Schluss mit lustig

Molekulares Filmemachen: Christopher Nolans "The Dark Knight" hetzt noch einmal Batman gegen Joker - ein Stellvertreterkampf um die kulturelle Hegemonie in der Spaßgesellschaft

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Alle reden von Heath Ledger, wir reden von Batman. Die Botschaft der Marketing-Maschine und Meinungsingenieure ist angekommen: Dunkel dunkel dunkel ist "The Dark Knight", Hollywoods sechster Batman-Film, der zweite aus den Händen des Briten Chistopher Nolan. Wow? Wirklich? Handelt es sich um eine griechische Tragödie. Vor drei Jahren begann Regisseur Christopher Nolan mit "Batman Begins" eine neue Franchise-Wiederholungsschleife und schuf durchaus einen Helden unserer Zeit. Nolan bleibt seinem Stil treu: Ein Möchtegern-Hitchcock, der schlichte Geschichten unglaublich ingeniös verschwurbelt, manchmal mit einer Tendenz zum Prätentiösen, der weitaus weniger originell ist, als er es gern wäre, dafür ein bisschen sadistisch von der Zuschauerbehandlung - das immerhin teilt er mit Hitchcock - und der mit Actionszenen Schwierigkeiten hat. "The Dark Knight" ist ein guter Film geworden und zugleich eine Enttäuschung. Denn er ist alles das nicht, was er zu sein vorgibt: Keine Comic-Verfilmung, kein echter Thriller, schon gar kein Noir. Sondern ein überdurchschnittlich guter, erwachsener Action-Film. And that's all, folks.

Alle Fotos: Warner Bros. Pictures

Batman braucht einen neuen Anzug. Zu hart und zu schwer ist der alte; der neue, den Multimilliardär Bruce Wayne (Christian Bale), das Alter-Ego Batmans in der Normalwelt, früh im Film in Auftrag gibt, muss beweglicher und damit weicher werden, mit der nachteiligen Folge, dass unser Held zwar mobiler wird, aber auch verletzlicher. Erste Lektion: Mobilität macht verwundbar.

Später sieht man den ausrangierten Anzug einmal in Batmans Garderobe hängen: Eine fette phallische Hülle, aber innen leer. Zweite Lektion: Wo Batman draufsteht, ist nicht immer Batman drin.

Batman, den Regisseur Christopher Nolan vor drei Jahren in "Batman Begins" noch neu erfand, indem er zeigte, wie Batman wurde, was er ist, und die Jugend- und Reifezeit eines künftigen Superhelden ins Zentrum stellte (und nebenbei einen Gegenentwurf bot zum ewig unreifen Pubertätssuperhelden Spider-Man), dieser Batman also ist im zweiten Film an der Spitze des Ruhms angekommen.

Er ist ein Superstar in Gotham City, so bewundert wie unnahbar, die Gerüchteküche des Boulevards brodelt um ihn herum, darum hat er unter anderem mit Nachahmern und Batman-Imitaten zu kämpfen, unter anderem - ein Insiderhinweis des Films für die, die genau hingucken - ist einer von ihnen "Dr.Jonathan Crane", der von Cillian Murphy gespielt wird, und in anderen Filmen auch schon einmal "Scarecrow" heißt. Die Leute vertrauen darauf, das sie sich auf Batman verlassen können. Aber die Marke Batman ist in Gefahr, sein Image - er leidet also an einem überaus modernen Phänomen: ein Image- kein Identitätsproblem.

Auch Superstars müssen up to date sein, und sich darum immer neu erfinden. Das ist das Leitmotiv von "The Dark Knight", der untergründig davon handelt, wie man sich vor Verhärtung und Erstarrung schützt, wie und ob man überhaupt menschlich bleiben kann, wenn man in irgendetwas herausragt, an der Spitze steht. Man kann diesen Gedanken übersetzen auf die Sportlerstars, die derzeit in Peking auf dem Treppchen stehen, auf den Glamourbetrieb von Paris Hilton bis Heath Ledger (von dem noch die Rede sein muss) oder auf die Lage Amerikas, das als Supermacht doch oft eher einem Zyklopen oder aber einem gefesselten Riesen ähnelt.

Ein Touch American Psycho

So ist auch Batman in diesem Film ein Gefangener seines Ruhms, zugleich im Kino ein Gefangener der Batman-Mythen, die bereits in vier Filmen vor Nolan (und in unzähligen Comics und TV-Serien) das Bild des Helden in unseren Köpfen festgezurrt haben. Regisseur Nolan, der seinen Ruf als Hollywoods neuer Golden Boy mit komplexen Neo-Noir-Thrillern ("Memento", "Following") begründete, hat sich mit diesem Bild und dem Erbe seiner Vorgänger nicht lange aufgehalten und die Fesseln der Batman-Mythologie mit ein paar festen Hieben weggehakt.

