Recht auf Telearbeit statt Pendlerpauschale

Eine Regelung, die für alle Beteiligten Kosten sparen könnte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

CSU, Gewerkschaften, sowie große Teile von CDU und SPD wollen die zu Regierungsantritt abgeschaffte Pendlerpauschale wieder in vollem Umfang einführen. Als Begründung werden sowohl die mögliche Verfassungswidrigkeit der derzeit gültigen Regelung als auch die extrem gestiegenen Treibstoffpreise angeführt.

Obwohl teilweise auch das Argument auftaucht, dass die Pendlerpauschale insofern ungerecht sei, als sie Geringverdienern, die unterhalb oder nur knapp oberhalb des Freibetrages liegen, keine oder nur sehr wenig Entlastung bringt, kommt sie doch zu einem großen Teil Normalverdienern zugute, die durch den Zwang zum Pendeln ohnehin stark belastet sind. Zudem ist der Effekt, dass Selbständige und Firmen Fahrtkosten ausgesprochen großzügig von der Steuer absetzen können, Arbeitnehmer ihre Fahrten zum Arbeitsplatz aber nur sehr eingeschränkt, durchaus eine problematische Ungleichbehandlung. Die jetzige Regelung birgt im Zusammenhang mit der fast gleichzeitigen Abschaffung der Eigenheims- und der schon seit längerem laufenden Vernachlässigung der Wohnungsbauförderung überdies starke Anreize zum Besetzen von Zweitwohnungen in Ballungsräumen, die dort wiederum Wohnungsnot und Mietpreise ansteigen lassen.

Allerdings wäre eine finanzielle Entlastung von Pendlern auch über andere Maßnahmen machbar als die Wiedereinführung der Pauschale in ihrer alten Form, die nicht bei den Pendlern verbleibt, sondern als indirekte Subvention überwiegend bei Ölkonzernen landet. Zielgerichteter und kostengünstiger könnte Arbeitnehmern geholfen werden, wenn ihnen mehr Möglichkeiten gegeben werden, weniger Treibstoff zu verbrauchen.

Dazu müsste zuerst einmal zwischen verschiedenen Arbeitnehmern differenziert werden. Zwischen solchen, die tatsächlich pendeln müssen (weil sie in ihrem Betrieb beispielsweise durch körperliche Präsenz Autoteile herstellen) und solchen, die ihre Tätigkeit auch relativ problemlos ganz oder teilweise als Telearbeit durchführen können.

Was wurde aus der Telearbeit?

Um diese Telearbeit, die im letzten Jahrzehnt als zwangsläufige Entwicklung der nahen Zukunft betrachtet wurde, ist es bemerkenswert ruhig geworden. Damals gab es Prognosen, die davon ausgingen, dass 2005 jeder dritte Arbeitsplatz ein Telearbeitsplatz sein würde. 2006 ermittelte eine Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in einer repräsentativen Befragung von 20.000 Beschäftigten aber nur einen prozentualen Anteil von 1,2 % Arbeitnehmern, die vertraglich geregelte Telearbeitsplätze einnehmen. Umgerechnet auf die Erwerbsbevölkerung von 39 Millionen Menschen in Deutschland ergibt das etwa 470.000 Personen. Allerdings bezieht sich diese Zahl nur auf die abhängig Beschäftigten, da diese Frage nicht an Selbständige oder Freiberufler gestellt wurde. Die EU stützte sich 2006 auf Schätzungen, die einen Anteil von etwa 5 % Telearbeitern in Deutschland sahen, was allerdings ebenfalls weit unter den Ende der 1990er vorhergesagten Werten liegt.

Eine für viele überraschende Entwicklung: Denn eigentlich bestanden und bestehen nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für Arbeitgeber starke Anreize, Tätigkeiten als Telearbeit auszulagern: Sie sparen sich nicht nur den besonders in den Ballungszentren teuren Büroraum, sondern auch Büromaterial und Heiz- sowie Stromkosten, die heute einen durchaus gewichtigeren Kostenfaktor darstellen als noch vor zehn Jahren. Die früher knappen Breitbandanschlüsse sind nach einer aktuellen Meldung des Bundeswirtschaftsministeriums mittlerweile fast überall verfügbar und bürotaugliche Privatrechner befinden sich in fast jedem Erwerbstätigenhaushalt.

