Die Streber des Pop

Mit massenkompatiblen Soundgemälden bedienen "Coldplay" Format-Radio und Supermarktketten. Trotz dieser Breitenwirkung wollen sie als musikalisch bedeutsame Band wahrgenommen werden

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Jede Dekade hat ihren speziellen Sound. An ihm lassen sich Stimmungen der Zeit ablesen. Transportiert wird er, von Ausnahmen wie Hiphop oder Techno abgesehen, von Blockbustern des Popbusiness. Ist das in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Beat der Beatles, Kinks und Who gewesen, war das für die Siebziger jener verschnörkelt-verschachtelte Prog-Rock, den Pink Floyd, Yes oder King Crimson zelebrierten. Ihm folgte, dem Gefühl der Achtziger entsprechend, der düstere Elektro- und Gitarren-Pop, den Depeche Mode, The Cure oder New Order erfanden, der wiederum Anfang der Neunziger vom rumorenden Brachial-Rock ersetzt wurde, den erst Nirvana und danach Oasis pflegten. Und die Nullerjahre des neuen Jahrhunderts? Welcher Sound wird ihnen seinen Stempel aufdrücken?

Chris Martin I love. Top band Coldplay, but that's not the spirit.

Noel Gallagher
Coldplay Poster

Wennie-Sound

Auch wenn solche Aussagen immer erst ex post möglich sind, so spricht doch einiges dafür, dass dies jener Emotional-Pop sein könnte, den Radiohead und Arcade Fire, Muse und Coldplay im Groß-, Keane, Travis, Starsailor oder Athlete im Kleinformat vertreten. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Neuauflage jenes von Kunststudenten verfertigten Bombast-Sound der Siebziger, der später vom rotzig-frechen Punk-Rock der Clash oder Stranglers abgelöst wurde. Neu ist, dass diese gefühlsbetonte Musik Anleihen beim Indie-Rock nimmt und versucht, sie mit ödem Stadion-Rock zu versöhnen.

Interessanterweise zieht dieser Sound, trotz seines hohen musikalischen Anspruchs, aber auch den meisten Spott auf sich. Wer Hörer oder Fan diese Musikrichtung ist, wird in bestimmten Kreisen schnell als uncool abgestraft. „Emos“ und ihre Bands gelten in der Branche als besonders weinerlich und linkisch, pubertär und weltfremd, weil sie sich gern von Gefühlen leiten lassen, von Trauer, Zorn und Verzweiflung, von Angst, Tod und Einsamkeit, die sie dann feierlich und mit viel Liebe zum Pathos öffentlich zur Schau tragen. Ihnen fehlt, was einen echten Kerl auszeichnet und ihn von „Mädchen“ unterscheidet. So nimmt es nicht wunder, dass die Stilrichtung trotz aller Unterschiede unterschiedslos als „Mädchen-“ oder „Kirchenmusik“, als „Kuschelrock“ oder „Musik für Bettnässer“ abqualifiziert wird.

Hang zum Elitären

Das mag zwar höchst ungerecht sein und den popkulturellen Ambitionen der Bands zuwiderlaufen. Zumal man weiß, wie streberhaft und mit welcher Detailversessenheit und Akribie die Musiker an einzelnen Stücken oder Alben feilen, und mit welcher Verbissenheit sie ihr ehrgeiziges Ziel verfolgen, nicht nur von jedermann geliebt und geachtet, sondern auch als „beste Band in der Welt“ in die Popgeschichte einzugehen. Die tiefe Abneigung, aber auch die Häme, die ihnen entgegenprallen, hat vermutlich mit dem greinenden Gesang und der wehklagenden Esoterik zu tun, die sowohl Thom Yorke von Radiohead als auch das Ehepaar Butler/Chassagne von Arcade Fire oder Chris Martin von Coldplay anschlagen; aber auch damit, dass sie dem üblichen Image eines Rockstars so gar nicht entsprechen. Noel Gallagher bringt es auf den Punkt, wenn er sagt:

People want rock stars. People don't want someone to walk on stage and say, I'm the same as you.

