Unfallserie und Vertuschung in spanischen Atomkraftwerken

Die Atomaufsicht wiegelt ab und trägt wohl eher zur Vertuschung als zur Aufklärung bei

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Immer öfter kracht es in spanischen Atomkraftwerken. Wie oft und mit welchen Schäden für Mensch und Umwelt, bleibt nicht selten unklar, weil die spanische Atomaufsicht (CSN) ihrer Aufgabe nicht gewachsen ist oder ihr nicht nachkommt. Schwere Unfälle werden oft mit großer Verspätung bekannt, wenn Arbeiter die Vorfälle den Umweltorganisationen melden, wie zuletzt in Ascó. Vielleicht hat der sozialistische Regierungschef deshalb seine Position gegen die Renaissance der Atomkraft bestätigt, weil weder die Aufsicht funktioniert und die Endlagerfrage völlig ungelöst ist. So mussten gerade die Pläne endgelagert werden, bis 2010 wenigstens ein Zwischenlager zu errichten, weil Atommüll aus Frankreich zurückgeliefert werden soll. Die versprochene Abschaltung der Uraltreaktoren ist aber weiterhin nicht in Sicht.

Seit Anfang des Monats kommt es zu zahlreichen Störfällen in spanischen Atomkraftwerken. Besonders stechen dabei die Reaktoren in Ascó hervor. Nach Reinigungsarbeiten, nach einem schweren Unfall im vergangenen Jahr, sollte Ascó I in der katalanischen Provinz Tarragona wieder ans Netz gehen. Doch das geht immer wieder schief. Insgesamt sind drei Versuche, ihn anzufahren, sind an technischen Problemen gescheitert. Seit 40 Tagen liefert der Reaktor keinen Strom. Eine kaputte Dichtung machte zuletzt in der vergangenen Woche den Betreibern erneut einen Strich durch die Rechnung. Im Nachbarreaktor Ascó II musste die Leistung wegen einer defekten Pumpe verringert werden. Noch weniger Leistung liefert der Reaktor in Cofrentes (Valencia), weil auch hier zu wenig Kühlwasser durch den Primärkreislauf gepumpt wurde. In Vandellòs, ebenfalls in Tarragona, gab es derweil einen Feueralarm.

Atomkraftwerk in Cofrentes. Bild: R. Streck

Die Atomaufsichtsbehörde (CSN) sprach von einer unglücklichen zufälligen Häufung von Problemen. Doch die Unfallserie ist längst nicht beendet und es ist auch nicht neu, dass die Behörde scheinbar ihre Aufgabe vor allem darin sieht, die Probleme klein zu reden. Dabei könnten ihr die eigenen Daten zu denken geben, wonach es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres mindestens 34 Störfälle gegeben hat.

Die oben angeführten Vorfälle sind nicht mitgerechnet und alles spricht dafür, dass die Rekordmarke von 50 Störfällen 2007 in diesem Jahr übertroffen wird. Schließlich sind auch die Alarmmeldungen vom 11. Juli in Cofrentes noch nicht in die Zählung eingerechnet, als ein Entlastungsventil im Primärkreislauf Druck abließ oder als zwei Tage später eine Pumpe ausfiel. Obwohl die CSN die Vorgänge klein redet, hat die Aufsichtsbehörde angesichts des öffentlichen Drucks den Betreiber Iberdrola aufgefordert, die Vorgänge zu untersuchen und Bericht zu erstatten.

Untersucht werden muss auch, wie Erde um das Atomkraftwerk Vandellós II radioaktiv verseucht wurde, die kürzlich auf einem Lastwagen gefunden wurde, der das Gelände verlassen wollte. Inzwischen haben die Betreiber einen "Punkt" mit radioaktiver Aktivität auf dem Gelände festgestellt, der ebenfalls untersucht werden muss.

