Goldene Knollen

Nahrungsmittel der Zukunft: Die Kartoffel, die Königin der Nachtschatten

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Immer noch wird die nahrhafte Knolle unterschätzt, obwohl ihre Bedeutung für die Welternährung wächst. Jetzt wird sie gefeiert, die Vereinten Nationen haben 2008 zum Jahr der Kartoffel erklärt, um das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung der Erdäpfel zu sensibilisieren.

Vielfalt der Kartoffel, Foto: Centro Internacional de la Papa, CIP

Wissenschaftlich wird sie als Solanum tuberosum bezeichnet, sie gehört zur Gattung Nachtschatten (Solanum) aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Die Kartoffel ist mit der Tomate, dem Paprika und der Aubergine eng verwandt. Die Königin der Nacht ist giftig, ihre Blüten, Früchte und Blätter sind ungenießbar.

Nur die reifen Knollen sind für den Menschen essbar (vgl. Gifte). Gefährlich wird es, wenn gelagerte Kartoffeln auskeimen (vor allem durch Licht und Wärme), in den grünen Augen finden sich ganz beträchtliche Giftdosen, sicherer ist es in jedem Fall, die Knollen zu schälen (vgl. Wussten Sie, dass Kartoffeln eigentlich giftig sind?).

Siegeszug

Die Geschichte der menschlichen Eroberung der Kartoffel beginnt vor 8.000 Jahren in den Anden, am Titicacasee. Dort, auf fast 4.000 Meter Höhe, an der Grenze zwischen dem heutigen Peru und Bolivien begannen die frühen Amerikaner mit dem Anbau dieses ganz speziellen Grundnahrungsmittels. Heute gibt es knapp 200 wild wachsende Kartoffelarten in den Bergregionen Südamerikas. Über die Einordnung der kultivierten Sorten wird bis heute wissenschaftlich diskutiert, einige gehen von 21 Arten aus, andere von einer Art mit großer Variabilität.

Die spanischen Konquistadoren fanden Geschmack an den Erdäpfeln und brachten sie im 16. Jahrhundert nach Europa, wo sie anfangs vor allem als schön blühende Pflanze in fürstlichen Gärten standen. Ihre Giftigkeit und Anbauprobleme bremsten zunächst die Begeisterung der Bauern. Zuerst setzte sie sich in Irland durch, wo sie bald zum wichtigsten Grundnahrungsmittel avancierte.

In Preußen wollte sie dagegen zunächst keiner essen, Friedrich der Große musste die Bevölkerung nachdrücklich mit Verordnungen zum Anbau und Verzehr zwingen (vgl. Tartoffeln für Brandenburg). Heute sind Bratkartoffeln, Pellmänner, Knödel, Püree, Kroketten, Fritten oder Reibekuchen aus der deutschen Küche nicht mehr wegzudenken (vgl. Kartoffelgerichte, eine Vorliebe, der die Teutonen ihren Spitznamen „Kartoffel“ verdanken.

Nahrungsmittel der Zukunft

Aber nicht nur hierzulande erfreut sich die Kartoffel als Beilage oder volles Gericht großer Beliebtheit. 2007 wurden weltweit 320 Millionen Tonnen des „Goldes der Erde“ geerntet. China, Russland und Indien sind die größten Produzenten (vgl. Potato World).

Mit ihrem "Jahr der Kartoffel" will die UNO für einen zunehmenden Anbau vor allem in den Entwicklungsstaaten werben. Schon heute ist Solanum tuberosuminternational auf Platz vier der wichtigsten Kohlenhydrate-Lieferanten für die Ernährung der Menschheit. Die Preise für Getreide, Mais und Reis sind auf dem Weltmarkt stark gestiegen. Kartoffeln werden nicht global, sondern vor allem regional gehandelt. Deswegen sehen die Vereinten Nationen die alte Kulturpflanze als Chance gerade für Bauern mit geringem Einkommen, ihre eigene Versorgung sicher zu stellen. Staaten können außerdem durch die Förderung des Kartoffelanbaus teure Getreideimporte vermeiden.

Dort wo Land knapp ist, aber viel Arbeitskräfte verfügbar, lohnt sich der Anbau besonders. Denn 85 Prozent der Pflanze sind als menschliche Nahrung verwertbar, bei Getreide sind es nur 50 Prozent. Die Kartoffel wächst sehr schnell und liefert besonders viel Kohlenhydrate, aber auch mehr Proteine als alle anderen Wurzel- und Knollenpflanzen. Zudem enthält eine große Knolle genug Vitamin C, um die Hälfte des Tagesbedarfs abzudecken und auch noch reichlich Kalium sowie Eisen (vgl. Inhaltsstoffe der Kartoffel).

