Die letzte Chance

Iran muss das Angebotpaket der 5+1-Mächte annehmen

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Die überraschende Teilnahme des US-Staatssekretärs William Burns an den Verhandlungen mit dem Iran in Genf am 19. Juli beruhigte zeitweilig diesen spannenden gefährlichen Sommer. Burns Treffen mit dem Vertreter des „Schurkenstaates“ Iran, Said Dschalili, ist die erste offizielle Begegnung eines hochrangigen US-Diplomaten mit einem iranischen Kollegen seit dem Teheraner Geiseldrama im November 1979. Das Drama führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, der bis heute andauert. Das Genfer Treffen ereignete sich vor dem Hintergrund des rhetorischen und militärischen Säbelrasselns zwischen USA und Israel einerseits und der Islamischen Republik andererseits.

Ist Genf eine Kehrtwende der Iran-Politik der USA?

Im Washington haben sich längst (seit dem Abgang vom Donald Rumsfeld aus dem Pentagon) zwei unterschiedliche Fraktionen hinsichtlich des Umganges mit dem Gottesstaat Iran herausgebildet. US-Außenministerin Condoleezza Rice und Verteidigungsminister Robert Gates führen die Gruppe an, die sich für eine diplomatische Lösung unter Vermeidung militärischer Konfrontation einsetzen. Vizepräsident Richard Bruce „Dick“ Cheney zusammen mit dem früheren US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John R. Bolton, bildet das Sprachrohr der neo-konservativen Kriegswilligen, die das Regime in Teheran für unverbesserlich und daher einen Militärschlag für notwendig halten.

Beide Gruppen haben ihre mächtigen und einflussreichen Stützen. Rice und Gates fürchten um die Stabilität des Nahen Ostens und die verheerenden Folgen, die ein Krieg für die Region und die Weltsicherheit herbeiführt. Die beiden Minister genießen die Unterstützung des Direktors der U.S. National Intelligence, Mike McConnell, von CIA-Chef Michael Hyden sowie des Leiters des Stabchefs der US-Streitkräfte, Admiral Mike Mullen:

Derzeit führe ich zwei Kriege, einen Dritten brauche ich nicht.

Es ist zu einem Kuriosum in den USA geworden, dass gerade hochrangige Militärs wie Mullen einen Krieg lauthals ablehnen. Das ist nicht immer so gewesen. Zuvor hatte sich der Kommandeur des „US Central Command” im gesamten Nahen Osten, Admiral William Fallon, mit Vehemenz gegen einen Waffengang gegen den Iran ausgeprochen. Fallon musste seinen Dienst im vergangenen März quittieren. Cheney und Bolton erfreuen sich über den Beistand der anderen Hardliner in der US-Politik und vor allem der starken Israel-Lobby, dem „American-Israelic Public Affairs Commitee“ (AIPAC).

Das Genfer Treffen war eine eindrucksvolle Demonstration des starken Einflusses des Duos Rice/Gates in Washington. In einer Zeit, in der Israel sehr auffällig mit den Säbeln rasselt, so eine Aktion zustande zu bringen, verärgert nicht nur die Radikalen in Amerika und Israel. Der Coup von State Department und Pentagon wurde begleitet mit der Äußerung des Wunsches, ein „Büro für die Wahrung der amerikanischen Interessen in Teheran“ zu öffnen. Das wäre das erste offizielle US-Gebäude im Iran nach 1980. Teheran begrüßte dieses Vorhaben unverzüglich.

Iran an die Wand gespielt

Die Existenz der beiden Gruppen in Washington, die auf Diplomatie bzw. Gewalt setzen, ist unübersehbar. Doch sowohl der Iran als auch die Europäer sollten wissen, was es mit John Boltons Präsenz in Genf auf sich hat. Die Gruppe um Rice unternimmt die letzten diplomatischen Anstrengungen, um einen Krieg zu vermeiden. Sie sind sich aber bewusst, dass der Krieg unvermeidbar sein wird, sollten die diplomatischen Verhandlungen in eine Sackgasse führen. William Burns Anwesenheit in Genf hatte zwei Botschaften. Zum einen versichert damit die USA, dass sie voll hinter dem von Javier Solana im vergangenen Juni dem Iran unterbereiteten Angebotpaket stehen.

Burns, der nur eine stille Teilnahme präsentierte, wollte zudem zeigen, dass die USA trotz der militärischen Drohungen gegen den Iran auch die Diplomatie arbeiten lassen und durchaus an einer friedlichen Lösung interessiert sind. Die Idee, ein diplomatischen Büro in Teheran zu eröffnen, ist auch in diesem Kontext zu verstehen, Geste des guten und friedlichen Willens ohne Ende. Die Bush-Administration macht auch deutlich, dass ihre Geduld nicht unbegrenzt ist. Ungeachtet dessen scheint Teheran diese zwei Botschaften nicht verstanden zu haben. Der Iran spielt weiterhin auf Zeit, ein gefährliches Spiel, das Chefunterhändler Dschalili in Genf offenbarte.

Wir sind müde geworden

Der Auftritt von Said Dschalili überstrapazierte sogar die Geduld der US-Außenministerin Condoleezza Rice:

We expected to hear an answer from the Iranians but, as has been the case so many times with the Iranians, what came through was not serious. It's time for the Iranians to give a serious answer.

Irans Chefunterhändler soll in Genf einen “small talk” über die iranische Kultur und Zivilisation gehalten haben. “They can't go and stall and make small talk about culture, they have to make a decision,” wird Rice zitiert:

“People are tired of the Iranians and their stalling tactics.”

