Murphy ist überall

Im Dienst der Kunden und der Sicherheit fackelten sie Fahrzeuge ab, zerlegten Turbinen und fahndeten nach den Bösewichtern dieser Welt: Die Arbeit des Allianz-Zentrums für Technik (AZT)

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Die Allianz schickt Manager in Rente. Ausgerechnet am 11.9. dieses Jahres verkündete der Versicherungskonzern einen gewaltigen Umbau. Der bisherige Vorstand Dr. Helmut Perlet werde ab kommenden Jahr das Vorstandsressort an Oliver Bäte abgeben, natürlich aus eigenem Wunsch. Als sei dies eine Pressemitteilung eines Lottospielunternehmens, wird darauf hingewiesen: „Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen.“

Nicht der einzige Manager, der gehen muss. Auch Lutz Cleemann hat es getroffen. Er war einer von zwei Geschäftsführern des Allianz-Zentrums für Technik (AZT). Dies saß ganz unscheinbar inmitten von Reihenhäusern im Münchner Vorort Ismaning. Inzwischen ist es umgezogen nach Neuperlach. Auch ansonsten hat sich einiges verändert. Inzwischen gelte die klare Maxime, so ein leitender Mitarbeiter auf Anfrage, nur noch im Dienste der Interessen der Versicherung zu stehen. Das AZT ist seit Anfang des Jahres der Risikoberatung für Industriekunden angegliedert und nennt sich seitdem AZT Risk and Technology – schließlich gehört man jetzt zum internationalen Industrieversicherungsgeschäft der Allianz, der Allianz Global Corporate and Specialty unter Leitung von Hermann Jörissen.

Unter Cleemann hingegen betonte man noch die Unabhängigkeit, denn schließlich wurden seine Ghostbuster aus Ismaning immer dann gerufen, wenn eine Firma irgendwo auf der Welt ein unerklärliches technisches Problem hatte; unabhängig davon, ob sie bei der Allianz versichert war oder nicht. Die Spezialisten des AZT wollten nicht nur deshalb findig sein, damit die Versicherung nicht zu zahlen brauchte. Dies schuf Vertrauen. So entstand eine gewaltige Datenbank, in der viele Schwachstellen von Betrieben weltweit archiviert sind. Diese Daten in der Datenbank gibt es bis heute, die Struktur und die Ziele der Firma, die sie einst erhoben, haben sich geändert.

Und so kam die Datenbank zustande. Es begab sich zu der Zeit, in der James Bond, Techniktüftler Q und eine Schar weiterer Spezialisten in Ismaning werkelten. Doch nicht der Geheimdienst ihrer Majestät war ihr Arbeitgeber, sondern das Allianz-Zentrum für Technik (AZT) der gleichnamigen Versicherung. Dafür fackelten sie Fahrzeuge ab, zerlegten Turbinen und fahndeten nach den Bösewichtern dieser Welt. „Im Dienste unserer Kunden und der Sicherheit“, sagte Lutz Cleemann; zuständig für alles, was in der Industrie schief gehen kann und die Zukunft bringen wird. Sein wichtigster Mitarbeiter war Jürgen Lieske, gelernter Japanologe mit der Lizenz zum weltweiten Türen-Öffnen. Die brauchte er, denn sein Gegenspieler war der gefürchtete Mr. Murphy. Nach ihm wurde Murphys Gesetz benannt, demzufolge alles schief gehen wird, was schief gehen kann. Dieses Gesetz hing an Lieskes Bürowand.

Warum die Dinge zurückschlagen

Murphy kommt in Gestalt von raffgierigen Vorständen, skrupellosen Betriebsleitern, schludernden Handwerkern, gedankenlosen Verwaltern. Denn Geiz ist überhaupt nicht geil, sondern oftmals fahrlässig. Von den katastrophalen Konsequenzen lebten Lutz Cleemann, Jürgen Lieske und all die anderen. Denn wenn jemand am Material, der Verarbeitung, der Qualität gespart hat, rächt sich das. Heizkraftwerke explodieren, Lagerhallen brennen ab und Büros stehen unter Wasser. Und dann wurde Cleemanns Truppe gerufen. Ihre Lieblingsbücher waren „Wider die Götter“ und „Why things bite back“ - warum Dinge zurückschlagen.