Besonders an Chris Martin lässt sich das recht gut zeigen. An ihm scheiden sich die Geister. Selten hat es im Popgeschäft eine Figur gegeben, die mehr polarisiert als der Sänger, Texter und Pianist von Coldplay (Kuschelkonservatismus). Von seinen Fans geradezu kultisch verehrt, dient er anderen als Feindbild und Hassobjekt (Coldplays formvollendete Schwere). Vor allem seitdem er mit der Hollywood-Schauspielerin Gwyneth Paltrow verheiratet ist und im noblen Londoner Viertel „Belgravia“ mit den beiden Kindern Apple und Moses wohnt, gilt er in der Szene als eine Art Gegenentwurf zu Liam Gallagher, dem rüpeligen Sänger der Oasis.

Nicht zufällig beginnt die Erfolgsgeschichte von Coldplay Ende der Neunziger, als Oasis sich musikalisch auf dem absteigenden Ast befinden. Verkörpern Oasis jene prollige Hemdsärmeligkeit, die einst die Anhänger und Wähler von Labour kennzeichnete und sie später für Tony Blair votieren ließ, stehen Coldplay für jene smarten Werte, die sich die snobischen Tories auf ihre Fahnen schreiben und derzeit von David Cameron bestens bedient werden, umweltfreundlich, arbeitnehmerfreundlich. familienfreundlich.

Treu sorgender Kindervater

Martin ist all das, was man vielleicht von einem guten Dad und Ehemann erwartet, nicht aber von einem Rockstar. Obwohl er den Poster Boy der Band mimt, lebt er sehr zurückgezogen und meidet öffentliche Auftritte. Auf einem Weiler in der Nähe von Exeter aufgewachsen, verbrachte der junge Martin seine Jugend mit Cricket und Kirchgängen statt mit exzessiven Bier- und Drogenkonsum. Schon im Internat hörte er mit Vorliebe jene Musik, die er selbst spielt, U2 und Travis. Außerdem war er Mitglied im hiesigen Sting-Fanclub. Seine Unschuld soll er erst im Alter von zweiundzwanzig verloren haben. Auf dem College in London, wo er später auch seine Kollegen kennen lernt, studierte er die Geschichte der Antike. Den Namen für ihre Band entnehmen sie einem alten Lyrikband. Als es nach ersten zaghaften Erfolgen zu Querelen unter den Mitgliedern kommt, beschließt man, quasi basisdemokratisch, fortan den Gewinn zu teilen und auf den Gebrauch von Drogen gänzlich zu verzichten.

In der Öffentlichkeit erscheint Martin immer adrett gekleidet; er zeigt sich sensibel, höflich im Umgang und wohl erzogen; er ernährt sich gesund, makrobiotisch, und lehnt Alkohol und Drogen strikt ab; er hat einen richtigen Abschluss und hängt in keinen verrauchten Bars oder verruchten Clubs herum. Er gilt als guter Ehemann und treu sorgender Kindervater, der sich für Menschenrechte und für Amnesty International engagiert, auf Konzerten für die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam wirbt und für einen gerechten Welthandel eintritt. Gleichwohl gilt er als unheimlich ehrgeizig und streberhaft. Um die Breite seiner Stimme auszuloten, dem Falsett auch tiefe Töne zu entlocken, und das „ständige Kippen zwischen Jodeln und Schluckauf“ (New York Times) zu vermeiden, nimmt er extra Gesangsunterricht. Mit durchaus spürbarem Erfolg, wie die Konzerte jetzt beweisen.

Schlechtes Gewissen

Zu all diesem Strebertum passt, dass sich die Band trotz ihres millionenfachen Erfolgs und Gewinns nach außen betont unkommerziell gibt. Zwar gehen sie nicht so weit wie Radiohead, die gleich ihr ganzes neues Album „In Rainbows“ (wenn auch nur für kurze Zeit und um den Preis minderer Hörqualität) verschenkt haben. Anders als Thome Yorke sind Coldplay vertraglich noch für mindestens einen Longplayer an die Plattenfirma EMI gebunden. Und genau dieser Konzern braucht, nicht erst seit seinem Verkauf an den Private-Equity-Fonds Terra Firma, dringend den Verkaufserfolg, um seine trüben Bilanzen aufzuhübschen. Bekanntlich brach 2005, als Coldplay die Veröffentlichung ihres dritten Albums „X&Y“ verschieben mussten, der Aktienkurs der Firma umgehend ein.

