Tod am Checkpoint

Deutsche Soldaten haben in Afghanistan eine Frau und zwei Kinder erschossen. Bekannt wurde der Fall durch ein Weblog

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Seit Beginn der Besatzung Afghanistans sind wiederholt Zivilisten ins Visier der NATO-Truppen geraten. Nun wurden nach offiziellen Angaben erstmals deutsche Soldaten in einen Zwischenfall mit tödlichem Ausgang verwickelt. In der nördlichen Provinz Kundus haben Bundeswehrangehörige an einem Kontrollposten das Feuer auf zwei zivile Fahrzeuge eröffnet. Nach bisherigen Angaben sind dabei eine Frau und zwei Kinder getötet worden. Vor einer Woche erst waren im Westen des Landes bei einem US-Bombenangriff auf ein Dorf bis zu 100 Zivilisten umgekommen, darunter 50 Kinder. Nach den tödlichen Schüssen in Kundus droht die Stimmung nun auch im bislang ruhigen Norden zu kippen.

Nach Angaben der Bundeswehr-Führung hatten sich die beiden Fahrzeuge einem Checkpoint genähert, der von der Afghanischen Nationalarmee (ANA) und der Bundeswehr errichtet worden war, nachdem es Hinweise auf einen Drogentransport gegeben haben soll.

Auf Warnzeichen hin hätten die Fahrzeuge zunächst angehalten. Als eines der Autos wieder anfuhr, hätten sowohl ANA-Soldaten als auch Bundeswehrkräfte zunächst Warnschüsse abgegeben. Dann eröffneten die deutschen Soldaten von einem Dingo aus das Feuer.

Diese leicht gepanzerten Fahrzeuge sind gewöhnlich mit einem MG3 im Kaliber 7,62 × 51 mm ausgerüstet. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden bei dem Beschuss des Zivilfahrzeugs eine Frau und zwei Kinder sofort getötet, zwei weitere Kinder wurden verletzt.

In Berlin war zunächst nichts von dem tödlichen Unglück zu erfahren. Nach Angaben der deutschen Nachrichtenagentur dpa wurden die Schüsse am Donnerstag zuerst auf dem Weblog "soldatenglueck.de" vermeldet. Am Freitagabend dann bestätigte die Bundeswehrführung den Zwischenfall.

Dann erst meldete sich auch der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Thomas Raabe, zu Wort. Er begründete die Schüsse mit der angespannten Lage im Norden Afghanistans. Eineinhalb Tage vor den Todesschüssen am Checkpoint war ein deutscher Hauptfeldwebel von einer Sprengfalle getötet und mehrere seiner Kameraden verletzt worden.

Bedenken am Einsatz in Deutschland nehmen zu

In dem Maße, wie deutsche Soldaten in die Eskalation des Krieges in Afghanistan verwickelt werden, geht der in Berlin formulierte politische Anspruch verloren. "Friedliche Entwicklung und Stabilität" solle der deutsche Einsatz Afghanistan bringen, hatte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung in den vergangenen Monaten immer wieder erklärt. Deswegen will der Christdemokrat im Herbst das laufende Mandat der "Afghanistan-Schutztruppe" (ISAF) verlängern und die deutsche Beteiligung von maximal 3500 auf 4500 Mann aufstocken.

Doch im Bundestag mehren sich die kritischen Töne. Der Linkspartei-Abgeordnete Paul Schäfer erklärte am Freitag, die Bundesregierung "verstrickt die Bundeswehr immer tiefer in einen Krieg, bei dem völkerrechtswidrig immer mehr Zivilisten getötet werden". Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, kritisiert in der heutigen Samstagsausgabe der Frankfurter Rundschau, eine "extreme Zuspitzung" der Lage am Hindukusch. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans Christian Ströbele, fordert ebenfalls in der heutigen Ausgabe der Berliner Zeitung einen sofortigen Stopp der offensiven Kriegsführung mit deutscher Beteiligung.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sieht den Ausweg indes in der Reduzierung des militärischen Engagements zugunsten einer stärkeren Polizeiausbildung. Ein Vorstoß, der von dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei für den Bereich Bundespolizei, Josef Scheuring, umgehend zurückgewiesen wurde.

Deutlich wird durch diese Debatten, dass die Konzepte zwar unterschiedlich sind. Die Bedenken vor einer Verwicklung deutscher Kräfte in den eskalierenden Krieg zwischen den NATO-Besatzungstruppen und Rebellen in Afghanistan aber nehmen in allen politischen Lagern zu.

Tödliche Zwischenfälle und Protest in Afghanistan

In Afghanistan wächst indes der Unmut über die NATO-Truppen. Angesichts immer neuer ziviler Todesopfer übt inzwischen selbst der pro-westliche Präsident Hamid Karsai scharfe Kritik an der Besatzungsmacht. Den Tod seiner "unschuldigen Landleute" verurteilte er scharf, um eine Neuregelung der Verantwortlichkeiten zu fordern (siehe dazu Afghanistan: Sicherheit durch Massaker an Zivilisten?).

Die harschen Töne aus Kabul erstaunen nicht, denn Karsai, dessen Schicksal eng an die ausländischen Kräfte gebunden ist, hat kaum mehr Unterstützung im eigenen Land. In Anbetracht seiner politischen Schwäche wird in Washingtoner Kreisen inzwischen sogar schon eine Übernahme der Macht in Kabul durch den afghanischstämmigen US-Diplomaten Zalmay Khalilzad diskutiert.

Dabei geht die politische Instabilität in Afghanistan direkt auf das Scheitern der US- und NATO-Politik zurück. Neben der zunehmenden wirtschaftlichen Misere der afghanischen Bevölkerung ist es zuletzt zu mehreren Zwischenfällen mit zivilen Todesopfern gekommen.

Als afghanische Truppen am Freitag vergangener Woche im Einsatz Unterstützung anforderten, bombardierten US-Kampfflugzeuge das Dorf Azizabad (siehe Afghanistan: 30 tote Taliban oder über 70 tote Zivilisten?). Bis zu 100 Menschen wurden getötet. Schon nach diesem Zwischenfall sah sich Karsai gezwungen, zwei Generäle zu entlassen.

Deutsche Beteiligung

Unklar ist, inwieweit deutsche Soldaten Zwischenfälle mit zivilen Todesopfern verstrickt sind. Die deutsche Luftwaffe unterstützt die NATO-Besatzungstruppen in Afghanistan mit RECCE-Tornados, die aufklären und Ziele für Luftangriffe anderer NATO-Kräfte identifizieren sollen.

Strittig ist auch, dass es sich bei den Todesschüsse von Kundus um den ersten entsprechenden Zwischenfall handelt, wie es in Berlin heißt. Afghanische Behörden warfen der Bundeswehr in der vergangenen Woche bereits vor, einen unbeteiligten Schäfer erschossen zu haben. Nach Angaben des Polizeichefs der Provinz Badakhshân im äußersten Nordosten des Landes hatte der Mann die schnell fahrenden Bundeswehr-Fahrzeuge mit Handzeichen darauf aufmerksam machen wollen, dass sich ein Teil seiner Herde auf der Straße befindet. In Berlin hieß es hingehen, die Soldaten hätten auf einen Angriff reagiert. Aufgeklärt wurde der Fall bislang nicht.