Auch Europa versucht, seine Banken zu retten

Die Kehrtwende der Bundesregierung nach dem G 4-Gipfel in Paris angesichts des Debakels um die Hypo Real Estate

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Auf Einladung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy hatten sich am Samstag in Paris die Chefs der vier großen EU-Länder Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien getroffen, um über die Rettung des angeschlagenen Finanzsystems zu verhandeln. Die Regierung Sarkozy hatte zuvor einen europäischen Garantiefonds nach Vorbild des US-Rettungspakets ins Spiel gebracht, das am Freitag im Repräsentantenhaus verabschiedet war.

Sarkozy war nach der massiven Ablehnung im Vorfeld aus Deutschland zunächst zurückgerudert, weshalb fast nur die blumige Formel verabschiedet wurde, dass jedes Land für sich Maßnahmen ergreift und diese mit den Mitgliedsländern abstimmt. Dabei wurde allerdings die Grundlage dafür gelegt, den Steuerzahlern die Rettung der Banken aufzubürden: Der EU-Stabilitätspakt wird aufgeweicht, damit die Staatsverschuldung über bisherige Grenzen hinaus gesteigert werden kann. In die Runde platzte die Nachricht, dass das Rettungspaket für die angeschlagene Münchner Hypo Real Estate (HRE). Statt 35 Milliarden könnte die Bank bis 2009 bis zu 100 Milliarden Euro benötigen. Nun ist alles anders und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine Komplettgarantie für private Spareinlagen ausgesprochen.

Die Halbwertszeiten von Aussagen der Politiker werden im Rahmen der Finanzkrise immer kürzer. So bereuen es wohl auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Regierungsmannschaft schon heute, dass sie noch am Samstag in Paris einen gemeinsamen EU-Garantiefonds vehement abgelehnt haben.

Die umstrittene Idee stammte aus dem französischen Finanzministerium unter Christine Lagarde, die einen “europäischen Auffang-Fonds” zur Rettung der Banken in einem Interview mit dem Handelsblatt ins Spiel brachte. Lagarde nannte zwar noch keine Zahlen über das Volumen, doch dafür hatten später andere gesorgt. So erklärte der niederländische Premierminister Jan Peter Balkenende, die EU-Länder sollten jeweils drei Prozent ihres BIP in den Fonds einzahlen. Das wären mehr als 300 Milliarden Euro. Eine Summe die zweieinhalb Mal größer ist als der aktuelle Haushalt der Europäischen Union.

Kein einheitliches Vorgehen in der EU

Deutschland wäre als wirtschaftlich stärkste Nation mit etwa 60 Milliarden Euro an dem Fonds beteiligt gewesen, was auf brüske Ablehnung in Berlin stieß. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) setzte auf nationale Lösungen, wie beim Rettungsplan für die Münchner HRE. Sarkozy ruderte schon im Vorfeld des Treffens zurück und so setzte sich Merkel mit der Linie der Bundesregierung durch. An der Sitzung nahmen auch der britische Premier Gordon Brown, der Italiener Silvio Berlusconi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet und der Vorsitzende der Finanzminister der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker teil.

Ein einheitliches Vorgehen in Europa sollte es nicht geben. Sarkozy erklärte im Anschluss an das Treffen, dass die Finanzaufsicht eine nationale Angelegenheit sei. Deshalb bleibe es auch die Sache der nationalen Regierungen, den angeschlagenen Banken zu helfen. "Jede Regierung wird mit ihren eigenen Methoden und Mitteln eingreifen, aber in abgestimmter Weise", sagte Sarkozy zum Abschluss. Wie das aussehen soll, das erklärte er nicht. Wolkige Formulierungen wurden so auch von der Bundeskanzlerin bemüht. So hieß es in einer Presseerklärung: „Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien wollen auch in Zukunft eingreifen, wenn die Guthaben von Sparern, Unternehmern und Kommunen in Gefahr sind, weil Banken vor der Pleite stehen.“

Sarkozy wurde in der Erklärung trotz seines Dementis zuvor noch einmal abgekanzelt. Seine Idee von einem „EU-weiten Rettungsfonds“ habe sich nicht durchsetzen können. „Der so genannte G 4-Gipfel wollte verantwortungslosen Bankern keinen Freibrief ausstellen, für den der Steuerzahler aufkommen muss.“ Das klingt populistisch gut und man setzt sich scheinbar von dem Vorgehen der USA. Dabei sah schon die bisherige Praxis im Fall der IKB, der Sachsen LB … oder bei der geplatzten Rettungsaktion von Hypo Real Estate eigentlich ganz anders aus. Der Bund wollte allein im letzteren Fall mit 26,5 Milliarden Steuergeldern zur Rettung der HRE einspringen.