Doch neben vier kostenlosen Konzerten, wovon eins dann Ende August doch von MTV aufgezeichnet und übertragen werden durfte, sind sie ihren kongenialen Partnern und Vorreitern in Sachen Marketing wie so oft gefolgt und haben zur Ankurbelung des Verkaufs ihres vierten Albums auch die Single „Violett Hill“ vorab zum freien Download online gestellt. Darüber hinaus haben sie vier eigenständige Songs des neuen Albums zu zweien zusammengefasst. Wer sie etwa bei iTunes erwirbt, bekommt sie um die Hälfte ihres Preises.

Allein daran erkennt man, dass das „schlechte Gewissen“ der Band bei allen ihren Erfolgen, stets Pate steht. 30 Millionen verkaufte Einheiten bei insgesamt nur drei veröffentlichten Alben, dazu diverse Musical Awards und Grammys sprechen auch eine deutliche Sprache. Anders als Radiohead, die ihren Songs mit überraschenden Beats und Dissonanzen Ecken und Kanten verleihen, haben Coldplay genau wie ihre großen Vorbilder U2 ihren Sound geschliffen, ihn weichgespült und für die Anforderungen des Format-Radio und die Beschallung von Supermarktketten massentauglich gemacht. Auch deswegen haben sie das Image bekommen, eine klassische Schickimicki-Band des gehobenen Mittelstands zu sein.

Für die New York Times ist sie darum auch die unausstehlichste Band dieses Jahrzehnts. Vielleicht ist dies auch mit ein Grund, warum sie sich für einige Monate in einer alten Bäckerei eingenistet haben, um inmitten all der schäbigen Sozialbauten im heruntergekommenen Norden Londons authentischere Luft zu schnuppern als es in dem von Diplomaten und altem Adel bewohnten Nobelviertel möglich ist.

Glück im Unglück

Jenseits aller musikalischen Qualitäten, die Coldplay zweifellos besitzen, ist es vielleicht die Tragik dieser Band, mehr erhabene Größe vermitteln zu wollen, als es ihnen letztlich möglich ist. Sie wollen den perfekten Sound, die tiefsinnigsten Lyrics und größtmögliche Liebe und Verehrung des Publikums. Dass solch hohe Erwartungen im Pop oder an sich selbst zum Fluch werden müssen und die Kreativität lähmen, haben auch schon andere vor ihnen bitter erfahren müssen. Erst recht, wenn sie gleichzeitig auch noch den Auftrag haben, die finanziell dahin darbende Musikindustrie zu retten.

Andererseits gehört es aber auch zum jahrelangen Erfolgsrezept der Band, Publikum und Fans Glück im Unglück zu verkaufen. Die Lebensfreude, die sie vermitteln wollen, endet fast immer in trunkener Trauer und Verzweiflung. In „Don’t Panic“, dem allerersten Song ihres allerersten Longsellers „sinken Knochen wie Steine“. Trotzdem singen sie, nicht ohne Ironie, von einer „schönen Welt, in der wir leben“.

Selbst den amerikanischen Markt, der für britische Künstler im Allgemeinen meist verschlossen bleibt, haben sie mit solchen Anomalien erobert. Coldplay gelingt, was anderen bislang meist misslungen ist, nämlich mit bedeutungsschwangeren Liedzeilen zu Leben, Tod und Einsamkeit inhaltliche Leere zu verbreiten. „Das Interessante an Musik ist ja“, sagt Chris Martin im Interview, „dass sie alles und nichts bedeuten kann“ (Die Beatles waren auch Konsens).

Bedeutungsschwere Leere

So findet man etwa im Song “Clocks” auf dem zweiten Album “A Rush of Blood to the Head” die Zeile: “Am I a part of the cure/Or am I a part of the disease” (Bin ich Teil eines Heilmittels der Teil der Krankheit), um dann doch in latentem Defätismus zu machen: „Tides that I tried to swim against/Have brought me down upon my knees (Gezeiten gegen die ich versucht habe zu schwimmen, haben mich in die Knie gezwungen).