Billiglampen können einen Kurzschluss verursachen, das vermeintliche Schnäppchen führt zum Wohnungsbrand und kostet so die Existenz. Billigbillig, schnellschnell - das mag zwar auf kurze Sicht Profit bringen, auf lange Sicht aber schädigt es erst die Verbraucher, dann die Versicherung und letztendlich auch die vermeintlich sparende Firma. Denn nach einem Großbrand geht die Hälfte der Unternehmen sofort Pleite und weitere 30 Prozent überleben die folgenden zwei Jahre nicht.

„Deshalb schauen wir uns an, wie die Unternehmensziele formuliert sind. Daraus können Sie schon viel über das Sicherheitsbewusstsein ableiten“, erläuterte Cleemann persönlich sein Credo. „Geht es einer Firma nur um kurzfristiges Profitdenken oder nimmt sie das Aktiengesetz ernst.“

Demnach können nämlich Unternehmer und Manager haftbar gemacht werden, wenn sie keine Vorsorge bzw. Frühwarnung im Rahmen des betrieblichen Risikomanagements betreiben. KonTraG heißt das Gesetz, das seit Mai 1998 in Kraft und eine der Waffen im Arsenal des AZT ist. Cleemanns Analysen klangen kritischer als die von Greenpeace und Attac zusammengenommen. Wurde er deshalb als unbequemer Mahner in Rente geschickt? Heute behaupten Mitarbeiter, die Arbeit ihres früheren Chefs sei nicht immer zielführend gewesen, was immer das nach den heutigen Vorgaben bedeuten mag. Der weißhaarige Chef entsprach zumindest dem Klischee eines altehrwürdigen Geschäftsführers von geradezu hanseatischer Vornehmheit. Nur seine flinken Augen verrieten Schalk und kämpferisches Selbstbewusstsein.

Er und sein Team hatten all den Milchmädchen und ihren Rechnungen den Krieg erklärt. Zum Wohle der Allgemeinheit. „Senkt man zum Beispiel bei rostfreiem Stahl den Chromgehalt von zwölf auf zehn Prozent, kann es sein, dass der Stahl nicht mehr korrosionsbeständig ist, und das kann teuer werden“, erzählte Johannes Stoiber, zuständig für Material- und Werkstoffprüfung. Haut es eine Gasturbine im Wert von 50 Millionen Euro durch, wurde er gerufen. Dann sammelte er Indizien, Eindrücke, Spuren, und wären sie noch so klein. Denn der Teufel steckt im Detail und seine Verbündete ist die Milchmädchenrechnung vermeintlicher Einsparungen, die teuer zu stehen kommen.

Die Forsensiker der Industrie

Oft führen kurzfristige Einsparungen von einigen tausend Euro zu einem Millionenschaden. „Wie bei dem Brand in Dresden“, erinnerte sich Jürgen Lieske. „Wir haben gravierende Mängel festgestellt, doch die Firmenleitung wollte nicht hören. Sieben Jahre später kam die Quittung: durch den Brand entstand ein Schaden von 15 Millionen Euro. Wir konnten nachweisen, dass das Feuer zu vermeiden gewesen wäre, wenn man rechtzeitig gehandelt hätte.“

Ein wenig wollten sie die Welt besser und sicherer machen. Deshalb muss manchmal etwas kaputt gemacht werden. Dafür rissen die AZTler Spielzeugpuppen die Beine aus, zersägten Schaufelräder und zerlegten Wäschetrockner. Als sie noch kleine Jungs waren, bekamen sie dafür etwas auf die Finger, dann Prämien. In der Werkstatt beugte sich Lieskes Kollege über einen verkohlten Klumpen, der mal ein Toaster war. Daneben das baugleiche Modell, im tadellosen Zustand. Bis der Mechaniker Hand an ihn legte. Schräubchen für Schräubchen sezierte er das Gerät. Dabei trug er Handschuhe wie bei einer Obduktion. So wollte er der Frage auf die Spur kommen, ob dieser Toaster gefährlich ist und falls ja, ob dies für die ganze Serie gilt. Dann müssten tausende Toaster zurückgerufen werden. „Wir sind die Forensiker der Industrie“, erläuterte Lieske. Nur manchmal veranstalten sie dabei ein Kettensägenmassaker. „Was meinen Sie, wie viele Sägeblätter wir brauchten, um das Rad einer Windenergieanlage zu zerlegen“, erinnerte sich der Kunstliebhaber, für den die Aktion einem Happening gleichkam.