"Wir haben uns darauf verständigt, dass wir ein kohärentes Vorgehen brauchen, bei dem es nationale Verantwortlichkeiten für jeden Mitgliedsstaat gibt. Und bei dem aber auch darauf zu achten ist, dass die europäischen Mitgliedsstaaten sich nicht gegenseitig Nachteile durch ihr nationales Vorgehen zufügen", sagte.

Dabei richtete sie ihre Kritik vor allem auf Irland. Die irische Regierung hatte unbegrenzte Garantien auf Einlagen bei Großbanken eingeführt. Doch unterschwellig richtete sich die Kritik auch an Verstaatlichungen in Großbritannien, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg (Betriebsstörung oder Systemversagen?). Noch vor ein paar Tagen gefiel sich allerdings der Finanzminister in seiner Rolle als Lehrmeister: „Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem", erklärte Steinbrück im Parlament. Deutschland sei weit weniger von der Krise betroffen als die USA, beruhigte er, denn einen "Super-Gau" habe man bisher verhindern können.

Angst vor der Angst

Die Rettung der HRE sei mit den Vorgängen in den USA nicht vergleichbar, hatte er erklärt und die Rettung damit begründet, sie sei im Kern gesund, nur momentan illiquid. Man müsse ihr nun nur über die Kreditklemme helfen, um einen Flächenbrand zu verhindern. Die Bürgschaft von knapp 27 Milliarden müsse voraussichtlich gar nicht in Anspruch genommen werden. Eine völlig falsche Einschätzung, wie man heute weiß.

Aber es war ohnehin zu erwarten, dass sich auch die Bundesregierung auf den amerikanischen Weg begibt und den Absturz von HRE mit allen Mitteln verhindert. „Too big to fail“, also zu groß, um Pleite zu gehen, gilt nun auch in Deutschland. Die Angst vor der Angst war zu groß, dass eine Pleite der HRE zu einem Dominoeffekt führen könnte. Von dem geplanten Garantiefonds à la Sarkozy hätte aber auch die HRE profitieren können, wenn ihn Merkel und Steinbrück nicht verhindert hätten. Denn bei der HRE soll die Finanznot bis zu 100 Milliarden Euro groß sein. Das hatte die Welt am Sonntag unter Berufung auf eine Prüfung der Deutschen Bank berichtet, als Merkel in Paris gerade auf der Abschlusspressekonferenz ihre Positionen darlegte. Demnach fehlten bis Jahresende bis zu 50 Milliarden Euro und bis Ende 2009 sogar 70 bis 100 Milliarden Euro, hieß es. Die Finanzbranche habe daraufhin ihre Zusage für einen kurzfristigen Kredit von 15 Milliarden Euro zurückgezogen.

Deutschland hatte also damit seinen Fall Lehman Brothers. Wenn bis zur Eröffnung der Börsen am Montag keine Lösung erzielt worden wäre, hätte dem Dax-Konzern ein extremer Kursverfall gedroht, der ihn wohl in die Insolvenz getrieben hätte. Erneut hatten, nachdem in den USA das umstrittene Rettungspaket mit leichten Veränderungen doch noch verabschiedet, die Banker verheerende Konsequenzen für den Aktienmarkt beschworen. Wieder einmal sahen sie das gesamte Finanzsystem in Gefahr.

Nun kann die HRE sogar mit bis zu 50 Milliarden Euro Unterstützung rechnen. Steinbrück erklärte im Deutschlandfunk, dass zudem das „Sicherheitsfenster“ weiter geöffnet werde: „Die Europäische Zentralbank und die Bundesbank sind bereit, zusätzlich Wertpapiere zu beleihen, die bisher nicht notenbankfähig gewesen sind“, sagte Steinbrück. Also werden, wie in den USA zuvor (Fed nimmt Aktien als Sicherheiten), nun die Schleusentore geöffnet und wird gegen eherne Notenbank-Prinzipien verstoßen.

Sicher, dass damit das Thema HRE vom Tisch ist, ist sich der Bundesfinanzminister aber nicht: „Ich hoffe, dass wir damit der HRE damit über die jetzigen Schwierigkeiten so hinweghelfen können, damit wir das Thema demnächst nicht schon wieder auf der Tagesordnung haben.“ Von einem reinen Liquiditätsengpass ist nun nicht mehr die Rede: „Wenn wir dieses Institut jetzt fallen lassen, dass so vernetzt ist mit Genossenschaften, Banken, Landesbanken, Ländern, Kommunen und Berufsgenossenschaften, hätte das einen Flächenbrand ausgelöst.“

