Wenn Materiewellen aus ihren Schatten treten

Ausgeklügelte Technik erlaubt den Nachweis der quantenmechanischen Wellennatur bei immer größeren Molekülen

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Wissenschaftler um den Quantenphysiker Markus Arndt an der Universität Wien leisten Pionierarbeit im Bereich der Materiewelleninterferometrie mit Molekülen. Mit der Feststellung von Quanteninterferenzen bei perfluoralkyl-funktionalisierten Diazobenzolen, den größten Molekülen, für die je der Nachweis des Wellencharakters gelungen ist, stellt sich einmal mehr die Frage: Wo ist die Grenze dieser skurrilen Quantenwelt eigentlich anzusetzen?

Dem im Jahre 1802 vom englischen Naturforscher Thomas Young durchgeführten Doppelspaltexperiment - bei dem kohärentes, monochromatisches Licht nach der Passierung zweier schmaler Schlitze auf einem Beobachtungsschirm ein Interferenzmuster hinterlässt -. war eine Jahrhunderte andauernde Debatte über die Natur des Lichts vorausgegangen. Youngs einfache, obschon recht elegante Versuchsanordnung schien ein für alle Mal einen Schlussstrich unter die ewigen Streitereien zu ziehen. Die Befürworter der Wellentheorie hatten den Sieg davongetragen, so glaubte man zumindest.

Ein gutes Jahrhundert später jedoch holte Einstein in seinem annus mirabilis zu einem verhängnisvollen Schlag gegen das bereits über - fast - alle Zweifel erhabende Wellenkonzept des Lichts aus. Mit der Erklärung des fotoelektrischen Effekts durch Lichtteilchen existierten nun plötzlich zwei Beschreibungsmodelle für Licht nebeneinander, die sich nicht ohne weiteres miteinander vereinbaren ließen. Dennoch, für das Gros der Wissenschaftler sollte sich ab sofort Licht aus Wellen und Teilchen zusammensetzen, ungeachtet des Umstands, dass das beim gesunden Menschenverstand bis heute wenig bis keinerlei Verständnis findet.

Nicht lange nach dem Postulat von Materiewellen (de Broglie 1924) konnte anhand der Beugung eines Elektronenstrahls in einem Nickelkristall auf die Welleneigenschaften des Elektrons geschlossen werden. 1961 gelang es Möllenstedt und Jensen, das Doppelspaltexperiment mit Elektronen unter Erhalt der typischen Interferenzmuster. die den Wellencharakter der Elementarteilchen bezeugen, durchzuführen. Ein Kunststück, welches in den darauffolgenden Jahrzehnten zunächst mit Neutronen, dann mit Atomen und schließlich sogar mit ganzen Molekülen erfolgreiche Fortsetzungen fand.

Die Beugung eines echten Fußballs bleibt aufgurnd der kleinen De-Broglie-Wellenlänge ( Planck-Länge) während des Flugs wohl auf ewig ein Ding der Unmöglichkeit. Bild: Stefan Gerlich/ Markus Arndt, Vom Quantenfußball zum Quantenspeerwurf. Spiele mit molekularen Materiewellen

Unlängst gelang der Arbeitsgruppe um den Quantenphysiker Markus Arndt mit dem Bau eines neuartigen Interferometers zum Nachweis von Quanteninterferenzen auf molekularer Ebene ein beachtlicher Fortschritt auf dem Weg hin zu einer noch exakteren Grenzziehung zwischen Mikro- und Makrowelt.

Die Besonderheit dieses von Lucia Hackermüller, Stefan Gerlich und anderen gebauten Interferometers erklärt sich dadurch, dass man bei der Herstellung desselben neben materiellen Gittern auch auf den Einsatz eines Beugungslichtfeldes (Laserstehwelle) vertraute. Der Vorzug dieser sich analog zu einem Gitter verhaltenden Laserstehwelle gegenüber „konventionellen“ Spalten rührt aus einem besseren Polarisationsverhalten des Lichts her. Genauer gesagt: Während bei materiellen Gitterstrukturen die Van-der-Waals-Kräfte die passierenden Moleküle in die Mangel nehmen, sie aus der Bahn werfen und dadurch die Interferenz verhindern, fällt bei der Verwendung von Barrieren aus reinem Licht die Wechselwirkung mit den vorbeifliegenden Molekülen gänzlich weg.

