Von Chemikalien, Aquarianern, Sprengstoffen und Drogen

Die Hausdurchsuchungen, die im Zusammenhang mit Sprengstoffen und der "Vergewaltigungsdroge" GBL stehen sollten, wie es offiziell hieß, entpuppen sich einmal mehr als hysterisch anmutender Aktionismus

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Es hört sich ähnlich dramatisch an wie die Hausdurchsuchungen, die vor einiger Zeit Schlagzeilen machten. „Polizei entdeckt explosive Chemikalien bei Drogen-Razzia“, titelt beispielsweise der Tagesspiegel und berichtet von evakuierten Häusern, aufgefundenen Explosiva und einem Drogenlabor. In ähnlich reißerischer Manier kann man auch in der Morgenpost von der stattgefundenen Hausdurchsuchung lesen. Zusammen mit der Erwähnung, dass es sich bei den Betroffenen um Kunden eines Chemikalienhändlers handelt, dem Hinweis, dass die Händler hohe Mengen der so genannten „Vergewaltigungsdroge“ Liquid Ecstasy vertreiben haben, ergibt dies in der Tat ein explosives Gemisch bei den Lesern dieser Nachrichten. Gedanken an die Attentäter aus dem Sauerland, an wehrlose vergewaltigte Frauen, an Drogenhändler im Heimlabor und nicht zuletzt an Sprengstoffe, die jetzt schon von Jugendlichen hergestellt werden. Angst und Unsicherheit sind letztendlich das Ergebnis.

Geht man der Geschichte aber nach und sieht sich insbesondere nach Erlebnisberichten um, nach Kommentaren und Hintergründen, so ergibt sich ein komplett anderes Bild. So findet sich auf der Seite Versuchschemie.de ein Bericht desjenigen, der als 16jähriger Drogenlaborbetreiber genannt wird. Der Erlebnisbericht, den der junge Mann freimütig mit anderen Amateurchemikern teilt, lässt insbesondere das gesamte Vorgehen der Polizei, dezent ausgedrückt, als überzogen erscheinen.

So konnte man im Tagesspiegel folgendes lesen:

Bei der Überprüfung einer Wohnung in der […] entdeckten die Beamten hochexplosive Substanzen, wie ein Polizeisprecher sagte.

Und in der Morgenpost ähnliches:

Im Bezirk Pankow fanden dann die Ermittler in der […]in einer Remise die gesuchten gefährlichen Substanzen. [...]Die Experten hatten die gefährlichen Chemikalien mit einer Spezialausrüstung zuvor untersucht.

Dies klingt nach wohlüberlegten Aktionen, die erst nach eingehenden Prüfungen durch Chemieexperten in solchen Fällen zu einem ebenso wohlüberlegten Vorgehen durch die Polizei, Feuerwehr etc. führen. Doch ein 16jähriger, der ähnliches (Hausdurchsuchung, Evakuierungsmassnahmen etc.) erleben musste, lässt in seinem Erlebnisbericht Zweifel an eben dieser überlegten Vorgehensweise aufkommen. Sachgemäße Prüfung von Chemikalien vor einem Grosseinsatz wegen vermeintlicher Explosiva? Verhältnismäßigkeit beim Einsatz und Zurückhaltung gegenüber der Presse? Der 16jährige, der sich erst zu Wort meldete, nachdem er einen Anwalt beauftragt hatte, schildert die Aktion ein wenig anders:

