Raum, Energie und Kampf um Anerkennung

Der Bär zeigt wieder Krallen - Teil IV

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Sollte Saakaschwili wirklich jemals geglaubt haben, dass Amerikaner oder Europäer bereit wären, für Georgien zu sterben, dann ist diese Strategie gründlich schief gegangen. Zwar kündigte Dick Cheney Russland „ernsthafte Konsequenzen“ an für den Fall, dass es sich nicht aus dem Land zurückzöge. Doch sogar die größten Hardliner im Umfeld der Regierung schlossen von vornherein jede Militäroperation aus. Dafür wurden Aktionen angedroht, die Russland weder wirklich schmerzen noch wirklich beunruhigen können. Brachten die einen den Rauswurf Russlands aus der G8 ins Gespräch, einer Organisation, die bestenfalls ein medialer Papiertiger ist, wollten die anderen die Aufnahme Russlands in die WTO verschieben, den Russland-NATO-Rat auflösen und die Winterspiele 2014 in Sotchi boykottieren.

Die monopolare Welt hat mit der Demokratie nichts zu tun.

Wladimir Putin in München, 2007

Den Bären stoppen – nur wie?

Die restriktivsten Maßnahmen stammten noch von Max Boot, der das Jackson-Vanik Gesetz ins Gespräch brachte, das den Handel mit Russland einschränkt (Facing The Bear), sowie von Charles Krauthammer, der bei einem gewaltsamen Regimewechsel eine mögliche Exilregierung anerkennen will. Dies würde den Amerikaner eine legale Basis geben, um georgische Aufständische aktiv zu unterstützen, eine Strategie, wie sie seinerzeit in Afghanistan angewendet worden ist (How to Stop Putin).

Allen Beteiligten ist aber auch klar – ist der Pulverdampf erst einmal verflogen und haben die Scharfmacher semantisch wieder abgerüstet, wird man den Konflikt in und um Georgien ganz nüchtern betrachten. Der Westen wird sich in absehbarer Zeit mit der de-facto Realität zweier neuer Staaten abfinden – auch wenn alle das wortreich jetzt noch dementieren und von „territorialer Unversehrtheit Georgiens“ reden oder sich für Georgiens Nato-Beitritt stark machen. Nach einer kurzen Abkühlungsphase wird man zur politischen Tagesordnung übergehen und es werden sich die Beziehungen mit Russland wieder normalisieren. Die Georgier werden sich mit dem Status Quo abfinden müssen, den Russland geschaffen hat. Sie werden ihren großmäuligen Präsidenten bald fragen, wo all die Milliarden geblieben sind, mit denen er eine Armee aufgerüstet hat, die nach drei Tagen von den Russen „pulverisiert“ worden ist. Und sie werden ihn, der sie in all den Schlamassel getrieben hat, in die Wüste schicken.

In Europa wird, mal abgesehen von jenen „Menschenrechtsclowns“, die ständig und allerorten SOS funken und „Europa am Rande des Komas“ sehen (SOS Géorgie? SOS Europe!), vielleicht jene längst überfällige Debatte stattfinden, wo seine politischen Grenzen verlaufen und wie weit es seine Interessensgebiete und Einflusszonen noch auszudehnen gedenkt (Europe's Eastern Promise). Muss die atlantische Zone sich wirklich bis nach Eurasien erstrecken, wie die Amerikaner fordern? Muss man wirklich jedem politischen Aufschneider und Möchtegern hinterherlaufen? Oder wäre es nicht besser, seine Hausaufgaben zu machen und jene Probleme zu lösen, die man sich mit der Heimholung ehemaliger Ostblockstaaten selbstredend beschert hat?

Und auch die Amerikaner werden sich fragen, ob der „neue amerikanische Realismus“ (Rethinking the National Interest), den die Bush-Regierung eingeschlagen hat, tatsächlich eine zielführende Strategie für das 21. Jahrhundert und die Verbreiterung ihrer Machtbasis ist. Bis jetzt hat das Neue Rom damit eher Schiffbruch erlitten. Es hat sich Probleme an den Hals geladen, die es in seinem Aktionsradius eher hemmen als voranbringen. Gewiss wird darüber zu sprechen sein, wie mit einem neu oder wieder erstarkten Russland umzugehen ist, ob partnerschaftlich und kooperativ oder mit Strategien des Kalten Krieges. Da hat die gegenwärtige Regierung ein weit klaffendes politisches Vakuum hinterlassen, das den amerikanischen Wahlkampf prägen und den neuen Präsidenten im Weißen Haus über alle Maßen beschäftigen wird.

