Wii Sprache Technik verkleidet

Philosophische Gedanken über die Sensorleiste der Wii-Konsole

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Von Ludwig Wittgenstein stammt der Satz, dass die Philosophie ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache sei (vgl. Philosophische Untersuchungen, §139). In diesem Sinne sind die folgenden Überlegungen durchaus philosophisch zu nennen, denn es soll anhand eines Beispiels aus dem technischen Alltag gezeigt werden, wie unser gesunder Menschenverstand sprachlich höchst effektiv verhext werden kann. Die Rede geht – wohl etwas überraschend – von der Steuerung der Wii-Konsole.

I. Immersive Steuerung

Wenn man nach dem Erfolgsrezept der Wii-Konsole fragt, ist die Antwort zumeist eindeutig. Die ungewöhnliche Form der Interaktion zwischen Mensch und Maschine übt auf viele Nutzer eine große Faszination aus, weil der Steuerung der Spielfiguren in sehr konsequenter Weise eine neue Qualität verliehen wird. Bislang war es die Regel, dass die steuernden Bewegungen des Menschen den resultierenden Bewegungen der Computerspielfigur gar nicht bzw. nur wenig ähnelten. Um ein etwas antiquiertes Beispiel zu nehmen: Das wilde Rütteln am Joystick eines C64, an das sich die „Decathlon“-Fans von einst noch erinnern, hat mit den Laufbewegungen der virtuellen Zehnkämpfer auf dem Bildschirm nicht viel gemeinsam. Wir sind es gewohnt, einen Tennisspieler oder einen Golfer in einem Computerspiel durch das Drücken von Tasten und das Hin- und Herbewegen eines Controllers zu steuern und damit etwas zu tun, was nicht einmal annähernd so aussieht, als ob wir Tennis oder Golf spielen.

Wii-Konsole. Bild: Nintendo

Im Gegenteil: Ob jemand einen virtuellen Tennisspieler oder einen virtuellen Golfer steuert, lässt sich nur durch die Beobachtung des menschlichen Spielers gewöhnlich gar nicht unterscheiden. Das Steuerungskonzept der Wii setzt nun konsequent darauf, diese „Entfremdung“ der realen und virtuellen Bewegungen aufzuheben. Plötzlich kann man durch Bewegungen, die so aussehen, als ob man Tennis oder Golf spielt, einen virtuellen Tennis- oder Golfspieler auf dem Bildschirm in Bewegung setzen. Man muss lediglich die Wii-Fernbedienung wie einen Tennis- oder Golfschläger hin und her schwingen.

Durch Computerspiele wird bekanntlich – wie z.B. auch durch literarische Texte – das Eintauchen in fiktive Welten ermöglicht. Man spricht von Immersion, wenn Spieler oder Leser vergessen, dass sie sich im heimischen Wohnzimmer befinden und sich stattdessen in einer fantastischen Zauberwelt oder in einem olympischen Sportstadion wähnen. Die Besonderheit der Wii besteht darin, dass die Steuerung selbst immersive Qualität bekommt, d.h. dass die Interaktion zwischen Mensch und Maschine das Eintauchen in virtuelle Welten befördert. Wie wichtig dieser Aspekt ist, lässt sich auch daran ablesen, dass selbst unübersehbare Schwächen im Bereich der Grafik (man denke an Wii-Sports!) durch das immersive Potenzial der Wii-Steuerung mehr als wettgemacht werden. Von der perfekten Illusion einer Virtual Reality sind die Wii-Spiele natürlich noch sehr weit entfernt, sie kommen diesem Ideal aber in jedem Fall näher als Spiele mit herkömmlichen Steuerungskonzepten. Überraschendes tritt nun zutage, wenn man sich etwas genauer ansieht, wie die Wii gesteuert wird und vor allem wie die Elemente der Wii-Steuerung benannt werden.

II. Sonderbare Sensor Bar

Informationen über die einzelnen Komponenten der Wii hält selbstverständlich die Bedienungsanleitung bereit. Hier stoßen wir zunächst auf die Wii-Fernbedienung (Wii Remote bzw. Wiimote) und die Wii-Sensorleiste (Wii Sensor Bar). Was sich hinter der Bezeichnung „Fernbedienung“ verbirgt, glauben wir aus unserem technischen Alltag zu wissen: Fernbedienungen senden Signale (z.B. per Infrarot) an einen Empfänger, der diese Signale entsprechend verarbeitet bzw. weiterleitet. Der Name „Sensorleiste“ legt die Vermutung nahe, dass hier die Sensoren zu finden sind, die die Signale von der Wii-Fernbedienung auffangen und dann per Kabel an die Wii-Konsole weiterleiten. Und wenn in der Bedienungsanleitung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass man vermeiden solle, dass „Objekte die Signalübertragung zwischen Wii-Fernbedienung, Sensorleiste und Wii-Konsole beeinträchtigen“, dann scheint hier noch einmal der Weg der Informationsübertragung bestätigt zu werden: Von der Fernbedienung zur Sensorleiste und von dort zur Konsole. Lassen wir uns also lediglich von den Namen „Fernbedienung“ und „Sensorleiste“ gedanklich leiten, entsteht sofort ein relativ plausibles Bild vom Funktionieren der Wii-Steuerung: Was soll eine Wii-Fernbedienung anderes tun, als Signale zu senden, und was soll eine Wii-Sensorbar anderes leisten, als diese Signale zu empfangen und an die Konsole weiterzuleiten?

