Old Atze und der Schatz im Silbersee

Ein Produzent schreibt Filmgeschichte

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Der Berliner Filmproduzent Artur "Atze" Brauner ist am 1. August 90 Jahre alt geworden. Im deutschen Blätterwald, vom Focus und der Welt bis zur SZ und der taz, wurde er mit sehr freundlichen Geburtstagsartikeln bedacht. Der deutsche Film, so die einhellige Meinung, hat ihm viel zu verdanken. Man kann das auch anders sehen.

Wer ist Atze Brauner? Das fragt man sich wahrscheinlich, wenn einem Namen wie Sonja Ziemann oder Rudolf Prack kein Begriff mehr sind, wenn man sich weder für Ein Frauenarzt klagt an noch für Freddy und das Lied der Prärie begeistern kann und zu jung ist, um mitbekommen zu haben, wie der Mann mit dem Menjou-Bärtchen vor 20 Jahren lautstark darüber Klage führte, dass man ihm, seiner Ansicht nach, den sicher geglaubten Oscar für Hitlerjunge Salomon geklaut habe. Sollte man sich für diesen Herrn auch heute noch interessieren? Auf jeden Fall. Denn anhand der Karriere Artur Brauners erfährt man nicht nur sehr viel über den deutschen Film und die deutsche Filmpublizistik, sondern auch über das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden. Eine Heldengeschichte ist es allerdings nicht.

Hin und Her in fremden Ländern: Zwischen Verschweigen und Erinnern

Wer also ist Atze Brauner? Das deutsche Feuilleton weiß die Antwort. Zu lesen ist in etwa dies: Brauner hat 1946 seine eigene Firma gegründet. Damit ist er der dienstälteste deutsche Filmproduzent, und zugleich der einzige aus der Nachkriegszeit, der immer noch aktiv ist. Auf sein Konto gehen mehr als 250 Filme. Er hat viel Unterhaltungsware von der Stange gemacht, und mit den Gewinnen hat er ambitionierte Werke realisiert, die sich an der Kinokasse nicht rechneten. Brauner hat die Edgar-Wallace- und die Karl-May-Filme zwar nicht erfunden, aber irgendwie dann doch. Er war stets der unbequeme Mahner, der gegen das Vergessen angekämpft, ein unwilliges Publikum mit dem Schicksal der Holocaust-Opfer konfrontiert und dabei sein Vermögen aufs Spiel gesetzt hat. Mit diesem Resümee seines Lebenswerks kann der "letzte der deutschen Tycoons" zufrieden sein. Aber gilt das auch für den Zeitungsleser? Nicht unbedingt. Denn im milden Licht der Erinnerung fängt plötzlich zu strahlen an, was früher nicht ganz so glänzend aussah. Aus einer geschickten Strategie zur Selbstvermarktung wird so ein Stück Filmgeschichte.

Es begann mit einer Legende. "Wer ist wer in der Filmindustrie?" fragte die Zeitschrift Filmblätter im September 1950 und wusste über "Arthur Brauner" (mit "h") zu berichten, dass dieser ein am 1. August 1918 geborener Kaufmannssohn aus Rumänien sei. Er habe eine "buntbewegte Kindheit" hinter sich, mit viel "Hin und Her in fremden Ländern", und bei einer Iran-Expedition sei er "schicksalsmäßig mit dem Film" in Berührung gekommen. "Große Ideale und fanatische Schaffenskraft weckte der Film in mir", sagt der Porträtierte, "- doch dann kam der Krieg und viele Jahre vergingen nutzlos." Vermutlich hat der Autor Brauner diesen Satz in den Mund gelegt, aber ohne dessen Zustimmung wäre der Artikel so auch kaum erschienen. Die Filmblätter waren weder das Fachorgan für genaue Recherche noch ein Hort journalistischer Unabhängigkeit.

Das Geburtsdatum stimmt, und vielleicht hat Brauner auch wirklich an zwei Kulturfilmen mitgearbeitet. Aber der Sohn einer jüdischen Familie stammte aus dem polnischen Lodz. Sein Vater war Holzhändler. Der Sohn hieß ursprünglich Abraham; seit der Schulzeit nannte er sich "Artur". In seiner Autobiographie, Mich gibt’s nur einmal (1976), schreibt er, dass 49 Familienangehörige von den Nazis und deren Helfern ermordet wurden. Artur überlebte den Holocaust, weil er vor dem Abtransport in das Warschauer Ghetto floh und sich mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in den Wäldern an der Grenze zu Russland versteckte. Sein Misstrauen gegenüber den Deutschen hat er nie abgelegt, und wer wollte ihm das verdenken?

Die Täter nahmen es den Opfern übel, dass sie durch ihre bloße Existenz an die Verbrechen im "Dritten Reich" erinnerten. 1950 hielt Brauner es wohl für klug, seine jüdische Herkunft zu verschweigen, und Fragen nach seiner Reise in den Iran und den Nahen Osten (junge Zionisten erkundeten die Möglichkeiten für einen jüdischen Staat) blockt er noch immer ab (siehe das Geburtstagsinterview mit der taz). Nach der Gründung des Staates Israel, für den er sich seit Jahrzehnten einsetzt, kaufte er dort viel Land. Auch seinen Einstieg ins Immobiliengeschäft sollte man im Zusammenhang mit der Judenverfolgung sehen. Brauner suchte nach einem sicheren Platz für sich und seine Familie. Für alle Fälle.

