Nur nicht nachhaken

Datenschutz, Vergewaltigungen und der "Report München"

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„Datenschutz kontra Opferschutz – gesperrte Handydaten, hilflose Ermittler“ So plakativ wie der Titel eines Beitrages im Report München vom 25. August war auch die Sendung an sich. Am Beispiel eines immerhin öffentlich-rechtlichen Sendeformates zeigt sich, wie gerade durch Auslassungen beziehungsweise selektive Auswahl von Informationen ein Meinungsbild transportiert wird, das offenbar den Zuschauer beeinflussen soll und wahrscheinlich auch wird.

Die Sache mit der Vergewaltigung

Der Bericht beginnt mit der Schilderung eines Vergewaltigungsfalles. Hier entriss der Täter dem Opfer das Mobiltelefon, als die Frau damit Hilfe rufen wollte. Über die Handydaten, wie es im Bericht vereinfacht heißt, konnte der Täter ermittelt werden.

Sowohl die nachfolgende Kommentierung als auch der O-Ton des Herrn Hanschmann von der Kriminalpolizei Nürnberg lassen bereits erkennen, welchen Weg der Bericht gehen wird. Sie sind Beispiele dafür, wie nicht nur die Polizei die Sachlichkeit beim Thema vermissen lässt, sondern wie sich auch der Kommentar der Reporter eindeutig positioniert:

So fürchterlich die Tat für das Opfer ist: Nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 11. März 2008 hätte die Nürnberger Kripo kaum eine Chance gehabt, den Vergewaltiger mithilfe gespeicherter Handydaten zu fassen.

Der letzte Halbsatz ist der wichtigste Teil dieses Kommentars. Wer sich jedoch einmal mit „datenschutzrechtlich unbedarften“ Leuten über diese Sendung unterhält, der versteht, dass beim Zuschauer der Eindruck entsteht, dass nun Vergewaltigungsopfer alleingelassen werden, weil prinzipiell die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Ermittlungstätigkeit erschwert (da Handydaten hier immer eine Rolle spielen).

Noch deutlicher wird diese Suggestion im O-Ton des Herrn Hanschmann:

Wenn das Handy nicht geraubt worden wäre, wäre nur in Anführungszeichen ein Verbrechen der Vergewaltigung vorgelegen und eine Ermittlung des Täters wäre vermutlich nicht möglich gewesen.

Hier werden zwei Dinge vermischt, für den Zuschauer ergibt sich erneut das Bild: Das Bundesverfassungsgericht lässt Vergewaltigungsopfer im Stich.

Im vorliegenden Falle kann man davon sprechen, dass es den Ermittlern durch den Handydiebstahl sogar einfach gemacht wurde, den Vergewaltiger zu ermitteln, weil dieser das Handy weiter bei sich führte und nutzte. Ein etwas cleverer Täter hätte das Handy lediglich zerstört, womit sämtliche Möglichkeiten der Handyortung dann ins Leere laufen würden. Hier entstand also lediglich durch das Verhalten des Täters in Bezug auf den Handydiebstahl überhaupt eine Notwendigkeit für Verbindungsdaten.

Vorratsdatenspeicherung statt Differenzierung im Strafrecht

In diesem konkreten Fall konnten die Handydaten zum Täter führen. Aber: Man konnte lediglich hoffen, dass der Täter das entwendete Handy weiterhin bei sich hat und gegebenenfalls sogar nutzt. In den wenigstens Fällen von Vergewaltigung spielen Handydaten überhaupt eine Rolle. Laut Rechtsanwalt Udo Vetter vom Lawblog sind bei Straftaten wie Vergewaltigung "die Täterspuren am Tatort das Wichtigste für die Ermittlung. Hautabschürfungen, DNS-Spuren usw. Damit beginnt die eigentliche Ermittlung."