Der Chemiker kam dann an ... ausgestattet mit nichts. [...] Dummerweise hatte ich den Vortag für mein Siliziumtetrachloridprojekt etwas getan und danach nur flüchtig aufgeräumt, was heißt, es befanden sich auf dem Tisch noch Sachen und es herrschte dort allgemeine Unordnung. Eigentor, wie sich später herausstellen sollte. Der Chemiker [...] roch [...] Es roch noch etwas nach Chlor [...] er stellt fest: Es riecht nach Essigsäure! [...] Dann entdeckt er drei Erlenmeyerkolben. Gefüllt mit einer Flüssigkeit und ... einem Niederschlag! Diese Gläser waren ursprünglich mit Bariumhydroxid gefüllt, um das Chlor vom Siliziumtetrachlorid zu neutralisieren, das aus der Anlage strömte und ja irgendwo hin musste. Der Chemiker guckt. Ich erkläre, was es ist, darf nicht näher treten. Er stellt fest ... Er kombiniert. Er sieht Wasserstoffperoxyd. Er fragt mich, ob ich Aceton da habe. Ich sage ja. [...] dann durchforstete er noch unsere Wohnung, wo er nur unbeschriftete Flaschen mit Parfums fand. Wurden erstmal eingezogen, man weiß ja nie, vor Ort testen, was es ist, wäre ja auch Schwachsinn, das muss natürlich hochprofessionell in einem Labor analysiert werden.

Etwa zwei Stunden nach dieser Analyse, so der junge Mann weiter, hätten sich bereits circa 50 Personen von Polizei, Bombenkommando, Staatsschutz (LKA5) et cetera im zum Haus dazugehörigen Garten eingefunden. Die Begründung für diesen Schnelleinsatz war danach folgende Aussage des Chemikers:

Meine Erfahrungen sagen, dass, wenn ich so was (weißer Niederschlag oder weißes Pulver generell) sehe, dass es in 99% aller Fälle das ist, was es nicht sein soll.

Im Folgenden entwickelt der Einsatz eine erschreckende Eigendynamik. Aus den etwa 50 Einsatzkräften werden 200, die Presse belagert das Haus, es wird bereits seitens eines Polizeisprechers mitgeteilt, dass hier eine hochexplosive Substanz gefunden worden sei, welche geplant verbrannt werden muss, da man sie nicht transportieren könne. Zu diesem Zeitpunkt wurde dem Bericht zufolge nicht ein einziges Mal die Substanz auf irgendeine Weise getestet, sondern lediglich an Hand von „Erfahrungswerten“ als hochexplosiv bewertet.

Wackelige Tische und Transportprobleme

Während also nunmehr ein Transport nicht möglich ist, da dieser zur Detonation führen könnte, war dies allen Anschein nach vorher nicht wirklich etwas, worüber man sich seitens der Einsatzkräfte Gedanken machte. So schreibt der junge Mann über den Anfang der Hausdurchsuchung:

Dann standen wir da zu zehnt in unserer Remise in meinem kleinen Raum hinten. Anwalt, Beamte, Mama, Ich ... (für später: man bemerke, dass der Tisch mit DER Substanz heftig wackelte)

Die Tatsache, dass die hochexplosive, nicht transportierbare Substanz zu dieser Zeit bereits, salopp formuliert, ob der 10 Leute in dem kleinen Raum munter vor sich hin schwankte, spielt in der mittlerweile eingesetzten Hektik keine Rolle mehr. Später jedoch wird in "Bombenentschärfertracht", wie der Betroffene es formuliert, der Schuppen aufgeräumt, damit die Substanz vorsichtig, ohne sie durch einen Transport zur Detonation zu bringen, nach Draußen gebracht werden kann. Und auch die Kommunikation mit der Presse entwickelt sich zum Stille-Post-Spiel:

Die Polizisten, die für die Absperrung vor unserem Haus sorgen, erzählen aller Welt, es wurde eine Bombe gefunden.

Drogen, Sprengstoff, Bomben ...

Interessanterweise darf der vermeintliche Sprengstoffhersteller und Bombenbauer, der in der momentanen Situation anscheinend eine nur wenig wichtige Rolle spielt, sich unbehelligt darum kümmern, Essen für sich und seine Familie zu holen. An eine Fluchtgefahr wird offenbar nicht gedacht.