Dem Genom auf der Spur

Bislang geht ein großer Teil der internationalen Kartoffelproduktion in die Industrie, wo vor allem die Stärke verwendet wird, um Papier, Kleister, Kosmetik, Textilien oder auch Biosprit herzustellen (vgl. Kartoffeln in der Industrie).

Monokulturen und Rückgang der Artenvielfalt gehören zu den größten Problemen des Kartoffelanbaus. Die genetische Verarmung führt unter anderem zu verstärktem Schädlingsbefall. Die möglichen Folgen können katastrophal sein, wie das historische Beispiel des "Great Famine" in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts verdeutlicht. Ein Pilz, die Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans), vernichtete damals die Ernte, die folgende Hungerkatastrophe kostete Millionen Iren das Leben, und führte zu einer Massenauswanderung in die Vereinigten Staaten.

Die Erhaltung und Wiederentdeckung der Artenvielfalt hat sich das Internationalen Kartoffelzentrums (Centro Internacional de la Papa) im peruanischen Lima auf die Fahnen geschrieben. Unter anderem betreibt das Zentrum eine Gendatenbank und die weltweit größte Saatgutbank mit 5000 Sorten und 100 Wildtypen. Zugleich versucht eine Gruppe internationaler Wissenschaftler, das Genom der Kartoffel zu entschlüsseln. Das Potato Genome Sequencing Consortium, ein Zusammenschluss akademischer Institutionen und industrieller Organisationen, ist zuversichtlich, dieses Ziel bis Ende 2010 zu erreichen.

Südamerikanische Kinder machen Werbung für das Jahr der Kartoffel, Bild: UNO

Das Erbgut besser zu verstehen, soll dazu beitragen durch Kreuzungen und den Einsatz von Gentechnik neue Sorten zu schaffen, die ergiebiger, inhaltsreicher und resistenter gegen Krankheiten oder Schädlinge sind. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science gibt die Botanikerin Sandra Knapp vom Natural History Museum in London einen Überblick zum Stand der Forschung in diesem Bereich.

Unter anderem erbrachte die Untersuchung des Erbguts kürzlich die Einteilung der gezüchteten Kartoffelsorten in vier Taxa. Durch das künstliche Einbringen von Genen wilder Sorten ist es zudem gelungen, eine Sorte zu erschaffen, die sehr widerstandsfähig gegen die Knollenfäule ist (vgl. GM potato trials given go-ahead).

Auch Sorten mit mehr Vitaminen oder Mineralien wurden durch gezielte Züchtung kreiert, ein Beispiel ist die 2007 auf den Markt gekommene, aus einer alten Sorte generierte "Mayan Gold".

In Europa sind vor allem die genmanipulierten Sorten stark umstritten. Zuletzt gab es heftige Kontroversen gegen den Versuchs-Anbau von Amflora, einer Sorte, die als nachwachsender Rohstoff für die Industrie angebaut werden soll und besonders viel Stärke enthält. Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen protestierten vehement (vgl. Gen-Kartoffel nicht nur rechtlich zweifelhaft). Ein Ende der Debatte ist nicht absehbar, die Politik lässt seit Jahren immer wieder die potenziellen Folgen für Natur und Gesundheit prüfen (vgl. Herumlavieren bei Genehmigungen von genveränderten Pflanzen).

Sandra Knapp ist überzeugt, dass für die Entwicklung neuer, effektiver Kartoffelsorten das Züchten alleine nicht ausreichen wird, sondern der Einsatz von Gentechnik sinnvoll sei. In jedem Fall zeigt sich in ihrem Artikel als echter Fan der Kartoffel und zieht am Ende die Bilanz.

Die bescheidene Knolle hat einen weiten Weg von ihrem Ursprung in den Hochlagen der Anden zurückgelegt. Wenn die gemeinsame Forschung des Genoms, der Zucht und der Biodiversität noch Fahrt gewinnt, wird die Kartoffel eine noch wichtigere Rolle spielen – sowohl was unser Verständnis von Genetik angeht, als auch um eine weiter anwachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Es ist völlig richtig, dass wir jetzt eine Pflanze feiern, die unserer Spezies so viel gibt und künftig noch mehr anzubieten haben wird.