Antifaschismus mit Spaßeffekten

In Köln haben Nazis und andere Hetzer nichts zu lachen. Der CDU-Oberbürgermeister ist stolz auf seine Stadt, und die Boulevardpresse vor Ort feierte schon am Samstag genüsslich die Niederlagen der Euro-Faschisten

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Der sogenannte „Anti-Islamisierungskongress“ von „pro Köln“ sollte ein Meilenstein für eine vernetzte europäische Rechte werden und im Rheinland breite Sympathien für die Hatz auf Muslime wecken (Aufmarsch der Retter des Abendlandes). Diese Rechnung ist nicht nur nicht aufgegangen. Der Schuss ging förmlich nach hinten los. Einige geladene Rechtsextreme aus Nachbarländern reisten – wohl aus Angst vor der Kölner Courage – erst gar nicht an. Andere bekamen es in der Rheinmetropole mit der Angst zu tun. Der bürgerliche Widerstand beschränkte sich schon am Freitag keineswegs auf Teelichter und kölsche „Arsch Huh“-Romantik. Wohin die Rechten auch kamen, stellten sich die Kölner quer.

Transparent in einem Baum an der Köln-Deutzer Brücke. Alle Fotos: Peter Bürger

Die Freitag-Chronologie der aktuellen Wochendausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers liest sich wie ein Krimi. Ursprünglich hatte Pro Köln im Rathaus Nippes eine angebliche „Fraktionssitzung“ angekündigt. Stattdessen verkündet um 9.30 Uhr der SPD-Bezirksbürgermeister vor dem Amtsgebäude: „Braun ist in Nippes unerwünscht!“ Seine CDU-Kollegin in Rodenkirchen lässt die Presse um 10.45 Uhr wissen: „Wir lassen die aber auf keinen Fall hier eine Sitzung abhalten.“ 200 linke Demonstranten sind am Platz. Ein „Pro Köln“-Ratsmitglied wird attackiert.

Um 11 Uhr soll der Rheindampfer „Mobby Dick“, auf dem man sich offenbar als „Rechts“-Anwältekonferenz angemeldet hatte, für die Pressekonferenz der Faschisten herhalten. Die von „Pro Köln“ erst spät informierte Polizei ist – im Gegensatz zu 50 Antifa-Leuten – noch nicht am Ort. Eine Fensterscheibe geht nach einem Steinwurf zu Bruch. Der Kapitän fährt vorzeitig los. Die Vertreter der „British National Party“ können nicht mehr an Bord.

Nun beginnt eine Irrfahrt. In Niehl liegt das Schiff dann stundenlang fest. Einerseits gibt es aufgrund der defekten Scheibe offenbar polizeiliche Bedenken bezüglich der Fahrsicherheit. Außerdem ist eine nahe Fußgängerbrücke von antifaschistischen Demonstranten besetzt. Demonstranten auf der Mühlheimer Brücke halten das Schiff später auf seinem Kurs Richtung Innenstadt auf. Nachmittags wollen die Kölner Rechten ihren europäischen Gesinnungsgenossen auf einer Busrundfahrt die „Multikulti-Problemviertel“ zeigen.

15.25 Uhr steht endgültig fest, dass die dafür georderten Busfahrer ihren Dienst verweigern. Die Polizei überreicht „Pro Köln“ auch eine Verbotsverfügung für den rassistischen Ausflug, denn Polizeipräsident Steffenhagen betrachtet die „öffentliche Vorführung bestimmter Bevölkerungsgruppen“ als „nicht hinzunehmende Provokation“. Nach 15.35 Uhr wollen die Rechten mit dem Taxi davon, doch die Kölner Taxifahrer sind per Rundruf verständigt worden, den Bereich Zoobrücke wegen der unerwünschten Fahrgäste zu meiden.

Einige rechtsextreme Touristen haben das antiislamische „Europa-Bündnis“ und sein Chaos schon heimlich verlassen. Nach 18.00 Uhr fahren schließlich Zivilpolizisten die mit Angst erfüllten Anti-Islam-Hetzer zum „Holiday Inn“. Die Managerin des Hotels ist aber von der Bundespolizei über die Identität der besonderen Gäste aufgeklärt worden und kündigt das Mietverhältnis. Im Porzer Nachthafen hatten die Rechtsradikalen abends ein „Geburtstagsessen“ angemeldet. Auch dort wird ihnen der Tisch gekündigt.

