"Man setzt auf Brot und Spiele"

Zweiter Teil des Interviews mit dem Psychologen Klaus Weber

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zu Teil 1 des Interviews: Arbeit macht krank

Wie halten die Menschen im Neoliberalismus die wachsende Unterordnung unter ökonomische Prozesse bei unterstellter wachsender Selbstbestimmung psychisch aus? Pflanzt sich da eine zunehmende gesellschaftliche Schizophrenie in den Individuen fort?

Klaus Weber: Man könnte sich überlegen, ob nicht die verschiedenen Anteile des Geforderten - nämlich auf der einen Seite in der Firma hoher Fleiß, hoher Energieaufwand, viel Kopf und Körper zu verausgaben und damit sehr diszipliniert, organisiert, sehr klar und strukturiert selbstverantwortlich zu handeln und auf der anderen, der Konsumtionsseite, alles sofort, frei fluktuierend zu verausgaben (damit der Mittelstand gefördert wird et cetera) Widerspruchsanforderungen an die Subjekte sind, die genau das Problem der Schizoidität erzeugen.

Darüber hat schon Peter Brückner geschrieben, der sich daraus auch die Problematik erklärte, warum die Arbeitnehmer zu Aggression und Gewalttaten neigen: Weil sie mit diesen Widerspruch in ihrer Identitätsbildung nicht umgehen können. Sie werden permanent aufgefordert diszipliniert zu schuften und dann sollen sie die Sau rauslassen, Bier trinken, konsumieren, viele Markenprodukte kaufen. Eigentlich lässt sich die die Psychostruktur nicht innerhalb so kurzer Zeit umorganisieren. Und trotzdem machen es die Leute - irgendwie. So ein switching passiert, von der Arbeit zum Fernseher. In der Arbeit den linken Gewerkschafter zu spielen und am Fernseher mit dem Bier in der Hand den altfaschistoiden Fußballidioten zu geben, das ist alles drin. Dass dies aber Widerspruchskonstellationen sind ist auch klar.

Wie äußert sich die Aggression? Nimmt die Familiengewalt zu und wird während internationaler Fußballturniere mehr ausgeflippt? Nimmt der Alkoholismus und der Drogenkonsum zu?

Klaus Weber: Wir haben eine Zunahme der Anzahl der gefährdeten und schwer abhängigen Alkoholkranken (auch bei den Jugendlichen) und eine Zunahme des Drogenkonsums in fast jedem Bereich. Auch die Aggression nimmt deutlich und in jeder Hinsicht zu. Die Zahlen steigen. Das ist um die Jahreswende bei der Debatte um die Jugendkriminalität deutlich geworden. Auch Straftaten im innerfamiliären Bereich nehmen zu.

Was auf einer anderen Ebene deutlich wird, ist etwas, wovon Frau Merkel um die Jahreswende gesprochen hat: „Wir müssen aufpassen, dass uns der Laden nicht auseinander kracht“: Damit hat sie die ideologische Absicherungsarbeit gemeint: Die Schere zwischen arm und reich klafft als Folge der Neoliberalisierung so weit auseinander, dass es immer schwerer vermittelbar ist, warum die Bevölkerungsmehrheit brav arbeiten gehen soll und ihre Lage immer heikler wird, während eine Minderheit in Saus und Braus lebt .

„Du bist in Ordnung, wenn du den anderen mit Füßen kaputt trittst“

Und „den Laden zusammenhalten“ heißt für sie, jedes Fußballspiel zu besuchen, zu zeigen, dass die Nation das verbindende Ganze ist, dass es gut ist, Leistung zu bringen, dass es notwendig ist, auf Brot und Spiele zu setzen und nicht die Probleme in irgendeiner Weise so anzugehen, dass die Menschen tatsächlich zufrieden und selbstbestimmt arbeiten.

Welche Rolle spielen die Medien in diesem Prozess?

Klaus Weber: In den Bundesländern, die von geringer Arbeitslosigkeit geplagt sind, wie Bayern und Baden-Württemberg, schaut jeder Mensch am Tag durchschnittlich 3 Stunden fern, in anderen Ländern, vor allen in den neuen Bundesländern, wird vier Stunden ferngesehen. Wenn man sich das mediale Angebot anschaut und neben den Groß-Events die medialen "Highlights" herausnimmt, dann gibt es auf der anderen Seite, eine Art suggerierte Wissensgesellschaft, für die Leute wie Günter Jauch stehen, der von den meisten Bürgern in einer Umfrage neben Thomas Gottschalk als der intelligenteste Mann Deutschlands gewählt wurde.

Und dann gibt es die ganzen politischen Talkshows, in denen die Menschen, die uns repräsentieren sollen, nicht argumentieren, sondern Standpunkte austauschen, so dass es selten passiert, dass die Menschen Antworten in ihrem Sinne finden können. Weiter gibt es noch - und ich glaube, dass ist das Entscheidende - die Soaps oder Sendungen wie die von Stefan Raab, die die Funktion haben, den Menschen ein emotionales und ideologisches Angebot zu liefern, indem sie sagen: Du bist in Ordnung, wenn du den anderen mit Füßen kaputt trittst.

Ich denke schon, dass die Medien auch die Funktion übernommen haben, das System zu stabilisieren, indem sie den Leuten signalisieren: "Du bist in Ordnung, weil es unter Dir noch jemanden gibt, dem es schlechter geht und auf den Du treten kannst." Immer ist irgendjemand der bad guy und irgendwer der good guy - und alle identifizieren sich mit dem Guten und finden etwas, um sich über die Abwertung der Anderen zu stabilisieren. Es wird personalisiert, moralisiert, psychologisiert, emotionalisiert, dass die Schwarte kracht, aber keinesfalls nach Strukturen gefragt, die die Menschen erst zu dem machen, was sie meinen, schon immer zu sein.