Zucht, Geschmack und Marktversagen

Warum Erdbeeren nicht mehr wie Erdbeeren schmecken und was dagegen unternommen wird

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Die Selektion von Pflanzen durch den Menschen begann vor mehr als zehntausend Jahren. Bis zum Zeitalter des Supermarkts gingen die Züchtungen nicht nur in Richtung Ertragssteigerung und Robustheit, sondern auch hin zu wohlschmeckenderen Früchten.

In den letzten Jahrzehnten machte sich dagegen zunehmend der Effekt bemerkbar, dass die Obst- und Gemüsesorten, die es zu kaufen gibt, zwar im Supermarkt länger besser aussehen, aber deutlich weniger gut schmecken. Besonders evident ist dies bei Erdbeeren, Tomaten und Kartoffeln. Hier schien zunehmend ein Effekt zu greifen, den Theodor W. Adorno als einer der ersten beschrieb: danach schaffen die Anreize der gegenwärtige Wirtschaftsordnung nur scheinbar eine größere Vielfalt, während in Wirklichkeit eine tendenzielle Vereinheitlichung und Verarmung stattfindet.

Bild: JKI

An den Einrichtungen für Obstzüchtung und Pflanzenanalytik des staatlichen Julius Kühn-Instituts (JKI) in Dresden und Quedlinburg versucht man deshalb etwas, was von Saatgutkonzernen in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt wurde: Züchtungsforschung, die auch "sensorische Parameter" erfasst und untersucht, wie diese optimiert werden können. Dabei müssen sich die Forscher auf Erdbeeren, Äpfel, Reben und Kirschen beschränken. Zwar gibt es den Effekt der Geschmacksverarmung auch bei anderen Nutzpflanzen, doch wurde dem Institut durch das Landwirtschaftsministerium hier nur Grundlagenforschung erlaubt, weil Saatgutkonzerne auf keinen Fall Konkurrenz bekommen möchten.

Die Frage, warum der Geschmack bei der Züchtung von Obst und Gemüse ins Hintertreffen geriet, ist nicht eindeutig zu beantworten. Ein wichtiger Grund scheint zu sein, dass mit der Zunahme der Transportwege und der Lagerzeiten immer härtere Früchte gefragt waren, die im Supermarktregal lange gut aussehen. Doch je härter eine Frucht, desto schwieriger kann sich ihr Geschmack entfalten. Der hätte zwar vielleicht den Verbraucher interessiert, doch nicht er bestimmte, wohin die Züchtung ging, sondern die Saatgutkonzerne und der Handel.

Denen galt der polygen und auf komplizierte Weise vererbte Geschmack als sehr schwierig zu bearbeitendes Merkmal, weshalb er "in der Praxis bei vielen Kulturarten mehr oder weniger zufällig und in sehr späten Stadien in den Selektionsprozess mit einbezogen" wurde. Der so genannte Trichtereffekt, die Verengung des Genpools beim "Hochzüchten" von Sorten, betrifft darüber hinaus auch Aromamuster. Neue Sorten weisen tendenziell weit weniger Aromastoffe auf, dafür sind diese in höherer Konzentration vorhanden – die Pflanzen schmecken also süßer oder möglicherweise sogar intensiver, dafür aber "simpler".

Gegenüberstellung der Aromamuster der alten Erdbeersorte „Mieze Schindler“ (oben) und der Hochleistungssorte Elsanta (unten). Dargestellt ist die relative Konzentration (y-Achse) bestimmter Aromaschlüsselsubstanzen (x-Achse). Grafik: Detlef Ulrich (PB)/JKI

Aromaforschung

Eine systematische Aromaprüfung oder entsprechende chemische Verfahren unterblieben häufig aus Kostengründen – auch, weil die Gesamtzahl der verschiedenen Züchtungen relativ groß, die Menge der Früchte einer einzelnen Zuchtprobe aber relativ klein waren.

Im Vorläuferinstitut des JKI entwickelte man deshalb praktischere, schnellere und kostengünstigere Methoden der Aromaanalyse, darunter eine "elektronische Nase", einen Gaschromatographen, "gekoppelt mit einer Headspace-Festphasen-Mikroextraktion als Cleanup (HS-SPME-GC) und chemometrischer Datenauswertung (Mustererkennung)." Daneben arbeitet man aber auch noch mit speziell geschulten Testern, die ihr Urteil "blind" fällen, damit es nicht von der Farbe der Früchte beeinflusst wird.

Besonders gut für die Geschmacksforschung eignet sich die Erdbeere. Anders als bei der Kirsche, wo das Aroma mit drei Inhaltsstoffen komplett ist, wurden in ihr bisher 360 geschmacksrelevante Substanzen identifiziert. Dazu zählen nicht nur Ester und Lactone, die für das "fruchtige" verantwortlich sind, sondern auch Hexanale, die in hohen Dosen hautreizend sind und unter anderem den Geruch von Olivenöl, Orangensaft und Linoleum mit prägen. Das Schwierige für die Züchtung ist, dass sich Geschmackseindrücke mit der Konzentration solcher Substanzen nicht nur verstärken oder abschwächen, sondern auch vollständig verändern können.

Um herauszufinden, welche "Schlüsselsubstanzen" davon für den menschlichen Geschmackseindruck wirklich relevant sind und wie ihre Vererbung funktioniert, experimentierten die Wissenschaftler ausgiebig mit der in den 1920er Jahren gezüchteten "Mieze Schindler", die "allgemein als der Standard für exzellenten Erdbeergeschmack" gilt. Allerdings sind diese Erdbeeren nur etwa 1/3 so groß wie heute handelsübliche. Die Pflanze trägt zudem vergleichbar wenig Früchte, die sehr dunkel, druckempfindlich, schlecht zu lagern und kaum resistent gegen Fruchtfäule sind.

Dabei entdeckten sie, dass es zwischen Sorten wie Elsanta (einer holländischen Züchtung mit einem Marktanteil von knapp 70 Prozent) und Mieze Schindler unter anderem "signifikante Unterschiede im Gehalt an kurzkettigen Fruchtestern" gibt, die "fruchtig, frische Aromaeindrücke" erzeugen. Der in Mieze Schindler enthaltene aber in Sorten mit Elsanta verloren gegangene Ester Methylanthranilat schreckt Vögel ab, erzeugt aber beim Menschen einen intensiven "süßlich-blumigen" Eindruck wie er auch für die Walderdbeere typisch ist.

Für neuere Züchtungen verwenden die Forscher am JKI allerdings nicht das Erbgut der Mieze Schindler, sondern, um den oben beschriebenen Trichtereffekt möglichst effektiv aufzuheben, Wildarten wie die in China beheimatete Fragaria Mandshurica Staudt. So konnten sie Zuchtstämme erzeugen "deren Aromastoffgehalt den der Kulturerdbeere um den Faktor 5 übertreffen." Bis solche neuen Sorten auf den Markt kommen, werden allerdings noch Jahre vergehen.