Sarah Palin trifft den Wettermann

Baader-Meinhof auf amerikanisch

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Der Wahlkampf in den USA ist in seine schmutzige Phase getreten. Sarah Palin, John McCains Frau fürs Grobe, hat Barack Obama zum Terror-Sympathisanten erklärt, weil er Kontakte zu einem früheren Weatherman hatte. Wer waren die Weathermen, was wollten sie von der Welt, und was hat das mit dem nächsten Präsidenten der USA zu tun?

Am besten, man fängt mit dem Jahr 1960 an. Junge Intellektuelle gründeten damals eine Gruppierung, die sie „Students for a Democratic Society“ (SDS) nannten. Die ersten „Studenten für eine demokratische Gesellschaft“ waren von ihrem Land enttäuschte Idealisten. Sie verband weniger eine strenge ideologische Ausrichtung, als vielmehr die gemeinsame Wut über Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Die meisten von ihnen waren mehr oder weniger sozialistisch. Im Gegensatz zur dogmatischen Linken früherer Jahrzehnte wollten sie über die Praxis zur Theorie kommen, nicht umgekehrt.

Radikale Aktivitäten

In den ersten Jahren verstanden sich die SDS nicht als eine landesweite Organisation, sondern als ein lockerer Zusammenschluss von Individuen mit ähnlichen politischen Überzeugungen. Um Gleichgesinnte zu finden, reisten SDS-Mitglieder zu anderen Universitäten, verteilten Flugblätter und versuchten, ein Netzwerk aufzubauen, das, so der vage Plan, Einfluss auf die Friedens- und die Bürgerrechtsbewegung gewinnen und eine Neuausrichtung der Demokratischen Partei einleiten würde. Im Juni 1962 gab es eine Zusammenkunft, bei der man sich auf eine 60-seitige Erklärung verständigte. Das „Port Huron Statement“ attestierte dem herrschenden politischen System, dass es abgewirtschaftet habe. Gefordert wurde eine Allianz von Schwarzen, Studenten, Friedensgruppen, linken Organisationen und Publikationen. Den Studenten, hieß es, komme eine besondere Bedeutung zu, weil von ihnen der Anstoß zu radikalen Aktivitäten ausgehen könne. Irgendwo auf den 60 Seiten war sogar von „lokalen Revolten“ die Rede, aber insgesamt trat man für eine partizipatorische Demokratie ein: „Die Menschen sollten die Entscheidungen treffen, die ihr Leben beeinflussen.“ Was das bedeutete, war eher unklar. „Wir haben da was am Laufen“, sagte ein oft zitierter Student. „Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was es ist.“

Im Dezember 1963 etablierten die SDS etwas, das sich „Education Research Action Project“ (ERAP) nannte. Das ERAP zielte auf die, wie man heute sagen würde, „bildungsfernen Schichten“ ab. In zehn amerikanischen Städten (eine davon war Chicago) wurden Projekte ins Leben gerufen, die Schwarzen und armen Weißen bessere Bildungschancen eröffnen sollten. Das ERAP war verdienstvoll und legte die Grundlagen dafür, dass später viele SDS-Mitglieder (darunter auch einige Weathermen) eine berufliche Laufbahn im Bildungsbereich anstrebten. Sehr aufregend war das aber nicht. Damals wurde noch nicht jeder Blödsinn in Form von Eilmeldungen („Breaking News!“) unters Volk gebracht, doch ein bisschen Dramatik sollte schon sein. Die SDS hatten keine photogenen Anführer zu bieten, keine zuspitzenden Slogans und keine bildmächtigen Aktionen. Sie waren schlicht nicht medienkompatibel. Die Öffentlichkeit erfuhr nicht, dass es sie gab, weil nicht über sie berichtet wurde.

Das änderte sich, als der Reporter Fred Powledge seine Sympathien für die Studenten entdeckte und auf eigene Initiative hin einen langen Artikel über die SDS schrieb. Die durchaus positive Reportage über die „neue studentische Linke“ erschien am 15. März 1965 in der New York Times. Der Radikalismus der Studenten galt nun plötzlich als ein Thema von nationaler Tragweite. Die Ereignisse in Südostasien führten dazu, dass sich bald auch andere Mainstream-Medien für die SDS interessierten. Im Februar 1965 begann das US-Militär mit der Dauerbombardierung von Vietnam. Die SDS-Führung entschloss sich daraufhin zu einer ersten großen Aktion und organisierte einen Protestmarsch nach Washington (17. April 1965), an dem etwa 15 000 Menschen teilnahmen, zumeist Studenten. Die Nachrichtenmagazine Newsweek und Time berichteten ebenso wie die großen Fernsehsender. Dadurch wurde eine Entwicklung eingeleitet, die sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Durch den Prozess der medialen Beobachtung, das ist eine alte Weisheit, verändert sich der Beobachtete.

