Sex, Geld, Schönheitswahn und schlechtes Fernsehen

Die CIA-Parodie "Burn After Reading" der Coen-Brüder zeigt eine darwinistische, böse Welt aus Gier, Egoismus und Blödheit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man weiß nicht recht, wer hier hinter was her ist - und warum. Vielleicht ist alles einfach ein großes Missverständnis. Jedenfalls wird mit den ersten Ereignissen dieses Films eine ebenso brutale wie chaotische Kettenreaktion in Gang gesetzt, die ebenso zufällig wie unaufhaltsam ist. Wie in vielen Filmen der Coen-Brüder steht auch diesmal am Anfang eine schlechte Idee, die in ihrer Ausführung schief geht. Und jeder Schritt weiter und jede Person, die mit ihr zu tun hat, fügt dem Unglück noch etwas hinzu, bis es am Ende universal ist - "Jesus, what a clusterfuck!" Dem Fazit des CIA-Oberen wird man nicht widersprechen können. Ein Nonsense-Plot.

It is easier to get into something, than to get out of it.

Donald Rumsfeld

"What did we learn? Not to make the same mistake again. But what mistake did we make?" Diese letzten Sätze im neuen Film der Coen-Brüder ("Fargo", "No Country for old men") sind ein Lacher. Denn sie kommen aus dem Munde eines leitenden Geheimdienstlers, nachdem man der CIA knapp zwei Stunden dabei zuschauen konnte, wie sie wieder mal einen Fehler nach dem anderen macht.

Alle Bilder: Tobis

Der Film "Burn after Reading" ist eine Art Verfilmung von "Murphys Law". Man könnte auch sagen: ein Film über das Leben. Jedenfalls eine handwerklich virtuos inszenierte, ziemlich alberne Geheimdienstkomödie. Und dabei auch eine Komödie moderner Geschlechterbeziehungen. Und von Anfang an geht hier schief, was überhaupt nur schief gehen kann.

Boxershorts und Wodka

In einer Art Google-Earth-Zoom-Einstellung, wie man sie inzwischen im Kino gewohnt ist, rast das erste Bild aus dem Weltall auf das CIA-Hauptquartier bei Washington zu. Der CIA-Beamte Osborne Cox (John Malkovitch) wird versetzt, weil er angeblich ein Alkoholproblem habe (Schöner Dialog: "You have a drinking problem." - "I have a drinking problem? Fuck you, Peck - You are a mormon. Next to you we all have a drinking problem.").

Cox ist kein Diplomat, sondern als Geheimdienstler Berufsparanoiker, er ist vom Mobbing überzeugt - "Whose ass didn't I kiss? This is a crucifikation, this is political" - kündigt spontan und plant, seine Memoiren zu schreiben. Dann sehen wir ihn zuhause in Boxershorts herumsitzen, Wodka trinken und mit seiner eiskalten Frau (Tilda Swinton) streiten, der er sich längst entfremdet hat. Sobald Ebbe in der Haushaltskasse droht, denkt sie an Scheidung. "She is a cold stick up bitch", heißt es irgendwann über sie.

Bei einer Party am Abend lernt man ihren Geliebten kennen, Harry Pfarrer (George Clooney), ebenfalls ein CIA-Agent, mit einer ziemlich erfolgreichen Kinderbuchautorin verheiratet und sexbesessen. Und wir sehen, dass er von irgendwem überwacht wird.

"You two clowns you have no idea, what you are talking about"

The absence of evidence is not necessarily the evidence of absence.

Donald Rumsfeld

Als zwei Mitarbeiter eines Fitnessstudios mit dem schönen Namen "hardbodies" - Frances McDormand als alternde Alleinstehende auf Männerfang, die verzweifelt das Geld für Schönheitsoperationen zusammenzukratzen versucht, und Brad Pitt als vertrottelter, blondierter Schönling - über ein paar Zufälle in den Besitz von einer CD mit Cox' Geheimdienstakten kommen und versuchen, den Ex-Agenten zu erpressen, spitzt sich diese Ausgangslage dann schnell zu.

"You two clowns you have no idea, what you are talking about" - "Burn after Reading" ist eine sarkastische, überdrehte Komödie der Irrungen und der menschlichen Schwächen. Und Starkino der alten Schule mit viel Dialogwitz und genug Substanz. Zugleich zitieren und parodieren die Brüder geistreich allerlei Spionagefilme, von Hitchcocks "Torn Curtain" und "Der unsichtbare Dritte" bis hin zu der James-Bond-Serie. Versteckte politische Botschaften hat der Film dabei nicht. Natürlich könnte man hier eine Kritik in derzeitige US-Politik mit ihren zynischen Geheimdienstpraktiken hineininterpretieren, aber die Methode der Coens liegt eher darin, dass sie sich weigern, irgendetwas ernst zu nehmen…

Die Coens haben mit den Jahren eine Methode entwickelt, sich ein jeweils neues Kino-Genre anzueignen und sich dessen zu bemächtigen, es auf ihre eigene Art umzuinterpretieren: Mehrfach geschah das mit dem Film Noir, mit der Screwballkomödie, dem New-Deal-Drama, dem Prozeßfilm. "No Country for Old Men" ist in diesem Feld eher eine Ausnahme, obwohl der Film natürlich unter anderem auch als Spätwestern funktioniert. Coen-Filme zeigen - hierin wirklich postmodern - das Nebeneinander von Tragik und Komik, Tiefe und Oberflächlichkeit. Das verweigert sich Sinnsystemen, ein fröhlicher Absurdismus.