Die “Hinhaltetaktik” der Iraner haben anscheinend auch die Europäer satt. In Genf hat man dem Iran zwei Wochen Frist gesetzt. „Wir wollen keine weiteren Treffen mehr. Rufen Sie uns in zwei Wochen an und sagen Sie ja oder nein", soll Solana Dschalili betont haben.

Das Angebot „freeze for a freeze“ (Einfrieren des Atomprogramms gegen Einfrieren der UN-Sanktionen gegen den Iran) mit zusätzlichen Anreizen, allerdings ohne Nicht-Angriffsgarantie, liegt auf dem Tisch. Irans Antwort darauf soll angeblich alles tangiert haben bis auf den Kern des Streites. Das in Englisch verfasste Papier soll zudem unprofessionell und mit Sprachfehlern (Rechtschreibung) behaftet gewesen sein, was auch im Inland für den Spott der Kritiker sorgte.

Armageddon im Nahen Osten nicht gebannt

Trotz der miserablen Lage der US-Wirtschaft und des Rekordpreises für Benzin in den USA (eine Gallone für 4 US-Dollar/eine Gallone entspricht 3.7854 Liter) und obschon ein neuer Krieg zumal gegen den Iran die Weltwirtschaft spürbar treffen würde, droht dem Nahen Osten ein verheerender Krieg. Nie zuvor sprachen sich die Israelis derart laut für einen Krieg gegen den Iran aus. Der Artikel von Benny Morris, einem prominenten Professor der Ben-Gorion-Universität in Israel spricht Bände.

Morris liefert Ratschläge für einen atomaren Angriff gegen den Mullah-Staat. Fakt ist, dass in den drei involvierten Ländern drei Regierungschefs regieren, die als bereits abgewählt gelten. Bush und Olmert haben erfolglose Kriege geführt. Israels Ministerpräsident Ehud Olmert ist tief in Korruptionsaffären verwickelt und könnte schon vor dem Ende der Amtszeit Präsident Bushs abtreten. In Teheran ist Präsident Ahmadinedschad sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik gescheitert. Ein auch nur anfänglich erfolgreicher Militärschlag gegen den Iran könnte die derweil guten Chancen des Demokraten Senator Obama entscheidend schwächen.

Die Sturheit und sinnlose Unnachgiebigkeit Ahmadinedschads mit Rückendeckung vom Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei könnte nicht nur dem Land unschätzbaren Schaden zufügen, sondern auch dem Republikaner McCain ins Weiße Haus einziehen helfen. Das Teheraner Geiseldrama vom November 1979, bei dem 52 US-Botschaftsangehörige 444 Tage lang als Geiseln genommen wurden, spielte eine maßgebliche Rolle bei der Wahlniederlage des Demokraten Jimmy Carters und brachte den Erzkonservativen Ronald Reagan ins Weiße Haus.

Sehr viel Zeit bleibt den Iranern nicht übrig. Solana sprach bewusst von nur zwei Wochen statt wie bisher zwei oder drei Monaten. Europa will einen Krieg mit aller Gewalt vermeiden, glaubt aber nun immer stärker dem amerikanischen Vorwurf an den Iran, dass er Hinhaltetaktik betreibe. Durch die Islamische Republik zieht sich eine rote Linie: die Existenz des Regimes. Gerät sie in Gefahr, ist man zu Verhandlungen bereit. Dann ist es meist zu spät und es gibt dann Nichts mehr zu gewinnen. Das Teheraner Geiseldrama ist derart katastrophal für die Mullahs ausgegangen, dass selbst Jimmy Carter in seinen Memoiren schrieb, dass die Iraner soviel verloren hätten (Embargo und Entschädigungsforderungen der freigewordenen Geiseln), dass er Mitleid mit ihnen hätte. Um den Waffenstillstand am Ende des achtjährigen Krieges gegen den Irak (1980-88) mussten sie fast betteln, weil gegen Ende des Krieges ein militärisches Desaster drohte.

Es verbleiben drei möglichen Szenarien

Der Iran akzeptiert das Angebotpaket der 5+1-Mächte und trägt maßgeblich zur Entspannung bei. Der Iran spielt weiterhin auf Zeit und hält Vorträge über Kultur und Zivilisation. Es werden schnellst möglich und bedingt durch das Verhalten Russlands und Chinas schärfere Sanktionen folgen. Sie werden tödlich für den Iran sein, sollten sie den Energiesektor tangieren. Bringt das alles nichts, dann kann man schon heute die Worte des israelischen Vizeministerpräsidenten Schaul Mofas ernst nehmen. Der Ex-Verteidigungsminister hatte Anfang Juni beteuert, dass Sanktionen nichts gebracht hätten, so dass man den Iran nun angreifen müsse.

In Teheran haben die Reformer diesbezüglich resigniert. Sie wissen um ihre Machtlosigkeit. Die Quintessenz zweier führender Reformer, Abbas Abdi und Said Hadscharian, besteht in der Feststellung, dass die gegenwärtige Lage so ist, wie sie ist. Keiner kann das ändern außer den Mächtigen. Und diese scheinen dazu weder bereit noch fähig zu sein. Man müsse abwarten. Vielleicht taucht eine Hand aus dem Verborgenen auf und rettet das Land. Die Reformer spekulieren auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im Sommer 2009. Doch dann könnte es sehr spät sein, zu spät. Irans einzige Chance in Anbetracht der gegenwärtigen Konstellationen scheint die Annahme des Angebots des Westens zu sein. Die letzte Chance, bevor jegliche Manövrierfähigkeit und jegliches Punkten in diesem Spiel mit dem Feuer verloren gehen.