Sein Batman ist eine Figur von heute, ein kühler Manager. Auch wenn der Körper von Bale Wunden hat und einen Touch American Psycho. Er ist hingegen so wenig ein zwielichtiger, getriebener, dunkler Held wie behauptet wird, wie "The Dark Knight" ein melancholischer Film Noir ist, wie das Marketing kommuniziert. Denn Film Noir bedeutet zwar Ambivalenz, aber keineswegs, das am Ende alles Grau ist. Film Noir heißt, dass nichts ganz weiß ist. Denn Noir ist Existentialismus, ist Amoral, nicht einfach irgendeine Nacht, hinter der es wieder hell wird. Sondern immerwährende Nacht.

"The Dark Knight" ist auch kein Thriller, denn dann müsste ja ein wenig offen sein, wie es ausgeht - doch einen Held wie Batman erwartet im Kino keine tödliche Bedrohung. Es ist auch nicht wirklich eine Comic-Verfilmung und hat in der Inszenierung eigentlich nichts Comichaftes mehr. Alles wirkt hier ganz realistisch, nichts mehr spielerisch und witzig. Wieder ist bei Nolan also das am Interessantesten, was er weglässt.

Die Grundhaltung ist rechts

"The Dark Knight" ist einfach ein Actionfilm. Zugleich leidet er auch an den Mängeln vieler zeitgenössischer (Action-)Filme: Sie verstehen nicht, was Größe bedeutet oder der Satz, Kino sei "bigger than life". Sie verwechseln überdimensionierte Inszenierungen mit starken Bildern, ersetzen Rhythmus durch Rasanz und gutes Storytelling durch Überladenheit. Es ist einfach unmöglich immer wiederzugeben, was gerade passiert, weil der Film selbst davon keine Vorstellung vermittelt

Es gibt zweifelsohne einige coole visuelle Einfälle. Fast alle wirken sie aus früheren Filmen geklaut: Wie der Banküberfall am Anfang aus "Heat". Und die Actionsequenzen sind in so viele kleine Einzelteile zerschnippelt und mit CGI-Effekten noch zusätzlich verunschärft, dass es unmöglich ist, zu sagen, wer was tut, wo einer steht, und von wo er sich wohin bewegt. "The Dark Knight" will alles sein, und darum ist er zu wenig. Es lässt keine poetische Aura entstehen. Am besten beschreibt man "The Dark Knight" als molekularen Film. Er verbindet viele Zutaten und lässt sie spektakulärer erscheinen, als sie sind.

Die Grundhaltung ist rechts: Das Böse übrigens ist multikulturell und fremd, Italiener, Jugos, Schwarze, Chinesen und "Freaks" wie Joker. Das Gute weiß und kantig. Und wer stirbt? Schwarze und Frauen. Die Moral des Films erläutert in der Regel der Butler Alfred, ein Erbe des kolonialen British Empire:

Alfred: When I was in Burma, a long time ago, my friends and I were working for the local Government. They were trying to buy the loyalty of tribal leaders, bribing them with precious stones. But their caravans were being raided in a forest north of Rangoon by a bandit. We were asked to take care of the problem, so we started looking for the stones. But after six months, we couldn't find anyone who had traded with him. One day I found a child playing with a ruby as big as a tangerine. The bandit had been throwing the stones away.
Bruce Wayne: Then why steal them?
Alfred: Because he thought it was good sport. Because some men aren't looking for anything logical, like money. They can't be bought, bullied, reasoned or negotiated with. Some men just want to watch the world burn.

Soll man das nicht als Kommentar zu den Dilemmata Amerikas verstehen? Zumal es später noch weitergeht:

Bruce Wayne: People are dying, Alfred. What would you have me do?
Alfred: Endure, Master Wayne. Take it. They'll hate you for it. But that's the point of Batman, he can be the outcast. He can make the choice that no one else can make, the right choice.
Bruce Wayne: That man in Burma, did you ever catch him?
Alfred: Oh yes.
Bruce: How?
Alfred: We burned the forest.

Zur deutschen Synchronisation übrigens nur ein Beispiel: Im Original sagt Joker an durchaus zentraler Stelle: "I believe whatever doesn't kill you simply makes you... stranger." In der Übersetzung: "Alles, was einen nicht tötet, macht einen … lustiger."

In all dem Zynismus, Pessimismus und der rechtskonservativen Outsider-Rächer-Moral kann sich Nolan immerhin auf Frank Miller berufen, jenen legendären Comic-Zeichner, der inzwischen selbst Filmemacher wurde, und Batman ab 1986 in mehreren Comic-Bänden neu interpretierte: als dunkleren, auch irrenden Ordnungshüter. Auch Tim Burton hatte das 1989 getan, als er Batman fürs Kino entdeckte. Und auch wenn Nolan nicht müde wird, seine Bewunderung für Burton zu betonen, ist sein Film doch ein einziger Gegenentwurf zu dessen erstem Film - und das wird noch dadurch betont, dass Batman es hier mit dem gleichen Gegenspieler zu tun hat: Joker.

