Der "Plattmacher"

Wie ein Siemens-Anwalt einen Hobbyhistoriker mundtot machen wollte

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Heinrich von Pierer hat derzeit eine Menge juristischen Ärger am Hals. 2007 trat er im Zuge der der Schmiergeldaffäre "freiwillig" als Siemens-Aufsichtsratschef zurück. Dann wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft München gegen den ehemals ersten Softwarepatentbefürworter der Nation ermittelt. Mittlerweile prüft der Konzern Schadensersatzansprüche gegen seinen Ex-Chef.

Nun berichtete die Welt am Sonntag, dass der Freizeithistoriker Helmut Kühn vor mehr als acht Jahren eine interessante Entdeckung machte: Durch Recherchen in mehreren Archiven glaubte er herausgefunden zu haben, dass Heinrich von Pierer seinen Namen zu Unrecht trägt.

Danach kam der Großvater des ehemaligen Siemens-Chefs, Eduard Pierer, aus Österreich, wo es Offizieren zur Zeit der k. u. k. Monarchie möglich war, sich nach 30- oder 40-jähriger "bei Wohlverhalten zurückgelegter" Dienstzeit einen Adelstitel zu kaufen. Genau das soll auch der Feldmarschallleutnant Pierer im Oktober 1900 für 280 Kronen gemacht haben. Doch aus Eduard Pierer wurde nicht, wie man anhand des vom Ex-Siemens-Chef verwendeten Namens annehmen möchte, "Eduard von Pierer", sondern - unter Verwendung des Mädchennamens seiner Ehefrau - "Eduard Pierer von Esch".

Am 3. April 1919, nach dem verlorenen Krieg und dem Ende der Monarchie, schaffte Österreich anders als das Deutsche Reich die Adelsprivilegien und damit auch die -titel komplett ab. In diesem Zusammenhang soll sich auch der Nachname der Pierer-Familie wieder geändert haben. Erst als Leo Pierer, der Sohn Eduards, 1937 nach Deutschland auswanderte, stellte er dort bei der Einbürgerung einen Antrag, den Namen "Pierer von Esch" führen zu dürfen, was dem ehemaligen Freikorps-Kombattanten auch genehmigt wurde.

Prof. Dr. Heinrich Pierer von Esch? So nennt ihn zumindest die Münchner Staatsanwaltschaft in ihren offiziellen Schriftstücken. Bild: Erlanger Technikgespräche

Sein Sohn Heinrich nannte sich bei Siemens aus ungeklärten Gründen aber nicht "Heinrich Pierer von Esch", sondern "Heinrich von Pierer". Wozu die Welt am Sonntag einen anderen Titelträger mit den Worten zitiert: "Das 'von' innerhalb des Namens zu verschieben und mit einem anderen Nachnamen zu verbinden, so etwas tut man in unseren Kreisen eigentlich nicht."

So weit, so unspektakulär. Wäre da nicht ein Siemens-Justiziar, der Kühn, als er von dessen Recherchen erfuhr, zusammen mit einem namhaften Rechtsanwalt und einem Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung so unter Druck setzte, dass dieser eine Unterlassungserklärung unterzeichnete. Dabei soll der Justiziar der Aussage von Kühns Rechtsanwalt zufolge mit den "mannigfaltigen" Möglichkeiten seines Konzerns und "Unannehmlichkeiten" wie dem Verlust der Zulassung als Rechtsanwalt gedroht haben, wenn der nicht auf seinen Mandanten einwirke, seine Recherchen sein zu lassen.

Der Anwalt Kühns hatte damals einige gute Gründe, sich einer solchen Drohung wohl oder übel zu fügen: Pierer war nicht nur Chef eines ausgesprochen finanzkräftigen Konzerns mit einem damals relativ guten Leumund, sondern stand auch in ausgesprochen engem Kontakt zur Regierung Schröder. Dem entsprechend wog der Vertreter des Hobbyhistorikers, wie er es als Jurist gelernt hatte, sorgfältig ab und entschied sich dann, sein Mandat niederzulegen - worauf hin Kühn am 2. Dezember 2000 eine Erklärung unterzeichnete, in der er sich verpflichtete, nicht mehr "Dritten gegenüber die Behauptung auf[zu]stellen, die Mitglieder der Familie Pierer von Esch führen zu Unrecht diesen Namen".

Später ergriff der Hobbyhistoriker die Gelegenheit beim Schopf und stellte nach dem Motto "Der billigste Anwalt ist der Staatsanwalt" Strafanzeige wegen Nötigung, worauf hin tatsächlich ein Verfahren gegen den Anwalt, der ihn zum Unterschreiben der Unterlassungserklärung gebracht hatte, eingeleitet und im Juni letzten Jahres (als Pierer Jahre deutlich an Macht verloren hatte) gegen Zahlung von 20.000 Euro für einen gemeinnützigen Zweck eingestellt wurde. Der Siemens-Anwalt ließ dazu erklären, dass Einstellung und Zahlung "ohne abschließende Klärung der Fakten" ergangen seien weshalb sie keinen "Sanktionscharakter" hätten und er deshalb "zwingend als unschuldig zu bezeichnen" sei.