Im Störfallbericht des 1. Halbjahres 2008 steht Cofrentes an dritter Stelle, direkt vor Vandellós II. Die Reaktoren in Ascó führen die Störfallliste an. Und sie stehen auch als Beispiel, dass die schwersten Unfälle oft gar nicht oder nur mit sehr großer Verspätung registriert werden. Die letzte größere Panne im Atommeiler Ascó weitet sich deshalb zum Super-Gau für die Atomaufsicht aus.

Inzwischen wirft die Umweltorganisation Greenpeace der CSN vor, dem Betreiber Endesa dabei geholfen zu haben, einen Störfall, bei dem auch größere Mengen radioaktives Material freigesetzt wurde, zu verheimlichen. Nach der Auswertung der Daten aus dem Revira-Netz des CSN, die der Umweltorganisation zur Verfügung gestellt wurden, stellte Greenpeace fest, dass die Freisetzung von Radioaktivität ab dem 29. November 2007 vom CSN registriert worden war.

Damit wird es nun ungemütlich für die Aufsichtsbehörde, schließlich war es Greenpeace, die mit einer Verspätung von fünf Monaten auf den Unfall hingewiesen hatte. Arbeiter aus dem Atomkraftwerk hatten die Organisation von dem Störfall informiert. Nur so kommen oft die Informationen an die Öffentlichkeit, was dann dazu führt, dass die Behörden tätig werden. Die Messungen, welche Greenpeace in der Umgebung von Ascó durchführte, konnten noch Monate später eine erhöhte Strahlung nachweisen.

Erst nach der Veröffentlichung dieser Ergebnisse wurden beim CSN hektische Aktivitäten gestartet. Hunderte Personen wurden untersucht, darunter ganze Schulklassen, die sogar kurz nach der Kontaminierung das Atomkraftwerk besucht hatten. Schnell häuften sich Hinweise darauf, dass die Atomaufsicht aktiv versuchte den Vorfall in einem Augenblick unter den Tisch zu kehren, als auch die spanische Atomlobby den Bau neuer Reaktoren forderte.

Doch die CSN versuchte weiter, den Vorfall zu verharmlosen, und erklärte, die ausgetretene Strahlung sei unerheblich. Greenpeace rechnet ihr allerdings vor, dass die nun gemessene Strahlung nur noch ein kleiner Teil von der ist, die einst abgeben wurde. Im Fall des freigegebenen Kobalts 58 (Co-58) betrage die Halbwertszeit 70,8 Tage. Fünf Monaten nach dem Unfall sei dessen Strahlung deshalb nur noch gering. Über den Wind seien die radioaktiven Partikel über zwei hohe Kamine zudem weit verteilt worden und könnten im AKW-Umfeld gar nicht gemessen werden, wo die Messteams des CSN unterwegs waren.

Inzwischen ist auch geklärt, dass die Aufsicht längst von dem Unfall wusste und fünf Monate untätig blieb. Ihre Messstationen, zum Teil Hunderte von Kilometern entfernt, hatten die erhöhte Strahlung gemessen. Der Abgeordnete der Grünen im katalanischen Parlament wirft den Betreibern sogar vor, die "Absicht" bei der Freisetzung von Radioaktivität vor. In einem Beitrag für die Zeitung El Periodico schreibt Joan Herrera auf Basis der Daten, die der katalanischen Regionalregierung nun vorliegen:

Der Betreiber wusste genau, was er tat, als er die Eichung veränderte und das Alarmsignal abschaltete, damit das Belüftungssystem vom Notbetrieb auf Normalbetrieb wechselte und es damit möglich war, die Radioaktivität nach außen zu leiten.

Was eigentlich nur ein "Leck" war, wie die Betreiber bis heute sagen, wurde somit eine strafbare Handlung. Angesichts des verantwortungslosen Verhaltens können schwerere Unfälle nicht ausgeschlossen werden. Ohnehin sei noch immer nicht geklärt, welche radioaktive Menge ausgetreten sei und die Verantwortlichkeiten seien weiterhin nicht geklärt. "Katalonien kann sich die stümperhafteste Nuklearindustrie nicht leisten", resümiert er und fordert die sofortige Stilllegung der Atomkraftwerke.

