Kreidlers Listen oder Die ganz große Oper

Über die GEMA-Protestaktion des Komponisten Johannes Kreidler

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Mit seiner GEMA-Protestaktion hat der Komponist Johannes Kreidler zwar viel Aufmerksamkeit geweckt, erfolgreich im engeren Sinn war sie jedoch nicht. Denn am Ende musste Kreidler seine 72.000 Formulare wieder mit nach Hause nehmen. Die GEMA konnte sich nicht dazu entschließen, die darin genannten Soundschnipsel als eigenständige und damit anmeldepflichtige Zitate anzuerkennen. Zumal sich Kreidler bei der Pressekonferenz in den Räumen der GEMA damit rühmte, ausschließlich GEMA-freie Werke als Quelle verwendet zu haben. Das allein machte den ganzen Aufwand hinfällig. Jetzt bleibt Kreidler nur noch der Marsch in den Bundestag. Schließlich wurde dort das aktuell gültige Urheberrechtsgesetz verabschiedet, das Insitutionen wie die GEMA dann anwenden müssen. Kreidler freut sich schon auf seinen Auftritt im Reichstag: „Das wäre dann die ganz große Oper.“

Schlechte Öko-Bilanz für „product placements“

Umweltfreundlich war es auch nicht, 72.000 Formulare bei der GEMA-Generaldirektion in Berlin abzuliefern. Kreidler war sich dessen bewusst und fragte angesichts der Papierberge auf seinem Leihtransporter provokativ: „Müssen immer so viele Wälder abgeholzt werden für die GEMA-Anmeldungen?“ Er wollte vor Augen führen, wie irrwitzig aufwendig es sein kann, wenn man sich als GEMA-Mitglied bei der Anmeldung eines neuen Werkes an die Vorschriften der Verwertungsgesellschaft hält. Anzumelden ist nämlich nicht nur das Stück an sich, sondern laut Ziffer 4 des GEMA-Anmeldebogens für Originalwerke auch „Melodien, Motive oder Textteile anderer Urheber“. Zwar können Mitglieder der GEMA ihre Werke seit Juni 2008 online anmelden. Allerdings nur, wenn diese keine Fremdzitate enthalten. In diesem Fall ist weiterhin die Schriftform erforderlich.

Johannes Kreidler mit seinen Anmeldeformularen. Im Hintergrund: Jacob de Ruiter (Direktor Dokumentation der GEMA Generaldirektion Berlin). Foto Katja Schmid

Anzumelden sind offiziell nur jene Zitate, die auch als solche erkennbar sind. Allerdings gibt es dafür keine eindeutige Definition, und die GEMA weißt auf dem Anmeldebogen ausdrücklich darauf hin, dass auch winzige Zitate bereits anmeldepflichtig sein können: „Die weit verbreitete Ansicht, dass 8 oder auch 4 Takte ohne Zustimmung benutzt werden dürfen, ist falsch.“

Also ging Kreidler ganz besonders penibel vor und meldete sogar solche „Schnipsel“ (Zitat Kreidler) an, die so winzig sind, dass sie für das menschliche Ohr nicht wirklich hörbar sind. Andererseits, so der Komponist, könne man schon Töne wahrnehmen, die gerade mal 5 Millisekunden andauern. Ermöglicht wurde die Datendichte des nur 33 Sekunden langen Stücks durch die Software PureData, die auch gleich die Einzelnachweise zusammenstellte. Trotzdem sieht die Zeitbilanz ziemlich schlecht aus: Während es laut Kreidler etwa vier Stunden gedauert hat, das Stück zu komponieren, hat der Papierkram – inklusive Stress mit dem Drucker - an die einhundert Stunden in Anspruch genommen.

GEMA Generaldirektion in Berlin. Foto Katja Schmid

Entspannung bei der GEMA

Um den ganzen Stapel abzuarbeiten, hätte man bei der GEMA eigens jemanden einstellen müssen. Geschätzte Arbeitszeit: ein Jahr. Bei der Verwertungsgesellschaft hätte Kreidlers Stück also zu einer noch miserableren Zeitbilanz geführt. Dennoch wartete man bei der GEMA-Generaldirektion am Wittenbergplatz ganz entspannt auf das Eintreffen von Kreidlers Listen. Der hatte sein Kommen vorab angekündigt und in diversen Interviews und Stellungnahmen um Unterstützung gebeten. Gekommen waren etwa dreißig Personen, die meisten davon Journalisten, außerdem ein paar Vertreter der Piratenpartei, Anhänger der Creative Commons und Musiker.

Lastenverteilung unter Kollegen: Komponist Arno Lücker hilft beim Hineintragen der Formulare. Foto Katja Schmid

Kreidler selbst hatte sich für seinen Auftritt bei der GEMA ein rotes Jäckchen im Asia-Stil angezogen, wahrscheinlich sollte das eine Anspielung auf die Chinesen sein, die als Weltmeister im Kopieren gelten. Den ersten Stapel trug er persönlich in die Poststelle hinein, den großen Rest erledigten zwei Helfer in blauen Latzhosen. Einer der Träger war Arno Lücker, ebenfalls Komponist und GEMA-Mitglied. Kreidler konzentrierte sich darauf, vor seinem Leihtransporter Statements zu verlesen, forsche Parolen zum Besten zu geben und Fragen zu beantworten. Die Stimmung war entspannt, und Kreidler legte Wert darauf, dass er die GEMA prinzipiell großartig findet und der Verwertungsgesellschaft mit seinem Papierberg auch nicht wirklich schaden möchte. Vielmehr möchte er auf die Unzulänglichkeiten des aktuellen Urheberrechts hinweisen.

Johannes Kreidler hat sich und die GEMA zum Medienthema gemacht. Podium, von links nach rechts: Jürgen Brandhorst (Leiter GEMA-Musikdienst), Bettina Müller (Pressesprecherin der GEMA), Johannes Kreidler (Komponist und GEMA-Mitglied), Jacob de Ruiter (Direktor Dokumentation). Foto Katja Schmid

Erfolgreiches Product Placement

Auf der anschließenden Pressekonferenz in den Räumen der GEMA meinte Kreidler dann, dass die Papierstapel eigentlich in ein Museum gehörten. Entsprechende Anfragen gibt es angeblich auch schon. Er jedenfalls habe er sie richtig lieb gewonnen, seine Papierskulptur. Das Problem ist nur: Kreidler ist nicht nur mächtig verliebt in seine Papierstapel, sondern auch in sich selbst. Eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein ist ja ganz schön und sicher auch hilfreich, wenn man als Komponist von so genannter ernster Musik seinen Lebensunterhalt verdienen will. Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass es Kreidler vielleicht doch nicht so sehr um einen höheren Auftrag geht, sondern vor allem um Selbstinszenierung.

Jedenfalls ist es ihm gelungen, mit einem Machwerk von gerade mal 33 Sekunden Länge ein beeindruckendes Medienecho hervorzurufen. Wenn das kein erfolgreiches „Product Placement“ ist.

Video: Moritz R