Ähnliches gilt für den Song „Talk“ vom dritten Album „X & Y“, wo sie ihre Hörer fragen. “Do you feel like a puzzle/you can't find your missing piece?” (Fühlst du dich zuweilen wie ein Puzzle, das sein letztes Teil sucht, aber nicht findet?). Oder auch in „Lost“, das wie bei Arcade Fire von einer Kirchenorgel intoniert wird, um dann von Martins Stimme übermalt zu werden: "Just because I'm losing/doesn't mean I'm lost/doesn’t mean I will stop/doesn’t mean I will cross" (Nur weil ich am Verlieren bin, bedeutet das nicht, dass ich verloren bin, ich aufgeben oder es erneut versuchen werde").

Das klingt alles schön pathetisch und malerisch formuliert, und das mag auch zum Eintrag in diverse Poesiealben von College-Mädchen taugen: semantisch gibt es aber wenig her. Letztlich bleibt es extrem schwülstig, romantisch überladen und auch im Belieben des Hörers, sich darunter was existentiell Bewegendes vorzustellen. Der Verdacht liegt nahe, dass hier mehr Haltung als Inhalt, mehr Kitsch als Kunst, mehr Hintersinnigkeit als Sound verkauft wird.

Revolutionskitsch

Dies gilt erst recht für ihr neues Werk, das den bedeutungsvollen, aber letztlich nichtssagenden Titel „Viva La Vida Or: Death And All His Friends“ trägt. Beworben wird es mit einem Gemälde des Malers Eugène Delacroix, dem dieser den Namen „La liberté guidant le peuple“ (Die Freiheit führt das Volk) gegeben hat.

Dargestellt ist eine Amazone, deren Brust entblößt ist. Auf ihrem Kopf sitzt eine rote Jakobinermütze. In der einen Hand hält sie eine Bajonette, in der anderen die Trikolore, die sie zum Triumph hochreckt. Sie steigt über Barrikaden und ein Meer aus Leichen, über die im Hintergrund der Pulverdampf der Geschichte zieht. Das Bild handelt von jenen Julitagen, als das französische Volk 1830gegen Karl X. aufbegehrt. Über das Bild hat Heinrich Heine einst gesagt: „Ein großer Gedanke hat diese gemeinen Leute, diese Krapüle, geadelt und geheiligt und die entschlafene Würde in ihrer Seele wieder aufgeweckt (Heinrich Heine: Französische Maler). Zugleich erinnert der Dichter aber auch daran, dass ein derart von Greueltaten rasend gemachter Pöbel die Revolutionäre schnell wieder fressen kann.

Es ist wohl der rasche Verlust der gerade erworbenen Macht, der Umschlag von Revolution in Konterrevolution, der die Band interessiert und sie dazu veranlasst hat, es zum Coverbild ihrer neuen Platte zu machen. Man geht sicher nicht fehl, darin eine Allegorie zu erkennen, die die öffentliche Rolle des Sängers aufs Korn nimmt. Im Titelsong „Viva La Vida“ heißt es: “Revolutionaries wait/For my head on a silver plate/Just a puppet on a lonely string/Oh who would ever want to be king?” (Revolutionäre warten, dass mein Kopf auf einem Silbertablett landet/Nur eine Marionette an einem einsamen Faden/Oh wer würde da jemals wünschen König zu werden?)

Was die „Freiheitsgöttin“ allerdings mit Ausnahme dieses Songs mit ihrer Musik zu tun hat, bleibt weitgehend rätselhaft. Auch im Konzert, das, nachdem der „Donauwalzer“ erklungen ist und die Band hinter einem semitransparenten Vorhang allmählich auftaucht, mit dem Entrollen dieses Gemäldes beginnt. Die Band selbst erscheint dazu in edlen Klamotten, die uniforme Züge besitzen und irgendwie an Freischärler aus dem Kosovo erinnert oder an jene spanischen Partisanen, die Napoleon Anfang des 18. Jahrhunderts das Leben so schwer gemacht haben.

Merkwürdigerweise wird das Gemälde aber nach dem Spielen zweier Songs beschämt wieder eingerollt. Und bleibt es danach auch. Vielleicht ist man sich der Peinlichkeit des Motivs bewusst angesichts von Umsätzen im zwei- oder dreistelligem Millionenbereich. Übrig bleibt danach aber immer noch ein „militärischer Chic“, der jenem radical chic einer cool Fashion Band ähnelt, der der Prada-Meinhof-Gang bereits nachgesagt worden ist, ein rotes „V-Zeichen“ auf dem T-Shirt, die rote Armbinde um die Jeans-Jacke, die Nieten an der Jeanshose.

