Knebelverträge für Filmkritiker

Die Münchner "Constantin-Film" fürchtet offenbar Vorabbesprechungen ihrer Stefan-Aust-Verfilmung

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Uli Edels für den Herbst angekündigte Stefan-Aust-Verfilmung "Der Baader-Meinhof-Komplex" muss wirklich grauenvoll schlecht sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Münchner "Constantin-Film" jetzt in einer weltweit beispiellosen Form versucht, Filmkritiker an der Berichterstattung zu hindern, bzw. ihre Berichte in einen Teil der eigenen Marketingkampagne umzuwandeln. Kürzlich hat sich der "Deutsche Journalisten-Verband" (DJV) zu Wort gemeldet und unter Bezug auf "völlig inakzeptable" Bedingungen dazu geraten, "auf Berichterstattung zu verzichten." Oder können die Interessen der Constantin auch die Interessen der Journalisten sein?

Alle reden über das Wetter. Wir nicht!

(Kein Werbeslogan der Constantin)

Manchmal sitzen die Terroristen der Gegenwart nicht mehr irgendwo auf Matratzen in einer konspirativen Wohnung, sondern in Marketing-Agenturen und in den Chefetagen großer Medienkonzerne auf weichen Ledersesseln. Auf solche Gedanken kann kommen, wer die Vorgänge rund um die Pressevorführungen von "Der Baader Meinhof Komplex" betrachtet.

An der Freiheit der Presse und der Berichterstattung scheint jedenfalls die "Constantin-Film" und die in ihrem Auftrag arbeitende Marketing-Agentur Just-Publicity kein Interesse zu haben. Mit einem Knebelvertrag will man die berichterstattenden Filmkritiker gefügig machen, bzw. einschüchtern und ihnen für bestimmte Zeiträume einen totalen Maulkorb verpassen.

Der Einladung zur Münchner Pressevorführung von "Der Baader Meinhof Komplex" lag jetzt ein Vertrag bei, in denen sich die Besucher der Vorführung mit Unterschrift damit einverstanden erklären, keine ausführlichen Besprechungen und Kritiken vor dem 17. September - rund eine Woche vor Kinostart am 25. September - und keine Interviews oder sonstigen Artikel zum Film vor dem 12. September zu veröffentlichen. Für eine Zuwiderhandlung bzw. eine Weitergabe entsprechender Inhalte an Dritte soll eine Konventionalstrafe von insgesamt 100.000 Euro fällig werden, jeweils zur Hälfte vom betroffenen Journalisten bzw. seinem Medium an die Constantin Film AG zu bezahlen. ("Eine ausführliche Besprechung/Kritik darf nicht vor dem 17.9.08 veröffentlicht werden. Bei einer früheren Veröffentlichung verpflichtet sich Ihr Verlag sowie verpflichten Sie sich zur Zahlung einer Konventionalstrafe von jeweils 50 000 Euro an die Constantin Film Verleih GmbH.")

Die Praxis der Presevorführungen

Zum Hintergrund: Pressevorführungen gab es früher nie. Damals gingen Filmjournalisten ähnlich wie Theaterkritiker in die Premiere des Films und berichteten dann ein paar Tage nach Filmstart. Das wäre wahrscheinlich heute immer noch die sauberste Methode. Ist aber heute kaum noch möglich, denn der Druck der (Chef-)Redakteure und Verlage auf schnelle Berichterstattung ist zu groß.

Zudem verlangen die Marketingstrategien der Filmkonzerne selbst nach Vorabberichten. Möglichst positiv natürlich - in den meisten Fällen (Ausnahmen sind Filme, die als "Eventfilm" geplant sind; hier glaubt man zum Teil, solche Berichterstattung nicht nötig zu haben oder fürchtet sie gar). Darum sind heute Pressevorführungen allgemein üblich. Viele Filme kann man zwar vor dem Filmstart auf Festivals sehen, aber dort läuft längst nicht alles. Und die wenigsten Filmkritiker besuchen mehr als das Festival in ihrer Heimatstadt.