Die Aussage des Herrn Hanschmann suggeriert also einen stets vorhandenen Zusammenhang zwischen Vergewaltigungen und Verbindungsdaten, der nicht besteht. Er lässt auch außer Acht, dass eine Vielzahl von Vergewaltigungen aufgeklärt wird, ohne dass jemals auf irgendwelche Telekommunikationsdaten Zugriff genommen wird. Die Kripo muss im vorliegenden Fall Täterspuren sichten wie bei jedem anderen Fall (und auf althergebrachte Weise ermitteln). Ob der Täter auch ohne den Zugriff auf die Handydaten hätte gefunden werden können oder nicht ist insofern pure Spekulation. Insbesondere, da der Zuschauer nichts über die weitere Ermittlung erfährt. Gab es Spuren, die sowieso auf den Täter hinwiesen? Dies wird im Bericht nicht erwähnt, ein Nachhaken der Journalisten erfolgt nicht.

Auch die Frage, ob die Verbindungsdaten nicht auch ohne Vorratsdatenspeicherung vorgelegen hätten, bleibt unbeantwortet. Handy-Flatrates sind bislang nicht sehr verbreitet. Das heißt, dass die Verbindungsdaten schon alleine aus Abrechnungszwecken hätten vorliegen können. War dies ein solcher Fall? Das wird im Bericht nicht erwähnt - ein Nachhaken der Journalisten erfolgt nicht.

Die Berichterstattung stützt sich lediglich auf den Punkt, dass durch die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und den §108 StPO Vergewaltigung nicht unter die Katalogstraftaten fällt, bei denen eine „Telekommunikation ohne Wissen des Betroffenen überwacht und aufgezeichnet werden darf“ - sofern es keine Vergewaltigung ist, die von mehreren Personen begangen wird. Ein berechtigter Kritikpunkt. Weil die Fokussierung auf die Telekommunikationsdaten erfolgt, wird dieser Mangel in der Gesetzgebung nicht behandelt. Es wäre hier interessant gewesen, einmal beim Bundesministerium des Justiz und anderen politischen Stellen anzufragen, wieso lediglich die „Gruppenvergewaltigung“ Eingang in §100a StPO fand, nicht jedoch die Vergewaltigung durch einen Täter. Im Bericht fand dies jedoch nicht thematisiert.

Mit der Behauptung, dass die VDS-Daten jetzt nur noch bei einigen wenigen Straftaten genutzt werden dürfen, bleibt "Report München" ausgesprochen vage. Wer den betreffenden §100a Abs. 2 STPO studiert, der findet um die 70 Anwendungsfälle – was man wohl kaum unter „einige wenige Straftaten“ zusammenfassen kann. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Gesetzesteil findet im Bericht nicht statt, detaillierte Kritikpunkte gibt es nicht.

Massive Einschränkung der polizeilichen Möglichkeiten

In dieser und ähnlicher Manier fährt der Bericht fort. Münchens Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer spricht von massiven Einschränkungen der polizeilichen Möglichkeiten bei der Ermittlungstätigkeit. Dies ginge von Trickbetrug über Körperverletzung mit Todesfolge bis hin zur Vergewaltigung. Wozu Schmidbauer nicht gefragt wird, das ist seine Erfahrung mit der Verwendung von Verbindungsdaten für Abmahn-Strafanzeigen der Musikindustrie. Möglicherweise erfolgte solch eine Frage deshalb nicht, weil sich Schmidbauer bereits im letzten Jahr auf einer Veranstaltung des Grünen-Abgeordneten Jerzy Montag über den "halben Missbrauch" der Sicherheitsbehörden durch die Medienindustrie beschwert und dessen negative Folgen beklagt hatte.

Beate Merz, Justizministerin Bayerns, schließt sich im Bericht der Logik „Opferschutz über alles“ an. „Und wenn gesagt wird, man soll bestimmte Vorratsdaten nicht nutzen dürfen, dann muss man sich fragen lassen, wo man in der Abwägung Schwerpunkte setzt. Darauf, den Menschen Schutz zu bieten und ihnen zu helfen oder aber, ob es um Befindlichkeiten, die Freiheitsrechte auch der Straftäter geht.“ Das Zitat suggeriert, dass es nur eine Ja/Nein-Entscheidung zwischen Opfer- und Täterschutz gibt und reduziert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf ein: „Das Bundesverfassungsgericht hat hier die Befindlichkeiten der Straftäter über den Opferschutz gestellt.“ Weiteres Nachhaken etwa zu opferlosen Delikten oder einer stärkeren Differenzierung zwischen verschiedenen Straftätern? Fehlanzeige.

