Ausländische Jugendliche nicht gewalttätiger als deutsche

Eine Studie räumt mit manchen Vorurteilen über Jugendkriminalität auf

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Eine Studie widerlegt die verbreitete, gerne auch von konservativen und rechten Politikern geäußerte Meinung, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund krimineller und vor allem gewalttätiger als deutsche seien. Bis zum Alter von 17 Jahren haben allerdings drei Fünftel der Jugendlichen mindestens einmal eine kriminelle Tat begangen, wobei es sich allerdings meist um leichte Straftaten handelt, immerhin werden aber noch von einem Drittel auch Gewaltdelikte wie Körperverletzungen und Raubdelikte genannt. Interessant ist, dass dieses Ausreizen der Spielräume schon nach einem steilen Anstieg am Ende des Kindesalters mit 15 Jahren schon wieder zurückgeht.

Für die Verlaufsuntersuchung, die von Prof. Dr. Klaus Boers, Kriminologe an der Universität Münster, und Prof. Dr. Jost Reinecke, Soziologe an der Universität Bielefeld, geleitet wurde, sind seit 2002 3.400 Duisburgerinnen und Duisburger zwischen ihrem 13. und bislang 19. Lebensjahr jedes Jahr direkt befragt worden, ob sie eines oder mehrere von insgesamt 15 kriminellen Taten von Ladendiebstahl bis Raub begangen haben. Die Befragung derselben Personen soll bis zu ihrem 30. Lebensjahr fortgesetzt werden. Damit hofft man, besser das tatsächliche Ausmaß des kriminellen Verhaltens, aber auch dessen Entstehung und Verlauf besser zu erfassen, da nur ein Bruchteil der begangenen Straftaten in den polizeilichen Statistiken auftaucht und daher das "Dunkelfeld" groß ist.

Eines der Ergebnisse der ersten Auswertung ist, dass jugendliche Migranten nicht pauschal krimineller sind. Abgesehen von Gewaltkriminalität seien jugendliche Migranten sogar weniger kriminell als die deutschen. Bei der Gewalt von Jugendlichen, die nach Ansicht von Klaus Boers nicht zunimmt, wie er in einem Interview sagte, sondern nur wegen erhöhter Anzeigebereitschaft häufiger in den Statistiken auftaucht, hänge dies etwa auch von den Migrantengruppen ab. Wenn man sich die soziale Situation betrachtet, seien allgemein die Unterschiede im Hinblick auf die Ausübung von Gewalt zwischen deutschen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gering: "Eine erhöhte Verbreitung von Gewalt findet sich meist unter den sozial Schwächeren, mit weniger Bildung, aus benachteiligten Wohnvierteln und mit schlechteren Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt", so Klaus Boers.

In Duisburg unterscheiden sich türkische und deutsche Jugendlichen praktisch nicht, wenn es um gewalttätiges Verhalten geht. Nach Darstellung der Wissenschaftler sind türkische Jugendliche womöglich "braver" oder sozial kontrollierter: "Die Jugendlichen türkischer Herkunft bekennen sich häufiger zu traditionellen Werten und Religiosität, konsumieren weniger Alkohol und Drogen und sind in der Bildung nicht durchweg benachteiligt. Insgesamt sind Mädchen deutlich weniger gewalttätig als Jungen und treten im Jugendalter drei- bis zehnmal seltener als Intensivtäterinnen in Erscheinung. Türkische Mädchen sind dabei noch weniger gewalttätig als deutsche."

Sorgen bereiten die Intensivtäter, die fünf und mehr Gewalttaten im Jahr begehen. Sie manchen immerhin fünf Prozent der Jugendlichen aus. Aber auch hier gibt es eine Spitz mit 15 Jahren, danach geht die Lust an oder der Zwang zur Gewalt zurück. Damit hat, wenig überraschend, auch der Alkohol viel zu tun. Der Konsum wird von den Wissenschaftlern als hoch betrachtet und nehme, um Unterschied zur Kriminalität, weiter zu. Allerdings würden die Jugendlichen mit zunehmendem Alter ihr Trunkensein besser kontrollieren können. Der Drogenkonsum, hauptsächlich Canabis, geht zwar nach den Befragungen früher zurück, nämlich schon mit 16 Jahren, aber es gäbe unter den Intensivkonsumenten eine größere Neigung zur Gewalt.

Die Wissenschaftler interpretieren die wilden Jahre während der Pubertät als eine Art des Hineinwachsens in die Gesellschaft durch das Erproben von deren Grenzen. Die werden meist nicht von Polizei und Justiz gesetzt, sondern von der Familie und dem sozialen Umfeld, womit auch in vielen Fällen die Zementierung einer kriminellen Karriere verhindert werden könnte: "Der allergrößte Teil der Jugendkriminalität regelt sich aufgrund von angemessenen Reaktionen in den Familien und Schulen von selbst", sagen sie beruhigend. Allerdings aber auch auf Kosten der Opfer.

Auch zu Gewaltspielen und –filmen haben die Wissenschaftler etwas zu sagen. Sie glauben, dass sie "bei gewaltsam oder gleichgültig erzogenen Jugendlichen" sich negativ auswirken können, allerdings würde der Großteil der Jugendlichen Realität und Virtualität unterscheiden können. Das ist eigentlich aber nur ein theoretischen Konstrukt, das kaum die Wirklichkeit betrifft, schließlich müssen auch im "realen" Leben unterschiedliche Wertsysteme unterschieden und befolgt werden. Jost Reinecke glaubt jedenfalls, dass die Computerspiele den Kindern und Jugendlichen nicht gut tun: "Der Inhalt der meisten Gewaltspiele, insbesondere der Ego-Shooter, ist Besorgnis erregend. Auch, dass vor allem Jungen aller Schulformen einen großen Teil ihrer Zeit mit solchen Spielen verbringen. Hier sind die Eltern und die Medienpädagogen gefordert." Das mag Ansichtssache sein, allerdings sind nicht nur die Computerspiele voller Gewalt, sondern auch die Wirklichkeit hier und in der Ferne, mit der die Jugendlichen ja schließlich auch zurechtkommen müssen, auch wenn sie nicht direkt Opfer und Täter werden.