Im folgenden Verlauf wird im Sandkasten des kleinen Bruders „fachgerecht“ die Substanz verbrannt, während nicht nur weitere Chemikalien, sondern auch die PCs der gesamten Familie konfisziert werden. Die Polizei spricht davon, dass dringend geklärt werden müsse, ob von der Remise aus Sprengstoff verkauft wurde.

Aus der Hausdurchsuchung bei einem 16jährigen Amateurchemiker ist mittlerweile also ein Großeinsatz, ein Bombenalarm und so weiter geworden, die Presse saugt die Aussagen der Polizeisprecher begierig auf und beginnt so in ähnlicher Art zu berichten, wie es dereinst bei den "Terrorfahndungen im Kinderzimmer" der Fall war:

Bei unseren Nachbarn bin ich jetzt herzlich unbeliebt [...] in der Schule guckt mich jeder komisch an [...] und in der Straße jeder Dritte [...] die Zeitungen hatten auch ordentlich Futter. Nur, weil deren Polizeisprecher gesagt hat, es wäre hochexplosives Material gefunden worden.

Über ähnlich forsches und schon an Rufmord denken lassendes Verhalten der Polizei beklagt sich auch ein Aquarianer, der auf Grund der von ihm als Dünger verwendeten Chemikalien ins Fadenkreuz der Ermittler geriet:

Mal abgesehen davon, das es entwürdigend ist, wenn die Polizei einen nicht findet und auf den Arbeitstelle meiner Mutter im Altenheim reingerauscht kommt und alles in helle Aufregung versetzt. "Bundeskriminalamt! - Wir suchen den Sohn von Frau X, es geht um den Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz blabla ...", das hätte man auch anders lösen können. Denn alte Menschen bleiben da nicht so ruhig; weil sie mich nicht gefunden haben sind sie auch auf meiner Arbeitstelle vorbeigefahren, haben erstmal alle ausgefragt und meiner Chefin dann gesagt dass "sie den hier arbeiten lassen können".

In den gängigen Medien sucht man auch in der Berichterstattung nach den Stille-Post-Schlagzeilen vergeblich nach mehr Informationen oder gar einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Polizei, der Logik hinter der Verbrennung einer bis dato lediglich durch vage Inaugenscheinnahme als hochexplosiv eingeschätzten Substanz oder dergleichen mehr. Auch die Tatsache, dass etliche Hundert Hausdurchsuchungen bei Personen durchgeführt wurden, die lediglich Kunden von festgenommenen Chemikalienhändlern waren, wird letztendlich kaum einer skeptischen Betrachtung unterzogen. Die Hintergründe sind allem Anschein nach für niemanden interessant genug.

Wenn Zeitungsleser und Verleger die Worte "Sprengstoff" und "Vergewaltigungsdroge" samt aller möglichen Auswirkungen vor Augen haben, spielt die Aussage, dass beispielsweise der Aquarianer lediglich kleinste Mengen von Chemikalien erwarb, offenbar keine Rolle mehr:

[...] habe insgesamt um die 300 Gramm bestellt. Kaliumnitrat, Kaliumhydrogenphosphat (auf jeden Fall das Zeug aus dem Düngerthread) und Kaliumpermanganat.

Die Folgen der nicht zuletzt durch solchen Aktionismus geschürten Panik bei der Bevölkerung, der bei der Politik daraus resultierende "Zwang", aktiv zu werden - gleichgültig ob mit Fachwissen oder nicht - führt derzeit zu Regelungen und Gesetzen, die alle diejenigen betreffen, welche an Naturwissenschaften, an praktischen Versuchen und am Wissenserwerb interessiert sind. Auf diese Weise wird die Jugend eingeschüchtert und die nächste Generation der Chemiker wendet sich zunehmend von diesem Interessensgebiet ab. Aus Angst, allein schon durch den Kauf von banalen Chemikalien ins Fadenkreuz einer hysterisch agierenden Staatsmacht zu geraten, bei der der Betroffene dann auch noch befürchten muss, dass ihm die Kosten eines solchen Auftrittes in Rechnung gestellt werden.