Wir sind die Marsmenschen

Nigel Kneale, die Queen, Hammer Horror und ein Professor als Rufer in der Wüste: Science Fiction im Großbritannien der 1950er

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Heute vor 55 Jahren, am 18. Juli 1953, strahlte die BBC die erste Episode einer Science-Fiction-Serie aus, die Maßstäbe setzte: The Quatermass Experiment. Dieser Sechsteiler etablierte das bis dahin verlachte Genre im britischen Fernsehen, lieferte den Beleg, dass die Mattscheibe intelligente Unterhaltung für Erwachsene bieten konnte und ermöglichte es einer eher unbedeutenden Produktionsfirma namens Hammer Film, inzwischen längst Inbegriff des Horrors Made in Britain, sich neu zu erfinden.

Das Fernsehen - Radio mit Bildern

Anfang der 1950er Jahre herrschte bei der BBC ein militärischer Umgangston. Die meisten Chefstellen in der Verwaltung waren mit ehemaligen Offizieren besetzt, von denen der TV-Pionier Rudolph Cartier gesagt hat, sie seien "unfreundlich, alles andere als hilfsbereit und ausgesprochene Scheißkerle" gewesen. Vom Fernsehen hatten sie keine Ahnung. Leider galt das auch für die Kreativen, die dort angestellt waren. Die meisten von ihnen kamen vom Radio, einige auch vom Film, und sie waren vor allem eines: frustriert. Nigel Kneale hat das Elend so beschrieben:

"Ich sah traurigen Radioleuten dabei zu, wie sie versuchten, aus dem Fernsehen ein Radio mit Bildern zu machen, wie sie mit Photos versuchten, diese infernalische Mattscheibe zu füllen. Und ich sah enttäuschten Filmleuten dabei zu, wie sie an den Beschränkungen von Zeit und Platz verzweifelten, die ihre dafür nicht geschriebenen Drehbücher durcheinander brachten."

Kneale, der sich als Verfasser von Kurzgeschichten einen Namen gemacht hatte, war anders. Er war als Autor zur BBC gegangen, weil ihn der Gedanke faszinierte, dort an der Entwicklung eines Mediums mitwirken zu können, das noch in den Kinderschuhen steckte. Weil aber Fernsehspiele zunächst nichts weiter waren als ein Theater in der Kiste, musste er anfangs Theaterstücke adaptieren. Dann hatte er viel Glück. Michael Barry, der mehr wollte als sprechende Köpfe, wurde der Chef des Fernsehspiels. Barry führte den Samstagabend-Thriller ein, jeweils halbstündige Miniserien für Erwachsene. Im Sommer 1952 waren plötzlich die Sendeplätze für einen Sechsteiler frei. Die Lücke im Programm musste möglichst schnell gestopft werden. Der Auftrag ging an Nigel Kneale.

Von Science Fiction hielt man in Großbritannien (immerhin das Land von H.G. Wells) eher wenig. Bei der BBC dachte man dabei an Kinderkram und dümmliche Billigfilme aus Amerika. Das wollte man keinesfalls. Andererseits war die Zeit so knapp, dass Kneale im Grunde freie Hand hatte. Er tat nun das, was ihm am liebsten war. Er verknüpfte Science Fiction-, Horror- und Krimielemente und machte daraus eine Geschichte, die alte mit neuen Invasionsängsten verband: Professor Bernard Quatermass, Leiter der "British Experimental Rocket Group", schickt die erste bemannte Rakete ins All. Als das Raumschiff zur Erde zurückkehrt, sind zwei der drei gestarteten Astronauten verschwunden; der dritte, Victor Carroon, steht unter Schock. Während die Polizei im Dunkeln tappt, findet Quatermass heraus, dass ein außerirdischer Organismus in das Raumschiff eingedrungen ist, Carroons Körper übernommen und die beiden anderen Raumfahrer in diesen aufgesaugt hat. Carroon verwandelt sich in ein gigantisches Monster. Wenn sich die Sporen dieses Wesens ausbreiten, werden sie alles Leben auf der Erde vernichten. Quatermass kann das im letzten Moment verhindern.