Der Rest des Berichts, der sich des Themas Trickbetrug annimmt, wirft weitere Fragen auf. Wurde der Trickbetrüger im Bericht durch Verbindungs- oder Bestandsdaten gefasst? Waren diese Daten nicht mehr vorhanden, weil das Bundesverfassungsgericht seine Eilentscheidung traf? Und wieso sollte die Ermittlungstätigkeit bei Betrug nun behindert sein – angesichts der Tatsache, dass dieses Delikt im Sinne des §263 StGB durchaus zu den in §100a StPO aufgezählten Katalogstraftaten zählt? Fragen, die im Bericht nicht beantwortet werden.

Das Stochern im Nebel

Entlarvend und zugleich auch alarmierend ist die Aussage, mit der Gerhard Frese von der Polizei München in der Sendung zu Wort kommt:

Wir werten die Datei dahingehend aus, ob eine oder mehrere Telefonnummern an einem oder mehreren Tatorten vorgekommen sind […]. Hier markiert der Stadtplan drei Tatorte, jeder in einem anderen Funkzellengebiet. Und tatsächlich: der Computer spuckt eine Handynummer aus, die an allen Orten benutzt worden war. Auch hier konnte der Täter gefasst werden. Seit der Karlsruher Eilentscheidung ist das so weder beim Betrug möglich noch bei massiven Stalkingfällen oder Bombendrohungen.

So der Kommentar des Journalisten. Und hier zeigt sich dann endgültig die Stoßrichtung des Berichtes, wie auch die Denkweise der Verantwortlichen: Für die bloße Möglichkeit, einen "Straftäter" zu erwischen, soll alles möglich sein – egal, ob es sich um Gewaltverbrechen oder Kavaliersdelikte handelt. Die Datenhalden sollen offenstehen, egal worum es geht, denn wenn „nur ein Straftäter gefasst werden kann...“, dann ist dies ja gerechtfertigt. Nur weil es möglich sein könnte, dass jemand mit einem Handy in der Nähe des Tatortes war, soll er als Verdächtiger in die Ermittlungen geraten – schließlich hat ja heutzutage jeder ein Handy bei sich.

Das „Stochern im Nebel“ der Datenhalden, um hoffentlich etwas zu finden, wird somit auf Grund der technischen Möglichkeiten zur unabdingbaren Ermittlungsnotwendigkeit erhoben. Die Verhältnismäßigkeit, die nicht zuletzt gerade beim staatlichen Handeln einen Pfeiler der Rechtsstaatlichkeit ausmacht (und die zum Beispiel die Erforderlichkeit und die Anwendung des mildesten Mittels voraussetzt) - sie fand im Bericht keinen Platz. Im Karlsruher Urteil schon. Dort steht nämlich nicht nur, welche Katalogstraftaten eine Nutzung der VDS-Daten ermöglichen. Dort steht aber auch, an welche sonstigen Bedingungen die Nutzung geknüpft ist:

Aufgrund eines Abrufersuchens einer Strafverfolgungsbehörde hat der Anbieter von Telekommunikationsdiensten die verlangten Daten zwar zu erheben und zu speichern. Sie sind jedoch nur dann an die Strafverfolgungsbehörde zu übermitteln, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100a Abs. 1 StPO). In den übrigen Fällen ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen.

Womit wir nicht nur bei der Frage sind, inwiefern die Vergewaltigung auch ohne Handydaten aufgeklärt werden hätte können, sondern auch bei der Frage, welche Denkweise diesem Bericht des „Report München“ zu Grunde liegt. Und was er durch seine vielen Auslassungen beim Zuschauer bewirken soll. Und warum dieser Bericht eigentlich noch als „sachliche und wahrheitsgetreue Berichterstattung“, der sich die ARD verpflichtet fühlt, angesehen werden soll.