Kolumbien: Wirtschaftswunder à la Uribe

Weltweiter Rohstoffhunger, Großprojekte, Privatisierungen und erfolgreiche Guerillabekämpfung als "Investitionsanreize"

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Allen Skandalen zum Trotz scheint die Herrschaft des ultrarechten kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe gefestigter denn je. Dass ihm die Beziehungen zu den Todesschwadronen und zur Kokainmafia nicht zum Verhängnis werden, liegt nur zum Teil an den militärischen Erfolgen gegen die linke Guerillaorganisationen FARC und ELN. Genauso wichtig und eng damit verknüpft ist die dynamische Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre, von der neben der Oligarchie auch größere Teile der Mittelschichten profitieren.

Seit 2002 erlebt Kolumbien den stärksten Wirtschaftsaufschwung seit den 70er Jahren. Die Wachstumsraten stiegen von 1,9% in 2002 auf 7,5% im vergangenen Jahr. Für 2008 und 2009 wird allerdings eine deutliche Abschwächung auf 4,6% bzw. 4,5% prognostiziert, was europäische Analysten durchaus als „gute Nachricht“ werten, da die Wirtschaft spätestens seit Mitte 2007 „Überhitzungserscheinungen“ zeige. So gewann der kolumbianische Peso in den letzten viereinhalb Jahren gegenüber dem US-Dollar rund 65% an Wert.

Die starke Binnennachfrage führte im Juni zu einem Anstieg der Verbraucherpreise um 7,2%, denn der Konsum wuchs im letzten Jahr um 11% und damit 3,5 Prozentpunkte stärker als das Bruttoinlandsprodukt (BIP), was zum Anstieg des Leistungsbilanzdefizits von 2,3% auf 3,4% des BIP beitrug. Die Zentralbank hat deshalb den Leitzins seit April 2006 in mehreren Schritten auf stattliche 9,75% heraufgesetzt. Mit dieser Politik ist es zwar gelungen, die Konsumneigung abzukühlen, nicht aber die Inflation unter Kontrolle zu bringen.

Verbesserung des Investitionsklimas durch Ausbau des Militärs

Für den Boom der Wirtschaft gibt es mehrere Gründe. In erster Linie profitiert das Land von der massiv gestiegenen Nachfrage nach Rohstoffen. Kolumbien verfügt nicht nur über erhebliche Erdölreserven, sondern auch über die größten Kohle-, Gold- und Platinvorkommen Lateinamerikas. Darüber hinaus besitzt es Eisenerz, Kupfer, Zink, Uran, Titan, Mangan, Smaragde und anderes mehr. 2007 machten allein Erdöl (24,4%), Kohle (11,7%), land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse (8,9%), Kaffee (5,7%) und Eisenerz (5,6%) 56,3 Prozent der gesamten Exporte aus. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Ausfuhren um 23%. Hauptabnehmer sind die USA mit 34,6% und Venezuela mit 17,4%. Hauptlieferanten die Vereinigten Staaten (26,0%), die VR China (10,1%) und Mexiko (9,3%).

Wichtig ist aber auch die „Verbesserung des Investitionsklimas“, wie es Ratingagenturen und Handelskammern vornehm nennen. Dahinter verbirgt sich der Anfang der 90er Jahre begonnene neoliberale Umbau der Wirtschaft, der zunächst zu Rezession, Inflation und einem weiteren Anstieg der ohnehin schon hohen Arbeitslosigkeit führte. Verschlechterte Weltmarktbedingungen und die unsichere innenpolitische Lage stürzten das Land 1999-2000 in eine Wirtschaftskrise.

Der unter Federführung der USA entwickelte „Plan Colombia“ sollte dem darauf folgenden Abzug ausländischen Kapitals und dem Rückzug internationaler Firmen entgegenwirken und neue „Investitionsanreize“ schaffen. Im Rahmen eines IWF-Stabilisierungsprogramms kam es zu umfassenden Strukturreformen, insbesondere zur Liberalisierung von Finanzsektor und Außenhandel. Parallel dazu sorgte die kontinuierliche Aufrüstung und Unterstützung der Armee durch die USA für die notwendige „Sicherheit“.

Kolumbiens Militärausgaben wuchsen von 2% des BIP im Jahr 1991 auf rekordverdächtige 6,32% im Jahr 2007. Tendenz weiter steigend. Kolumbien überflügelt damit selbst die USA, die trotz Irak- und Afghanistan-Krieg „nur“ 4,04% ihres BIP fürs Militär ausgeben. Möglich ist dieser Kraftakt allein dank der massiven Militärhilfe aus Washington. Für 2008 sind 542 Millionen $ vorgesehen, 2009 weitere 403 Millionen $. Insgesamt beläuft sich die US-Militärhilfe seit dem Start des „Plan Colombia“ auf nicht weniger als 5 Milliarden Dollar.

