Die ganz große Flut kommt nicht

Einige Klimamodelle deuten darauf hin, dass der Meeresspiegel bis Ende des 21. Jahrhunderts um zwei Meter und mehr steigen könnte. Physikalisch sei das aber kaum wahrscheinlich, meinen drei US-Forscher

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Dass Klima und Meeresspiegel eine Menge miteinander zu tun haben, kann jeder nachvollziehen, der einen Kühlschrank besitzt und sich ab und zu die Mühe macht, überflüssige Eismassen abzutauen. Vor allem bei älteren Modellen führt das schnell mal zur Springflut in der Küche. Nun gehört die Erde ebenfalls zu den Modellen älteren Datums; auch auf ihr haben sich in arktischen und antarktischen Regionen große Eismassen angesammelt. Wasser, das eigentlich in die Ozeane gehört. Allein Grönland ist mit einem im Mittel 1500 Meter dicken Eispanzer bedeckt.

Der Columbia-Gletscher in Alaska. Bild: W.T. Pfeffer, INSTAAR/University of Colorado

Wie schnell dieses Eis abtauen kann, darüber ist sich die Wissenschaft nicht einig. Im IPCC hat man sich diplomatisch auf „0,18 bis 0,6 Meter“ Meeresspiegelanstieg bis 2100 geeinigt.

Diese Annahme geht allerdings von gleichmäßig ablaufenden Prozessen aus - dynamische Entwicklungen, wie sie bei Gletschern durchaus zu beobachten sind, hat man bewusst aus den Modellen herausgehalten, weil man sie noch zu wenig versteht. Auf historischen Beobachtungen beruhende Schätzungen halten hingegen Anstiege des Meeresspiegels um mehrere Meter pro Jahrhundert für plausibel.

Mit welchen Auswirkungen wir tatsächlich rechnen müssen, ist eine zutiefst ökonomische Frage - Kalifornien vor einem um 15 Zentimeter höheren Meeresspiegel zu schützen, würde zum Beispiel über eine Milliarde Dollar kosten - und bei jedem Zentimeter mehr steigen die Kosten nichtlinear.

Damit der Meeresspiegel tatsächlich so weit ansteigen kann, brauchen die Ozeane natürlich jede Menge zusätzliches Wasser. Das liefern ihnen die Gletscher, vor allem die auf Grönland und in der Antarktis. Und Gletscher sind natürliche Gebilde, die sich nach den Gesetzen der Physik verhalten. Genau die haben drei US-Forscher nun angewendet, um den maximalen Wassereintrag aus Gletschern in die Ozeane zu berechnen. Ihre Ergebnisse haben sie im Wissenschaftsmagazin Science publiziert.

Entwarnung?

Dass der Meeresspiegel wohl nicht so schnell steigen wird wie befürchtet, liegt zum Beispiel am Fließverhalten der Gletscher. Um tatsächlich auf einen um zwei Meter gestiegenen Meeresspiegel zu kommen, müssten die grönländischen Gletscher ihre mittlere Fließgeschwindigkeit auf je nach Szenario mindestens 26,8 Kilometer pro Jahr steigern, und zwar sofort und konstant bis ins Jahr 2100.

Heute bewegen sich die Eismassen hingegen mit 0,56 bis 1,23 Kilometern pro Jahr, also sehr gemütlich. Selbst die flottesten Gletscher schoben ihre Eismassen mit maximal 12 oder 14 Kilometern pro Jahr voran - und auch das nur vorübergehend. Als wahrscheinlichstes Szenario berechnen die Forscher einen Anstieg um knapp 0,8 Meter. Das ist noch immer mehr als im IPCC-Kompromiss - deutlich höhere Werte sind aber extrem unwahrscheinlich.

Ist deshalb Entwarnung angesagt? Nur teilweise. Tatsächlich ist das Abschmelzen der Gletscher nicht der einzige Grund für das Steigen des Meeresspiegels. Erwärmt sich das Wasser der Ozeane, vergrößert es zum Beispiel sein Volumen. In der Badewanne fällt kein Unterschied zwischen 37 und 38 Grad Celsius Wassertemperatur auf. Aber wegen der riesigen Wassermengen ist das auf die gesamte Erde bezogen ein nicht zu unterschätzender Faktor. Würde sich alles Wasser der Ozeane um drei Kelvin erwärmen, stiege der Meeresspiegel um immerhin 1,80 Meter - allerdings unter der Voraussetzung, dass sich die Oberfläche der Meere nicht vergrößert.

Zum Glück braucht das Tiefenwasser der Ozeane geraume Zeit, bis es sich ebenfalls erwärmt. Dabei helfen allerdings die in zunehmender Häufigkeit auftretenden tropischen Stürme, die die Wassermassen zumindest oberflächlich kräftig umrühren.