Kartoffel-Downgrading

Das Alte ist manchmal beliebter als das Neue - nicht nur bei XP und Vista

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Dass weniger die Käufer bestimmen, welche Sorten entwickelt und angebaut werden, als die Anbieter und "Rechteinhaber", das zeigte sich in den letzten Jahren besonders eindrucksvoll an der Kartoffelsorte Linda. Über sie wurde bekannt, mit welchen juristischen Tricks und Finten Saatgutkonzerne auch beliebte und stark nachgefragte Sorten vom Markt zu nehmen versuchen, wenn ihr Monopolschutz auszulaufen droht. Mittlerweile zieht sich das Verfahren seit fast vier Jahren hin. Nun wird eine endgültige Entscheidung im Herbst erwartet.

Ende 2004 zog die Firma Europlant die eigentlich bis 2009 laufende Zulassung für die Kartoffelsorte Linda zurück. Hintergrund war, dass der Sortenschutz, also das staatlich gewährte Monopol, am 31. Dezember 2004 auslief. Möglich wurde dieser Missbrauch durch eine immer noch bestehende Klausel im Sortenrecht. Danach kann während der Schutzzeit nur der Sorteninhaber die Zulassung verlängern – und er darf sie auch zurückziehen.

Sorten, die nicht durch das Bundessortenamt (BSA) als Vorstufensaatgut, Basissaatgut, Zertifiziertes Saatgut oder Standardpflanzgut anerkannt sind, dürfen nach § 3 des Saatgutverkehrsgesetzes (SaatG) nicht zu Anbauzwecken in den "gewerblichen Verkehr" gebracht werden. So können Saatgutkonzerne bewährte Sorten vom Markt nehmen und sowohl Bauern als auch Verbraucher zwingen, stattdessen weniger nachgefragte und möglicherweise schlechtere Sorten zu kaufen, auf die sie noch Monopolrechte haben.

Genau das geschah im Fall Linda: Obwohl die geschmacksintensive Kartoffelsorte seit 1974 angebaut wird, konnte sie zum 1. Januar 2005 aus der Bundessortenliste entfernt werden. Weil nicht nur Bauern, sondern auch Verbrauchern davon Wind bekamen, bildete sich ein Linda-"Freundeskreis" der Spenden sammelte und auf dessen Antrag hin das Bundessortenamt die Auslaufzeit bis 30. Juni 2007 verlängerte.

Gegen diese Verlängerung legte Europlant beim Bundessortenamt Widerspruch ein. Als dieser zurückgewiesen wurde, klagte die Firma beim Verwaltungsgericht Hannover, scheiterte aber am 25. August 2005 auch dort. Die Argumentation, warum ihr auch ein Schadensersatz zustünde, war dabei durchaus bemerkenswert: Europlant gab an, dass das Unternehmen nach der von ihm selbst beantragten Verkürzung der Zulassung Saatgut vernichtet habe, das es nach der (von den Prozessgegnern erzwungenen) Verlängerung wieder verkaufen hätte können.

Nun versuchte es Europlant beim Schiedsgericht für Saatgut und Sortenschutzstreitigkeiten an der niedersächsischen Landwirtschaftskammer. Dort klagte das Unternehmen gegen mehrere Bauern, die Linda pflanzten. Am 27. Juli 2005 entschied diese Stelle, dass die Kartoffeln unter der Aufsicht von Kontrolleuren geerntet und in verplombten Scheunen gelagert werden müssten. Das Oberlandesgericht Celle drängte die Parteien zwei Monate später zu einem Vergleich: Die Beschlagnahme wurde aufgehoben, aber die Landwirte mussten die strittigen Kartoffeln an Europlant übergeben. Das Unternehmen wurde wiederum verpflichtet, diese 2006 zu marktüblichen Preisen als Pflanzkartoffeln zu verkaufen.

Weil die Saatgut-Treuhand, eine Art GVU und GEMA der Saatgutkonzerne, trotz des abgelaufenem Monopolschutzes, von Landwirten Auskunft haben wollte, ob sie Linda anbauen, wurde sie mit einem Big Brother Award in der Kategorie Wirtschaft "ausgezeichnet".

2007 war es die Auszeichnung "Kartoffel des Jahres" und die damit verbundene Medienöffentlichkeit, die Europlant verkünden ließ, Linda ein weiteres Jahr zu erhalten. 2008 sprang der Züchter Karsten Ellenberg ein: ihm genehmigte das Bundessortenamt das "Inverkehrbringen" zu Forschungszwecken, wodurch begrenzt Pflanzgut ausgeliefert werden konnte.

Obwohl das Bundessortenamt noch keinen Termin bestätigen möchte, rechnet Ellenberg damit, dass er in den nächsten Monaten einem Bescheid über die Zulassung oder Nichtzulassung erhält. Parallel zum Wiederzulassungsverfahren in Deutschland läuft eines in Schottland. Erfolgt dort eine Registrierung, dann können die Linda-Freunde von einem EU-Effekt profitieren, der sonst eher für Negativschlagzeilen sorgt: Gelingt die Zulassung in einem europäischen Land, dann gilt sie für alle.