerade die an der Akkumulation von Kapital, am Produktionsprozess beteiligten Lohnabhängigen zugleich als wichtigste Konsumentengruppe auftreten, gerät seit einiger Zeit in die Krise. Mit der industriellen Revolution in der Mikroelektronik seit den 80er Jahren stößt das Kapital an eine „innere Schranke“, da durch die dieser einhergehende Automatisierung des Produktionsprozesses die menschliche Arbeitskraft zusehends überflüssig würde. Die mikroelektronische Revolution macht langfristig mehr Arbeitsstellen überflüssig, als in den neuen Hightech-Sektoren entstehen. Dem Kapital stehen nun ungleich höhere Produktionskapazitäten zur Verfügung und eine global schrumpfende Massennachfrage, was bis vor Kurzem noch durch den Kredit- und Immobilienfinanzierten Boom in den USA überdeckt wurde. Als Reaktion auf diese Krisenerscheinung setzte ab den 80ern ein sukzessiver Ausbau des Finanzsektors in den avancierten kapitalistischen Volkswirtschaften ein, der mit immer häufiger auftretender, an Heftigkeit zunehmender spekulativer Blasenbildung einhergeht.

Der amerikanische Theoretiker Paul Sweezy http://www.monthlyreview.org/080401foster.php sprach von einer regelrechten „Finanzialisierung“ des Kapitalismus, bei der die Banken sogar die verarbeitende Industrie in den Schatten stellen. So stiegen http://www.monthlyreview.org/images/080401foster-tbl-1.gif die in dem Finanzsektor der USA generierten Gewinne von 16 Prozent aller realisierten Profite in 1985, auf nahezu 40 Prozent in 2005. Zugleich ist ein langfristiger Einbruch der privaten Investitionstätigkeit in den USA http://www.monthlyreview.org/images/080401foster-tbl-2.gif auf inzwischen 1,6 Prozent des BSP zu beobachten. Die Investition in neue Produktionsanlagen Lohn weit weniger, als die fröhliche Profitjagt auf den Weltfinanzmärkten.

Hiermit wären wir wieder bei der anfänglich behandelten Spekulationsblase auf dem Warenterminmärkten und der „Blasenkökonomie“. Es handelt sich auch um ein Krisenphänomen der kapitalistischen Produktion. Konfrontiert mit einer in der realen Produktion beständig - aufgrund technischen Fortschritts - sinkenden Profitrate, sucht sich das Kapital scheinbar profitablere Anlagemöglichkeiten bei Spekulationsgeschäften. Doch auf der Börse oder den Warenterminmärkten werden keine neuen Werte erarbeitet, sie können nur anders verteilt werden, so dass auf einen jeden Boom ein Crash folgt. Reichtum und Werte können nur vermittels Produktion erarbeitet werden, durch den Einsatz von Rohstoffen, Arbeit und Energie. Und hier gerät das über uns herrschende Wirtschaftssystem in eine doppelte Krise - aus knappen Rohstoffen und Energieträgern einerseits, wie auch sinkender Profitrate und Massennachfrage andererseits.