Ein Vertreter der Spaßgesellschaft

Joker ist wiederum ein absoluter Gegenentwurf in dieser ernsten Welt von Korruption, Verbrechen und dem Kampf einer überforderten Polizei, die auf die Hilfe Batmans angewiesen ist, um nicht zu unterliegen - der Vertreter der Spaßgesellschaft. Spaß um jeden Preis, ein bis zur Karikatur ins Extrem getriebener Hedonismus ist sein Lebenselixier - eine Kunstfigur, der keine Vergangenheit und damit keine charakterliche Grundierung zugestanden wird, die einfach ist, wie sie ist: "Ich bin kein Pläneschmieder." sagt er von sich selbst "Ich versuche zu zeigen, dass Pläneschmieder scheitern. Ich bin das Chaos." Joker ist der Anti-Bürger, der das falsche bürgerliche Leben der Lächerlichkeit und der Absurdität preisgibt.

Gibt es ein richtiges Leben im Falschen? fragt Nolans Film, und auf die Seite Batmans und der Guten schlägt er sich nur uneindeutig - dafür stellt der Film Joker und seine Späße zu sehr ins Zentrum und Batman an den Rand. Partei nimmt er allerdings für die "Schluß mit lustig"-Moral, für das positive Menschenbild, das "an den Menschen glaubt" und an seine Fähigkeit, Gutes zu tun. Man denke nur an das Verhalten der Menschen auf den beiden Booten, als Joker mit ihnen "ein soziales Experiment" durchführt. So ist der Film schon ein Indiz für den eigenartig aggressiven Ton, der sich in jüngster Zeit gegen jede Form von Ironie und Hedonismus richtet, und die Öffentlichkeit im Sturm erobert. Joker und Batman kämpfen auch um die kulturelle Hegemonie in der Gesellschaft.

Charles Manson läßt grüßen: Ledger vs. Nicholson

Alle reden nun von Heath Ledger und seinem Auftritt in der Joker-Rolle, seinem vorletzten vor seinem Tod (er starb während des Drehs zu Terry Gilliams Film "Doktor Parnassus"). Es ist müßig zu fragen, ob der Hype um Ledger auch ohne dessen Drogen-Tod im Januar ähnlich groß gewesen wäre, aber es ist ein absurder Effekt, wie es jetzt geschieht, Ledgers Leben und seinen Tod in schlichten Kurzschlüssen zu verbinden. "Man kann sich seine unruhige, verwirrte Verfassung zur Zeit seines Todes ausmalen er hatte sich noch nicht richtig von The Dark Knight erholt, der im Sommer 2007 in Chicago gedreht wurde. Die Rolle wirkt, als trüge sie schon den Selbstmord in sich. Ledger spielte den Joker radikal, mit einer schockierenden Dosis von Zerstörung und Selbstzerstörung. Irgendwie ist es nicht verwunderlich, dass er den Joker nicht überlebt hat.", so raunte Jerome Charyn letzte Woche in der "Zeit". Aber Ledger ist nicht an dieser Rolle gestorben.

Über die Toten nur Gutes - aber auch Gerechtigkeit mit den Lebenden. Und darum muss man sagen, dass Ledgers Auftritt zwar eindrucksvoll und intensiv ist, aber an den Jack Nicholsons in "Batman" (1989) doch nicht heranreicht. Hat dieser Joker Charisma? Und hat er One-Liner, die mithalten können mit denen Nicholsons? "Why so serious?" jedenfalls reicht da nicht. Es ist trotzdem ein fulminanter Auftritt mit Referenzen an Malcolm McDowell aus "A Clockwork Orange", an Jack Lemmon in "Some Like it Hot", und vor allem Charles Manson. Letztlich aber ist beides so schwer vergleichbar, wie die dreckig verschwitzte, dauernd zerlaufende Clowns-Schminke Ledgers mit Nicholsons perfekter, aber auch erstarrter Maske. Es stoßen hier zwei Schauspieltypen wie zwei Filmauffassungen aufeinander.

"Ein stummer Wächter. Also jagen sie ihn. Weil er es ertragen kann."

Burtons Filme waren fast aus dem Stand Klassiker der Moderne. Nolans "The Dark Knight" wird dies trotz allen derzeitigen Hypes nicht werden. Dafür ist er in all seinen Qualitäten zu konventionell, auch zu unironisch und humorlos. Und viel zu pathetisch. Wie die letzten Sätze aus dem Off: "Ein stummer Wächter. Also jagen sie ihn. Weil er es ertragen kann."

Es dominiert der Eindruck, dass Nolan, eines der großen Regie-Talente seiner Generation, mit Figuren und Geschichte noch weit mehr hätte machen können (und müssen). In einem Film, der sehr gut anfängt und dann zu lang ist, und wieder einmal mindestens drei Enden hat, wird Batman, der große Amoralist unter den Comic-Figuren, zum Moralprediger. So ist "The Dark Knight" am Ende der Versuch, einen Batman-Film zu machen und doch keinen zu machen. Daher ist dies alles in allem vielleicht einer der besten Filme des Jahres, aber zugleich auch seine bisher größte Enttäuschung.