Allerdings sind längst nicht alle Vorführungen für alle. Statt der verfassungsrechtlich garantierten Gleichbehandlung und Freiheit der Presse ist ein subtiles System der Selektion bestimmter Kritiker und ihrer Beeinflussung getreten, das die Berichterstattungschance verändert, und die Kritiken positiv beeinflussen soll - natürlich alles im Rahmen des rechtlich gerade noch Möglichen. Es gibt Vorabvorführungen für "wichtige" Medien und Vorabvorführungen vor den Vorabvorführungen - nicht für Kritiker, sondern für ihre Chefs, die Chefredakteure und Verleger. Es gibt Schnittchen, und man hofft, der Verleger werde dann, nachdem die Schnittchen geschmeckt haben, den Kritiker des eigenen Hauses auf Linie bringen. Dieses Mittel der Beeinflussung hat Bernd Eichingers Constantin bereits mehrfach angewandt.

Die Erklärung der Constantin

Ensslin, Meinhof, Baader, das sind unsre Kader

(Kein Werbeslogan der Constantin)

Die Constantin hat inzwischen in einer Erklärung zu den Vorwürfen des DJV Stellung bezogen:

Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) hat es für nötig befunden, Journalistinnen und Journalisten davor zu warnen, Bedingungen zur Sondervorführung des Films "Der Baader Meinhof Komplex" der Constantin Film zu akzeptieren. Zu lesen war von einem 'Knebelvertrag', Journalisten sollten unter 'solchen Bedingungen auf eine Berichterstattung verzichten'. Das mag nobel klingen, trifft aber nicht die Sache.
Die Constantin Film gewährt in Ausnahmefällen mit Sondervorführungen bestimmten Medien den Vorzug, noch in der Fertigstellung befindliche Filme zu sichten. Konkret z.B. bei 'Der Baader Meinhof Komplex' auf Anfrage des "SZ-Magazins", das ein umfassendes Portrait über Martina Gedeck in Vorbereitung hatte und dazu dringend den Film sehen wollte. Sondervorführungen wurden auch jenen Magazinen mit langen Vorlaufzeiten gewährt, die ansonsten überhaupt nicht in der Lage wären zu berichten. Die Einhaltung gegenseitig vereinbarter Erscheinungsdaten wird in diesen Fällen durch einen Vertrag versichert. Alles andere wäre unfair anderen Journalisten und Medien gegenüber, die den Film erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Fertigstellung sehen können.
Vertraglich festgelegte und mit Sanktionen gesicherte Sperrfristen sind im Filmgewerbe genauso wie im Verlagswesen (z.B. bei Vorab-Drucken oder Vorab-Rezensionen) nicht unüblich. Daraus eine Einschränkung der Pressefreiheit abzuleiten, ist absurd.

Diese Erklärung mag nobel klingen, trifft aber nicht die Sache. Zum einen versucht die Constantin den Fall kleinzureden, indem sie ihn nun als Ausnahme, nicht Regel hinstellt: "in Ausnahmefällen … Sondervorführungen … noch in der Fertigstellung befindlich." Fakt ist: Vorführungen einen guten Monat vor Filmstart sind im Filmgewerbe die Regel, nicht die Ausnahme. Einladungen für wenige und handverlesene Journalisten - "Sondervorführungen" - sind ebenfalls üblich. Verleiher ermöglichen diese Vorführungen nicht, um Berichterstattung zu ermöglichen, sondern um Marketingeffekte zu erzielen. Das ist legitim, aber keineswegs uneigennützig.

Die Constantin spielt sich nun auf als ein Verteidiger der Gleichbehandlung von Journalisten. Es ist aber nicht zuletzt in Deutschland mehr als jede andere Firma die Constantin, bzw. die mit ihr verbundene Presseagentur Just Publicity, die solche Gleichbehandlung in Deutschland in der Praxis systematisch unterläuft - zum Beispiel durch sogenannte Sondervorführungen. Dies ist in der Vergangenheit im Fall von "Der Untergang" ebenso geschehen wie im Fall "Das Parfüm".

