Notwendige Piratenjagd oder neues militärisches Abenteuer?

Im Oktober stimmt der Bundestag darüber ab, ob deutsche Bundespolizisten und Soldaten nicht nur Piraten bekämpfen, sondern auch Raubfischer, Waffenhändler und Chemikalientransporteure schützen sollen

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Seeleute wünschen ihnen die Pest an den Hals: Piraten, die vor der Küste Somalias Schiffe überfallen. Etwas ähnliches geschah tatsächlich. Piraten starben, als sie die Ladung der „Iran Diyat“ öffneten. Einige hätten ihr Haar verloren und Haut verbrannt. Grund dafür könnten gefährliche Chemikalien sein oder Radioaktivität. Eine deutsche Firma habe den Frachter gechartert und Waffen für Eritrea gehabt, behauptet hingegen der Fischereiminister Abdulqadir Muse Yusuf der Region Puntland Somalias. Nach Angaben der britischen Security-Firma Inkerman habe Ibrahim Mohammad-Nabi von der iranischen Reederei dies allerdings verneint.

Chemikalien, Atommaterialien, Waffen, und das bei einem deutsche Charterer – weshalb dieser Vorfall dennoch bislang nicht größeren Wirbel verursacht hat, ist irritierend und nur zu erklären, weil sich die öffentliche Wahrnehmung darauf konzentrierte, es gehe darum, deutsche Segler und Seeleute zu schützen.

Mit diesem Argument beschlossen die Außenminister der Europäischen Union, im Dezember eine Marinemission vor die Küste Somalias zu schicken, die von Brüssel aus koordiniert werden soll Im Oktober steht das Thema erneut auf der Agenda der Minister. Der Rat hat nämlich außerdem eine militärstrategische Option für eine eventuelle Marineaktion der Europäischen Union gebilligt. Eine Beteiligung an einer sogenannten ESVP-Mission (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) zur Bekämpfung der Piraterie wäre gekoppelt an eine Zustimmung des Bundestags.

Viele offene Fragen

Bevor die Abgeordneten über einen Beschluss abstimmen, der solche Tragweite hat, sollten allerdings vorher die Grundfragen angesprochen und geklärt worden sein: Wer bestimmt, wo deutsche Polizisten und/oder Soldaten in welchen Gegenden eingesetzt würden gegen wen (wer ist Pirat?), um Frachter welcher Nationalität mit welchen Gütern an Bord zu schützen?

Würden z. B. auch Waffenlieferungen von der deutschen Marine beschützt? Vor zwei Jahren verschiffte ein Unternehmen mit Schweizer Firmensitz illegal Giftmüll in die Elfenbeinküste. Ein niederländisches Gericht untersucht nun die Vorgeschichte des Giftmüllskandals. Der Fall ist für die aktuelle Debatte in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen sind Schiffe mit solcher Ladung interessant für Terroristen, die sich entweder in den Besitz großer Mengen solcher Substanzen bringen oder eine Umweltkatastrophe herbeiführen wollen. Zum anderen müsste die Frage gestellt werden, ob deutsche Bundespolizisten oder Soldaten für solch eine umstrittene Ladung ihr Leben riskieren sollen?

Vor kurzem wurde ein französischer Thunfischfänger vor den Seychellen überfallen. Dies wirft die Frage auf: Wer sind die eigentlichen Piraten? Diejenigen, die vor fremden Küsten Raubbau betreiben und mit großen Trawlern (Artikel berichten von 2000 Mann Besatzung auf französischen und spanischen Schiffen) die Bestände leerfischen, oder die einheimischen Fischer, die sich dagegen wehren, dass ihnen ihre Lebensgrundlage zerstört wird? 2003 berichtete Die Zeit ausführlich über die Machenschaften der Raubfischer in Somalia, von denen nach Angaben der Wochenzeitung auch europäische Reeder profitieren sollen.

Angesichts dessen klingt es zynisch, wenn diese jetzt lauthals nach der Marine rufen. Wann wird wieder die französische Marine gegen Greenpeace-Schiffe vorgehen, die Raubfischerei anprangern? Nach spanischer Rechtsauffassung können zumindest bereits simple Demonstrationen als Akt von Terrorismus eingestuft werden. So wie Reeder den Schutz ihrer Mannschaft fordern, können die Somalier auch darauf pochen, dass die Fischereiverträge mit der Europäischen Union eingehalten werden. Dazu würde aber auch gehören, dass die Fangquoten der ausländischer Boote eingehalten und kontrolliert und Verstöße geahndet würden.