Samstag: „Antifa-Eier“ auf einer Kölner Bank

Köln ruft „Ätsch!“

Bemerkenswert ist, welches Bild auch die Kölner Boulevardmedien am Samstag über diesen Irrlauf abgaben. Der lokale „Express“ unterlegt sein Titelbild mit der Nachricht: „Kölner booten die Rechten aus. Mit viel Witz und Ideen. Irrfahrt auf der Mobby Dick.“ Die Chronologie, weitgehend deckungsgleich mit der Schilderung des Stadt-Anzeigers, ist in „Ätsch 1“ bis „Ätsch 11“ gegliedert. Darunter ein lachendes Bild vom Oberbürgermeister. Der lobt die Kölner, weil sie sich mit Riesen-Erfolg „gegen Ausgrenzung, Rassismus und Intoleranz“ quer stellen.

Die „Bild“-Zeitung Köln bringt am selben Tag auf Seite Eins immerhin einen Kasten „ARSCH HUH!“ und den Text: „Kein Veranstaltungsraum, kein Bus, kein Hotelzimmer. Kölner jagten gestern die Teilnehmer des 'Anti-Islam-Kongresses' aus der Stadt.“ Die Seite 3 dazu vermeldet: „Köln schmeißt die Rechten raus.“ Der Untertitel „Menschenkette gegen Faschismus.“ Zu den Freitagabendprotesten folgt die ungewöhnliche Meldung: „3000 Linke und Autonome zogen am Abend lautstark aber friedlich vom Bahnhof durch die City.“ Unter dem Vorzeichen einer Kölner Einigkeit vom linken Motorradclub „Kuhle Wampe“ bis hin zum Katholikenausschuss ist das Bild der Boulevardpresse hier eindeutig: Die Rechten sind die „Loser“.

Am Samstag war der „Express“ auch beim Linken eine beliebte Lektüre

Stereotype Schlagzeilen zu „linksradikaler Gewalt“

Der ganz andere Tenor in einigen Zeitungen, die aus der Nachbarschaft oder anderen Bundesländern berichteten, fällt ins Auge. Der Kommentator der Frankfurter Rundschau http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/kommentare/1597337_Wir-sind-Deutschland.html machte sich z.B. nach „politische korrekten“ Ausführungen zu „Pro Köln“ vorsorglich Gedanken über Gefühle, die Minarette auslösen können und bekundete patriotisch: „Wir sind Deutschland – Christen, Muslime, Hindus, Wellness-Buddhisten, Irgendwie- und Gar-nicht-Gläubige.“ Seine Sorge galt auch dem freien Samstag der Kölner. Bei Blockaden und Kölsch-Verbot für Nazis dürfe es nicht bleiben, denn „dann ließe sich der liberal gesinnte Teil der Gesellschaft vom Rudel Rechtsextremer die Wochenendgestaltung diktieren“.

Samstagabend lautete die erste Meldung auf der Startseite von FR-Online Ausschreitungen bei Anti-Islam-Kongress - 500 Radikale in Polizeigewahrsam. Der Text bezieht dies auf die „linksautonome Szene“. Vorausschauend hatte schon am 17.9. auch die in Düsseldorf mit monopolähnlicher Stellung ausgestattete „Rheinische Post“ vor linker Gewalt aus dem Spektrum der Düsseldorfer Solidaritätskreise gewarnt:

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Während der eher bürgerliche Appell zum friedlichen Protest aufruft, bereiten linke Extremisten eine Blockade der Kölner Innenstadt vor. Ihr Ziel: Die Anreise der Anti-Islamisten gar nicht erst zuzulassen. Auch dieser Aufruf wird von Düsseldorfer Seite unterstützt. Im Internet macht der als gewaltbereit geltende autonome Antifa-Kok (Koordinierungskreis antifaschstischer Gruppen in Düsseldorf) seit einiger Zeit mobil … Dem polizeilichen Staatsschutz in Düsseldorf sind die Aufrufe bekannt. Einschlägig bekannte Krawallmacher aus der linken Szene müssen vor ihrem Ausflug nach Köln mit Kontrollen rechnen.