Marode Atomkraftwerke

Tatsächlich sind die spanischen Atomkraftwerke fast alle uralt. Um die Gewinne zu maximieren, werden immer mehr Stellen abgebaut, erfahrene Arbeiter in die Frührente geschickt und durch billige unerfahrene Leiharbeiter ersetzt. Nur noch etwa ein Drittel der Arbeiter gehört zur Stammbelegschaft. Zudem wird nur wenig Geld in die Instandhaltung investiert. Diese beiden Faktoren werden für steigende Störfallzahlen verantwortlich gemacht. 2007 wurden in Spanien so viele Störfälle registriert wie in Frankreich oder den USA. In beiden Ländern sind sehr viel mehr Atomkraftwerken am Netz.

Begünstigt wird die Gewinnmaximierung auf Kosten der Sicherheit dadurch, dass die Strafen bei Verstößen gegen die Sicherheitsauflagen so gering sind, dass es billiger kommt, sie zu bezahlen, als die Auflagen zu erfüllen. So hatten Endesa und Iberdrola 2005 zum Beispiel Vandellòs ein halbes Jahr weiterlaufen laufen lassen, obwohl radioaktive Flüssigkeit aus dem Kühlsystem lief. Die Strafe belief sich auf 1,6 Millionen Euro, doch täglich verdienten sie fast eine Million Euro an dem inzwischen 37 Jahre alten Reaktor.

Mit einer verschärften Kontrolle und mit zeitgemäßen Sicherheitsauflagen könnte die sozialistische Regierung die Schrauben anziehen, um ihren Ausstiegsbeschluss umzusetzen. Darauf wartet die Ökologiebewegung seit fast fünf Jahren. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero hat seine Position gegen den Trend zu einer Renaissance der Atomkraft, bekräftigt. Bei einem Besuch in Dänemark interessierte er sich kürzlich stark für Offshore-Windparks. Demnächst wird der erste in Deutschland ans Netz gehen. Zapatero erklärte, man habe genug Chancen in der Vergangenheit versäumt. Die "Energie der Zukunft" liege in den Erneuerbaren Energien. "Länder die auf Nuklearenergie setzen, haben wohl nichts anderes zur Verfügung, doch wir haben etwas", sagte er. "Spanien darf die Zukunft nicht verpassen"..

Zapatero kann auf gute Zahlen bauen, schließlich wurde im vergangenen Jahr im spanischen Staat schon mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert, als durch die Atomkraftwerke. Es waren fast 20 %, während die unsicheren Atommeiler, die wegen etlicher Störfälle oft ausfielen, nur noch knapp 18 % des Bedarfs lieferten. Angesichts der Pannenserie und vor allem dem starken Ausbau der Windkraft wird der Abstand dieses Jahr weiter zunehmen.

Ungelöst ist weiterhin die Endlagerfrage. Den Sozialisten wird es nicht einmal gelingen, bis 2010 ein Zwischenlager zu errichten. "Weder kurzfristig noch langfristig" werde dieses Projekt verwirklicht, sagte die Vertreterin der Atomaufsichtsbehörde María de los Ángeles Alonso. 2010 ist das magische Datum, weil dann Atommüll aus Frankreich zurückgeschafft wird, der aus dem Atomkraftwerk Vandellòs stammte.

Da das Datum nicht eingehalten werden kann, wird das erneut eine teure Angelegenheit für Spanien. Strafgelder in der Höhe von 50.000 Euro täglich fallen an, wenn der Müll nicht zurückgenommen werden kann. Schon zuvor hatte Nuclenor mit British Nuclear Fuels (BNFL) einen Vertrag geschlossen. Nuclenor zahlte 34 Millionen Euro, damit die 97 Tonnen Atommüll, die von 1971 bis 1983 in die Wiederaufarbeitungsanlage Windscale (wegen vieler Störfälle später in Sellafield umbenannt) geliefert wurden, dauerhaft auf der Insel bleiben.