Gewissermaßen der Pyromane vom Dienst ist bislang noch Christian Wittenzellner. Er fackelt schon mal Weihnachtsbäume ab, stellt Zimmerbrände nach, zündelt in Fahrzeugen. Mit diesen Brandversuchen leistet er aber nicht nur Detektivarbeit, sondern er hat auch das feuerfeste Material entwickelt, das die Allianz-Arena in München ziert.

Manchmal werden sie durch Schaden klug. Oder durch eine Maus. Die gilt inzwischen als das Maskottchen der Firma und hat, eingegossen in Plexiglas, Unvergänglichkeit erlangt. Jene Maus also knabberte an einem Stromkabel, löste so einen Kurzschluss aus, der zu einem brennenden Hochhaus führte. Die verkohlten Überreste der Maus blieben. Ebenso wie dreißig Millionen Euro Schaden. Seitdem achten Versicherer darauf, dass Kantinen weit entfernt von der eigentlichen Baustelle sind, um keine Nager anzulocken. . Die Sache mit der Maus könnte aus dem Drehbuch des Horrorfilms „Final destination“ stammen. In dem setzt stets eine Kleinigkeit eine Kettenreaktion in Gang und am Ende ist wieder ein Mensch tot.

Noch winziger und noch fataler war das korrodierte Ventil einer Kontrolleinheit für die Ölförderung. Ein Kügelchen, so klein wie bei den Geduldspielen aus dem Kaugummiautomaten, korrodierte unvorhergesehen, zerriss so die Hydraulik eines Bohrkopfs und verursachte einen Millionenschaden. „Ein Beispiel für die Binsenweisheit 'Das Gegenteil von gut ist oftmals gut gemeint'", grinste Johannes Stoiber und gab einen Exkurs in Materialkunde. „Die Maschinenkonstrukteure haben einen Stahl verwendet, der auf maximalen Verschleißfestigkeit ausgelegt war. So paradox dies klingen mag, das war der Fehler.“

Der „metal detective“ deutete auf ein Rasterelektronenmikroskop-Foto. „Bei solch einem Stahl ordnen sich die harten Kristallite zu einem Netz an, dort setzte die Korrosion an.“ Heute werden die Ventile aus einem anderen Material gefertigt und die Welt ist wieder ein klein wenig sicherer geworden.

Das Wissen um die Schwachstellen der Konzerne

Gespür für die Tücken des Alltags müssen die Mitarbeiter des AZT mitbringen, die Bonds des AZT. Jürgen Lieske wäre die Idealbesetzung für die Rolle. So wie er als Japanologe fremde Kulturen dechiffriert, versucht Zeichen zu lesen und Klarheit in der Welt der Hiragana, Katagana und Kanji zu bringen, so versuchte der Zwei-Meter-Mann hinter Firmengeheimnisse zu kommen.

Lieske öffnete sein Notebook. Auf einem Foto ist ein Dutzend Kaffeemaschinen zu sehen sowie das dazugehörige Gewirr von Kabeln in Mehrfachsteckern. Das dazugehörige Büro beschäftigt sechs Leute. „Was schlussfolgern Sie aus dem Bild?“, will Lieske wissen. Ich tippe auf einen Fall von Schleusung und Schwarzarbeit, denn offensichtlich sind mehr Leute beschäftigt, als angegeben. Lieske nennt die wahre Lösung: Diese Leute konnten sich noch nicht einmal auf eine gemeinsame Kaffeemaschine einigen, wie sieht es dann erst im Unternehmen aus? Mal abgesehen vom Brandschutz, bei den vielen Mehrfachsteckern kokelt es bald.“

Was sich wie Kaffeesatzleserei anhört, ist in Wahrheit Aufklärung in bester Bond-Manier. So wie UN-Waffeninspektoren können Jürgen Lieske und seine Kollegen in Betrieben jede Tür öffnen. Dann rümpfen sie die Nase über verbaute Sprinkleranlagen, über den weitverbreiteten Panikweitsprung (verstellte Fluchtwege), das Suchbild Feuerlöscher, die Blumenvase auf dem Firmenrechner oder die Friteuse im Rechenzentrum.

Sie kennen die Schwachstellen vieler Konzerne. Geheimdienste aller Länder würden vor Neid erblassen, wenn sie in der Allianz-Datenbank erspähen könnten, was nicht nur Cleemann und Konsorten über Firmen in aller Welt wissen. Die Ergebnisse ihrer Analysen werden daher als geheime Verschlusssachen gehandelt. Immerhin lagerten sie für Brasilien Komponenten für ein Atomkraftwerk ein, überprüften per Fernwartung die Schwingungen eines Kraftwerks in Vietnam, untersuchten die Sicherheit von Nahrungsmitteln und Medikamenten und erstellen Rückrufpläne für den Fall, dass etwas schief gegangen sein sollte.

