Satellitenbilder belegen ethnische Säuberungen im Irak

Während die US-Regierung behauptet, dass die Truppenverstärkung (surge) die Lage im Irak beruhigt habe, erklären US-Wissenschaftler, dass dafür die schon zuvor einsetzenden ethnischen Vertreibungen verantwortlich sind

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Der Irak-Krieg ist durch die Finanzkrise praktisch aus dem Blick in den USA und dem Präsidentschaftswahlkampf gerückt. Das war letztes Jahr noch ganz anders, weswegen die US-Regierung das Land befrieden wollte, um Erfolge vorzulegen und die Kritik abzuwehren, die den Demokraten zugute kommen würde. Tatsächlich schien man mit der Methode, vorübergehend mehr Truppen in den Irak zu schicken, Erfolg gehabt zu haben. Etwa zu dieser Zeit gingen Anschläge und Gewalt im Irak, vor allem aber in der Hauptstadt Bagdad, zurück. Seitdem heben US-Präsident Bush und andere Angehörige des Weißen Hauses immer wieder hervor, dass der "Surge" das Land sicherer gemacht habe. Eine Gruppe von Geografen von der University of California in Los Angeles bestreitet dies aber – und hat eine Studie vorgelegt, die das durch die Auswertung von Satellitenbildern belegen soll. Das ist auch deswegen interessant, weil die US-Regierung nun auch einen "Surge" für Afghanistan plant.

Allerdings war der "Surge", die Erhöhung der US-Truppen um 30.000 Mann, nicht die einzige Maßnahme. Das Pentagon übergab der irakischen Regierung und dem irakischen Militär mehr Macht, gleichzeitig setzte man stärker auf Luftangriffe und bezahlte und bewaffnete viele Männer, darunter auch zahlreiche Aufständische und Kriminelle vor allem sunnitischer Herkunft, um sie als lokale Sicherheitsdienste oder Milizen einzusetzen. Damit wurde die Arbeitslosigkeit gesenkt und die Notwendigkeit reduziert, gegen Geld für Aufständische, Milizen oder kriminelle Organisationen zu arbeiten. Diese Gruppen bekämpften andere, um ihr Territorium und ihren Einfluss zu sichern, schließlich durften sie nun ganz legal Waffen tragen und Kontrollpunkte errichten. Allmählich zeigt sich, dass die Ruhe nur vorübergehend war, da vermehrt wieder Kämpfe ausbrechen, da sich die Amerikaner zurückziehen und das von Schiiten kontrollierte Militär sowie andere staatliche Sicherheitskräfte nicht alle übernehmen werden.

Was auch zur möglicherweise nur vorübergehenden Befriedung beigetragen haben könnte, war die Einteilung von Bagdad in Stadtviertel, die zusätzlich durch drei Meter hohe Mauern voneinander getrennt wurden. Zuvor hatte man auch ganze Städte durch einen Sicherheitswall eingeschlossen, um Ein- und Ausgänge zu minimieren und kontrollieren zu können. Im Fall von Bagdad war dies aber allein schon wegen der Ausdehnung der Stadt nicht möglich. Der Bau der Mauern in der Stadt erleichterte durch "containment" die Kontrolle, förderte aber, verstärkt durch die bewaffneten Stadtteilmilizen, die ethnische Vertreibung bzw. die ethnische Homogenisierung.

Die kalifornischen Wissenschaftler, deren Artikel in der Zeitschrift Environment and Planning A erschienen ist, glauben, dass sie diese ethnische Säuberung anhand von Satellitenbildern, die die in der Nacht von Bagdad und anderen irakischen Städten ausgehenden Lichtquellen darstellen, belegen können. Wenn der "Surge" erfolgreich gewesen wäre, so die These, dann hätte die steigende Sicherheit auch dazu geführt, dass mit der Zeit in ganz Bagdad die Beleuchtung zunimmt, da die elektrische Infrastruktur repariert oder wieder hergestellt werden kann. Wie die Analyse der Bilder des Defense Meteorological Satellite Program – Operational Linescan System (DMSP-OLS) für 2003, 2006 und 2007 zeigen, nahm die Lichtintensität in den Städten Kirkuk, Mosul, Tikrit und Karbala, in denen die Bevölkerung homogener ist und die Gewalt geringer war, zwischen März 2006 und Dezember 2007 zu.

In Bagdad hingegen ließ sich das wie bei den anderen Städten nur zwischen 2003 und 2006 feststellen. Just zu der Zeit des "Surge" nahm die Lichtintensität jedoch drastisch ab, was auch noch bis Dezember 2007 anhielt, als die Lage schon längst beruhigt war. Die Verteilung der Lichtintensität war zudem nicht einheitlich. Große Teile der Stadt. So der Bericht, wurden von der ursprünglichen Bevölkerung "gesäubert" und manchmal ersetzt durch Schiiten bzw. Sunniten. Besonders die Stadtviertel mit einer gemischten Bevölkerung wurden des Nachts dunkler, während die Green Zone und Stadtviertel mit einer überwiegend homogenen Bevölkerung wie Sadr City (Schiiten), Al Mansour (überwiegend Sunniten) oder New Baghdad (überwiegend Schiiten)keine Veränderung oder eine leichte Zunahme zeigten. Besonders viele Sunniten seien ganz aus der Hauptstadt geflohen. Es gibt im Irak allein zwei Millionen Binnenflüchtlinge, über zwei Millionen Iraker sind außer Landes geflohen und halten sich vorwiegend in Syrien und Jordanien auf.

Für die Wissenschaftler ist die geringere Beleuchtung ein Zeichen dafür, dass Stadtviertel von Bagdad sich bereits vor der Ankunft der zusätzlichen US-Soldaten nach einem Höhepunkt der Gewalt geleert haben – vermutlich durch ethnische Vertreibung oder Flucht. Durch die Homogenisierung sei dann vermutlich auch die Gewalt zwischen den Gruppen und ihren Milizen zurückgegangen. Die Truppenaufstockung habe "keinen beobachtbaren Effekt" gehabt, allerdings sei durch den "Surge" und seine Darstellung als erfolgreiche militärische Aktion letztlich die ethnische Vertreibung akzeptiert und zementiert worden.