Doch dieser Aspekt wird bislang kaum beleuchtet. Immerhin wird aber von Greenpeace oder in Wikipedia erklärt, die ausländischen Industrietrawler hätten die Situation ausgenutzt, dass es keine Kontrollen mehr in den Hoheitsgewässern gab, als die Regierung 1991 stürzte. Die einheimischen Fischer verloren ihre Lebensgrundlage und begannen deshalb, die Eindringlinge zu überfallen Allerdings hätten sich die Piraterie als so lohnend herausgestellt, dass an die Stelle des Existenzkampfes Geschäftemacherei trat, bei dem die Warlords mitmischten.

2006 war die Crew des spanischen Kutters „Albacora IV“ von somalischen Piraten eingekreist und gegen Lösegeld freigegeben worden war: Die Piraten waren von zwei britischen Golfkriegsveteranen angeführt worden, die aus der Armee entlassen worden waren. Es heißt, dass sich Kämpfer der Kriege auf dem Balkan oder in Tschetschenien und Söldner verschiedenster Herkunft an der Küste des gesetzlosen Staats Somalia eine Existenz als Seeräuber aufgebaut hätten.

Auslagerung des Risikos?

Auf wen genau also träfen deutsche Einsatzkräfte? Es wäre dringend nötig, dass alle Abgeordneten wirklich wüssten, worüber sie eigentlich abstimmen. Denn zur Zeit zeigt sich am Beispiel Afghanistan, dass offenbar so mancher für etwas stimmte, was gar nicht auf belastbaren Erkenntnissen beruhte. Einsatz von Militär in feindlichem Kontext kann zum Sterben von Soldaten führen – dies scheint entweder nicht jedem klar gewesen bzw. verdrängt worden sein. Noch diffiziler würde die Situation zur See sein. Bislang gibt es keinen Überblick über mögliche Einsatzszenarien, Anforderungen an Ausrüstung und Fähigkeiten. Und dennoch soll der Bundestag abstimmen

Wieso erwartete „die Bremer Reederei Beluga Shipping deutschen Behördenbeistand, obwohl sie ihren Frachter unter der Billigflagge von Antigua und Barbuda registriert hat und keinen einzigen Deutschen an Bord beschäftigt?“, fragt die Neue Osnabrücker Zeitung und stellt als erstes Medium die Frage nach dem Sinn der jetzigen Debatte.

Der Schwergutfrachter „BBC Trinidad“ war vor der Küste Somalias von Piraten überfallen worden. Inzwischen ist die Russisch-philippinische Mannschaft gegen Zahlung von einer Million Euro freigelassen worden. Die Neue Osnabrücker Zeitung schreibt: „Weniger bekannt war bisher, dass die meisten der 57 Beluga-Frachter im Inselstaat Antigua und Barbuda registriert sind. Unter solchen Billigflaggen müssen Reeder weniger Steuern und Heuern zahlen und niedrigere Sicherheitsauflagen beachten.“ Deshalb hätte sich der Bremer Reeder eigentlich vertrauensvoll an die Marine- und Polizeikräfte von Antigua und Barbuda wenden müssen.

Immerhin gilt: „Nach dem Flaggenstaatprinzip haben alle Staaten das Recht, Schiffe auf hoher See unter ihrer Flagge fahren zu lassen. Gemäß Art. 92 Seerechtsübereinkommen (SRÜ) übt der Flaggenstaat außerdem die ausschließliche Hoheitsgewalt über seine Schiffe aus. Er allein hat somit die Rechtsetzungs- und Durchsetzungsgewalt“, heißt es in der Stellungnahme des Pressesprechers des Bundesinnenministeriums (BMI) Markus Beyer auf Anfrage des Fachmagazins CD Sicherheitsmanagement. Übersetzt in Alltagssprache heißt das: deutsche Reeder, die unter Billigflagge fahren, sollten bzw. müssten jetzt nicht nach der deutschen Marine rufen. Denn offenbar nahmen sie bislang das Risiko, überfallen zu werden, in Kauf für einen höheren Gewinn.