Echte Druckmittel hat aber auch das Neue Rom nicht in der Hand. Russland weiß um seine neu gewonnene Stärke. Genau das hat Putin in München vehement und selbstbewusst zum Ausdruck gebracht. Nicht nur, weil es reichlich über jene Schätze verfügt, die der Westen so sehr begehrt. Sondern auch, weil Russland zur Lösung aller wichtigen Fragen oder Herausforderungen, denen sich die Welt heute und morgen gegenübersteht, gebraucht wird, im Iran, im Nahen Osten oder in Afghanistan, aber auch bei Rüstungskontrollen, der Energieversorgung und der Klimapolitik. Die 1990er, in denen Russland unter Jelzin und Kosyrev kolossal geschwächelt hat und drohte, Beute eines ungehemmten Neoliberalismus zu werden (Der Bär zeigt wieder Krallen; Der Bär zeigt wieder Krallen), sind längst vorbei und Vergangenheit.

Das Ende einer Ära

Gleichwohl hat der Georgien-Konflikt deutlich gemacht, dass eine Weltordnung, die allein und ausschließlich auf den Vorstellungen und die Macht Amerikas beruht, eine Illusion ist. Insofern markiert die Krise, wie der Kolumnist Paul Krugmann richtig beobachtet, „das Ende der Pax Americana, jener Ära also, in der die USA glaubten mehr oder weniger ein Monopol auf den Einsatz militärischer Macht zu besitzen.“

Wenn Zbigniew Brzezinski, ein anderer Kalter Krieger, jetzt mit gehörigem Schaum vor dem Mund ein „demokratisches Russland fordert, das konstruktives Mitglied eines globalen Systems ist, das auf die Respektierung von Souveränität, Gesetz und Demokratie gegründet ist“ (Staring Down the Russians), dann vergisst er, dass gerade das Neue Rom diese Normen und moralischen Prinzipien auf dem Balkan und im Irak auf imperiale Weise ruiniert hat. Es ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass zwei wesentliche Prinzipien des Völkerrechts, die territoriale Unverletzlichkeit der Grenzen einerseits und das Selbstbestimmungsrecht der Völker andererseits in Kollision geraten sind und diesbezüglich heute „völkerrechtliche Anarchie“ herrscht. Weder ist die staatliche Souveränität noch von großer Bedeutung noch kann man Garantien trauen, die von westlichen Politikern oder von der so genannten „internationalen Gemeinschaft“ abgegeben werden. Seither kommt es eben immer darauf an, auf den Blickwinkel, den Nutzen oder die militärische Stärke.

Geht es nur um Pipelines?

Eine andere Frage ist hingegen, ob der Konflikt signalisiert, dass die Machtkonstellationen des 19. Jahrhunderts wiederkehren und die Welt vor einer politischen Lage stehen, die fatal an die Zwischenkriegszeit erinnert. Kann man tatsächlich Putins Russland mit dem von den Siegermächten „gedemütigten“ Deutschland vergleichen, das alsbald wieder die militärische Karte zog? Ist ein Spruch Putins, wonach der Zusammenbruch der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts darstellt“, den Kagan und Brzezinski zitieren, dafür beweiskräftig genug? Ist Russland, neben China, der alte und neue Feind, den es mit Hilfe einer Liga der Demokratien in Schach zu halten gilt? Und zwar auch dann noch, wenn sich scheinbare „Wunderkinder“ und „Fackelträger der „Demokratie“, wie man gerade am Beispiel Georgiens gesehen hat, als Falschmünzer entpuppen.