Die Übertragung der Signale von der Sensorleiste zur Wii-Konsole ist in einigen Fällen jedoch problematisch: Wenn beispielsweise ein Beamer zum Einsatz kommt, kann es sein, dass die Wii-Konsole sehr weit von der Projektionsfläche entfernt steht und dass das Kabel zu kurz ist, um die Sensorleiste geeignet positionieren zu können. Abhilfe schafft in diesen Fällen eine Wireless Sensor Bar, die in verschiedenen Versionen auf dem Markt ist. Auch hier lädt die Bezeichnung „Wireless Sensor Bar“ zu Mutmaßungen über ihre Funktionsweise ein: Es scheint sich so zu verhalten, dass eine drahtlose Sensorleiste die Signale, die sie von der Fernbedienung erhält, eben nicht über ein Kabel, sondern per Funk an die Wii-Konsole übermittelt. So nennt beispielsweise die Firma „Mswsell“ ihre drahtlose Sensorleiste recht pleonastisch „Wireless Funk Sensor Bar Leiste“ und deutet damit schon im Namen an, dass hier – wahrscheinlich analog zum W-LAN – die relevanten Daten per Funk an die Wii-Konsole übertragen werden.

Wii-Zapper. Bild: Nintendo

Diese Vorstellungen vom Funktionieren der Wii-Steuerung mögen sehr plausibel sein. Sie sind aber vor allem eines: vollkommen falsch. Die Sensorbar empfängt kein einziges Signal von der Fernbedienung und sie leitet weder kabelgebunden noch drahtlos Signale an die Wii-Konsole weiter. Denn im Prinzip besteht die Sensorbar lediglich aus zwei Infrarot-Lichtquellen, die über ein Kabel mit Strom versorgt werden. Und in der Wii-Fernbedienung steckt eine Kamera, die die Infrarotsignale von der Sensorleiste empfängt. Die Fernbedienung überträgt dann diese Informationen via Bluetooth an die Wii-Konsole, so dass z.B. die Position der Wii-Remote relativ zum Bildschirm (bzw. zur Sensorleiste) bestimmt werden kann.

Das Verhältnis zwischen Fernbedienung und Sensorleiste, das man aufgrund der sprachlichen Bezeichnungen dieser Komponenten fast schon selbstverständlich erwartet, ist demnach in der technischen Realität genau umgekehrt: Die Sensorleiste empfängt keine Signale von der Fernbedienung, sondern die Fernbedienung registriert Signale, die die Sensorleiste ausstrahlt. Bei YouTube findet man zahlreiche Videos, die diese überraschende „Entdeckung“ dokumentieren, indem die Sensorbar z.B. komplett durch zwei Kerzen ersetzt wird, deren Infrarotstrahlung ebenfalls von der in der Fernbedienung implementierten Kamera „gesehen“ werden kann. Und Johnny Chung Lee demonstriert auf seiner Website höchst eindrucksvoll, wie man mithilfe der Wii-Remote als Kamera und einer Infrarot-Lichtquelle z.B. ein „low cost multi-point-interactive whiteboard“ basteln oder „head tracking for desktop VR displays“ realisieren kann.

Eine interessante Frage ist, warum sich Nintendo dazu entschlossen hat, zwei simple Infrarot-Lichtquellen als „Sensorbar“ zu bezeichnen. Wollte man unseren Verstand bewusst verhexen und die Wii-Steuerungstechnik sprachlich verkleiden? Oder fehlten den Technikern schlicht die passenden Begriffe? Aber muss man dann ein Gerät, das über keinen einzigen Sensor verfügt, ausgerechnet „Sensorleiste“ nennen? Außer Frage steht, dass Bezeichnungen wie „Sensorleiste“ und „Fernbedienung“ tatsächlich verschleiern, wie die Wii-Steuerung funktioniert, und dass viele Käufer die Sensorleiste für eine ausgefeilte Empfangseinrichtung halten. Und hier könnte der wahre Grund für die sonderbare Namensgebung liegen: Als Konsument ist man selbstredend bereit, für die komplexe Technik, die man im Innern einer „Sensorleiste“, einer „Wireless Sensor Bar“ oder gar einer „Wireless Funk Sensor Bar Leiste“ vermutet, deutlich mehr Geld zu bezahlen als für ein paar Infrarot-Lämpchen oder einen Satz Teelichter.

Ludwig Wittgenstein hätte seine Freude an der Sensorleiste, genauer: an der Bezeichnung „Sensorleiste“ gehabt. Denn dieser Begriff ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie uns sprachliche Bilder gefangen halten und gedanklich in die Irre leiten. Ausgehend von sprachphilosophischen Überlegungen kann man jedoch zu der Erkenntnis gelangen, dass uns ein einfacher Name wie „Sensorleiste“ komplizierte Technik nur vorgaukelt und dass sich hinter der pompösen Bezeichnung „Wireless Funk Sensor Bar Leiste“ gar etwas verbirgt, was weder über Sensoren noch über drahtlose Funktechnik verfügt, sondern im Wesentlichen nur eine Lichtleiste ist. Ganz im Sinne Wittgensteins sind dann die „Ergebnisse der Philosophie […] die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat.“ (Philosophische Untersuchungen, §119). In diesem Sinne sei der Leser dazu ermuntert, sich – vielleicht nach einer genüsslichen Runde „Brain Academy“ - weitere philosophische Beulen zu holen.