Die Berichterstattung war alles andere als objektiv: Man machte sich lustig über Sprache und Aussehen der Demonstranten, betonte die Streitigkeiten innerhalb der Bewegung, wies darauf hin, dass diese Studenten keineswegs repräsentativ für die amerikanische Jugend seien und warf sie mit Neonazis in einen Topf. Die Demonstranten selbst waren zunächst euphorisch und gewannen dann schnell den Eindruck, dass gesetzeskonforme und gewaltfreie Proteste nichts ändern würden. Im Herbst des Jahres 1965 wurden die Aktionen allmählich militanter. Die Medien konzentrierten sich auf die Gewalt und übertrieben sie. Vermutlich geschah das meistens in denunziatorischer Absicht, aber passiert wäre es auf alle Fälle. Action und Dramatik verkaufen sich immer besser als gesellschaftliche Analysen. So entstand ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Die Medien brauchten die Studenten, weil sie gute Geschichten lieferten, und die SDS brauchten die Medien, weil sie ihnen neue Anhänger zuführten. Viele von denen, die sich den SDS nun anschlossen, weil sie im Fernsehen spektakuläre Bilder gesehen hatten, erwarteten allerdings etwas ganz anderes als das, was sie dann vorfanden.

Jargon und Streitereien: Die Maoisten kommen

Im Oktober 1963 hatten die SDS 19 Ortsgruppen (davon 13 nur auf Papier) und 610 Mitglieder; Ende 1965 waren es 124 Ortsgruppen und 4 300 Mitglieder; Anfang 1969 sollen es 70 000 bis 100 000 gewesen sein. Diesem sprunghaften Anstieg war die alte, eher lockere und informelle Struktur der Bewegung nicht gewachsen. In diesem Sammelbecken für irgendwie „linke“, ansonsten aber sehr heterogene Gruppierungen gaben bald diejenigen den Ton an, die über eine straffe Organisation verfügten. Das traf besonders auf eine marxistisch-leninistisch-maoistische Partei namens Progressive Labor zu. Im Gegensatz zu den anderen trat die PL mit großer Geschlossenheit auf. Sie hatte eine ungefähre Vorstellung davon, wie die Revolution zu bewerkstelligen sein könnte und bot ein ideologisches System, das in sich schlüssig war oder jedenfalls so wirkte, weil die PL sich eines marxistischen Jargons bediente, der für Außenstehende schwer zu verstehen war. Das war der Anfang vom Ende.

Eine systematische Strategie zum Erreichen der Revolution wünschte sich auch die SDS-Führung. Sie suchte deshalb die Auseinandersetzung mit der PL und bemühte sich, die Initiative zurückzugewinnen. Verkompliziert wurde das Ganze dadurch, dass die weißen, mehrheitlich aus „gutem Hause“ stammenden Studenten ein Schuldgefühl gegenüber den unterdrückten Afroamerikanern plagte, deren Kampf sie sich verpflichtet fühlten. Die maoistisch ausgerichteten Black Panthers erweckten bei den jungen Radikalen aus dem weißen Bürgertum den Eindruck, dass man marxistisch-leninistisch denken müsse, um ein guter Revolutionär zu sein. Die SDS-Führung wollte deshalb lernen, ähnlich flüssig mit marxistischer Terminologie umzugehen wie die PL. Wer die SDS-Verlautbarungen nicht genau liest, wird daher glauben, es mit dogmatischen Marxisten zu tun zu haben, obwohl die SDS-Führung die Politik der PL ablehnte.

Der Basis stand nach solchen Feinheiten nicht der Sinn. Für sie war das alles Sektierertum und kleinkariertes Parteiengezänk. Die Aktivisten vor Ort ignorierten die ideologischen Auseinandersetzungen und konzentrierten sich lieber auf lokale Projekte gegen den Vietnamkrieg und gegen Rassismus. Wer dagegen ankämpfen wollte, dass die PL immer mehr Einfluss gewann, organisierte sich im „Revolutionary Youth Movement“ (RYM), das wiederum von zwei Fraktionen dominiert wurde: RYM II und Weatherman. Um die Verwirrung nicht noch zu steigern, soll hier nur – stark verkürzt – festgehalten werden, dass das RYM der Progressive Labor Party vorwarf, zu national orientiert zu sein, statt gleich an der anti-imperialistischen Weltrevolution teilzunehmen. Insbesondere für die Weatherman-Gruppe war klar, dass die Revolutionen in der Dritten Welt auch Auswirkungen auf das „Mutterland des US-Imperialismus“ haben würden. Traditionelle linke Gruppierungen behandelten den Kampf gegen Rassismus und Imperialismus eher nebenbei; für die Weathermen war er zentral. Und mit „Kampf“ war die bewaffnete Auseinandersetzung gemeint. Das unterschied die Weathermen vom RYM II.

Im Juni 1969, beim jährlichen SDS-Konvent, kam es in Chicago zum Showdown. Die PL-Fraktion stellte vermutlich die Mehrheit der Delegierten, aber darüber gehen die Meinungen genauso auseinander wie über den Rest der tumultartigen Veranstaltung. Nach erbitterten Wortgefechten zog sich die Anti-PL-Fraktion zu einer 24-stündigen Mammutdiskussion zurück. Danach wurde der Ausschluss der PL und all ihrer Sympathisanten verkündet. Die Anti-PL-Fraktion verließ ihren eigenen Konvent, kam am nächsten Tag wieder zusammen, wählte eine neue, von den Weathermen dominierte Führung und verabschiedete ein Programm. Das leitete den Zerfall der SDS in Gruppen und Grüppchen ein. Den Kurs dessen, was von der Bewegung noch übrig war, bestimmten vorerst die Weathermen. Sie sahen sich als die „wahren“ Sudenten für eine demokratische Gesellschaft.