Das Prinzip des Talot-Lau-Interferometers, welches hierbei den Experimenten zum Nachweis der Wellennatur von Molekülen zu Grunde liegt, erlaubt es den Forschern selbst mit inkohärenten Lichtquellen Interferenzmuster zu erzielen. Darüber hinaus bietet die aus tausenden, kompliziert auf drei hintereinander positionierten Gittern (als zweites Gitter fungiert das Lichtfeld) angeordneten Spalten bestehende Vorrichtung gegenüber dem herkömmlichen Doppelspaltexperiment den Vorteil einer kompakteren Bauweise. Um unerwünschte Störeinflüsse zu vermeiden, wird das Experiment in Ultrahochvakuum durchgeführt. Welch außerordentliches Präzisionshandwerk dabei in punkto Laborbedingungen geboten ist, wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass allfällige Vibrationen der Umgebung durch Luftpolster, auf denen der eine Tonne wiegende Experimentiertisch gebettet ist, sorgfältig abgedämpft werden müssen.

Das mit 32 Angström größte Molekül, bei dem die Wissenschaftler jemals Interferenzstreifen detektieren konnten, ist unter der sperrigen Bezeichnung perfluoralkyl-funktionalisiertes Diazobenzol einer wohl nicht allzu breiten Öffentlichkeit bekannt. Verglichen mit den Fullerenmolekülen (wegen ihrer Form auch Fußballmoleküle genannt), für welche Markus Arndt in Zusammenarbeit mit Anton Zeilinger schon vor einigen Jahren die quantenmechanische Wellennatur nachweisen konnte, weist das perfluoralkyl-funktionalisierte Diazobenzol etwa die doppelte Masse auf. Das gestreckte Molekül, welches die Länge des Fulleren C60 um das Vierfache übertrifft, kommt somit auf eine Masse von 1600 amu (Atomare Masseneinheit) oder rund 160 Kohlenstoffatome.

Arndt ist zuversichtlich, dass man sich eines Tages bis auf 1.000.000 amu (Rhinovirus) vortasten wird können. Gleichzeitig räumt er jedoch ein, dass in derlei Fragen die Expertisen weit auseinanderklaffen. Neben den erschwerenden Umständen, dass mit Anstieg der Masse eines Objektes die De-Broglie-Wellenlänge stets kleiner bzw. die Neigung zur Dekohärenz immer größer wird, erweist sich die Herstellung geeigneter „Geschoße“ als große Herausforderung. Der gegenwärtige Weltrekordhalter wurde in Kooperation mit der Universität Basel hergestellt, wobei durch eine Substituierung der Wasserstoffatome durch Fluor das Polarisationsverhalten der Moleküle bedeutend verbessert werden konnte.

Markus Arndt, der seinen Forschungszweig zu 80 Prozent in der Grundlagenforschung verortet, erkennt in Präzisionsmessungen molekularer Eigenschaften (Metrologie) ein mögliches Anwendungsgebiet der Zukunft. Die Gelegenheit, eingehendere Studien zu derartigen Messmethoden durchzuführen, wird dem Professor und seinem Team in den kommenden drei Jahren durch ein von der European Science Foundation gefördertes Projekt (Euroquasar) offen stehen.

Zu erforschen gibt es freilich mehr als genug. Richard Feynmans bekannte These, derzufolge niemand auf der Welt imstande sei, sich einen Reim auf die Quantphysik zu manchen, konnte schließlich bis heute noch nicht stichhaltig widerlegt werden.

Auch Arndt streicht die unvollständigen Züge all der verschiedenen Interpretationen der Quantenmechanik heraus. Deutlich fällt die Abgrenzung gegenüber den immer wieder laut werdenden Rufen nach verborgenen Variablen aus: „Es gibt nach derzeitigem Wissen mit ziemlicher Sicherheit keinen Weg zurück in die klassische Welt. Die Frage ist, welche verrückte Weltordnung uns in Zukunft am plausibelsten erscheinen wird.“