Wenn sich der Bock zum Gärtner macht

Deutschlands Antwort auf die Finanzkrise

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Das Rettungspaket für die Finanzbranche steht und trat dieses Wochenende in Kraft. Was von der Politik rhetorisch als Rückkehr des starken Staates kommentiert wird, ist jedoch ein intransparentes Werk, das so auch aus der Feder der Finanzwirtschaft stammen könnte. Kein Wunder, der federführende Autor des Gesetzes gilt als Mann der Finanzbranche.

Am heutigen Morgen nimmt die Finanzmarktstabilisierungsanstalt (FSMA) ihre Arbeit auf. Sie ist mit satten staatlichen Mitteln in Höhe von 100 Mrd. Euro ausgestattet und soll den Finanzsektor in Deutschland vor dem Zusammenbruch retten. Dafür darf die FSMA Kreditbürgschaften in Höhe von bis zu 400 Mrd. Euro von deutschen Kreditinstituten übernehmen. Da man intern mit einer Ausfallquote von bis zu 5% kalkuliert, stehen der FSMA zur Vorsoge 20 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Die FSMA kann ferner Kapitalspritzen in Höhe von bis zu 80 Mrd. Euro vergeben, für die Stammaktien, stimmrechtslose Vorzugsaktien oder Genussscheine an die FSMA ausgegeben werden.

Auf diese Art und Weise beteiligt sich der Staat an den Instituten, die diese Hilfe in Anspruch nehmen. Im Idealfall kann der Staat diese Beteiligungen wieder veräußern, wenn sich die Situation an den Finanzmärkten beruhigt hat. Im besten Falle könnte der Staat so von steigenden Aktienkursen der Institute profitieren, im schlimmsten Falle geht das Institut bankrott und der Staat sitzt auf wertlosen Papieren, die in keiner Art und Weise über eine gesonderte Sicherung verfügen, wie beispielsweise Schatzbriefe oder Sonderschuldverschreibungen. Aktien und Genussscheine sind Risikokapital – ein Risiko, das in diesem Falle vom Steuerzahler getragen wird.

Das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz (FMStG) gestattet es der FSMA auch, aus dem 80-Milliarden-Euro-Topf so genannte Problempapiere aufzukaufen. Dies sind meist faule Risikopositionen, wie z.B. Zertifikate und forderungsbesicherte Geldmarktpapiere (ABCP), die in Verdacht geraten sind, negativ mit der Subprime-Krise und der ihr folgenden Kreditkrise im Zusammenhang zu stehen. Die Finanzbranche nennt solche Papiere „Toxic Waste“ (Giftmüll) und der Finanzmarktrettungsplan der US-Regierung besteht zu einem signifikanten Teil in der Möglichkeit, diesen Giftmüll beim Staat abzuladen.

Wichtige Details zu diesem Punkt fehlen im FMStG und werden im kleinen Kreis am Parlament vorbei in Verordnungen beschlossen. Insbesondere dürfte hier von Interesse sein, zu welchem Preis diese Papiere, die nicht marktgerecht bepreist werden können, da es für sie keinen funktionierenden Markt gibt, vom Staat gekauft werden und wer im Falle eines Verlustes haftbar gemacht werden kann. Von der Bepreisung der Papiere wird es abhängen, ob der Steuerzahler den Bankensektor im Endeffekt subventioniert oder wirklich nur Risiken übernimmt, die sich am Tag, an dem der Schlussstrich gezogen wird, als kostenneutrale Abschirmung herausstellen.

Intransparenz und rein fakultative Anforderungen

Von Seiten der Politik inszeniert man sich derzeit als starker Staat, der sich von den Banken nicht übervorteilen lässt. Ob diese Kampfrhetorik den Tatsachen entspricht, darf stark angezweifelt werden. Das verabschiedete Gesetz enthält nur fakultative Anforderungen an die Institute, die sonst aufs Gemeinwohl pfeifen, sich aber nun von der Gemeinschaft retten lassen wollen. Ob und welche Sanktionen verhängt werden, liegt in der Entscheidungsgewalt der FSMA, die von drei noch zu bestimmenden Finanzfachleuten in einem Leitungsausschuss geführt werden wird.

Kontrolliert wird die FSMA durch einen Lenkungsausschuss, in den Vertreter der Ministerien, des Bundeskanzleramtes, der Länder und der Bundesbank entsandt werden. Die Arbeit dieser Gremien ist gänzlich intransparent, parlamentarische Kontrolle wird lediglich über einen neunköpfigen Kontrollausschuss aus Mitgliedern des Finanzausschusses ausgeübt. Noch nie konnten so wenige Leute auf solch undurchschaubarer Weise über die Verteilung einer derart hohen Summe von Steuergeldern entscheiden.