Im Zusammenhang mit der Befreiung der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt aus den Händen der FARC jubelte die rechtsliberale „Neue Zürcher Zeitung“ am 7.7.2008 in ihrem Wirtschaftsteil, dieser „Coup“ werde „sich nicht nur auf die politische Lage im Land, sondern auch auf das Wirtschaftsgeschehen positiv auswirken“. Es sei „der vorläufige Höhepunkt der Politik der 'demokratischen Sicherheit', die darauf abzielt, die Präsenz des Staates in den lange durch die Guerilla besetzten, von ihr beherrschten oder bedrohten Landesteilen wiederherzustellen“. Die Unternehmen hätten einen großen „Aufholbedarf“, da sie „zum Teil jahrzehntelang unter bürgerkriegsähnlichen Umständen hatten darben müssen“. Womit die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden.

Die Rolle der Paramilitärs

„Darben“ müssen in Kolumbien eher die Kleinbauern, Land- und Fabrikarbeiter. Noch immer kontrolliert eine Oligarchie, die nur 0,4% der Bevölkerung ausmacht, 61% des fruchtbaren Bodens. Die Reingewinne der 5.000 größten Unternehmen stiegen in den Jahren 2005-2006 um satte 14%. Gleichzeitig lebten 2007 nach Angaben der UNO-Entwicklungsorganisation UNDP 17 der insgesamt 48 Millionen Kolumbianer in Armut und 6 Millionen im Elend. Der durchschnittliche Monatslohn in den Städten wurde 2007 auf ca. 710 US-Dollar (damals ca. 527 Euro) geschätzt. Eine Studie der Schweizer Großbank UBS vom März 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass das Nettolohnniveau in Bogota auf dem Niveau von Bukarest liegt und damit deutlich unter dem von Santiago de Chile, Sao Paolo, Buenos Aires oder Lima. Vergleicht man die Kaufkraft so beträgt die Binnenkaufkraft (inklusive Mieten) des durchschnittlichen Netto-Stundenlohns in Bogota nur gut halb so viel wie beispielsweise in Sao Paolo oder Buenos Aires.

Wirkungsvollste Garantie für den Erhalt dieser Zustände sind genau die antikommunistischen Paramilitärs der sog. „Vereinigten Selbstverteidigungen Kolumbiens“ (AUC=, zu denen Uribe und sein Umfeld engste Beziehungen unterhalten, wie der „Para-Politik“-Skandal in den vergangenen Monaten noch einmal allen vor Augen geführt hat. Die unabhängige Nationale Gewerkschaftsschule hat allein für den Zeitraum von Januar 1991 bis Dezember 2006 2.245 Morde, 3.400 Morddrohungen und 138 Fälle von verschwundenen Gewerkschaftern dokumentiert, die auf ihr Konto gehen.

In diesem Jahr wurden, laut dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB / ITUC), bislang weitere 28 Gewerkschafter ermordet. Wie ITUC Anfang Juli berichtete zufolge tun sich in jüngster Zeit vor allem der spanische Energie-Multi Union Fenosa und der Reifenproduzent Good Year Colombia durch gezielte Einschüchterungs-, Erpressungs- und Repressionskampagnen gegen gewerkschaftlich Organisierte hervor.

Dieses weltweit beispiellos brutale Vorgehen hängt auch mit der Art des Auslandskapitals zusammen, das in Kolumbien investiert. Ein Blick auf die Herkunftsländer der ausländischen Direktinvestitionen in Höhe von 9 Mrd.$ im Jahr 2007 zeigt, dass gleich nach den USA mit 24%, die unter britischer Verwaltung stehende Kleine-Antillen-Insel Anguilla mit ihren nur 13.500 Einwohnern stattliche 21,0% aller Neuinvestitionen beisteuerte. Nach Spanien (16%) folgen dann die „Steuerparadiese“ und Geldwaschanlangen Panama mit 10,0 sowie die ebenfalls britischen Cayman Islands (mit gut 45.000 Einwohnern das fünftgrößte Bankenzentrum der Welt !) mit 9,0 Prozent.

Dieses „Venture-Kapital“ erwartet besondere Profite in einem „befriedeten Umfeld“. Gelegenheiten dazu bietet der Neoliberale Uribe beispielsweise durch große Bauvorhaben im Energiesektor, im Straßenbau und im Tourismus, aber auch durch die Privatisierung von fünf regionalen Stromversorgern oder die Vergabe einer dritten landesweiten Fernsehlizenz in diesem Jahr

An der strukturellen Abhängigkeit von den USA ändert das freilich wenig. Eine wirtschaftliche Abschwächung in den Vereinigten Staaten wird Kolumbien in heftiger Weise zu spüren bekommen. Auch wenn der US-Kongress das Freihandelsabkommen FTA zwischen beiden Ländern noch nicht gebilligt hat, sind die Verzahnungen zwischen beiden Ökonomien so eng und die Rolle der USA als Hauptabnehmer und wichtigster Geldgeber so zentral, dass Uribes „Wirtschaftswunder“ tiefere Einbrüche beim großen Bruder im Norden wohl kaum überleben dürfte