"Eine absterbende Gemeinschaft": Brauner und die Deutschen

1963 erschien ein Spiegel-Report über die wenigen jüdischen Persönlichkeiten ("eine absterbende Gemeinschaft"), die in der Öffentlichkeit und im Wirtschaftsleben der BRD eine herausgehobene Rolle spielten: Brauner war eine dieser Persönlichkeiten (neben Ernst Bloch, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, einigen Bankiers, dem Schauspieler Ernst Deutsch). Im Wirtschaftswunderland war er ein Aushängeschild. Und doch bleibt ein zwiespältiger Eindruck. In ihrem sehr lesenswerten Buch Artur Brauner und die CCC (1990) schreibt Claudia Dillmann dazu:

"Die Anekdoten, deren Gegenstand Artur Brauner seit Beginn der fünfziger Jahre war, zielten auf seine extreme Sparsamkeit, seine Cleverness, seine Wendigkeit, Zielstrebigkeit oder Härte - alles Tugenden auf der Werteskala der Ellenbogen-Gesellschaft der fünfziger Jahre. Zehn Jahre früher hätte der offizielle wie der gesellschaftliche Sprachgebrauch dieselben Eigenschaften eines jüdischen Geschäftsmanns Geiz, Verschlagenheit, Habgier und Tierhaftigkeit genannt. Ungeschützt redete in den fünfziger Jahren keiner mehr so, das Zerrbild aber darf mitgedacht werden in den Witzen über Brauner wie in den Elogen auf ihn, den ‚Außenseiter’ und ‚Glücksritter’, der es geschafft hatte."

Indem die bundesrepublikanische Gesellschaft sich mit Brauner photographieren ließ und ihn lobte, klopfte sie sich selbst auf die Schulter. Sein Aufstieg diente als Beleg für die neue Toleranz in dem Land, in dem man einen wie ihn, den "Ostjuden", zehn Jahre zuvor noch ausgeraubt und in die Gaskammer geschickt hätte. Für Brauner kann das nicht einfach gewesen sein. Gelegentlich, und vorzugsweise in ausländischen Zeitungen, gab er Interviews, in denen er wenig Gutes über seine Freunde aus der High Society und das Publikum seiner Filme zu sagen hatte: "Selbstkritik ist bei uns nicht gefragt, nicht politisch, nicht sozial und auch nicht persönlich. Die Leute hier wollen die Wahrheit nicht sehen, oder sie muss rosig sein. Probleme kommen nur an, wenn sie verlogen und verniedlicht sind."

Vom Schwarzmarkt ins Filmgeschäft

Zuerst hieß es, Brauner sei mit einem Koffer voller Wertsachen nach Berlin gekommen (angeblich hatte er eine Regimentskasse gefunden wie in einem Roman von Karl May). Die Version, die er selbst verbreitet hat, wird bis heute am liebsten nacherzählt. Ihr zufolge hatte seine Schwiegermutter von Freunden in den USA einen Nerzmantel geschickt bekommen, den er für 200.000 Reichsmark verkaufte. Als der Spiegel Brauner 1957 eine Titelgeschichte widmete ("Der Alleinunterhalter"), bot das Magazin allerdings eine andere Erklärung für die Herkunft des Geldes. Die Schwester von Brauners Frau war mit Joseph Einstein verheiratet, dem Schwarzmarktkönig von Berlin. Einstein verdiente ein Vermögen mit großen Mengen von Kaffee, Schokolade und Fett aus der Schweiz, die offiziell an eine Kirchengemeinde adressiert waren.

Am 16. September 1946 gründeten Artur Brauner und Joseph Einstein die "Central Cinema Comp.-Film Gesellschaft mit beschränkter Haftung", kurz CCC. Die CCC hatte Geld, aber keine Lizenz, und ohne eine Lizenz der Alliierten durfte man keinen Film drehen. Franzosen, Briten und besonders Amerikaner nützten solche Lizensierungsverfahren, um den eigenen Produzenten Absatzmärkte zu sichern. Brauner hat diese Behinderungen bitter beklagt, jedoch auch von ihnen profitiert. Die amerikanische Filmpolitik im besetzten Deutschland war stark von Lobbyisten geprägt. Hollywood war an einer Zersplitterung der neuen deutschen Filmindustrie interessiert, um eine schlagkräftige Konkurrenz gar nicht erst aufkommen zu lassen (die Folgen sind noch immer spürbar). Für eine Filmfirma wie die CCC bedeutete die Kleinteiligkeit des Marktes, dass sie sich leichter durchsetzen konnte. Als in den 1950ern doch noch eine Konzentrationswelle einsetzte, war sie etabliert genug, um diese eigenständig überstehen zu können.

Brauner wollte von Anfang an Morituri drehen, einen mehr oder weniger autobiographischen Film über KZ-Überlebende. Weil er aber erst 1949 eine eigene Lizenz erhielt, war er auf lizensierte Partner angewiesen. Also investierte er sein Geld in eine Produktion der Firma Studio 45, das Lustspiel Sag die Wahrheit (ein Mann will 24 Stunden lang nur noch die Wahrheit sagen und wird in eine Irrenanstalt eingewiesen). Der Film bekam böse Verrisse und wurde ein Kassenerfolg. Brauner lernte dadurch, sich am Publikumsgeschmack zu orientieren (oder an dem, was dafür ausgegeben wird), nicht an den Filmkritiken.