Kagan vergisst oder unterschlägt, dass nicht der 8. August, also der russische Einmarsch in Georgien, sondern vielmehr der 11. September, der Irak-Feldzug und der Versuch einer Neuordnung des Größeren Mittleren Ostens jenen Rückfall ins imperialistische 19. Jahrhundert datieren. Weil im Zeitalter globaler Netze und punktgenauer Fernlenkwaffen territoriale Grenzen keinen wirklichen Schutz mehr vor „raumfremden Mächten“ bieten, begann das Neue Rom, die Monroedoktrin auf den arabisch-asiatischen Raum auszudehnen, was es automatisch in Konflikt mit Vor- und Hinterhöfen Moskaus und Pekings bringt.

Es war der deutsche Staatrechtler Carl Schmitt, der aufgezeigt hat, dass es die USA sind, die sich jederzeit die Definition vorbehalten, was „genau der Inhalt der Monroedoktrin ist“. Sie gestehen sich dort (und 2002 mit der Bush-Doktrin) nämlich etwas zu, was sie anderen, in diesem Fall Russland (oder China bezüglich Taiwans) verweigern, nämlich dort zu intervenieren, wo sie es für richtig halten. Folgerichtig muss es dort zum Konflikt und zur Konfrontation kommen, wo andere Staaten oder Großmächte sich ein ähnliches Recht wie Washington herausnehmen, nämlich ein „Interventionsverbot“ erlassen, um „raumfremden Mächten“ den Zutritt zu verweigern,. Damit fällt alles das, was das Ius Publicum Europaeum nach Beendigung der europäischen Religionskriege geklärt hat, nämlich die Frage, wann Krieg und wann Frieden ist, und was „ein erträglicher und was ein unerträglicher Zustand ist“, zwangsläufig an die USA.

Es war der US-Präsident Woodrow Wilson, der noch während WK I die Monroedoktrin zur „Weltdoktrin“ erklärte. Er dehnte das „Interventionsverbot“, das bis dahin nur für eine westliche Hemisphäre galt, auf andere Räume aus, er überfrachtete es mit idealistischen Zielen, mit Marktfreiheit und Demokratie, und eröffnete damit seinem Land „die grenzenlose Ausdehnung liberaldemokratischer Prinzipien auf die ganze Erde und die ganze Menschheit“.

Um der „ungeheuren Machtausdehnung“ der USA Paroli zu bieten, verfiel Schmitt auf den Begriff der „Großraumordnung“, den er auf den „Reichsgedanken“ gründete. Für den Staatsrechtler sind Reiche „die führenden und tragenden Mächte, deren politische Idee in einen bestimmten Großraum ausstrahlt“. Sie schließen Interventionen fremder Mächte in diesen Räumen prinzipiell aus. „Raummissachtende Universalisierungen“, wie sie die USA vornehmen und global anstreben, unterscheidet danach ein Imperium grundsätzlich von einem „Reich“. Während ein Imperium ein „übervölkisches Gebilde“ darstellt, das Welt und Menschheit zugleich umfasst, beansprucht ein Reich allenfalls einen „konkreten Großraum“, der explizit „nichtuniversalistisch“ und im Wesentlichen „volkhaft“ bestimmt ist.

Großräume abgrenzen

Raumpolitisch hat sich daran bis heute wenig geändert. WK II hat zwar den Großraum Deutschland und Japan weggeräumt, und der Kalte Krieg das sowjetische Imperium. Doch haben sich im Zuge der dritten Globalisierung und der kurzen Post-Cold-War-Ära drei neue Großräume gebildet, die Schmitts Definition des „Reiches“ sehr nahe kommen. Sowohl China als auch Russland und Europa sind wesentlich „volkhaft“, also ethnisch grundiert. Sie sind keine Nationalstaaten im klassischen Sinn mehr und organisieren einen „konkreten Großraum“ mit machtpolitischen Vor- und Hinterhöfen. Sieht man mal von Europa ab, das seine Lektion in Sachen Reeducation gelernt und sich die universalen Werte und Ideale auf postmoderne Art und Weise zu eigen gemacht hat, fühlen sich die beiden anderen Großräume, China und Russland, auch weiter „nicht-universalistischen“ Traditionen verpflichtet.

