Proteste gegen Sarkozys Atom-Renaissance in Paris

Die französische Regierung will die angeblich "saubere" Atomkraft zum Verkaufsschlager des Mittelmeergipfels zu machen

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Tausende Menschen sind dem Aufruf der Atomkraftgegner gefolgt und haben am Samstag in der französischen Hauptstadt Paris gegen die Atompolitik der Regierung demonstriert. Vor dem Gründungsgipfel zur Mittelmeerunion zeigten die Atomkraftgegner ihren Widerstand gegen die Pläne, weltweit eine Renaissance der Atomkraft einzuläuten. Die soll nach dem Willen von Präsident Nicolas Sarkozy und dem halbstaatlichen französische Energieversorger EDF Frankreich anführen, wozu der Gipfel und die neue Union als Verkaufsplattform dienen sollen. Zunächst kündigte Sarkozy kürzlich den Bau eines zweiten neuen Atommeilers an, während die EDF weltweit mindestens zehn neue Atomkraftwerke bauen will. Die leidige Endlagerfrage soll mit dem Bau eines Endlagers in Lothringen begraben werden. Doch die Vorgänge dort sind so undurchsichtig, wie der Skandal um den Unfall im Atomkraftwerk Tricastin.

Die Panne in der Atomanlage Tricastin nutzt dem Atomkraftgegnern. Bild: World Nuclear Association

Das französische Netzwerk der Atomkraftgegner Sortir du nucléaire hatte zur Großdemonstration aufgerufen und Tausende Menschen sind dem Aufruf gefolgt, um "Für ein Welt ohne Atomkraft" einzutreten. Nach Angaben des Netzwerks, in dem mehr als 800 Gruppen zusammengeschlossen sind, haben 7000 Menschen in der französischen Hauptstadt demonstriert. Teilgenommen hatten auch Atomkraftgegner aus Deutschland, Türkei, Bulgarien, Finnland, Irland, den USA, Australien und dem Niger, wo der Uranabbau die Lebensgrundlage der Tuareg zerstört. Ein Drittel des französischen Urans kommt aus dem Land und wird es auch im offenen Tagebau gefördert, wodurch großen Mengen freigesetzt werden. Zeitgleich zur Demonstration gab es auch an anderen Orten Proteste, wie die Besetzung eines Hochspannungsmasts.

Die Proteste mitten in den Sommerferien waren den Atomkraftgegnern sehr wichtig, weil sie Sarkozy vorwerfen, die EU-Ratspräsidentschaft, die Frankreich am 1. Juli übernommen hat, in den kommenden sechs Monaten zu nutzen, um seine Atompläne voranzutreiben. Sie wenden sich gegen die Strategie von Sarkozy, die Atomkraft mit dem Klimawandel zu verknüpfen: "Die Atomenergie ist eine gefährliche Illusion, um den Klimawandel zu bekämpfen", heißt es im Aufruf.

Weiterhin machten sie aber auch auf die Vorgänge im kleinen Dorf Bure aufmerksam. Unter Umgehung aller gesetzlichen Vorschriften zur Suche für einen Endlagerstandort, wird in dessen Umgebung in Lothringen nun ein Endlager vorangetrieben. Die geforderten Forschungen in einer Lehm-Ton Schicht in 500 Meter Tiefe haben praktisch nicht stattgefunden und etliche Probleme sind dort schon jetzt bekannt. Mangels Alternativen will man hier, in der fast menschenleeren Gegend, wo Widerstand nur schwer zu entwickeln ist, die lästige Atommüllfrage definitiv beerdigen, die für die Renaissance der Atomenergie benötigt wird. Die Probebohrungen in der Region um Bure haben inzwischen begonnen, um den definitiven Standort in der etwa 200 Quadratkilometer großen Schicht zu bestimmen.

Immer wieder hatten die Atomkraftgegner der französischen Regierung vorgeworfen, die Atomkraft zu den erneuerbaren Energien umdefinieren zu wollen. Anders kann es, angesichts der Zentrierung der Sarkozy-Regierung auf die Atomkraft, kaum erreicht werden, die EU-Ziele zu erfüllen. Beschlossen wurde, die Treibhausgase bis 2020 um 20 Prozent zu senken und den Anteil von erneuerbarer Energie an der Energieversorgung auf ein Fünftel zu steigern.

