Für die schnelle Unterzeichnung eines fairen Zweistaatenmodells

Der israelisch-palästinensische Konflikt aus der Sicht von Sari Nusseibeh, einem der bedeutendsten palästinensischen Friedensadvokaten

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Obgleich seine Mutter ihm in seiner Kindheit näher stand, fühlte sich Sari Nusseibeh, der aus einem der einflussreichsten Familien aus dem arabischen Teil Ostjerusalems stammt, dessen Vorfahren im Jahr 638 vom Kalifen Omar zu den Wächtern der Grabeskirche ernannt wurden, mit zunehmendem Alter mehr seinem Vater Anwar Nussseibeh verbunden. „Wenn wir diskutierten, war ich nie seiner Meinung. Dennoch waren all die Salongespräche mit meinem Vater sehr wertvoll“, erklärt Nusseibeh bei der Besprechung seiner jüngst erschienenen Biographie „Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina“ in Hamburg. Sari war das vierte Kind in der Familie und wurde 1949, knapp ein Jahr nach der Gründung des israelischen Staates, geboren. Die Vereinten Nationen hatten bereits 1947 die Teilung Palästinas beschlossen. Und sein Vater wurde als „Verteidiger von Jerusalem“ im Kriege 1947/48 am Bein schwer verwundet. Die Geburt Saris fällt in die Zeit des Terrors, der Anschläge, der politischen Unruhe um die Teilung Palästinas. Seitdem ist Sari Nusseibeh die Teilungsgeschichte und die Frage, wie eine friedliche Koexistenz beider Völker aussehen kann, zur Lebensaufgabe geworden.

Vorbild für seine versöhnliche und friedliche Haltung im eskalierenden Konflikt war ihm stets sein Vater, der bis 1986 als Rechtsanwalt, Richter und Lehrer am Arab College, der besten Ausbildungsstätte in der arabischen Welt, unterrichtete und als Minister im israelischen-palästinensisch Konflikt eine Schlüsselrolle innehatte.

Mein Vater hatte einen unabhängigen Geist, ein unglaubliches Wissen und verfügte über viel politische Erfahrung. Er sprach mehrere Sprachen, fließend Latein.

Saris Vater war ein Vertreter des „Arab Mind“, des arabischen Geistes, der von einer inneren Souveränität geleitet, tolerant und achtsam mit dem Anderen umgeht und von einer „heimlichen Symbiose zwischen beiden Kulturen (der Arabischen und Jüdischen) ausgeht“.

Eines Tages, erzählt der ehemalige PLO-Berater Jassir Arafats, sei er mit erhöhter Geschwindigkeit zur Universität gefahren. Auf dem Weg dahin sah er eine Frau, die über die Straße rannte, um in den Bus auf der gegenüberliegenden Seite zu steigen. Sari streifte sie mit dem Auto und sie fiel hin. Als er ausstieg, um nach ihrem Befinden zu fragen, sagte sie, es sei nichts und rannte zum Bus. Sari konnte ihr aber noch seine Visitenkarte zustecken, damit sie sich nach der Konsultation des Arztes bei ihm melden konnte. Als Saris Vater vom Unfall hörte, stellte er seinen Sohn zur Rede, warum er die Frau und ihre Familie nicht besucht habe, um sich in aller Form für das Geschehen zu entschuldigen. Schließlich fuhren Sari, sein Vater und fünfzig Autos aus der Familie Nusseibeh zur ihr ins Dorf, um sich zu entschuldigen, wo sie; anstatt angeklagt zu werden, zum Tee empfangen wurden.

„Dieser Hintergrund in unserem Haus machte mich glücklich“, so der Autor und derzeitige Präsident der Al-Quds-Universität in Ostjerusalem. Die glückliche Jugend zu Hause war sein Ruhepolster, von dem er im Konflikt immer wieder zehrte. Und später, als er die Philosophie der Aufklärung in Oxford studierte und dann über den arabischen Mediziner und Philosophen Avicenna im Frühmittelalter in Harvard promovierte, wies sie ihn den Weg des vernunftbegabten, freiheitlichen Beobachters und Analytikers, über dem Geschehen stehend.

Seit meiner Kindheit hörte ich um mich herum nur Schreie, sah Chaos. Ich suchte nach einem Weg aus dem Lärm und fand meine Art, rational zu sein.