Besser als ihr Ruf

Trotzdem ist die Band, das hat ihr Konzert vor drei Jahren im Olympiapark bereits gezeigt, weit besser als ihr Ruf. Es ist auch dieses Mal abwechslungsreich und kontrastreich, es bietet Pompöses und Akustisches, mit lauten und leisen Klängen. Unterbrochen wird es allerdings von häufigen und zu langen Pausen. Der Stimmung selbst scheinen diese Kunstpausen keinerlei Abbruch zu tun. Am Ende wird die Band, nachdem sie neben den neuen Songs ein Best of geliefert hat, gar mit Standing Ovations entlassen.

Chris Martin beweist, dass sein Gesang trotz aller Heiserkeit, die ihn plagt, abwechslungsreicher geworden ist. Auch die Schüchternheit scheint er abgelegt zu haben. Er wirkt in seinem Dreitagebart männlicher, nicht mehr „jammerlappenmäßig“ und erinnert im Aussehen und asketischem Auftreten an den jugendlichen Lance Armstrong. Mittlerweile kommuniziert er nicht nur ausgelassener mit dem Publikum, sondern riskiert gar mal einen Schluck aus einer Maß Bier, während ihm dabei ein „Fucked up“ über die Lippen kommt.

Von einer Änderung der Stilrichtung, die manche Kritiker bemerkt haben wollen ist live nichts zu merken. Die Kapelle spielt genau jenen melodiösen Bombast, den man von ihr kennt oder der auf Platte zu finden ist. Er ist Stadion tauglich, massenkompatibel und wird im nächsten Jahr vermutlich in den großen Stadien dieser Welt ausprobiert. Wie man hört, sind bereits hinreichend Songs für ein fünftes Album eingespielt, die darauf warten darauf, einem Massenpublikum präsentiert zu werden.

Passable Songs

Anders als die Kuschel-Rocker von Bon Jovi verfügen Coldplay über eine Reihe ganz passabler Songs wie etwa „In My Place“ oder „Fix you“, „Clocks“ oder „42“. Darauf sind längst auch schon HipHop-Produzenten aufmerksam geworden, die ihre Songs samplen und remixen. Nicht zu unrecht, wie ihr Live-Auftritt beweist, mit ein oder zwei Kostproben. Und in der Tat war für „Viva La Vida“ auch eine Kollaboration mit Timbaland, Jay-Z oder Kanye West im Gespräch. Ganz offensichtlich wollte man damit mehr Bodenhaftung gewinnen, „Street Credibility“, wie es so schön heißt.

Dass es dann doch Brian Eno geworden ist, der schon U2 am Leben erhalten hat, sowie Markus Dravs, der Arcade Fire zu jenen „Kirchenrockern“ gemacht hat, die sie heute sind, beweist, dass die Band doch lieber auf Bewährtes setzt und auf der sicheren Seite des Geschäfts bleiben will.

Passendes Zeitgefühl

Revolutionen zu versprechen, dabei aber beharrlich und gleich zu bleiben, ist gerade das Markenzeichen des Posthistoire. Auch dem Kritiker der New York Times ist das nicht entgangen (Coldplay Changes, and Stays the Same). Wer sich darauf versteht und das gekonnt in Szene setzen kann, hat den Nerv der Zeit erkannt. Auch darum hat Coldplay gute Chancen, Inbegriff des Sounds der Nullerjahre zu werden.

„Ich will, dass ein 16-Jähriger, der auf dem Spielplatz sagt, dass er Coldplay mag, deshalb nicht gehänselt wird“, hat Chris Martin jüngst verlauten lassen. Ob er diese Jungs tatsächlich erreicht, muss bezweifelt werden. In der Münchner Olympiahalle war am Freitagabend davon nichts zu bemerken. Hier feierten die Besserverdienenden, die Schönen und Wohlhabenden, die ihr Leben trotz globaler Finanzkrise längst in trockenen Tüchern haben. Selten hat man in einem Konzert so viele Schickimickis, Adabeis und Mütter-Töchter-Bünde gesehen wie an diesem Abend.