Frankreich produziert schon jetzt 80 Prozent seines Stroms über Atomkraftwerke. Derzeit wird an einem Reaktor, dem umstrittenen European Pressurized Reaktor (EPR) in Flamanville gebaut, allerdings begleitet von ständigen Pannen. Im Mai wurde ein Baustopp wegen Sicherheitsmängeln und Schlampereien verhängt. Ohne jegliche Notwendigkeit und öffentliche Diskussion, wie auch die Gewerkschaften kritisieren, hat Sarkozy gerade trotzdem den Bau eines weiteren EPR angekündigt. So kritisiert zum Beispiel die große CFDT, dass schon jetzt 10 % des Stroms exportiert würden und er auch seinen eigenen Zielen widerspreche, für mehr Effizienz und für Einsparungen zu sorgen.

Auch die ehemalige sozialistische Umweltministerin Corinne Lepage kritisiert die völlig einseitige Ausrichtung der französischen Politik:

Die drei Milliarden Euros, die ein EPR Reaktor kostet, werden bei den Investitionen für erneuerbare Energien fehlen und für den Bau vom energiesparenden Häusern etc. Die öffentlichen Forschungsgelder gehen zu über 80 Prozent in die Atomtechnologie und nur fünf Prozent sind für erneuerbare Energien übrig. So lange diese Art von Logik vorherrscht, gibt es keine Hoffnung.

Olkiluoto 3 ist von vielen Pannen begleitet, wird Jahre später als geplant ans Netz gehen und wesentlich teurer werden. Bild: Areva

Frankreich soll zur nuklearen Energiegroßmacht werden

So sieht Sarkozys Strategie vor, sich ausreichend politische Verbündete zu schaffen, um die Umdefinition von Atomkraft als grüne Energie durchzusetzen. Das Gründungstreffen zur Mittelmeerunion ist dafür eine hervorragende Plattform: "Sarkozy hat die europäischen und die Mittelmeer-Staatschefs nur eingeladen, um Atomkraft an den ganzen Planeten zu verkaufen“, sagte Alain Rivat, Sprecher der französischen Atomkraftgegner, während seiner Rede auf dem Platz der Republik.

Sein Kollege Stéphane Lhomme betonte, dass die Atomkraft unwirksam sei im Kampf zum Schutz des Klimas sei und auch nicht dafür tauge, die Energiepreise stabil zu halten. Das hätten kürzlich die Proteste der Fischer, Transporteure und Autofahrer gezeigt, die ausgerechnet im Atomstromland Frankreich ihren Ausgangspunkt hatten. Sarkozy geht Hand in Hand mit den Vorstellungen des halbstaatlichen französischen Energieversorgers Electricite de France (EdF). Der, nach eigenen Angaben, weltweit größte Atomstromproduzent will seine Führungsrolle ausbauen. Auf einer Konferenz teilte die Firma am Mittwoch in Stuttgart mit, neben den beiden EPR in Frankreich bis 2020 mindestens zehn weitere Druckwasserreaktoren bauen zu wollen. Der vom französischen Staat dominierte Konzern plane den Bau von mindestens vier Reaktoren in den USA, zwei in China, bis zu vier in Großbritannien und eventuell eines Meilers in Südafrika.

Dass dies ausgerechnet vor dem Pariser Gründungsgipfel geschah, dürfte kein Zufall sein. Hier will Sarkozy seine Pläne weiter vorantreiben, Frankreich zur Energiegroßmacht zu machen. Auffällig ist, dass bei den Planungen der EDF das geplante Atomkraftwerk in Libyen nicht auftaucht. Offenbar sind die Beziehungen zu Muammar Ghaddafi deutlich abgekühlt, denn als einziger nordafrikanischer Staatschef, von Sarkozy heftig umworben, nimmt Ghaddafi am Gipfeltreffen nicht teil.

EdF, die selbst vom französischen Staat vor Beteiligungen aus dem Ausland geschützt wird, ist allüberall an Energieversorgern beteiligt, in Deutschland etwas zu 45 Prozent am drittgrößten Energieversorger EnBW, und betreibt rund um den Globus 58 Atomkraftwerksblöcke. Auch französische Konzerne, wie der Ölmulti Total, die bisher kaum etwas mit der Atomkraft zu tun hatten, haben ihre langfristigeren Planungen vorangetrieben. Totals Präsident hat öffentlich gemacht, dass ein Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten bereits abgeschlossen sei. Darüber will sich Total durch die Hintertür Zugang zu weiteren Öl- und Gasreserven im Nahen Osten verschaffen. Die Meiler sollen ebenfalls mit dem französischen Nuklearkonzern Areva errichtet werden, der Druckwasserreaktoren in Frankreich und Finnland bereits baut. Doch auch in Finnland häufen sich beim Olkiluoto 3, dem ersten EPR-Projekt, die Probleme. Die Kosten schießen in die Höhe und die Bauzeit hat sich schon jetzt um zwei Jahre verzögert.