Schon damals war Carl Schmitt klar, und es war Samuel Huntington, der ihm Mitte der 1990er mit seiner „Kulturkreislehre“ darin gefolgt ist (The Clash of Civilizations?), dass „ein die ganze Erde und Menschheit umfassendes, universalistisches Weltprinzip [...] naturgemäß zur Einmischung aller in alles [führt]“. Und die Vielzahl der „humanitären Interventionen“, die allein der Westen oder das Neue Rom während der Post-Cold-War-Ära geführt haben, am Golf, auf dem Balkan und in Zentralasien, bestätigt diese Sichtweise.

Um dem Menetekel eines permanenten Weltbürgerkrieges die Spitze zu nehmen, verfiel Schmitt noch vor Beginn von WK II auf die Idee einer „schiedlich-friedlichen Abgrenzung der Großräume“, die Grundlage für ein neues, erst noch zu stiftendes Völkerrecht werden sollte. Als Vorbild und vor Augen schwebte ihm eine rechtlich „gehegte Raumordnung“ mit „räumlich gebundenen Grenzen“, wie die „Raya“, die einst den Machtbereich von christlichen und nichtchristlichen Fürsten voneinander schied, oder die „Amity Lines“, die die Neue Welt zwischen Spaniern und Portugiesen vermaß und unter ihnen aufteilte.

Das ist auch heute noch die Lage. Gewiss geht es im Georgien-Konflikt auch um Einflusssphären und Hinterhöfe, um David gegen Goliath, um Einkreisung und Machtdemonstration; und gewiss geht es um den ungehinderten Zugriff auf Rohstoffe und Bodenschätze, das Gold des 21. Jahrhunderts. Nicht zufällig verläuft die einzige, von den Sowjets bislang nicht kontrollierte Ölpipeline, die von Baku nach Ceyhan, durch georgisches Hoheitsgebiet. Da haben Zbigniew Brzezinszki, Joschka Fischer und Josef Joffe ja durchaus Recht. Darum empfiehlt Max Boot auch den Bau anderer, bereits in Planung befindlicher Pipelines, etwa die von Turkmenistan über Aserbaidschan in den Westen, zu forcieren. Aber die Raumfrage und das Energieproblem, die Hard Power sozusagen, ist nur die eine, sozusagen „härtere“ Seite der Medaille.

Wettstreit der Systeme

Gleichwohl geht es aber auch um eine ideologische Auseinandersetzung, den Kampf um Anerkennung und den zwischen unterschiedlichen Werten und Idealen. Seit Harold Innis wissen wir, dass dauerhafte Macht und Machterhalt nur dann möglich sind, wenn Raum- und Zeitmächte, Hard- und Software sich in Gleichgewicht befinden. Die Geschichte hat das letzte Wort darüber noch nicht gesprochen. Zumindest, und nach westlichen Vorstellungen, noch nicht in Russland, China und dem Größeren Mittleren Osten. Seitdem Russland und vor allem China den liberalen Kapitalismus als Konjunktur- und Revitalisierungsprogramm für sich entdeckt haben, ohne den politischen Preis individueller Freiheiten dafür zu bezahlen, und sich mit ihren über eineinhalb Milliarden Menschen zu wirtschaftlichen Giganten entwickeln, hat der Wettstreit zwischen Demokratie und Autokratie, westlichen und asiatischen Werten beste Chancen, weltgeschichtliches Ausmaß anzunehmen.

„Zum ersten Mal seit vielen Jahren“, zitiert Robert Kagan den russischen Außenminister Sergej Lawrow zustimmend, „besteht auf dem Markt der Ideen ein echtes Wettbewerbsumfeld zwischen unterschiedlichen Wertesystemen und Entwicklungsmodellen“. Dadurch ist der Westen dabei, zum ersten Mal überhaupt in der neueren Geschichte, „sein Monopol auf den Globalisierungsprozess zu verlieren“. Und dieser globale Wettbewerb der Systeme wird, und da muss man bei Gott nicht nach Delphi wandern, die Welt zumindest in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts bestimmen.

