Erster Nato-Krieg im Kaukasus

Georgien will Südossetien und Abchasien zurückerobern, russische Truppen haben georgische Soldaten angeblich wieder aus der völlig zerstörten südossetischen Hauptstadt vertrieben

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Vor wenigen Wochen noch war von Friedensplänen im Konflikt zwischen Georgien und zwei abtrünnigen Republiken die Rede. Nun herrscht Krieg. In der Nacht zum Freitag griffen georgische Truppen die Region Südossetien massiv an. Ziel der Großoffensive ist nach Angaben von General Mamuka Kuraschwili die Rückeroberung des seit 16 Jahren abtrünnigen Gebiets. Es gehe darum, "die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen", wie die Angreifer sagen. Doch der Konflikt könnte sich schnell zum Flächenbrand ausweiten. Aus dem ebenfalls von Georgien beanspruchten Schwarzmeergebiet Abchasien und aus der russischen Teilrepublik Nordossetien wurde der südossetischen Regierung in Zchinwali bereits Hilfe angeboten. Am zweiten Tag des Angriffs nun rückten russische Kämpfer nach Südossetien ein.

Zuvor hatte es Verwirrung über einen angeblichen Eingriff Russlands in den Konflikt gegeben. In einer Fernsehansprache warf Georgiens Präsident Michail Saakaschwili Moskau am Freitag vor, zwei Ziele auf georgischem Territorium angegriffen zu haben. Nach Angaben des georgischen Innenministeriums war eine Polizeistation nahe der Ortschaft Kareli von russischen Bomben getroffen worden. Das georgische Fernsehen berichtete indes von Angriffen mehrerer Suchoi-Kampfflugzeuge auf Ziele in der Stadt Gori.

Trotz des Dementis aus Moskau nutzte Saakaschwili die Meldungen umgehend, um eine generelle Mobilmachung anzuordnen. Das Land stehe einer "Militärintervention von großem Ausmaß gegenüber", erklärte er in seiner Fernsehansprache. Beobachter sprachen indes von einem "handfesten Krieg", in dessen Verlauf Georgien mit Panzern und Kampfflugzeugen nach Zchinwali vorrücke.

Ständiger Krisenherd im Kaukasus

Sowohl das nun angegriffene Südossetien als auch die Schwarzmeerregion Abchasien haben in den vergangenen Jahren immer wieder für Streit und kriegerische Konflikte zwischen Georgien und Russland geführt. Die Bergregion Südossetien hatte sich Ende 1991 von Tiflis losgelöst. Seit der einseitigen Separation war es immer wieder zu Konflikten mit georgischen Truppen gekommen, in deren Verlauf hunderte Menschen starben. International wird Südossetien zwar Georgien zugerechnet. Doch hat Präsident Eduard Dschabejewitsch Kokoity ein De-Facto-Regime errichtet, das Regierungsfunktionen erfüllt. Wirtschaftlich unterhält Südossetien enge Verbindungen zu Russland, das seine Unabhängigkeit unterstützt.

Der Konflikt um Südossetien und Abchasien hat sich in dem Maße zugespitzt, wie sich Georgien an den Westen und damit an die Nato angenähert hat. Russland will ein Vordringen des Militärbündnisses in den kaukasischen Raum auf jeden Fall verhindern. Und der Streit um die beiden abtrünnigen Provinzen hat einen Beitritt Georgiens zur Nato bislang maßgeblich verhindert.

Vor diesem Hintergrund ist der nun ausgebrochene Krieg um Südossetien auch der erste Krieg der Nato im Kaukasus. Zum einen ist die georgische Armee in den vergangenen Jahren von dem nordatlantischen Militärpakt unterstützt und ausgerüstet worden. Zum anderen zeigte sich im UNO-Sicherheitsrat am Freitag die politische Frontstellung zwischen Russland und den Nato-Staaten. Auf einer von Moskau einberufenen Dringlichkeitssitzung konnte kein Konsens erzielt werden. Die Beschlussvorlage der russischen Vertreter hatte beide Seiten - Georgien und Südossetien - zu einem Ende der Kampfhandlungen aufgefordert. Nach Berichten von Nachrichtenagenturen wandten sich sowohl die USA als auch Großbritannien gegen diesen Vorschlag. Der belgische UN-Botschafter Jan Grauls erklärte daraufhin, der Sicherheitsrat sei "noch nicht in der Lage, zu der Situation Stellung zu beziehen".

Rasante Entwicklung im Kriegsgebiet

Während sich die USA und Russland auf diplomatischer Ebene blockieren, werden in der Kriegsregion Fakten geschaffen. Wenige Stunden nach dem georgischen Einmarsch bat die Regierung Südossetiens Moskau um Hilfe, "um die Zivilbevölkerung zu schützen". Glaubwürdigkeit bekam dieser Appell durch die Berichte von Augenzeugen. Sie sprachen von massiven Zerstörungen in der Hauptstadt Zchinwali. Dort seien Verwaltungsgebäude, Hospitäler und vor allem Einrichtungen der russischen Friedenstruppen getroffen worden, die seit Jahren in Südossetien stationiert sind.

Wenige Stunden nach ersten Berichten über mindestens zehn tote russische Militärangehörige kündigten Russlands Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Wladimir Putin "Vergeltung" für die Opfer an. Auch werde man die eigenen Bürger schützen, hieß es in Moskau. Gemeint waren die Bewohner Südossetiens, denen seit Jahren russische Pässe ausgestellt wurden. Am Freitagnachmittag dann wurde erstmal auch in russischen Medien von dem Einmarsch der eigenen Armee in das umkämpfte Südossetien berichtet. Zugleich erklärte Ministerpräsident Putin in Moskau, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) müsse "angemessen" auf die neue Situation reagieren. Präsident Medwedew berief den Sicherheitsrat ein.

Inzwischen berichten russische Medien, dass die russischen Truppen mit südossetischen Soldaten Zchinwali eingenommen und die georgischen Soldaten vertrieben hätten. Die Stadt mitsamt der gesamten Infrastruktur sei praktisch zerstört. Wie viele Opfer es gegeben hat, sei noch nicht bekannt.

Die überraschende Eskalation des jahrelang schwelenden Konfliktes um die Kaukasusrepubliken Südossetien (und Abchasien) ist zugleich eine Blamage für den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (Gescheiterte Friedensmission von Außenminister Steinmeier). Der SPD-Politiker war Mitte Juli im Auftrag der "UN-Freundesgruppe für Georgien" in die Region gereist (Ein bisschen Frieden aus Berlin), um eine diplomatische Lösung zu befördern. Die Ironie der Geschichte ist, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow Steinmeier unterstützte, die Friedensinitiative aus Berlin nun aber ausgerechnet von dem Nato-Alliierten Georgien zerstört wurde.

In der Europäischen Union und in Washington dürfte man nach der entschiedenen diplomatischen und militärischen Reaktion Russlands auch merken, dass die Verweise auf das Kosovo-Beispiel in Moskau mehr als nur leere Worte waren (Konfliktherd Kosovo). Nicht nur in Abchasien und Südossetien hatte man in den vergangenen Monaten eine internationale Anerkennung nach dem Vorbild des Kosovo eingefordert. Auch Moskau hatte wiederholt erklärt, dass die Anerkennung der südserbischen Provinz durch die EU und die USA nicht ohne Folgen bleiben könne.