Hilfe! Noch eine Chipkarte!

Von einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK), die zu mehr fähig ist, als nur Patientendaten zu verwalten

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Vor ein paar Tagen erhielt ich Post von meiner Krankenversicherung mit der Information “jetzt ist es soweit: Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) wird eingeführt und die heutige Krankenversichertenkarte ablösen“. Die Vorteile dieses neuen Systems lägen auf der Hand, wird mir versprochen. Konkret würde sich „die Therapiesicherheit bei ärztlichen Behandlungen“ verbessern, mehrfach Untersuchungen würden verhindert und nicht zuletzt „Wechsel- und Nebenwirkungen von Arzneimitteln“ von meinem Arzt oder Apotheker besser berücksichtigt. Darüber hinaus solle die Karte sogar „die medizinische Versorgung besser und effektiver machen“.

Alles schön und gut dachte ich, doch sind wir nicht schon mit genügend Karten ausgestattet, die über unser Leben und unsere Lebensgewohnheiten Auskunft geben? Sowieso werde ich im Supermarkt ständig danach gefragt „Haben Sie eine Bonuskarte“. „Nein“, antworte ich, und ich möchte auch in Zukunft keine dieser Bonuskarten verwenden. Denn die vielen Kaffeemaschinen, Brotbackautomaten, Koffer, Taschen und der andere Plunder, den ich als Dank für mein ausspioniertes Konsumverhalten erhalte, ist es die Sache nicht wert. Kommt jetzt auch noch eine Karte, die unseren Gesundheitszustand preisgibt?

Es wird mir zwar in der beigefügten Broschüre meiner Krankenkasse versichert, dass nur „Personen mit einem elektronischen Heilberufsausweis, dem Gegenstück der elektronischen Gesundheitskarte“, Zugriff auf meine Daten haben, aber wer garantiert mir das? Datenpannen und Datenklau, gewollt oder ungewollt, gab es in der Vergangenheit zu genüge. Erst kürzlich berichtete das SWR-Fernsehmagazin „Report Mainz“ über einen Datenschutzskandal bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK). In der Sendung wurde berichtet, dass die Krankenkasse sensible Patientendaten chronisch Kranker im Rahmen eines Gesundheitsprogramms an ein Call-Center weitergegeben hatte. Ob die Gesundheitskarte das Problem nicht noch im Allgemeinen verschärfen wird?

Der eGK skeptisch gegenüber stehen eine ganze Reihe von Ärzteverbänden und Bürgerrechtsorganisationen, die sich zu einem Bündnis zusammen geschlossen haben. In der gemeinsamen Aktion: stoppt die e-Card! sammeln sie derzeit Unterschriften gegen die Gesundheitskarte. Mitinitiator der Aktion ist auch der Chaos Computer Club (CCC). Die Organisation warnte bereits 2006 in ihrem Chaosradio Podcast CR115 vor den Risiken und Folgen einer elektronischen Gesundheitskarte. Die wesentlichen Kritikpunkte, die die Aktion gegen die eGK hegt, sind, dass die Patientendaten nicht wie fälschlicher weise behauptet auf der Chipkarte abgespeichert werden, sondern zentralisiert auf Servern.

AUF der Karte wird fast nichts gespeichert! Die Karte dient als SCHLÜSSEL zu einem gigantischen Computernetzwerk, dem sich künftig alle Arztpraxen, Zahnärzte, Krankenhäuser, Apotheken, Psychotherapeuten, alle ca. 300 Krankenkassen, Krankengymnasten, Sanitätshäuser und viele weitere Berufsgruppen des Gesundheitswesens anschließen müssen.

Kritisiert wird die Karte aber auch, weil die Versichertennummer zu einem lebenslangen Identifikationsmerkmal mutiert. Hinzu kommt, dass das Foto des Versicherten auf der eGK abgedruckt wird. Obendrein soll das eingesandte Lichtbild bei den Krankenkassen abgespeichert werden, um bei Verlust der Karte schneller reagieren zu können, wie es von den Krankenkassen heißt. Doch wie wird das in der Praxis laufen?

