Von Sarg- und Friedhofspflicht

Individuelle Wünsche und unterschiedliche Bestattungskulturen verlangen neue Bestattungsgesetze

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Bestattungskulturen einer Gesellschaft sind Ausdruck für ihren Umgang mit dem Tod. Wurde die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod lange Zeit gesellschaftlich vermieden, so sind Sterbebegleitung und Bestattungskultur inzwischen kein Tabuthema mehr. Immer individuellere Bedürfnisse und eine vielfältigere Gesellschaft, das Sterben und Trauern von Menschen, die verschiedenen Religionen und Kulturen angehören, verlangen die gesetzliche Neuregelung von Bestattungsformen.

In Europa gibt es mittlerweile einige Länder wie die Schweiz und die Niederlande, die den Friedhofszwang aufgehoben haben , was bedeutet, dass Angehörige die Urnen ihrer Verstorbenen im Garten, in manchen Wäldern begraben oder zu Hause aufbewahren können. Die Aufhebung des Sargzwanges ermöglicht es Muslimen gemäß den Ritualen, Tote bedeckt mit Leichentüchern zu bestatten.

Während Friedhofsverordnungen über Grabmaße, Einfassungen, Ruhezeiten, Bepflanzung etc in Deutschland von den Gemeinden geregelt werden können und diese vermutlich unterschiedlich rigide oder freizügig ausfallen wie Normen bei der Gestaltung von Klingelschildern an Mietshäusern, werden Bestattungsformen wie Sargzwang und Friedhofspflicht gesetzlich von den Bundesländern vorgegeben.

Die meisten Bundesländer haben inzwischen ihre überwiegend noch aus den 1970er Jahren bzw. 90er Jahren (neue Bundesländer) stammenden Bestattungsgesetzte novelliert. Dabei verhinderten die Kirchen weitgehend eine Aufhebung der Friedhofspflicht, um einer aus ihrer Sicht zu individualisierten Trauerkultur entgegen zu wirken. Die Forderungen der Kirchen nach erweiterten Bestattungsmöglichkeiten bei Tot-, Früh- und Fehlgeburten wurden erfüllt.

Die Regeln für Erdbestattungen unterscheiden sich in den einzelnen Bundesländern. In Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin gilt unbedingte Sargpflicht. In Nordrhein-Westfalen wurde der Sargzwang aufgehoben, wobei es den Gemeinden überlassen bleibt, ihn durch die Friedhofsordnung wieder einzuführen. Die Bestattung ohne Sarg aus religiösen Gründen ist allerdings zuzulassen. In Niedersachsen bleibt es generell beim Sargzwang, ausgenommen für Muslime, und er kann auf Antrag in weiteren Einzelfällen aufgehoben werden. Thüringen genehmigt das Bestatten ohne Sarg nur im Einzelfall. In Hessen muss im Sarg bestattet werden, der Deckel kann aber abgenommen werden und im Grab neben den Sarg gelegt werden.

Die Baden-Württembergische Landesregierung hat sich in ihrem neuen Gesetzentwurf nun für das „hessische Modell“, also Sargpflicht, aber ohne Deckel, entschieden. Christian Storr, Leiter der Stabstelle für Integration im Stuttgarter Justizministerium, feierte dies unlängst auf einer Podiumsdiskussion in Reutlingen über kommunale Rechte von Migranten als gelungenen Kompromiss. Er begründete die Beibehaltung der Sargpflicht so: „Sonst könnte ja der sparsame Schwabe auf die Idee kommen, auch auf den Sarg verzichten zu wollen.“

Das klingt vordergründig nach erfolgreicher Lobbyarbeit der Bestattungsunternehmen und Sargmacher. Dahinter lässt sich jedoch mehr vermuten. Wäre die einzige Befürchtung die, dass in Zeiten, in denen man ohne ein Sterbegeld der Krankenkassen auskommen muss, aus Sparsamkeits- oder Armutsgründen auf den Sarg verzichtet würde, so hätte man sich beispielsweise für die niedersächsischen Vorgaben -Sargpflicht mit Ausnahme für Muslime - entscheiden können.

In einen Antrag vom Juli 2008 u. a. von der Landtagsabgeordneten Brigitte Lösch (Grüne) zum Bestattungsgesetz wird die Landesregierung aufgefordert dazu Stellung zu beziehen, wie sie die Aufhebung des Sargzwangs bewertet. Die Antwort der baden-württembergischen Landesministerin Dr. Stolz (CDU) für Arbeit und Soziales lautet: „Für die Landesregierung ist die Verwendung von Särgen zur Bestattung von menschlichen Leichen ein Teil der herrschenden Bestattungskultur.“