Steinbrück übernimmt auch hier die Argumentation von Paulson und Bush aus den USA, da die Logik des Finanzsystems als Begründung für die Rettung einzelner Finanzinstitute angeführt wird. Das bedeutet aber auch, dass es sich bei der HRE nicht um einen „singulären“ Fall handelt, wie ihn Steinbrück (noch) behandelt, denn diese Logik führte nach den Bankenpleiten in den USA schließlich zu immer neuen Rettungsaktionen. Doch die Bundeskanzlerin, die gerade noch Alleingänge anderer Länder kritisierte, ging noch einen deutlichen Schritt weiter. Am Sonntag hat Merkel erstmals in der Geschichte versprochen, alle privaten Spareinlagen und Girokonten in Deutschland zu 100 Prozent zu garantieren. "Wir werden nicht zulassen, dass die Schieflage eines Finanzinstituts zu einer Schieflage des gesamten Systems wird", TTHTTP>sagte sie am Sonntagnachmittag im Bundeskanzleramt. Eine „Abstimmung“ auf europäischer Ebene war nicht in Sicht. Mit der Maßnahme soll Sicherheit vorgegaukelt werden, um Bank-Runs von besorgten Kunden zu vermeiden. Denn tatsächlich kann diese Summen niemand garantieren.

Wird es doch noch einen EU-Fonds geben?

So machen sich nun auch Merkel und Steinbrück auf den Weg zu einem riesigen EU-Garantiefonds, den sie noch am Samstag abgelehnt haben. „Man muss im europäischen Prozess darauf achten, dass nicht alle zurückfallen in ihre nationalen Sichtweisen“, erklärte Steinbrück heute plötzlich. Für das Vorgehen der Bundesregierung führte Steinbrück sogar Irland als Beispiel an, das die Bundeskanzlerin noch am Samstag hart kritisiert hatte: „Das ist nicht so furchtbar neu, was da passiert“.

So kann man auch den EU-Garantiefonds, wie in den USA zuletzt geschehen, mit schönen Formulierungen anreichern, damit letztlich alle zustimmen können. Dass mit derlei Vorgehen die Probleme nicht gelöst werden, weil nicht an die Ursachen gegangen wird, ist eigentlich allen klar. So war es eigentlich kein Wunder, dass nach der Verabschiedung des Plans von US-Finanzminister Henry Paulson, der von 3 auf 450 Seiten angeschwollen, die Börsen ins Minus drehten.

Die Bundeskanzlerin formulierte schon in Paris populistische Sätze, die sich in einem EU-Paket gut machen, wenn man erneut gewählt werden will. Die Entlohnung der Manager müsse so geregelt werden, dass ihre "Verantwortung und Integrität" gefördert werde. Wie man das aber ohne die Verstaatlichung machen will, muss ein Rätsel von Merkel bleiben. Diejenigen, die Schäden verursacht hätten, müssten aber auch "ihren Beitrag leisten", um sie zu beseitigen, meinte Merkel. Aber auch wie das gehen soll, sagte sie nicht.

Schön klang auch, dass die Akteure Regeln unterworfen und überwacht werden müssten. Die Regeln der Rechnungslegung für die Banken müssten geändert werden, um künftig Spekulationsblasen zu vermeiden. Doch man fragt sich, warum das nicht längst passiert ist. Oder lag das daran, dass die Politiker den eigenen Unfug, den sie noch auf dem letzten Mini-Gipfel (Krise? Welche Krise?), vor dem letzten G 8-Gipfel tatsächlich geglaubt haben, wonach diese Krise mehr oder weniger unbeschadet an Europa vorübergehen würde (Psychologie der Krise)?

Das wohl einzige konkrete Ergebnis des Treffens in Paris war, dass der EU-Stabilitätspakt aufgeweicht wird. "Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt muss auch die besonderen Umstände berücksichtigen, in denen wir uns befinden - und im Übrigen sieht der Pakt solche Möglichkeiten auch vor", sagte Sarkozy. Damit ist klar, dass sich die Länder höher verschulden wollen und dass den Steuerzahlern die Kosten für die Finanzkrise auch in Europa aufgebürdet werden sollen. Der Stabilitätspakt schreibt eigentlich eine Beschränkung des Staatsdefizits auf 3 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) vor. "Faktisch haben wir den Stabilitätspakt und die Wettbewerbsregeln auf Eis gelegt. Das muss nur noch in Worte gefasst werden", feierte ein Berater Sarkozys den Erfolg.

Sarkozy dürfte sich über die Lage der Deutschen freuen, in die Merkel und Steinbrück nach den hektischen Rettungsaktionen am Wochenende geraten sind. Er ist damit seinen Plänen einen deutlichen Schritt näher gekommen. Denn die Franzosen hatten ein schnelles Handeln forciert. "Wir stehen am Rande des Zusammenbruchs“, hatte Premierminister François Fillon eindringlich gewarnt. Er glaubt offensichtlich auch nicht an die Reinigungskräfte des Marktes. "Der Konkurs von Lehman Brothers sollte das System reinigen. Es hat das Entscheidende zerstört: das Vertrauen", mahnte er und so etwas dürfe es in Europa nicht geben.