Da die Fachleute des AZT wissen, was bei Atomkraftwerken so alles ausfallen kann, waren sie es auch, die den Fehler bei der Ariane fanden: Haarrisse machten dem Shuttle den Garaus. Manchmal ist es simpler gesunder Menschenverstand, praktische Hausfrauenlogik, die eine Katastrophe erklärt. So zeigte Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman, wie das Challenger-Unglück passieren konnte: Er tauchte Gummiringe in Eiswasser.

Manchmal aber ist wirkliches Insiderwissen gefragt: Blackouts oder brown outs, wie Stromausfälle auch genannt werden, gehören ebenso zum AZT-Repertoire wie die Verletzbarkeit durch Terroristen. „Bei Themen, die nicht zu unserer Kernkompetenz gehören, holen wir uns Unterstützung“, erläuterte Lieske. „Zum Beispiel durch den Nachbarn unserer Berliner Filiale die britischen Sicherheitsspezialisten Control Risks. Wenn uns ein Unternehmen beauftragen würde, einen Angriff durch Terroristen auf ihre Anlagen unter realen Bedingungen durchzuspielen, könnten wir auch das.“

Heute, nach der Telekom-Abhöraffäre, mag man daran nur ungern erinnert werden. Überhaupt will man sich auf gar keinen Fall in der Nähe von James Bond oder anderen, real existierenden Nachrichtendiensten sehen. Das war nicht immer so.

Am 18.11.1985 schrieb der Spiegel, Wolfgang Schieren, Vorstandsvorsitzender der Allianz-Versicherung, ließ Geld sammeln, damit der Bundesnachrichtendienst (BND) mit dem Privatdetektiv Werner Mauss einen Vertrag schließen und ihn auf Terroristenjagd schicken konnte. Ansonsten hätten die Versicherer hohe Summen zahlen müssen.

Mit Werner Mauss verband die Allianz viel, wenn man Stefan Aust Glauben schenken darf. In seinem Buch „Mauss – ein deutscher Agent“ heißt es auf Seite 54: „Seit 1965 hatte er vor allem für die Allianz-Versicherung gearbeitet, vorwiegend im Bereich des organisierten Kraftfahrzeugdiebstahls mit Schadenssummen über 100 000 Mark.“

Eine frühe Form der Public Private Partnership gewissermaßen. Eine Zusammenarbeit zwischen der Versicherungswirtschaft und dem Bundeskriminalamt (BKA) gibt es heute, wie BKA-Pressesprecherin Sandra Clemens auf Anfrage mitteilt: „Das Bundeskriminalamt arbeitet im Rahmen seiner Zuständigkeiten - zum Beispiel im Phänomenbereich Eigentumskriminalität (Rückführung von im Ausland sichergestellten Fahrzeugen) - auch mit privaten Institutionen (zum Beispiel Versicherungsgesellschaften oder deren nationalem Dachverband) zusammen. Seitens des BKA wird dabei der Kontakt zu der Institution aufgebaut.“

Um Ermittlungen ganz anderer Art ging es im Rahmen des Visa-Skandals. Der Untersuchungsausschuss wollte herausfinden, wie es sein konnte, dass die sogenannten Reiseschutzpässe die höchsten ministeriellen Weihen sowohl des Bundesinnenministeriums unter Otto Schily als auch des Bundesaußenministeriums unter Joschka Fischer erhalten konnten. Mit Hilfe der umstrittenen Papiere konnten tausende Ukrainer legal nach Europa einreisen, und dann illegal abtauchen. Derjenige, der die Reiseschutzpässe kreierte, hatte für die Allianz gearbeitet. Gedruckt wurden sie von der Bundesdruckerei, an der die Allianz beteiligt war.

2005 berichteten Focus und Die Zeit, die Union wollte die Verbindung des Außenministers zum Finanzvorstand der Allianz, Paul Achleitner, problematisieren. Nach Angaben dieser Printmedien sei Achleitner befreundet mit dem damaligen Außenminister und habe ihn auf seiner Finca in Mallorca wohnen lassen.