Würde es sich hingegen um deutsche Schiffe mit deutscher Besatzung handeln, wäre zum Schutz die Bundespolizei zuständig. Auf Anfrage bestätigt dies auch das Büro des CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten Hans Peter Uhl. Der sicherheitspolitischer Referent der Grünen im Bundestag, Andreas Körner, gibt zu bedenken, dass in der aktuellen Debatte sich die Aufmerksamkeit auf die Marine konzentriert habe. Völlig unter den Tisch gefallen sei ausgerechnet die Bundespolizei und die Frage, welche Fähigkeiten Einheiten wie die GSG 9 für maritime Lagen besitze und welche nicht.

Ansonsten scheinen sich die Abgeordneten auf das zu verlassen, was ihnen die Pressestelle des Bundesinnenministeriums mitteilt. Und das ist doch höchst erstaunlich. Markus Beyer, Pressesprecher des BMI, schreibt dem Fachblatt „CD Sicherheitsmanagement“: „Entgegen der in Ihrer Anfrage enthaltenen Behauptung, die Bundespolizei habe die Mittel und Fähigkeiten zur Bewältigung maritimer Einsatzlagen im Ausland, verfügt die Bundespolizei nicht umfassend über die notwendigen Ressourcen.“ Verblüffend. Ausgerechnet der Repräsentant des Bundesinnenministeriums schreibt über seine ihm nachgeordneten Spezialeinsatzkräfte von der GSG 9, dass sie in Wahrheit für Geisellagen zur See und andere Einsatzlagen nicht gerüstet sei. Dies wäre ein Skandal. Die Frage des Fachdienstes bei der Bundespolizei, ob denn die Auskunft tatsächlich zutrifft und wie sie zu verstehen ist, wird von Pressesprecher Jörg Kunzendorf unbeantwortet zurückverwiesen an das Bundesinnenministerium.

Fachreferent Andreas Körner hat den Eindruck, die Reeder hätten die Marine am liebsten als maritimen Werkschutz – sozusagen eine Public-Private-Partnership. Dies würde aber auch bedeuten, dass das Risiko ausgelagert würde: verdient wird privat, gestorben beim Bund.

„Die Marine wollte seit langem von der Küste hinaus in die weite Welt“, meint der Grüne Andreas Körner. Immerhin gehe es im Zug des Umbaus der Streitkräfte darum, die eigene Stärke zu erhalten, auszubauen und die entsprechenden Einsatzmittel zu erhalten. Wenn jetzt also darauf verwiesen werde, es gäbe für einen Einsatz gegen Piraten nicht die nötigen Ressourcen, sei dies ehe ein Indikator dafür, worum es auch gehe: Rüstungsausgaben.

Seit Jahren liegen Pläne in der Schublade, Schiffe von der Marine schützen zu lassen und gegen Piraten vorzugehen. Das, was jetzt als aktuelle Debatte daherkommt, wurde in Wahrheit vor Jahren vorbereitet. Damals wurde der Zug auf´s Gleis gesetzt, inzwischen ist das Thema ganz oben in der Politik angekommen, und jetzt bemerken auch die Medien das Thema.

Andreas Körner

Dennoch werden lebenswichtige Fragen bislang nicht gestellt: Würde z.B. ein Mandat für einen Marineeinsatz auch bedeuten, Bohrplattformen vor Nigeria zu schützen? Immerhin schlägt Frankreich vor, dass dort, wo Staaten nicht für Sicherheit auf dem Meer sorgen können, ihre Hoheitsgewässer multinationalen Kampfverbänden öffnen sollen. Wird dies akzeptiert, dürften multinationale Einheiten unter UN-Mandat eingreifen, ohne jedes Mal die entsprechenden Länder um Erlaubnis fragen zu müssen.

Andreas Körner findet solche Bestrebungen bedenklich und warnt davor, dass die aktuelle Debatte um Hilfe vor Somalias Küste die Tür aufstoßen könnte für ganz andere, weitreichende Konzepte. Die Gefahr bestehe, dass über den Umweg der EU Vorstellungen z.B. Frankreichs umgesetzt werden, die in Deutschland nie mandatiert würden.