Um Daten zu den konkreten Ursachen des trotz dieser günstigen Voraussetzungen bisher ausgebliebenen Telearbeit-Booms scheint man sich nur wenig gekümmert zu haben: Wirtschafts- Arbeits- Forschungs- und Familien- und Innenministerium verweisen bei Anfragen reihum (sowie auf Bitkom, Verdi, den Bundesverband Dienstleistungswirtschaft, die Initiative Neue Qualität der Arbeit, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Prognos und die Hans-Böckler-Stiftung, wo man allerdings ebenfalls ahnungslos ist).

Aufgrund dieses Mangels an neueren Untersuchungen lässt sich trefflich spekulieren, woran es liegen kann, dass Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Politiker bei steigenden Benzinpreisen nicht an Telearbeit als Alternative denken.

Hindernisse - und wie sie überwunden werden könnten

Ein Hindernis könnte eine mehr oder weniger "steckengebliebene" Umstellung auf elektronische Aktenführung sein. Obwohl seit geraumer Zeit angelaufen, befindet sie sich beispielsweise in den meisten Bundesbehörden nach Angaben des Innenministeriums noch immer "im Pilotstadium". Wie weit die Entwicklung in anderen Teilen der öffentlichen Verwaltung und der Dienstleistungsbranche mittlerweile gediehen ist, ob und wie dort die Anlaufschwierigkeiten überwunden wurden, darüber bekommt man bei Anfragen nur ausgesprochen Unverbindliches zu hören.

Ein weiteres denkbares Hemmnis auf Arbeitgeberseite ist die Angst vor Sicherheitsproblemen. Durch VPNs und Vorschriften für die bei der Arbeit genutzten PCs (etwa, was Betriebssystem, Konfiguration, Firewall und Virenscanner betrifft) lassen sich die Risiken jedoch auf ein Niveau senken, welches das auch in jedem Büro immer vorhandene nur geringfügig übersteigt. Auch die Vorstellung, dass Telearbeit zu Produktivitätseinbußen führen würde, konnte in Untersuchungen regelmäßig widerlegt werden.

So spricht vieles für die Vermutung, dass es vor allem eine den oben genannten drei Möglichkeiten übergeordnete Wirkgröße ist, die private und öffentliche Bürokratien von einer Umstellung abhält: Ein Beharren auf vertraute und tief verwurzelte arbeitskulturelle Axiome. Ob ihm mit Aufklärung begegnet werden kann, ist fraglich - in der Vergangenheit konnten entsprechende Initiativen offenbar kaum dazu beitragen, die eher emotional als rational begründete Befürchtungen vor Nachteilen durch die Veränderung abzubauen.

Eher denkbar ist, dass dieses Beharren durch vom Gesetzgeber geschaffene konkrete Anreize aufgebrochen werden könnte - beispielsweise dadurch, dass Arbeitnehmern stärkere Rechtsansprüche auf Telearbeit zugestanden werden. Dazu könnte ihnen etwa bei der Ablehnung eines Antrages auf Telearbeit ein Anspruch auf eine nachvollziehbare konkrete und rechtlich überprüfbare Begründung verbrieft werden, warum dies nicht möglich sein soll.

Schwieriger zu begegnen dürfte dagegen den grundsätzlich berechtigten Ängsten von Arbeitnehmern vor zu intensiver elektronischer Kontrolle sein: Hier wären neben dem Gesetzgeber auch Betriebsräte und Gewerkschaften gefragt, allzu umfassende Überwachungsmaßnahmen möglichst schon dann zu unterbinden, bevor sie Wirklichkeit werden.

Telepolis hat zu diesem Thema eine Umfrage gestartet: Telearbeit statt Pendlerpauschale?