Wenn man über den Tellerrand blickt, muss man feststellen, dass ein solches Gebaren selbst bei milliardenschweren Notprogrammen unüblich ist. In der Schweiz weiß die Öffentlichkeit jedes Detail über das Rettungsprogramm für die UBS, in den USA werden genaue Zahlen veröffentlicht, welche Bank wie viel Geld aus dem Notfonds bekommt, und auch die Teilverstaatlichung britischer Banken ist vollkommen transparent. In Deutschland müssen die Institute hingegen nur dann die Öffentlichkeit durch eine Ad-Hoc-Meldung über staatliche Hilfen informieren, wenn diese Hilfe in Form einer Aufstockung des Eigenkapitals besteht.

Hilfen in Form von Kreditbürgschaften und der Übernahme von Problempapieren müssen hingegen nicht angezeigt werden. Der Steuerzahler springt mit riesigen Summen für die Finanzbranche in die Bresche und erfährt dabei noch nicht einmal, welche Institute sich steuergeldfinanzierter Hilfen bedienen. Die deutschen Banken überlegen bereits gemeinsam, die steuerlichen Hilfen in Anspruch zu nehmen, so dass „Außenstehende nicht mehr so leicht ablesen können, welche Institute tatsächlich Hilfe bräuchten und welche nicht“, wie ein hochrangiger Sparkassenfunktionär im Focus zitiert wird. Genau dieses intransparente Schattenfinanzsystem hat zur Finanzkrise geführt – nun soll es die Medizin zur Kurierung der Symptome sein? Wenn es nach den Experten in Berlin geht – ja.

Wer sich die Nachrichten über die staatlichen Hilfen für das Finanzsystem in Deutschland nur oberflächlich durchliest, könnte glatt dem Irrglauben verfallen, die hohe Berliner Politik - allen voran Merkel und Steinbrück – hätte ja schon immer gegen „esoterische“ Finanzinstrumente und die Casino-Mentalität des Finanzkapitalismus angekämpft und würde nun die Gunst der Stunde ergreifen, um ein höchst fragiles System durch wirksame Regularien zu stabilisieren. Nichts könnte falscher sein – allein die Unverfrorenheit, mit der in Berlin geheuchelt wird, ist bemerkenswert. Sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Rot haben genau diese Regularien außer Kraft gesetzt, deren Abwesenheit heute mit Krokodilstränen beweint wird und die Rahmenbedingungen gesetzt, aufgrund derer auch deutsche Banken in den Sog der Finanzkrise gezogen wurden.

Von der Politik geschaffene Grundlagen der Finanzkrise

Die letzten zehn Jahre wurde in Berlin fleißig dereguliert. Um die deutsche Finanzindustrie im internationalen Wettbewerb um ruinöse Renditeerwartungen zu stärken, wurde das Mantra des freien und unkontrollierten Kapitalflusses gepredigt und in Gesetze gegossen. Die umgesetzten „Reformen“ lesen sich derweil wie ein Förderprogramm für die Finanzwirtschaft. Nach dem Abgang des etatistisch agierenden Finanzministers Oskar Lafontaine und seines Intimus´ und Staatssekretärs im Finanzministerium Heiner Flassbeck, öffneten sich die Schleusen für den freien Finanzmarkt.

2001 stellte Finanzminister Eichel Unternehmensverkäufe steuerfrei und heizte damit den Handel von Unternehmensanteilen unter Investmentbanken an. Die Riester-Rente wurde eingeführt und dem Finanzsektor wurden elementare Teile der Daseinsvorsorge übertragen - und damit verbunden gigantische Finanzströme, die irgendwo angelegt werden wollten.

2004 ließ Rot-Grün in Deutschland Hedge-Fonds und den Handel mit Derivaten zu, womit die traditionellen Geldanlagen eine Konkurrenz bekamen, die mit absurden Renditeversprechen den Markt aufmischte – Deutsche Bank-Chef Ackermann legte damit die Latte für die Eigenkaptitalrendite bei Finanzinstituten auf stolze 25%. Jeder, der sich mit Finanzmärkten auskennt, weiß, dass solche Renditen nur durch eine unverantwortliche Steigerung des Risikos möglich sind. Dem standen in Deutschland allerdings noch die Finanzaufsichtsbehörden entgegen.