Panne in Tricastin kommt Atomkraftgegnern zugute

Die Demonstration der französischen Atomkraftgegner war zwar seit langem vorbereitet, doch letztlich hat ausgerechnet die Atomlobby mit ihrem unverantwortlichen Verhalten in Tricastin ihr eine deutlich größere Bedeutung verschafft. Wieder einmal bestimmen Verdunkelung, Verheimlichung und Verniedlichung die Vorgänge von Seiten der Betreiber von gefährlichen Atomanlagen. Bis heute gibt es keine verlässlichen Informationen über das ganze Ausmaß. Inzwischen ist allerdings klar, dass die Öffentlichkeit erst mit einem Tag Verspätung informiert wurde. Deshalb dürften Menschen mit dem kontaminierten Wasser in Kontakt gekommen sein, denn viele Stunden vergingen, bis sie davor gewarnt wurden, das Wasser nicht mehr zu trinken, nicht im Fluss zu baden oder die Fische daraus zu essen.

Nach Angaben von Experten ist das ausgetretene Uran hochtoxisch und wird im menschlichen Körper in Niere, Leber oder Knochen eingelagert, wo es krebserregend und erbgutschädigend wirke. Selbst wenn man den Angaben der französischen Atomaufsicht glaubt, dann wäre der deutsche Grenzwert, von 10 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser Tausendfach überschritten worden. Die französische Atomaufsicht Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) hat nun die Schließung der betroffenen Betriebseinheit angeordnet. Die Betreiberfirma Socatri, eine Tochterfirma von Areva, rechtfertigte den Zwischenfall mit Modernisierungsarbeiten. Diesen Teil der Anlage habe man in den "kommenden Wochen“ ohnehin schließen wollen. Die ASN will ihren Bericht nun an die Staatsanwaltschaft in Carpentras übergeben. Die bisherigen Untersuchungen hätten ergeben, dass die nach dem Unfall von der Firma Socatri getroffenen Sicherheitsmaßnahmen "nicht vollständig zufriedenstellend" seien.

Wie viel des hochtoxischen Urans ausgetreten ist, ist weiter unklar. Zunächst war von 360 Kilogramm die Rede. Ausgerechnet die ASN versucht zu beschwichtigen, schon bevor sie Ergebnisse ihrer Untersuchungen hat und spricht nun von 75 Kilogramm. Unklar ist weiter, welche Mengen des kontaminierten Wassers in die Flüsse gelangt sind. Nach Angaben der Betreiberfirma sei ein Teil auf dem Betriebsgelände versickert und damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass es ins Grundwasser gelangt. Ohnehin ist das zweitgrößte Atomkraftwerk Tricastin – und eines der ältstesten - bei der ASN kein Unbekannter. Mehrfach, so zum Beispiel im vergangenen Jahr, wurde gerügt, dass das Leitungsnetz an mehreren Stellen undicht sei und erhebliche Grenzwertüberschreitungen bei radioaktivem und chemischem Material gemessen wurden. Nach dem ASN-Bericht müssten die Leitungen umgehend erneuert werden. Das große AKW ist sogar noch am Netz, obwohl die ASN schon vor sechs Jahren zu dem Ergebnis kam, bestimmte Vorsorgemaßnahmen zur Reaktorkühlung könnten bei einem Erdbeben nicht mehr sichergestellt werden. Dem Labor unabhängiger Atomforscher (Criirad) sollen auch Hinweise vorliegen, wonach 760 Tonnen Atommüll unsachgemäß unter einem Erdhaufen auf dem Gelände gelagert werde.

Trotz aller Rügen und Probleme blieb man bei der ASN bisher nachsichtig, statt effektive Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung zu ergreifen. Die Stadt Avignon, mit knapp 100.000 Einwohnern, liegt nur etwa 40 Kilometer entfernt. Die Atomkraftgegner werfen der Aufsichtsbehörde vor, die Vorgänge zu banalisieren und letztlich die unhaltbaren Zustände zu vernebeln. Dass die vier Meiler, die zu Beginn der 1980er Jahre noch am Netz sind, hat mit dem Stromhunger zu tun, welche die benachbarte Urananreicherungsanlage hat. Zwei Drittel des erzeugten Stroms geht in die Anlage von Eurodif, ebenfalls eine Tochterfirma von Areva.