Strafverfolgung über Ländergrenzen

Das EU-Parlament fordert "angemessene Verfahrensgarantien" als Grundlage für die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen

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Das Europäische Parlament hat am Dienstag einen Bericht von Armando Franca (SPE) zum "Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Anerkennung von Urteilen in Strafsachen" angenommen. Dieser Beschluss regelt, dass "im Grundsatz jeder Mitgliedsstaat das Ergebnis einer justiziellen Entscheidung eines anderen Mitgliedsstaates anerkennt und vollstreckt, ohne die Entscheidung inhaltlich selbst zu überprüfen". Das Parlament forderte allerdings, dass "angemessene Verfahrensgarantien" eine notwendige Voraussetzung für die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen sein müssten.

Der Europäische Rat ist am 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere zu einer Sondertagung über die Schaffung eines "Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" in der Europäischen Union zusammengetreten. In der abschließenden Erklärung hieß es, dass die gegenseitige Anerkennung Eckpfeiler der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in zivilrechtlichen als auch in Strafsachen werden soll. Konkret bedeutet dies, dass ein Urteil, sobald es durch eine Justizbehörde eines Mitgliedstaates ergangen ist, in anderen Mitgliedstaaten anerkannt und so schnell wie möglich und mit so wenig Kontrolle wie möglich vollstreckt werden soll, als handele es sich um ein nationales Urteil.

Auf der Grundlage dieses Grundsatzes hat die EU ein Maßnahmenprogramm verabschiedet, das zur Verabschiedung spezieller Texte geführt hat, wie etwa dem Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten oder dem Rahmenbeschluss vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union.

Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erklärte beim Seminar "Verfahrensrechte in Strafverfahren. Standards in der EU" des Bundesjustizministeriums am 20. Februar 2007 in Berlin die Zustimmung der Bundesregierung:

"Voraussetzung für diese gegenseitige Anerkennung ist das wechselseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die nationalen Rechtsordnungen. Und dieses Vertrauen wird dadurch gestärkt, dass für die Entscheidungen, die anerkannt werden sollen, im Wesentlichen die gleichen Verfahrensgarantien gelten, dass sie also unter Beachtung von gemeinsam definierten und allseits beachteten Bürgerrechten zustande kommen."

In dem am Dienstag verabschiedeten parlamentarischen Bericht fordern die Abgeordneten einige Ergänzungen, die im Falle der Wiederaufnahme eines Verfahrens greifen sollen: Die betreffende Person muss das Recht auf Teilnahme am Wiederaufnahmeverfahren haben, der "entscheidungserhebliche Sachverhalt" - einschließlich neuer Beweismittel - wird erneut geprüft, und das Verfahren muss dazu führen können, dass die ursprüngliche Entscheidung aufgehoben wird.

Schließlich soll der Angeklagte in einer ihm verständlichen Sprache über seine Rechte oder den Termin und den Ort der Verhandlung informiert werden müssen. Auch soll gewährleistet werden, dass die Rechtshilfe "praktisch und effektiv" sind. In diesem Zusammenhang dürfe es keine Rolle spielen, ob der Rechtsbeistand von der betreffenden Person gewählt, bestellt und vergütet wurde.

Um die "grenzüberschreitende" Vollstreckung durch die "Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung" auch im Falle eines in einem EU-Mitgliedsstaates gefällten Abwesenheitsurteils auszuweiten hatten sieben Mitgliedstaaten – darunter Deutschland - im Januar 2008 einen Vorschlag ausgearbeitet, der einheitliche die Durchsetzung jener juristischen Entscheidungen in einem Mitgliedsstaat regeln soll, die in Abwesenheit des Betroffenen ergangen sind. Zudem werden die Verweigerungsgründe im neu eingefügten Artikel 4 a des überarbeiteten Rahmenbeschluss so eng gefasst, dass künftig jeder EU-Bürger gezwungen sein könnte, zu kostenaufwändigen Prozessen ins Ausland anzureisen weil beispielsweise eine Karikatur oder eine im Internet getätigte Äußerung gegen den griechischen Blasphemieparagraphen verstößt. Kann er sich das nicht leisten, dann hat er möglicherweise Pech gehabt.