"Report to me, when…. I don't know. … When it makes sense."

Reports that say that something hasn't happened are always interesting to me, because as we know, there are known knowns; there are things we know we know. We also know there are known unknowns; that is to say we know there are some things we do not know. But there are also unknown unknowns - the ones we don't know we don't know. And if one looks throughout the history of our country and other free countries, it is the latter category that tend to be the difficult ones.

Donald Rumsfeld, 12. 2. 2002

Über Geheimdienste, insbesondere der CIA, erzählt der Film natürlich trotzdem etwas. Am klarsten in den großartigen Gesprächen zwischen Abteilungsleiter und CIA-Boss, die alles überbieten, was seit Donald Rumsfelds Pressekonferenzen in diesen Zusammenhängen überliefert wurde:

"No biggie. Burn the body."
"We'll ... interface with the FBI on this dead body."
"No, no. God no. Burn the body. Get rid of it."
"OK."
Oder:
"Report to me, when…. I don't know. … When it makes sense."
Fazit: "So no one knows, what anyone is after? Jesus, what a clusterfuck!"

Kinofilme mit und über die CIA sind Legion. Zumeist sieht man den US-Geheimdienst dabei als dämonisch-bedrohliche Angreifer auf die Freiheit oder umgekehrt als heldenhafte Retter der Welt. Als Volltrottel, wie jetzt in "Burn After Reading" sieht man den US-Geheimdienst dabei aber eher selten dargestellt. Dass die Coen-Parodie von der Wirklichkeit aber gar nicht so weit entfernt ist, das zeigen auch neuere Forschungen, etwa das frisch erschienene Enthüllungsbuch vom zweifachen Pulitzer-Preisträger Tim Weiner "CIA. Die ganze Geschichte"1. Auf 800 präzis recherchierten Seiten erzählt er 60 Jahre Geschichte der CIA als eine einzige Ansammlung aus katastrophalem Scheitern, peinlichen Fehlern, haarsträubender Inkompetenz und erschreckendem Dilettantismus.

Trotz Tausender von Mitarbeitern und Milliarden von Dollars lieferte die CIA im Koreakrieg falsche Informationen, verschlief den Ungarn-Aufstand und die Zypern-Krise, verschätzte sich grob beim Waffenarsenal und wirtschaftlichen Fähigkeiten der UdSSR, blamierte sich bei der Iran-Contra-Affäre, übersah den Massenmord an Muslimen im Jugoslawienkrieg und warnte nicht vor dem 11. September 2001. Fehlinformationen sorgten für ein US-Bombardement der chinesischen Botschaft in Belgrad und für den Irakkrieg, an dessen Folgen die Welt bis heute leidet. In den USA wurde es mit dem "National Book Award" als bestes Sachbuch des Jahres ausgezeichnet.

Die Idiotie unserer Tage

I'm not into this detail stuff. I'm more concepty.

Donald Rumsfeld

Unter der sehr komischen Oberfläche erweist sich die Coen-Sicht auf das menschliche Beziehungsleben dann als gar nicht mehr so witzig, sondern eigentlich recht düster und pessimistisch: Keine Ehe die wir sehen, ist glücklich, die Männer im Film sind durchweg Schwätzer, Vollidioten, uninteressant und angeberisch, die Frauen tougher, erfolgreicher, dem "starken Geschlecht" überlegen.

Und auch Woody Allens mörderische Komödie "Husbands and Wives" kommt einem in den Sinn. Wie Allen in diesem Film zeigen die Coens eine Welt aus Gier und Egoismus, die sich nur um Geld und Sex dreht - wofür sich Menschen zur Not sogar foltern und über den Haufen schießen. Jeder überwacht hier jeden, jeder verrät jeden, und jeder beutet den anderen aus - wenn man so will also ein durchaus überzeugendes Portrait unserer Zeit jenseits aller Wunschbilder. Und gar nicht so entfernt von der apokalyptischen Cormac McCarthy-Verfilmung "No Country für Old Men".

Alles in allem ist das Zentralthema des Films aber die allgemeine Verblödung und Infantilisierung unserer Gegenwart. Man sollte nicht übersehen, dass jeder hier ein Volldepp ist: In einer Szene sagt Cox/Malkovitch dem Westentaschenerpresser Pitt die Meinnung: "You represent the idiocy of today. The league of morons". So etwas möchte man gern öfters im Kino sehen.

Viel Lärm um nichts

Oh, Lord. I didn't mean to say anything quotable.

Donald Rumsfeld

Dazu gehört dann auch, dass es sich bei alldem um ein im Grunde leeres, weil um sich selbst kreisendes Spiel handelt. Ästhetik triumphiert in der Welt der Coens immer über Ethik, Spaß über Ernst, Gegenwart über Zukunft. "Dieses Band wird sich in fünf Sekunden selbst zerstören", hieß es bei "Mission Impossible". Der Titel "Burn After Reading" folgt der gleichen Logik. Vielleicht ist dies auch eine Anweisung an die Zuschauer: "Seht es Euch an und vergesst es!"

Einmal fragt in "Burn After Reading" der CIA-Boss: "Wer jagt hier eigentlich wen - und warum?" Das könnte sich irgendwann auch der Zuschauer fragen und schlußfolgern: Viel Lärm um nichts… Und vielleicht hat man ja dann genau die Wahrheit über den Geheimdienst verstanden.

Stuff happens.

Donald Rumsfeld