Doch die Welt ist nicht genug. Die Zukunft steht auf dem Spiel. Deshalb brachte Lutz Cleemann eine Studie über die Risiken der Nanotechnik heraus. Nanopartikel überwinden die Blut-Hirn-Schranke im menschlichen Körper. Doch wer sagt den Teilchen, ob sie als Medizin im menschlichen Körper oder als Gift wirken? Wir führen heute eine Debatte über die Gefahr durch Feinstäube, doch Nanoteilchen sind um ein Vielfaches kleiner und dringen deshalb durch die Haut und in die Lungen.

Für Nano-Produkte gibt es keine Normen; und das, obwohl sie bereits in der industriellen Fertigung sind. Für die neuen Stoffe gelten weder TÜV-, noch DIN- oder ISO-Normen. Ohne verbindliche Standards keine einheitlichen Messverfahren, und ohne die gibt's keine Arbeitsschutzbestimmungen, keine Grenzwerte für die Bevölkerung, keinen Umweltschutz, keine Richtlinien zur Müllbeseitigung und das bei Materialien, die teilweise als unzerstörbar gelten. Damit aber kann auf die Menschheit und die Allianz Versicherung ein so gewaltiges Problem zukommen, wie es zuvor Asbest verursachte. Deshalb forderte Cleemann endlich die Sicherheitsforschung und –standards und war damit Greenpeace um Längen voraus.

Mit der Umweltschutzorganisation hatten sie gemeinsam, bei Firmen weltweit gefürchtet und unbeliebt zu sein. Denn niemand lässt sich gerne unter's Sofa schauen oder bei allerlei Schweinereien ertappen. Der Leidensdruck ist hoch, selbst wenn die Investitionen, die er forderte, letztendlich zu Einsparungen führen, wusste Cleemann.

Eelektromagnetische Unverträglichkeiten

Wohl auch deshalb gibt es mit der Sparte Automobil den zweiten Bereich des AZT. Der Lieblingsfeind des dortigen Geschäftsführers Dieter Anselm ist die „elektromagnetische Unverträglichkeit“ (EMV). Auch wenn der Fachbegriff hier gar nicht gerne gehört wird. Von EMV spricht man immer dann, wenn Elektronik sich gegenseitig stört. Sie ist so gefürchtet, dass Autohersteller Millionen teure Absorberhallen für Tests bauen und dennoch dem Problem nicht Herr werden.

Je mehr Elektrik und Elektronik im Fahrzeug verbaut wird, desto störanfälliger wird es. Ein Problem, das also eher noch zunehmen wird. Enorme Reparaturkosten und Schadensersatzprozesse drohen. Daher wird es von der Industrie gerne totgeschwiegen. Anselms Bereich übt sanften Druck aus, etwa über die Versicherungsprämien. Ist die hoch, ist so manches an dem Fahrzeugtyp geschludert, auch wenn das AZT dies nie so öffentlich sagen würde. „Je mehr aufwändige Steuerungssysteme verbaut werden, desto mehr Probleme kommen zurück, die wir gelöst glaubten“, klagte der Q des Unternehmens, Techniktüftler Carsten Reinkemeyer. „Je mehr teure Geräte wie GPS und Telematik verbaut werden, desto mehr werden auch die Reparaturkosten steigen, die wir mühsam gedrückt haben.“

Dabei galt die Technik als ausgereizt. Einer der größten Coups des AZT war die Erfindung der Wegfahrsperre. Hartmuth Wolff, der Leiter der Sicherheitsforschung des AZT, erinnerte sich: „Mit der Wende und der Öffnung nach Osten wurden die Autos schneller geklaut, als sie versichert wurden.“ Damals holte der spätere Pressesprecher Christian Weishuber die gestohlenen Fahrzeuge aus Osteuropa zurück.

Doch die Autos sollten gar nicht erst entwendet werden. Also ersann Wolff ein Schutzsystem, das sich selbst einschaltete. Denn auf den Menschen verlässt man sich nicht, den würde man bei der Allianz liebsten ganz abschaffen. Denn kaum haben die Experten das Auto sicherer gemacht, wird der Mensch wieder zum Risikofaktor. Wer sich nämlich am PC an Autocrashs vergnügt, wird oft auch im richtigen Leben zum Rowdy, fand der hauseigene Psychologe Jörg Kubitzki heraus. Fazit: „In dem Maß wie wir die Technik in den Griff bekommen, so denkt sich der Mensch Wege aus, wie er neue Katastrophen produzieren kann.“