Zynisch könnte man fragen, ob es nicht auch in naher Zukunft Rabatte und Bonuspunkte beim Einlösen elektronischer Rezepte geben wird? Denn vorbei werden die Zeiten sein, wo ich ein Rezept in die Hand gedrückt bekomme. Wer weiß, vielleicht werde ich sogar Probepackungen mit neuen Medikamenten erhalten. Spätestens, wenn wieder eine Krankenkasse meint, sie müsse im Interesse ihrer Kunden handeln und Patientendaten weiter geben.

Doch die Reise könnte auch in eine ganz andere Richtung gehen. Seitdem wir wissen, dass Daten aus dem Lkw-Mautsystem auch zu Fahndungszwecken nutzdienlich sind, lässt sich die Frage stellen, ob die hinterlegten Daten oder gar das Foto der Versicherten nicht auch für eine Fahndung genutzt werden könnten? Zum mutmaßlichen Polizeihandlanger könnte da die IKK-Sachsen werden. Wie der Chaos Computer Club berichtete, soll die Krankenkasse ihre Mitglieder aufgefordert haben, sogar biometrisch vermessbare Fotos einzusenden.

Die große Volkszählung, wie sie 1987 stattfand, und damals große Proteste in der Bevölkerung hervorrief, ist im Vergleich zur eGK ein großer Witz. Erfahrung mit der eGK haben bereits unsere österreichischen Nachbarn gesammelt. Die e-Card, wie sie in der Alpenrepublik heißt, gibt es hier seit 2005. Offenbar haben in Österreich aber nicht nur medizinische Berufsgruppen auf die Daten Zugriff, sondern auch der österreichische Arbeitsmarktservice (AMS). Die Institution kann mit der deutschen Arbeitsagentur verglichen werden. Der ORF schrieb hierzu:

Arbeitsmarktservice [AMS] erhebt und speichert die sensiblen Gesundheitsdaten von Arbeitslosen und gibt sie im Bedarfsfall weiter - und das auch ohne Zustimmung der Betroffenen. Datenschützer kritisieren die laufende Praxis. Das berichtet der "Kurier" in seiner Dienstag-Ausgabe. Die Verarbeitung von "vermittlungsrelevanten Daten" sei zwar im Arbeitsmarktservicegesetz rechtlich gedeckt. Die Regelung sei aber "viel zu schwammig", kritisiert die ARGE Daten.

Wäre es nicht denkbar, dass sich in Deutschland ähnliche Zustände ereignen könnten? Doch die eGK ist nicht das einzige elektronische System, das in der Bundesrepublik etabliert werden soll. Mit dem Versenden der lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID), die unsere Steuernummer ersetzen soll, hat das Bundesfinanzministerium begonnen. Auch diese Nummer soll uns lebenslang begleiten. Ein neuer Personalausweis ist darüber hinaus für Ende 2010 geplant, das neue elektronische Dokument soll dann unter anderem auch internetfähig sein.

Immerhin meine Krankenkasse hat mir jedenfalls vorab versichert, dass das Speicherverfahren bei der eGK nur mit „der Genehmigung des Bundesdatenschutzbeauftragten eingerichtet“ wurde. Liebe Frau Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, Ihnen haben wir die eGK zu verdanken, wieso haben Sie sich eigentlich nicht mit Ihrem Kollegen, dem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, zusammengetan? Wenn doch ähnlich wie in Ihrem Ressort auch hier an einem lebenslangen Identifikationsmerkmal gebastelt wird. Apropos Identifikation: Kombinieren Sie doch gleich die eGK, mit der Steuer-ID und dem neuen Personalausweis aus dem Innenministerium von Wolfgang Schäuble. Alle drei Ausweisdokumente ließen sich doch bestens zu einem Ausweis verschmelzen. Das würde des Bürgers Geldbeutel um einige Chipkarten erleichtern und Sie hätten endlich die volle Kontrolle. Wäre das nicht eine Idee?