Die Debatte vor der Debatte

Gut geplanter Stunt der McCain-Kampagne kann nach hinten losgehen

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Dass der Vorlauf zu großen politischen Diskussionsereignissen immer schon Teil des Versuches ist, die eigentliche Debatte zu gewinnen, ist bekannt. Alan Schroeder, Autor des einschlägigen Buches „Presidential Debates: Fifty Years of High-Risk-TV“, hat den Ablauf in drei Phasen eingeteilt – „Predebate“, „Debate“ und „Postdebate“. Die Entwicklung der „Debatte vor der Debatte“ in diesem Jahr sprengt jedoch den bislang vorhandenen Rahmen dieses mit Spannung erwarteten Höhepunktes im Präsidentschaftswahlkampf.

Der Republikaner John McCain hat durch ein noch am Tag der ersten Präsidenschaftsdebatte höchst umstrittenes und unklares Manöver eine über Jahrzehnte gewachsene Institution des US-amerikanischen Medienwahlkampfs ins Wanken gebracht (Eine besonders effektive Form von Wahlkampf). Mit der Ankündigung des „Aussetzens“ seiner Wahlkampagne aufgrund der Finanzkrise und dem Junktim der Debattenteilnahme mit dem Beschluss für ein milliardenschweres Notfallpaket ist die Lage noch unklar: Wird an der „Ole Miss“, der Universität von Missouri, am heutigen Freitag diskutiert oder nicht?

In der öffentlichen Berichterstattung dominieren – natürlich – die Kandidaten: John McCain, der sich bis Donnerstag Abend nicht zu einer endgültigen Aussage durchgerungen hat, und Barack Obama, der nach außen Entschlossenheit demonstriert und auf die Multitaskingfähigkeit eines US-Präsidenten hinweist. In den zwei Tagen des Debatten-Durcheinanders gab es unterschiedliche Interpretationsvorschläge zum taktischen Gehalt des McCain-Manövers, die zwischen „echter Besorgnis um die Lage des Landes“ und „Fluchtversuch vor dem Debatten-Event“ pendelten.

Inzwischen mehren sich Stimmen, die McCains Zeitspiel als campaign stunt werten: als Versuch, den Kalender der insgesamt vier Diskussionsrunden über den Haufen zu werfen. Denn findet die erste Debatte nicht am heutigen Freitag statt, rückt als nächstes die Runde der Vizepräsidentschaftskandidaten in den Blick – hier stehen sich mit Sarah Palin und Joe Biden gleich zwei Wackelkandidaten gegenüber. Seit ihrer Antrittsrede auf dem Parteitag haben die Republikaner eine Art „Sicherheitswall“ um die Governeurin aus Alaska errichtet, die sich derart selten an die Öffentlichkeit richtet, dass selbst republikaner-freundliche Kreise Skepsis anmelden. Doch auch Joe Biden, running mate von Barack Obama, gilt nicht als perfekter Diskutant, er neigt zu rhetorischen Unsicherheiten und verbalen Ausrutschern.

Im Falle einer Absage der ersten Debatte am heutigen Freitag scheint deren Neuansetzung am 2. Oktober eine realistische Variante – für diesen Tag ist jedoch das Aufeinandertreffen von Palin und Biden geplant. Damit wäre weiteren Spekulationen Tür und Tor geöffnet – wird die Debatte der Vizepräsidentschaftskandidaten „geopfert“, damit sich Obama und McCain drei Mal messen können? Oder entfällt vielleicht das offenere Format des Townhall Meeting, geplant als Debatte Nummer drei am 7. Oktober? Wie auch immer, eine Absage der ersten Debatte macht den durch die Finanzkrise ohnehin schon verzerrten Terminkalender in den letzten 40 Tagen vor der Wahl noch unübersichtlicher.

In diesem Durcheinander ist eine weitere Ebene des Debattenproblems beinahe völlig aus dem Blick geraten: Wie reagieren eigentlich die offiziellen Organisatoren und Veranstalter auf die taktischen Schachzüge der Kandidaten? Anders als etwa in Deutschland gibt es mit der Commission on Presidential Debates eine offizielle Regulierungsinstanz, die den Prozess koordiniert und überwacht. Ihr obliegt unter anderem die Veranstaltungsplanung, sie koordiniert die Vergabe der Debatten an die Veranstaltungsorte, entwickelt Vorschläge für den Debattenverlauf, besorgt Sponsoren und wählt die Moderatoren aus. Ironischer Weise wurden gerade in diesem Jahr die agreements zu den Diskussionsrunden besonders früh von beiden Kampagnen-Teams unterzeichnet – schon im August hatten die Kontrahenten in einem gemeinsamen Statement die Regularien für die Debattenserie anerkannt.