Kagan ist sich sicher, dass sich langfristig das westliche Modell gegen diese alternativen Weltanschauungen durchsetzen wird. Und zwar nicht nur, weil sie in der Lage sind, „materielle Güter zur Verfügung zu stellen. Sondern auch, weil sie vor allem einem äußerst wesentlichen Aspekt der menschlichen Natur entgegenkommen: dem Drang nach persönlicher Autonomie, Anerkennung, nach Gedanken- und Gewissensfreiheit“.

Es könnte sehr wohl aber auch das Gegenteil eintreten und sich das asiatisch-autokratische Modell durchsetzen. Die Begründung mit der „menschlichen Natur“ ist so eine Sache. Und die zeitgenössische Kulturkritik bietet, was die Seele, das Denken und die Zukunft des westlichen Genuss- und Konsummenschen angeht, nicht gerade die optimistischsten Ausblicke.

Nach Fareed Zakaria befinden sich die USA nicht nur längst im postamerikanischen Zeitalter, mit dem wirtschaftlichen Aufstieg großer „illiberaler Demokratien“ könnte sich herausstellen, dass die „Demokratie westlichen Typs“ ein Auslaufmodell und möglicherweise, je nach Blickwinkel, ein singulärer Glücksfall oder ein historischer Unfall gewesen ist (Is Democracy Winning? A Debate between Robert Cooper and Robert Kagan). Bis dieser neue ideologische Wettlauf der Systeme geklärt ist, könnte die Welt mit diversen Monroedoktrinen, die den Einflussbereich und die Interessensphären der Großmächte abdecken, recht gut leben – auf alle Fälle und im Sinne von Thomas Hobbes zumindest sicherer.

Ideen regieren die Welt

„Alle großen Kriege sind Glaubenskriege" stellte Werner Sombart in" Händler und Helden" im Jahre 1915 fest. Als er diese Aussage traf, war gerade der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Auch damals ging dem Krieg ein Wettstreit voraus, nämlich der zwischen den (illiberalen) „Ideen von 1915“ und den neuen Ideen marktwirtschaftlicher Freiheiten. Diese zweite Globalisierung endete, wie wir längst wissen, abrupt im ersten weltweiten Staatenkrieg. Schon damals war klar, dass Welthandel oder Geoökonomie vor politischem Abenteurertum nicht schützen kann und wird. Die Fundamente der dritten Globalisierung, deren Zeuge wir gerade sind, sind nicht weniger brüchig. Auch hier prallen wieder unterschiedliche Werte, Prinzipien und Ideale aufeinander, die sich überkreuzen und miteinander im Clinch liegen. Schon deswegen wird kein Kantischer „ewiger Frieden“ eintreten, sondern der Krieg immer einer mögliche und lohnenswerte Option für Staaten und Völker bleiben, um den Fluss der Dinge abrupt in ihrem Sinne zu ändern

So beharrlich kann Geschichte, so dauerhaft können macht- und geopolitische Kontinuitäten sein. Optionen, Drehbücher und Arrangements kehren, und da stimmen wir Robert Kagan ausdrücklich zu, auf die weltpolitische Bühne zurück, wie sie das 19. Jahrhundert, die Zwischenkriegszeit und der Kalte Krieg in Europa geschrieben haben, mit teilweise anderen oder mit den gleichen Rivalen, Programmen und Darstellern. Bislang ist aus all diesen Dramen und blutigen Tragödien stets der gleiche Spieler und Gewinner hervorgegangen: die Vereinigten Staaten von Amerika. Das muss aber nicht heißen, dass das auf ewig so bleiben muss.

Mächte, Reiche und Imperien kommen und gehen. Mal implodieren sie langsam, still und leise, mal kollabieren sie plötzlich, laut und mit Getöse. Jedes Mal war das für die Menschen mit großem Leid, Kummer und Tod verbunden. Solange der Fall des Neuen Rom aber nicht eintritt, ist die Geschichte zu Ende. Die Vereinigten Staaten von Amerika vertreten und verfechten jene universalen Werte und Ideale, die ihren Endpunkt und Endzweck markieren. Tritt dieser worst case ein, dann beginnt die Geschichte tatsächlich wieder neu. Dann, und erst dann, wäre Alexandre Kojèves Diktum allerdings wirklich falsifiziert.