Mord ist Sport

Die Comicverfilmung "Wanted" erzählt von Profikillern, religiösen Führern und dem Schicksal selbst - und wie sich all das manipulieren lässt

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Es ist erst die Selbstverachtung, danach die eigene Würde, die Regisseur Timur Bekmambetov seinem Anti-Helden Wesley erst abgewöhnen muss, damit dieser seine Bestimmung erkennt. Das Resultat: Die Emanzipation vom bisherigen Duckmäuser-Leben und Umarmung des privaten Anarchismus mündet in reflektierten Individualismus. "Wanted" selbst präsentiert sich dabei als gänzlich unindividuelle Actionfilm-Stangenware.

Es gibt eine Kampfsequenz in "Wanted", der pistolenbewehrte Wesley gegen den Messerspezialisten "Butcher", und sie macht recht deutlich, was Bekmambetov fasziniert: Schusswaffen, als Verlängerung des Körpers. Der Kampf mit ihnen als physisches Erlebnis, die Abkehr vom entpersonalisierten Feuergefecht zu einem Full-Contact-Spektakel.

Die Methode, um das zu verwirklichen, ist dabei altbekannt: Extremzeitlupen und "bullet time"-Effekte schmelzen den Geschwindigkeitsunterschied von Menschen und Kugeln zusammen, geben dem Publikum die Übersicht über das Geschehen, die es eben nur im Kino haben kann. "Matrix" und unzählige Epigonen machten es vor, "Wanted" macht es nur noch nach.

Die Schusswaffen in diesem Film sind längst keine mehr, sie sind stilisiert zu Nahkampfwaffen mit eben besonders großer Reichweite, wenigstens wenn ein Killer der Bruderschaft auf einen ebenbürtigen Gegner trifft. Dann nämlich eignen sie sich sogar für den direkten Schlagabtausch: Kugeln wird nicht mehr ausgewichen, wie Keanu Reeves das noch tat, sie werden jetzt pariert, mit dem eigenen, wohlgezielten Geschoss.

Die Fetischisierung von Schusswaffen, die zum Ziel hat, sie letztlich zu einer ähnlich "ehrbaren" Waffengattung wie das ritterliche Schwert zu erheben, findet sich bereits in "Matrix" und "Equilibrium" (Kurt Wimmer, 2002). Der Schwertkampf ist ein Symbol für eine zwar gewaltbetonte, aber auf Grund ihrer Persönlichkeit und physischen Involviertheit wesentlich legitimere Form der Konfliktbewältigung.

Die Suche nach Methoden, Schusswaffen gleichermaßen zu verklären, trieb auch in Video- und Computerspielen ihre Blüten - von den Schuss-Schlag-Kombinationen eines "Devil May Cry" über die Gunblade der "Final Fantasy"-Reihe. "Wanted" reiht sich hier lediglich ein, und entfernt sich gleichzeitig wieder von dieser Physis und Nähe der Konfrontation, wenn er die Kugel eines Killers mit einem gewaltigen Scharfschützengewehr aus vielen Meilen Entfernung ihr Ziel finden lässt.

Diese beiden Sniper-Sequenzen sind es, die in der ständig gefeierten Körperlichkeit der Actionszenen in "Wanted" ein wenig wie Fremdkörper wirken. Gleichzeitig markieren sie aber auch ein Scheitern des bloßen Handwerks eines brachial agierenden Auftragsmörders gegenüber der Kunstfertigkeit und List eines besonnen aus sicherer Distanz agierenden Gegners.

Bemerkenswert ist dabei, dass Bekmambetov seinen Film teilweise wie einen klassischen Sportfilm strukturiert, vor allem die ausführliche Ausbildungssequenz in der ersten Filmhälfte springt hier ins Auge. Mord, das macht "Wanted" unmissverständlich klar, ist immer auch Sport, und dementsprechend olympisch präzise gehen die Lehrer der "Fraternity" genannten Killer-Gilde auch zu Werke: So bringt besagter "Butcher" Wesley den Kampf mit dem Messer bei, der "Repairman" hingegen sorgt dafür, dass der Profikiller in spe auch hart im Nehmen ist - mit einer regelmäßigen Tracht Prügel für den Auszubildenden. Der "Gunsmith" schließlich ist die Verbindung zur Technizität der Feuerwaffen, er zeigt Wesley, wie dieser mit einer schwungvollen Bewegung des Handgelenks die Pistolenkugeln auch um Kurven und Ecken fliegen lassen kann.

Nur Taktik und Kalkül bekommt er nicht von den Professoren dieser "Fraternity"-Akademie vermittelt, sondern studiert stattdessen auf eigene Initiative die Attentate seines Vaters (der selbst Killer in der "Fraternity" war). Die Killer-Physis wird erst vollkommen, wenn zur perfekt ausgeführten - aber stets ein wenig tumben - Gewalt sich noch die Vernunft gesellt, die Reflexion. Sein Vater, "Cross", emanzipiert sich zu Beginn des Films sogar vollständig von der Körperlichkeit seines Berufs, indem er seinen Quasi-Gegenpart, bezeichnenderweise "Mr. X" genannt, umbringt.

Spätestens hier wird "Wanted" ideologisch: Die Bruderschaft, eine sektenähnliche Gemeinschaft, die "es seit über 1000 Jahren gibt", ist beheimatet in einem ehemaligen Kloster in irgendeiner amerikanischen Großstadt - und in einem Kloster in "Eastern Arabia" (auch wenn der Schauplatz eher nach Mitteleuropa aussieht) nahm der Kult seinen Anfang.