Bring mir was mit: Prof. Quatermass geht auf Sendung

Als Producer wurde Rudolph Cartier eingeteilt. Auch das war ein Glücksfall. Der Producer führte Regie und war generell dafür verantwortlich, dass eine Produktion zustande kam. Meistens handelte es sich um einen Schauspieler, der das tat, was im schlimmsten Fall zu erwarten war: er ließ andere Schauspieler ihre Texte so aufsagen, als müssten sie mit Stimme und Mimik die hintersten Ränge eines Theaters erreichen. Der Österreicher Cartier (eigentlich hieß er Rudolf Katscher) hatte als Autor für die Ufa gearbeitet, war vor den Nazis nach England geflohen und von Barry zum Fernsehen der BBC geholt worden. Was er dort sah, gefiel ihm gar nicht. Sprechende Köpfe konnte auch er nicht leiden. Für ihn war Fernsehen ein primär visuelles Medium (damals keine Selbstverständlichkeit), das Emotionen und Ideen transportieren sollte. Das war neu und ganz im Sinne von Nigel Kneale.

Kneale schrieb die Bücher für die sechs Episoden in enger Zusammenarbeit mit Cartier, der ihm sagen konnte, was mit den Mitteln des Fernsehens umsetzbar war und sich auch sonst nicht abschrecken ließ. Kneale über Cartier: "Er war ein Mann, der nie ein Nein akzeptierte. Er brauchte nur zu wissen, dass es praktisch unmöglich war, und dann fing er sofort an und machte es." Weil beide ihren eigenen Kopf hatten, soll es öfter gekracht haben. Aber weil es stets ein kreativer Streit war, konnte das der Serie nur nützen. Im britischen Fernsehen der 1950er war die Partnerschaft Kneale-Cartier die produktivste überhaupt.

Fernsehspiele wurden grundsätzlich live ausgestrahlt, allenfalls unterbrochen durch einige vorab gefilmte Inserts. Der Stress war für alle Beteiligten enorm. Wenn etwas schiefging, wenn ein Schauspieler den Text vergaß oder wenn die Kulissen umfielen, landete das direkt in den Häusern der Besitzer eines TV-Geräts. Die Darsteller mussten ein Stück aufführen wie im Theater, jedoch ohne die direkte Reaktion des Publikums auskommen, tunlichst versuchen, eben nicht wie auf der Bühne zu agieren und auch noch damit zurecht kommen, dass sie zur Seite geschoben wurden, wenn sie der Kamera im Weg standen. Cartier war einer der wenigen Regisseure, die es verstanden, das so freigesetzte Adrenalin auf eine Weise für die Inszenierung zu nutzen, dass ein lebendiges (und kein unbeholfenes) Fernsehspiel dabei herauskam. Seinen sehr sorgfältig ausgewählten Darstellern verlangte er alles ab, aber er flösste ihnen auch das Selbstvertrauen ein, ohne das eine solche Live-Sendung schnell zum Desaster werden konnte. Wer in einer Cartier-Produktion auftrat, durfte damit rechnen, in der Fernsehkiste gut auszusehen. Das gab Sicherheit.

Nach fünf Probentagen war es endlich so weit. Am Samstag, den 18. Juli 1953, wurde alles noch einmal durchgespielt. Um 18.45 Uhr wurde das Abendessen serviert. Um 20.15 Uhr erschien der Titel "The Quatermass Experiment" auf britischen Bildschirmen. Es gab nur ein Programm. Fernsehen war noch eine kollektive Erfahrung. 3,4 Millionen Zuschauer sollen miterlebt haben, wie eine Rakete in den Weltraum aufstieg (bei der letzten Folge waren es fünf Millionen). Damals wusste jeder, dass es sich um eine V 2 handelte. Die Verunsicherung des Publikums war damit garantiert. Heute ist dieses vom BBC-Archiv zur Verfügung gestellte Anfangsbild erklärungsbedürftig.