Gläserne Hartz IV-Empfänger?

Eine Kleine Anfrage an den Bundestag weist auf die Mängel beim Datenschutz für Erwerbslose hin

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Viel wurde in den letzten Monaten über den Datenschutz gesprochen. Deshalb ist es auf den ersten Blick erstaunlich, dass die Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten der Linken Jan Korte kaum Resonanz ausgelöst hat. Er wollte wissen, welche Daten die Behörden beim Umgang mit Hartz IV-Empfängern erheben und was mit den Daten geschieht.

Die beiden Bundestagsabgeordneten Jan Korte und Halina Wawzyniak fassen das Ergebnis in einer Presseerklärung so zusammen:

Bei Hartz IV – Keine Persönlichkeits- und Datenrechte. Das mag eine polemisch zugespitzte Formulierung sein. Tatsächlich aber zeigen die Antworten der Kleinen Anfrage, dass für Erwerbslose beim Datenschutz gravierende Mängel existieren. Dabei heißt es auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit: “Das Sozialgesetzbuch schützt vor einer missbräuchlichen Erhebung, Verarbeitung und Nutzung persönlicher Daten."

Jan Korte und Halina Wawzyniak

Alles eine Frage der Diskretion

Doch im Amtsalltag sieht es dann doch oft anders aus. So fehlen auf bei vielen Jobcentern Diskretionsräume. Während auf Banken und anderen Ämtern darauf Wert gelegt wird, dass der Nachbar in der Warteschlage nicht gleich fremde Daten erfährt, müssen Erwerbslose in Großraumbüros immer wieder erleben, dass „unfreiwillige Zuhörer“ praktisch gezwungen sind, mit zu hören. Viele Jobcenter verfügen nämlich nicht über genügend Beratungsräume, die eine Diskretion sicher stellen.

Der zuständige Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Detlef Scheele erklärte dazu, dass die Bundesregierung den Jobcentern empfiehlt, die einzelnen Arbeitsplätze mit Blumenkübel und mobilen Trennwänden so zu gestalten, dass zumindest en Mindestmaß an Diskretion gewahrt ist. Allerdings sind das nur Empfehlungen. „Den Arbeitsgemeinschaften können jedoch in diesem Bereich von der Agentur für Arbeit keine Weisungen erteilt werden“, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage. So wird die Frage der Diskretion von jedem Jobcenter individuell geregelt.

Wer Leistungen nach Hartz IV erhalten will, muss unterschreiben, dass er den Ämtern auch Einblick in seine Konten gewährt. Trotzdem wird bei Behördenbesuchen häufig die Vorlage von aktuellen Kontoauszügen verlangt. Viele Erwerbslose versuchen, sich ein Mindestmaß von Privatsphäre zu erhalten, indem sie Teile der Angaben schwärzen. Das hat in der Vergangenheit gelegentlich zu Leistungskürzungen geführt. Unter Juristen ist es umstritten, ob das Unkenntlichmachen von Teilen des Kontoauszuges derart sanktioniert werden kann. Hierzu liegen bisher keine zentralen Erhebungen vor, wie durch die Antwort auf die Kleine Anfrage deutlich wurde.

Nicht zentral erfasst sind bisher auch die häufig unangemeldeten Hausbesuche durch Mitarbeiter der Jobcenter bei Leistungsbeziehern nach Hartz IV. Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen de Ämter. Lediglich eine „Arbeitshilfe Außendienst“ mit „praxisbezogenen Hinweisen“ wird den Jobcentern bundesweit zur Verfügung gestellt. Dort wird auf die grundrechtliche geschützte Privatsphäre und die Unverletzlichkeit der Wohnung hingewiesen. Staatsekretär Detlef Scheele betonte, dass ihm nicht bekannt ist, ob einzelne Behörden darüber hinaus weitere Dienstvorschriften erlassen.

Die Abgeordneten der Linken kritisieren, dass gerade die Hausbesuche, die von den Betroffenen häufig als massiver Eingriff in ihre Privatsphäre empfunden werden, nicht zentral erfasst werden. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix hat die Praxis der unangemeldeten Hausbesuche kritisiert. Es wurden Fälle bekannt, wo Schränke durchwühlt wurden oder Mitarbeiter der Jobcenter im Schlafzimmer nach dem Zustand des Bettes und im Badezimmer nach der Anzahl der Zahnbürsten forschten. Herausgefunden werden soll bei solchen Besuchen, ob der Leistungsbezieher alleine oder in einer Partnerschaft lebt.

Völlig indiskutabel findet der Datenschutzbeauftragte einen unangemeldeten Hausbesuch mit Fernsehteam, den der Mitarbeiter eines Jobcenters organisiert hatte. Der betroffene Hartz-IV-Empfänger setzte sich zwar erfolgreich zur Wehr und die Kameras wurden abgeschaltet, aber Dix stellt klar: Hausbesuche durch den behördlichen Prüfdienst in Begleitung von Pressevertretern bedürften der ausdrücklichen und vorherigen Zustimmung durch die Betroffenen.

Kritisch äußern sich die Bundestagsabgeordneten über die Gebühreneinzugszentrale der Öffentlichen Rundfunkanstalten (GEZ). Die Behörde hat ein von der Bundesanstalt für Arbeit entwickeltes Verfahren abgelehnt. Danach sollten allen Leistungsempfängern zusammen mit der Versendung ihres Bewilligungsbescheids ein Drittbescheid zur Vorlage bei der GEZ zugestellt werden. Die Konsequenz dieser Ablehnung bedeutet nicht nur einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Erwerbslosen, sondern auch die Erhebung weiterer Daten.

Als Konsequenz aus diesen durch die Kleine Anfrage noch einmal deutlich gewordenen Datenschutzmängeln fordern die Bundestagabgeordneten der Linken die Etablierung eines Datenschutzbeauftragten bei den örtlichen Jobcentern. Bisher verfügt lediglich die Bundesagentur für Arbeit über einen Datenschutzbeauftragten. Bei der großen Anzahl der Hartz IV-Bezieher ist eine solche zentrale Stelle hoffungslos überfordert. Außerdem ist es für Menschen, die sich um einen Datenschutz sorgen, einfacher, eine zentrale Stelle zu kontaktieren, als einen Datenschutzbeauftragten vor Ort zu kontaktieren.

Blinder Fleck auch bei Datenschützern

Die Grünen fordern, so kritisieren die Politiker der Linken, dass der Datenschutz ins Grundgesetz aufgenommen wird, aber andererseits die eklatanten Mängel beim Datenschutz für Hartz IV-Empfängern kaum beachtet werden. Natürlich steckt hier ein gehöriges Maß parteipolitische Profilierung dahinter, weil doch die Grünen sich mit dem Thema Datenschutz in der Öffentlichkeit profilieren konnten.

Konsequenterweise müsste dann auch die Datenschutzszene kritisiert werden. So spielt der Datenschutz für Erwerbslose auch auf der bundesweiten Demonstration Freiheit statt Angst, die sich am 11. Oktober in Berlin gegen den Überwachungswahn wendet, keine große Rolle. Auf der Demonstration im letzten Jahr wurde das Thema im Block der Maydaybewegung thematisiert, weil man hier die Verbindung von sozialen Rechten und Datenschutz gesehen hat. In diesem Jahr ist ein solcher Block bisher nicht geplant.