Noch vor Samstagmittag wusste Welt-Online mit der Schlagzeile Massive Angriffe von Linksextremen bei Demo, dass solche Befürchtungen wieder einmal richtig waren und man sich offenbar über die Rechtsextremisten erst in zweiter Linie Sorgen machen muß.

Auch die Leser von Welt-Online denken mehrheitlich vermutlich anders als die meisten Kölner. Das Blatt fragte sie in einer Umfrage: „Was halten Sie vom Anti-Islamisierungskongress in Köln?“ Das Ergebnis zu dem – im zweiten Punkt sehr offenen – Antwortangebot: 21% „So etwas sollte es in Deutschland nicht geben.“ 36% „Es ist wichtig, über das Thema offen zu sprechen.“ 43% „Gut, dass Pro Köln die Idee hatte.“ (1162 abgegebene Stimmen)

Aus Düsseldorf kamen auch solidarische Antifaschisten angereist, die jenseits der Lokalfehde „Alt oder Kölsch“ die Domstadt lieben

Ich bin – wie viele Telepolis-Leser wissen – kein politisch abstinenter Publizist und hege nach eigenen Erfahrungen z.B. in Rostock (Bericht eines Demonstranten aus Rostock) erhebliche Zweifel an den stereotypen Berichten über „linksradikale Gewalt“. Zusammen mit einem evangelischen Theologenfreund aus der „Solidarischen Kirche im Rheinland“ habe ich am Samstag an einer Blockade von Düsseldorfern und Ruhrgebietsleuten auf dem Köln-Deutzer Bahnhof teilgenommen. Ziel war es, die „Heranführung der Rassisten vom Flughafen“ her unmöglich zu machen.

Die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehörten zu dem von der „Rheinischen Post“ als Krawallmacher charakterisierten Antifa-Spektrum. Von 9.40 Uhr bis zu unserer Abreise um 16.15 Uhr konnten wir indessen bei dieser Gruppe keinerlei Gewalt feststellen. Allerdings haben auch die nordrheinwestfälischen Polizisten während dieses Blockadeabschnitts keine Gewalt ausgeübt und sich nach meiner Beobachtung klug verhalten.

Im Gegensatz dazu berichtete mir abends eine Düsseldorfer Studentin als Augenzeugin, in der Kölner Innenstadt hätten sich Polizisten mit bayrischem Wappen an der Uniform ausgesprochen aggressiv und keineswegs „deeskalierend“ verhalten. Dort kam es bis zu den Abendstunden auch zu Einkesselungen von vielen Antirassisten. Das Problem der meist pauschal gehaltenen Medienberichte über „linksautonome Gewalt“ liegt zunächst in der mangelnden Differenzierung. Große Teile der sogenannten „Linksradikalen“ vereinbaren im Rahmen breitere Bündnisse zivilen Ungehorsam als politische Aktionsform und halten sich dann auch daran. Dass Medien einzelne Gewalttäter oder Gruppen mit gewalttätigen Aktionsformen immer wieder zu einem überdimensionalen „linksradikalen Gewaltkollektiv“ aufbauen und sich mit Vorliebe auf das – auch in meinen Augen höchst unsympathische – militante „Schwarz“ mancher Fraktionen stürzen, ist schlicht unseriös.

Zeitnah ist es auch gar nicht möglich, wirklich zuverlässige Medienberichte über Ereignisse mit so vielen Schauplätzen zu verfassen. Konjunktive sind angebracht und ein Blick auf die jeweils angeführten Zahlen auch. Man sollte von Zeitungsmachern auch das moralische Unterscheidungsvermögen eines Heiner Geißler erwarten: Nach links hin „radikalisierte“ Jugendliche haben in Köln gerufen: „Für die Freiheit, für das Leben. Nazis von der Straße fegen!“ Sie haben eine moralische Basis, und die können Faschisten niemals haben.

Und außerdem: Es waren es am Samstag Blockierer und nicht gemütlich in der Sonne spazierende Salon-Antifaschisten, die den Widerstand der Kölner Bürger verlängerten und schließlich ein Verbot der rechtsextremistischen Kundgebung durch die besorgte Polizei bewirkten. Gewerkschaftler etwa, die sich zu solchen Formen des Widerspruchs entschlossen hatten, werden sich verwahren, in der Zeitung als „Krawallmacher“ tituliert zu werden.