Sperrfristen sind grundsätzlich dagegen keineswegs üblich, sondern die Ausnahme. Im Ausland sind sie sogar völlig unüblich. Sie sind im Übrigen nach deutschem Rechtsverständnis dort, wo sie existieren, keineswegs rechtsverbindlich. Eben darum erachtet die Constantin ja auch zusätzliche Verträge für nötig. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass man seitens der Constantin ein solches Verfahren in Zukunft zur Regel machen will.

Vieles daran ist rechtlich fragwürdig und praktisch gesehen reiner Unsinn, ja geradezu eine Aufforderung zum Rechtsbruch. Denn freie Autoren arbeiten in der Regel für mehrere Medien und können für dieses gar nicht rechtsverbindlich zeichnen - auch nicht "im Auftrag". Doch selbst Redakteure können dies nicht.

Hinzu kommt der Verdacht, wie es "Die Welt" formulierte: "dass der Mogul [i.e. Bernd Eichinger] sich … freie Fahrt für seine Sonderdeals verschafft, wie im Fall von "Der Untergang", wo er einzelnen Publikationen weit vor allen anderen den Zugang zu seinem Film und eine Veröffentlichung ermöglichte."

Worum es geht, ist klar. Berichterstattung (erst recht, aber nicht allein, negative) soll das Marketing nicht stören.

Kopfgeld für die Wahrheit über schlechten Film

Wir müssen von den Bürgern Opfer verlangen

(Kein Werbeslogan der Constantin)

Offenkundig ist "Der Baader Meinhof Komplex" ein misslungener Film. Anders ist die fehlende Souveränität der Constantin, das hysterische Vorgehen gar nicht zu erklären. Man hat Angst davor, dass sich die schlechte Qualität allzu schnell herumspricht. Offenkundig ist der Film so labil, dass ihm mit einer schlechten Kritik oder nur den falschen Lobesformulierungen Schaden zugefügt werden kann. Was daran die Filmkritiker freuen kann, ist die unbeabsichtigte Pointe des Constantin-Vorgehens: Sie schmeichelt ihnen, indem sie den Kritikern eine Macht zugesteht, die sie selbst für sich selten in Anspruch nehmen.

Filmkritik ist diesem Anschein nach also doch weit bedeutungsvoller als nur "von einer Brücke herunter ins Wasser zu spucken", wie Filmkritikerkollegen heute gern in übertriebener Bescheidenheit André Bazin zitieren. Missliebige Journalisten sind der Constantin offenbar genauso viel Kopfgeld wert wie einst dem BKA die RAF-Terroristen. Denn auf die waren 100.000 D-Mark ausgesetzt - pro Kopf.

Das Vorgehen der Constantin konterkarieren

Was ist jetzt zu tun? Man sollte natürlich berichten. Auf eine Weise, die das Vorgehen der Constantin konterkariert, und der Marketingkampagne des Films größtmöglichen Schaden zufügt.

Zum einen sollte man das Verhalten der Constantin und von Just Publicity öffentlich anprangern und die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Firmen auf ein Minimum beschränken. Zum zweiten sollte man jetzt erst recht über den Film vor Ablauf der Deadlines schreiben - und zwar jeweils mit deutlichem Hinweis auf die Fakten, das Vorgehen des Verleihs und die vermutete Qualität des Films. Redaktionen sollten keine Unterschriften leisten, Texte zum Film von freien Autoren einkaufen, die den Film gesehen haben, und die Texte unter Pseudonyma veröffentlichen, und die Identität des Autors schützen. Die Formulierung der Constantin hat den Weg selbst aufgezeigt: Strafe droht nur jenen Medien und Journalisten, die unterschrieben haben. Jeder Kollege darf sich aufgefordert fühlen, seinen Namen zu verfälschen. Die Journalistenverbände sollten Musterprozesse führen.

Nachbemerkung: Man muss kein Fan oder Verklärer der RAF sein, um den Zusammenhang von Filmsujet, Verleihpolitik und Marketing in diesem Fall als besonders infam zu empfinden.