Der Code hat immer Recht

In einer Rückblende sehen wir eine Handvoll Gestalten in Mönchskutten, über einen Webstuhl gebeugt. Sie entdeckten einen Code in den Textilien, übersetzten zufällige kleine Unregelmäßigkeiten des Gewebes in Binärcode und diesen in Buchstaben, und fanden darin Namen. Die Namen ihrer Mordopfer. "Sloan" heißt der amtierende Chef-Exeget der "Fraternity", und seine Anhänger sind gehorsamsgeblendete Soldaten. "Fox" - Chef-Ausbilderin Angelina Jolie - darf Wesley einmal erklären, warum sie so bedingungslos an den Code des schicksalhaften Webstuhls glaubt: So sollte auch ein Mann der Bruderschaft zum Opfer fallen, überlebte aber und tötete danach Fox' Vater.

"We don't know how far the ripples of our decisions go. We kill one, and maybe save a thousand. That's the code of the Fraternity. That's what we believe in, and that's why we do it."

Es ist allerdings keineswegs so, dass in "Wanted" der Glaube an den Webstuhl-Code, die Webstuhl-Prophezeiungen sich letztlich als Luftnummer entpuppt - im Gegenteil: Es ist schließlich Sloan, der, als einmal sein Name in dem Gewebe auftauchte, begann, den Code nach seinem eigenen Willen zu interpretieren und damit den Tod Hunderter (so stürzt z.B. ein vollbesetzter Zug in eine Schlucht) zu verursachen.

Der Code hat immer Recht, daran besteht kein Zweifel, und es ist dabei völlig unerheblich, ob man ihn jetzt als Analogie auf die Bibel, den Koran oder die Tora versteht. "Wanted" ist kein anti-religiöser Film, aber er mahnt durchaus zur Vorsicht gegenüber kirchlichen Institutionen, gegenüber den Interpreten und Exegeten der jeweiligen Schriften. Kurz: Gegen all die, die Menschen unter religiösem Vorwand in einen Kampf schicken.

"Wanted" verhandelt diesen Diskurs aber keineswegs nur auf einer religiösen Ebene. So ist Wesley zu Beginn des Films ein frustrierter und unscheinbarer Büroknecht, ganz wie der namenlose Protagonist in David Finchers "Fight Club". Erst der Kontakt zur Bruderschaft weckt seine schlummernden Talente als Meuchelmörder, und erlaubt ihm eine Schein-Emanzipation von seinem bisher drögen und wenig zufriedenstellenden Alltag.

Lediglich zwischen den Zeilen wird deutlich, dass auch dieser Schritt für Wesley nur ein Placebo ist, dass die plötzliche Selbstverwirklichung in zynischer Privatanarchie nur eine weitere Fassade ist. So kann er es sich zum Beispiel nicht verkneifen, einem Mordopfer breit grinsend ein "Sorry" hinterherzurufen - eben jenes Wort, dessen übermäßige Benutzung Fox dem notorischen Duckmäuser bei ihrer ersten Begegnung noch vorgehalten hat. Die bewusste ironische Brechung mit dem alten Leben offenbart, dass auch Wesleys plötzliche Erfüllung nur künstlicher Natur ist. Der Schritt zur tatsächlichen Selbstgestaltung seines Schicksals gelingt dem Protagonisten erst durch ehrliche und selbständige Reflexion, nicht durch Anbiederung an den einen oder eben anderen Standard.

Bekmambetov nutzt für diese Dekonstruktion deterministischen Denkens vor allem das Bild der Webmaschine: So ist es Wesleys finale Prüfungsaufgabe seiner Ausbildung, das hin- und hersausende Schiffchen des Webstuhls mit bloßen Händen aus der Maschine zu fangen - und damit buchstäblich sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Auch ist von den einst so sorgsam in Reih und Glied geführten Fäden der Webmaschine nach einer Explosion und Wesleys komplett vollzogener Emanzipation nichts mehr übrig. Stattdessen gleicht das undurchdringliche Gewirr aus einzelnen Fäden in Sloans einstigem "Lese"-Zimmer höchstens noch einem zerstörten Spinnennetz.

"Wanted" krankt nicht an einem Mangel an subtil verhandelten Diskursen. Auch die überzogen hippe Inszenierung und den unverhohlenen Zynismus kann Bekmambetovs Film mit seinem cleveren Drehbuch ausgleichen. Aber: Ihm fehlt der Wille zum Erzählen. Bekmambetov scheint keinerlei Interesse an den Rändern seiner Bilder zu haben, für ihn zählt offenbar immer nur, was sich im Zentrum abspielt. Details wie die unzähligen Kollateral-Opfer der Profikiller verkommen zum Hintergrundrauschen, und verleihen dem sich eigentlich so physisch präsentierenden Film den Geschmack einer wenig durchdachten und trocken vorgebrachten Theorie.

Gleichzeitig ist Bekmambetov aber viel zu fasziniert von oberflächlichen (und keinesfalls neuen) Spezialeffekt-Schauwerten, als dass die Geschichte jemals wirklich in den Vordergrund des Filmes dringen könnte. Ein Übriges tut hier die lästige Spielerei, den Protagonisten Wesley in bester "Fight-Club"-Manier ständig in Voice-Over-Kommentaren über sein Leben reflektieren zu lassen. Für den schlauen und nachdenklichen Film, zu dem sich "Wanted" eigentlich hätte entwickeln können, ist das Ergebnis viel zu laut. Für einen lauten Film dagegen ist er viel zu seelenlos und leer.