Dieser „Polizeihund“ fühlte sich am Samstag bei Blockierern gut aufgehoben

Der CDU-Oberbürgermeister nennt Faschisten „Faschisten“

Jedenfalls wäre es in einer weiteren Medienanalyse interessant, zu untersuchen, wie unterschiedliche Redaktionen die Themen „linke Gewalt“ und „Gegenwehr der Kölner Bürger gegen Rassisten“ in ihren Schlagzeilen gewichten. Von CDU-Politikern gab es in Köln bemerkenswerte Beiträge. Der NRW-Integrationsminister Armin Laschet sah sich in der Meinung bestätigt, dass die meisten Nicht-Muslime keine Angst vor Muslimen empfinden. Er bemerkte im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger vom Samstag – bezüglich der üblichen Verdächtigungen und Kollektivhaftbarmachungen von Muslimen: „Als Katholik muss ich mich auch nicht ständig für die IRA in Nordirland entschuldigen.“

Oberbürgermeister Schramma benutzte bei seiner Rede vor dem Dom eine klare Sprache, mit der er sich von der verharmlosenden Wendung „Rechtspopulisten“ distanzierte. Er sprach von „braunen Biedermännern“, „Brandstiftern“, „Rassisten im bürgerlichen Zwirn“ und „subtilen Angstmachern“ und nannte die „Pro Köln“-Gäste eine „verfaulte Clique des Eurofaschismus“.

Allerdings schreibt H. Prantl in seinem Kommentar Kein Kölsch für die Mafia in der SZ vom Samstag sehr zutreffend: „Die Parteipolitik in Köln hat muslimfeindlichen Vorurteilen leider Zunder gegeben. … Allein CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma hat den Moscheen-Bau standhaft verteidigt. Die Bürger Kölns wollen mit ihren Aktionen nun auch der CDU zeigen, wie Zivilcourage aussieht.“

Zumal Kommunalpolitiker, die alle sieben Sinne beisammen haben, wissen, was unseren Städten droht, wenn der antiislamische Kulturkampf weiter die Gesellschaft nach unten hin infiziert. Das entsprechende Konzept ist massenkulturell spätestens seit den 1980er Jahren greifbar. Es ist die erforderliche Begleitmusik für jene Weltmächte, die „islamische“ Länder mit Krieg überziehen, weil Gott oder wer sonst ihre Böden mit „unserem“ Öl und Gas bedacht hat oder weil ihnen eine Brückenfunktion beim Zugang bzw. bei der Weiterleitung der entsprechender Energieressourcen zukommt. (Gegen die Rohstoff- und Geostrategiekriege mit deutscher Beteiligung haben zeitgleich zu den Kölner Ereignissen Menschen in Berlin und Stuttgart demonstriert.)

Das antiislamische Politikkonzept ist daneben höchst nützlich bei der Durchsetzung autoritärer Gesellschaftsmodelle, beim Vertuschen einer katastrophalen „Integrationspolitik“ der Vergangenheit und bei der Verschleierung von Widersprüchen, die die Mehrheit der Menschen zu Verlierern macht. Der interessegeleitete antiislamische Kulturkampf hat sich in den letzten sieben Jahren auch als das wirksamste Mittel erwiesen, um emanzipatorische Entwicklungen in islamischen Ländern zum Stillstand zu bringen. Der „islamistische Terrorismus“ schließlich, ein Produkt gewissenloser westlicher Geheimpolitik, und seine mediale Überhöhung zum alles erklärenden Weltproblem haben der rassistischen Islamisierungs-Warnung den Boden bereitet.

Merkwürdig, dass so viele Menschen im sozialen Miteinander „Kulturprobleme“ gut aushalten oder gar vergleichsweise gut lösen können: „Ganz leicht“ muss das gar nicht immer sein, denn „ganz leicht“ geht es selbst in Beziehungen von Menschen mit gleicher Kulturprägung nur selten zu. Und manch einer, ich gehöre dazu, freut sich, wenn er in seiner Stadt ein elegantes „Deutsch“ mit arabischem Sprachrhythmus hört. In der Domstadt am Rhein lautet die erfreulichste Seite der Globalisierung so: „Köln ist bunt, nicht braun!“

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