Oligopolhüterin

Die EU-Erhaltungssortenrichtlinie sichert Saatgutkonzernen einen Marktanteil von mindestens 90 Prozent

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Vor vier Jahren kam anhand des Falls der Kartoffelsorte Linda ans Licht, wie Saatgutkonzerne durch eine "Gesetzeslücke" verhindern, dass Bauern Sorten anbauen können, auf welche die Unternehmen keine Monopolrechte mehr haben. Die Regelung, dass nur ein "eingetragener Züchter" eine Verlängerung der Sortenzulassung beantragen und die Zulassung zurückziehen kann, beruht auf einer EU-Regelung, der so genannten "Katalogsrichtlinie" (2002/53/EG für landwirtschaftliche Arten beziehungsweise 2002/55/EG für Gemüsearten).

Mit Verweis auf diese praktisch ohne Medienaufmerksamkeit und öffentliche Debatte umgesetzte Regelung verweigern die Bundesministerien einer Schließung der "Gesetzeslücke". Stattdessen verweist man auf eine neue EU-Richtlinie vom 21. Juni dieses Jahres, die Abhilfe schaffen soll, indem sie ein "vereinfachtes" Verfahren für die Zulassung von alten Sorten einführt. Sieht man sich die Richtlinie 2008/62/EG aber genauer an, so zeigt sich, dass sie nach ihrer Umsetzung das genaue Gegenteil bewirken wird.

Dass man beim Bundessortenamt auch für eine Sorte, die nicht nur 30 Jahre lang problemlos angebaut, sondern auch gekauft und verzehrt wurde, keine Ausnahme machen konnte, liegt an der bereits erwähnten Richtlinie 2002/53/EG und den Durchführungsbestimmungen der Kommission zu deren Artikel 7 vom 6. Oktober 2003 (2003/90/EG). Beide regeln die "Mindestvoraussetzungen" für ein Zulassungsverfahren. Und auch, dass eine lange bewährte Sorte wie Linda überhaupt einer ständigen Zulassung bedarf, ist in einer EU-Direktive geregelt: In der Saatgutrichtlinie von 1966, die 1968 in deutsches Recht umgesetzt wurde.

Ob das in der neuen Richtlinie 2008/62/EG als "vereinfacht" angepriesene Verfahren für bewährte Sorten wirklich Aufwand und Kosten mindern wird, hängt zwar letztendlich von der konkreten Umsetzung in deutsches Recht ab, ist aber - wenn man vom Text der Direktive ausgeht - mehr als fraglich: Die extrem unscharf formulierten Voraussetzungen für die Zulassung einer Erhaltungssorte sind so angreifbar und so aufwändig nachzuweisen, dass ein Verfahren potentiell sehr schnell sehr viel teurer werden könnte als eine herkömmliche Sortenzulassung.

Das eigentliche Problem der Richtlinie liegt aber woanders: Nimmt eine gemeinfreie Sorte die Zulassungshürden, dann wird ihr Marktanteil gesetzlich begrenzt. So regeln etwa Artikel 11 Absatz 1 und Artikel 13 Absatz 1 der Richtline, dass das Saatgut nur in der "Ursprungsregion" einer Sorte erzeugt und "in Verkehr gebracht" werden darf. Schon allein dadurch wird eine Ausweitung des Marktanteils einer bewährten gemeinfreien Sorte extrem erschwert.

Doch dem nicht genug: Artikel 14 der Richtlinie legt noch einmal nach und klar fest, dass (je nach Art) maximal 0,3 Prozent beziehungsweise 0,5 Prozent der insgesamt in einem Land verbrauchten Pflanzgutmenge genehmigt werden dürfen. Aber, so hört man die Lobbyisten der Saatgutkonzerne in Brüssel flüstern, es könnte ja sein, dass Bauern eine Vielzahl gemeinfreier Sorten anbauen und so die Beschränkung "umgehen". Und so führte die EU noch eine zusätzliche Begrenzung ein: Die insgesamt genehmigte Pflanzgutmenge für alle Erhaltungssorten darf höchstens 10 Prozent der in einem Mitgliedsstaat verwendeten Menge an Pflanzgut aller Sorten ausmachen.

Das ist in etwa so, als ob es Microsoft und Adobe von der EU schriftlich bekommen, dass einzelne Open-Source-Programme nur jeweils 0,3 Prozent Marktanteil haben dürfen und alle zusammen höchstens 10 Prozent. Mit dem Unterschied, dass die Saatgutkonzerne mit ihrer "Treuhand" auch noch eine eigene Spitzeltruppe haben, welche die Einhaltung dieser Vorschriften auf den Feldern der Bauern legal kontrollieren darf.

Artikel 6 a der Richtlinie zementiert schließlich die Gesetzeslücke, die zum Linda-Verbot führte, und regelt, dass eine Zulassung als Erhaltungssorte nicht nur dann ausgeschlossen ist, wenn eine Sorte im "Gemeinsamen Sortenkatalog" aufgeführt ist, sondern auch dann, "wenn sie in den letzten zwei Jahren bzw. in den zwei Jahren nach Ablauf des Zeitraums gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie 2002/53/EG aus dem gemeinsamen Katalog gestrichen wurde". Weil das Erhaltungssortensaatgut nach Artikel 10 Absatz 2 zudem "von Saatgut abstammen [muss], das nach den Regeln systematischer Erhaltungszüchtung erzeugt wurde" können Konzerne wahrscheinlich in sehr vielen Fällen effektiv verhindern, dass eine ehemals geschützte Sorte als gemeinfreie Erhaltungssorte weiterlebt.