Die hartnäckigen Pläne von John McCain, nicht an der heutigen Debatte teilzunehmen, bringen nun eine über Jahrzehnte gewachsene Konstruktion ins Wanken. Eigentlich fungiert die Kommission als eine Art Clearingstelle zwischen den beteiligten Akteuren und soll die unterschiedlichen Wünsche von Kandidaten und den übertragenden Fernsehsendern bündeln und in ein von allen anerkanntes Format überführen. Im laufenden Verfahren scheinen der überparteilichen Non-Profit-Institution jedoch empfindlich ihre Grenzen aufgezeigt zu werden, denn es fehlt an Sanktionsmöglichkeiten. Debatten-Experte Alan Schroeder: „Die von den Kandidaten unterzeichnete Übereinkunft ist kein rechtsgültiger Vertrag, demnach kann die Kommission im Falle einer Regelverletzung keine Bestrafungen aussprechen.“

Interesse an einer „Bestrafung“ für eine mögliche „Duell-Flucht“ von John McCain könnte zum Beispiel die University of Mississippi haben, die sich seit mehr als eineinhalb Jahren auf dieses mediale Großereignis vorbereitet. Etwas trotzig zählt auf der eigens eingerichteten Debatten-Website eine Uhr die verbleibenden Stunden bis zum vorgesehenen Start, darunter wird die Stellungnahme der Kommission vom 24. September zitiert: „Die Aufgabe der Commission on Presidential Debates ist es, ein Forum bereitzustellen, in dem die amerikanische Öffentlichkeit beobachten kann, wie sich die Spitzenkandidaten um das Präsidentenamt zu den kritischen Themen der Nation verhalten. Wir glauben, dass die Öffentlichkeit gut beraten ist, wenn alle Debatten wie geplant durchgeführt werden.“

Neben dem Image-Verlust, den eine Absage auch für den Veranstaltungsort mit sich bringen würde, steht aber auch die finanzielle Dimension des Projektes: die Kosten für die Vorbereitung werden bislang von der Universität auf etwa 5,5 Millionen Dollar beziffert. Eine Entschädigungspflicht besteht im Falle einer Absage nicht, weder für die Kommission, noch für die Kandidaten. Im besten Falle dürfte die University of Mississippi mit der erneuten Berücksichtigung als Austragungsort für 2012 rechnen – doch ob die Universitätsleitung noch einmal solche finanzielle Belastungen eingehen will, dürfte mehr als fraglich sein.

Es scheint, als habe das McCain-Lager diesen campaign stunt durchaus gut geplant – Barack Obama wurde zumindest kurzfristig in die Rolle des Reagierenden gedrängt, das Motto der McCain-Kampagne – Country First – schimmerte durch die Berichterstattung über den ungewöhnlichen Schritt des Kandidaten, zudem drohen keine formalen Konsequenzen bei einem Fernbleiben vom Rednerpult.

Und doch könnte auf John McCain noch eine Bestrafung warten – ganz gleich, ob mit oder ohne Debatte heute Abend. Die öffentliche Wahrnehmung des Manövers scheint allmählich zu kippen und droht McCain in eine Zwickmühle zu bringen, denn in Washington scheint eine Einigung auf den Notfallplan nach den gestrigen Ereignissen unwahrscheinlich. Bleibt McCain in dieser Situation der Debatte fern, wird seine Entscheidung an einen schwierigen Politikprozess gekoppelt, in dem er selbst jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen kann. Nimmt McCain jedoch an der Debatte teil, wird er sich fragen lassen müssen, warum der gravierende Schritt zum Aussetzen des Wahlkampfs notwendig war.

Alan Schroeder bringt die Situation auf den Punkt: „Einzig die Öffentlichkeit kann in dieser Situation eine Strafe aussprechen. Gibt es dort eine starke negative Reaktion auf McCains Verhalten, dann zahlt er auf diese Weise den Preis für das Fernbleiben von der Debatte.“