Der größte Trick des Risikomanagements der Finanzindustrie war es, die Öffentlichkeit Glauben zu machen, es gäbe kein erhöhtes Risiko. Ein beliebtes Instrument, Risiken zu verschleiern, waren damals im angelsächsischen Finanzwesen so genannte gebündelte Forderungen, die als handelbares Papier vermarktet wurden und trotz bester Ratings komplett intransparent waren. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition ermöglichte die Förderung solcher forderungsbasierter Papiere auch in Deutschland. Die Koalitionspartner schrieben auch fest, dass man nur eine "Finanzaufsicht mit Augenmaß" betreiben wolle.

Damit war die Saat gesät, die heute als Bankenkrise keimt. Die Möglichkeit, über so genannte Zweckgesellschaften sowohl Kreditrisiken als auch die Kredite selbst aus den Bilanzen der Banken zu verbannen, wurde von der Großen Koalition nicht etwa bekämpft, sondern gefördert. Diese Geschäftspraktik brach der IKB, der Bayern/LB und der Sachsen/LB das Genick. Allesamt Banken, die dem Staat gehören oder mehrheitlich staatlich kontrolliert werden. Wer sich nun über die schlechte Kontrolle dieser Institute durch den Staat beschwert, vergisst einen entscheidenden Punkt. Der Fuchs wurde bei diesen Instituten abgestellt, den Hühnerstall zu bewachen. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang Jörg Asmussen.

Der Fuchs, der den Hühnerstall bewachen soll

Der Mann, der einen kometenhaften Aufstieg in der deutschen Finanzpolitik hinlegte, gilt als die Schlüsselfigur, die zusammen mit Lobbyinstituten der Finanzwirtschaft half, den rechtlichen Rahmen für den Handel mit forderungsbasierten Papieren in Deutschland zu ebnen und diese Papiere hoffähig zu machen. Asmussen war Gründungsmitglied im Beirat der True Sale International GmbH. Dieses von der Finanzindustrie ins Leben gerufene Institut hat sich dem Lobbying für den Handel mit forderungsbasierten Papieren verschrieben. Asmussen verfasste im Jahre 2006 in einem Artikel für die Fachzeitschrift für das Kreditwesen ZKW einen Aufsatz, der als Brandrede für die Deregulierung des deutschen Finanzmarktes gelten kann. Asmussen schrieb:

Moderne Kapitalmarktgesetze helfen zudem den Banken, die ihr Geschäftsmodell allmählich auf ein aktives Management ihrer Portfolien umstellen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat das Bundesfinanzministerium (BMF) in der Vergangenheit viele Initiativen ergriffen und an vielen Stellen den Kapitalmarkt modernisiert. Dabei war uns stets wichtig, dass sich auch der Markt für Asset Backed Securities (ABS) in Deutschland stärker als bislang entwickelt. Für andere EU-Mitgliedstaaten und für die europäischen Kapitalmärkte ist der ABS-Markt mit seiner Dynamik und Vielseitigkeit geradezu zu einem prägenden Element geworden. Allmählich scheinen aber auch in Deutschland die gemeinsamen Bemühungen der Politik und der Kreditwirtschaft die erwarteten Früchte zu tragen.

Was Asmussen als „moderne Kapitalmarktgesetze“ bezeichnete, ist die Grundlage für die aktuelle Bankenkrise in Deutschland. Auch Frau Merkel hat sich in ihrer Oppositionszeit für eine Deregulierung des Handels mit forderungsbasierten Papieren stark gemacht. Asmussen saß als Vertreter des Bundesfinanzministeriums im Aufsichtsrat der IKB, die durch Spekulationen mit ABS-Papieren als erstes deutsches Bankhaus Opfer der Krise wurde. Asmussen, der als Steinbrücks Ratgeber gilt, wurde von der Regierung für seine Fehler bei der IKB nicht etwa abgestraft, er wurde von Steinbrück sogar ins Amt des Staatssekretärs berufen.

Sowohl bei der Rettung der Hypo Real Estate, als auch bei der Ausarbeitung des FMStG gilt Asmussen als Spiritus Rector. Wer soll nun von dem Anwalt für kreatives Investmentbanking gesetzliche Regularien erwarten, die eben diese Auswüchse wieder verbieten?

Der Bock, der von der Regierung zum Gärtner gemacht wurde, hat allerdings bereits andere Pläne. Bereits vor vier Jahren liebäugelte Asmussen gegenüber der ZEIT mit einem Wechsel in die Finanzwirtschaft. Er dürfte sicher keine Probleme haben, dort einen gut dotierten Job zu bekommen. Aber dafür wird er sicherlich noch etwas Zeit haben. Noch ist nicht bekannt, wer von den Ministerien in die Führungsspitze der FSMA entsandt wird – es würde wohl niemanden überraschen, wenn der Name Asmussen auf dieser Liste stehen würde.