Sari Nusseibeh würde jederzeit wieder der Gründung eines israelischen Staates zustimmen, allerdings nicht ohne die Frage zu klären, was mit dem Palästinensischen Volk passieren solle. „Bei der Staatsgründung haben wir unsere Position nicht ausreichend mit freundlichem Nachdruck vertreten.“

Nach seiner Rückkehr aus Harvard nach Jerusalem 1978 reifte nach langen Diskussionen mit muslimischen und israelischen Humanisten im Café Lemon Tree in Jerusalem seine Vorstellung von einem Zwei-Staaten-Modell, das sich von der panarabischen Logik unterschied. Im arabischen Teil Jerusalems aufgewachsen, kritisierte er die 1967 von Israel eingesetzte Landverordnung aus der britischen Mandatszeit, in der landwirtschaftliche Flächen um Ostjerusalem enteignet wurden, wobei die Siedlungen Ramat Eschkol (1968), Ramot (1968), Osttalpiot (1970), Neve Jaakov (1972) entstanden, die Ostjerusalem zum Ghetto machten.

Nusseibehs Zwei-Staaten-Modell

Nusseibeh plädiert deshalb für einen palästinensischen Staat in den Linien vor dem Sechstage-Krieg 1967, mit ausgetauschten neuen Grenzen für Israel. Dabei solle es kein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge auf israelisches Gebiet geben. Geografisch sollte der palästinensische Staat geeint sein, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Ausgehend von der Gastfreundschaft der arabischen Landbauern, die zum Teil enteignet wurden, vertritt er das Grundprinzip der Ausgeglichenheit zwischen beiden Völkern, damit beide Völker in Würde und Frieden miteinander leben könnten. Denn Sari Nusseibeh kannte aus Berichten über erlebte Folter palästinensischer Gefangener, die teilweise seine Studenten waren, ihren freien Willen und was für sie Freiheit bedeutete.

Doch blieben seiner Ansicht nach für eine politische Lösung nur noch wenige Monate, nach der nicht genutzten Chance von Machmud Abbas und Ehud Olmert, die von Präsident George W. Bush bis zum Ende seiner Amtszeit eingeläutet wurde, einen Zwei-Staaten-Vertrag zu unterzeichnen. Sollte der Moment jetzt nicht genutzt werden, würde dies Jahre schwieriger Verhandlungen nach sich ziehen. Dabei müssten die Rechte auf beiden Seiten berücksichtigt werden, damit sich Demokratie verfestigen könne, denn auch das palästinensische Volk wolle nur leben. „Sollte Israel zögern, wird es die Unterstützung der eigenen Bevölkerung verlieren“, prognostiziert Nusseibeh die nahe Zukunft.

Während der Friedensbewegung mit über 400.000 Demonstranten, die 1978 mit der Dachorganisation Schalom Achschav (Peace Now) begann, von der sich mehrere ad-hoc Gruppierungen abspalteten, kehrte bei den Friedensaktivisten auf beiden Seiten Hoffnung ein. Viele israelische und palästinensische Friedensakteure standen Hand in Hand zusammen. Nachdem der Friedensprozess nach der Unterzeichnung in Camp David 2000 mit Beginn der Zweiten Intifada abebbte, gab es keine Hoffnung mehr auf Frieden. Der damalige Premierminister aus der Arbeiterpartei Ehud Barak konnte gegenüber der israelischen Öffentlichkeit und dem Gros der Friedensbewegung glaubhaft machen, dass sein Angebot an Arafat großzügig gewesen sei, dieser es aber brüsk abgewiesen habe, und es damit auf der palästinensischen Seite keinen Partner mehr gebe.

Seither habe sich das palästinensische Volk in drei Richtungen entwickelt, so Nusseibeh: 1. Die Menschen zogen sich resigniert in sich zurück und nahmen nicht mehr am öffentlichen Leben teil. 2. Ein starker Hang zur Religiosität machte sich breit. Die Menschen wandten sich Gott zu. 3. Viele integrierten sich in die Gewaltspirale.

Um dieser Entwicklung zu begegnen, müsste der Frustration ein Ende bereitet werden durch umsichtiges politisches Handeln. Die politische Elite Israels und Palästinas sollte deshalb einen Initialvertrag für ein Zweistaaten-Modell unterzeichnen, um diesen dann den Anwälten zu übergeben. Gewalt könne kein Maßstab sein, kritisiert Nusseibeh, selbst, wenn die Hamas immer die Hamas bliebe, sei es auch eine Frage der Popularität. Gäbe es eine Lösung in absehbarer Zeit, würde aber der Zulauf nachlassen. Dabei sei auch faires Handeln von Seiten Israels wichtig. Israel müsse manche Siedlungen zurückziehen und neue Siedlungsaktionen stoppen.