Recht auf Selbsttötung

In Großbritannien wird anhand eines aktuellen Falls über die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord diskutiert, das Problem der Akzeptanz des Suizids und der Beihilfe zu ihm betrifft jedoch jede Gesellschaft

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Der britische Rugbyspieler Daniel James (23), der sich letztes Jahr beim Training das Rückgrat gebrochen und seitdem querschnittsgelähmt war, sorgt für moralische Aufregung. James wollte nicht mehr leben. Nach zahlreichen Operationen war er nur imstande, seine Finger ein klein wenig zu bewegen. Angewiesen auf Pflege rund um die Uhr, ohne Aussicht auf Besserung, hatte er schon drei Mal versucht, sich selbst das Leben zu nehmen, bis seine Eltern den Wunsch ihres hilflosen Sohns unterstützten und mit ihm in die Schweiz reisten, wo er mit der Hilfe von Dignitas am 12. September auf eigenen Wunsch und mit klarem Kopf sterben durfte.

Seine Eltern, die sagten, dass Daniel kein Leben zweiter Klassen führen wollte, müssen nun mit einer Anklage rechnen. Beihilfe zum Selbstmord steht in Großbritannien unter Strafe. Die Eltern müssten, würden sie abgeklagt und verurteilt, mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 14 Jahren rechnen.

Angezeigt wurden sie bei der Polizei durch eine Sozialarbeiterin. Der "fürsorgenden" Frau "dankte" die Mutter von Daniel in einem Forum des britischen Telegraph zu einem Artikel über Debbie Purdy. Die Frau, die unter multipler Sklerose leidet, scheiterte bislang auch an den britischen Gesetzen. Sie will, wenn die Schmerzen unerträglich werden, ebenfalls von ihrem Mann zu Dignitas gebracht werden, da die Gesetze des Landes es verhindern, Zuhause, in Würde und im Beisein ihrer Familie und Freunde zu sterben. In einer Anhörung vor Gericht will sie sicherstellen, dass ihr Mann nicht dafür bestraft wird, wenn er ihr beim Sterben hilft.

Die Mutter von Daniel schrieb, dass die Sozialarbeiterin ihren Sohn, dessen Leiden und die Umstände nicht kennen würde.

I hope that one day I will get the chance to speak to this lady and ask if she had a son, daughter, father, mother, who could not walk, had no hand function, was incontinent, and relied upon 24 hour [sic] care for every basic need and they had asked her for support, what would she have done?

Weiter schrieb sie, dass es das Recht eines Menschen sein müsse, sich sein Leben zu nehmen, wenn er es unerträglich findet:

Our son could not have been more loved, and had he felt he could live his life this way he would have been loved just the same, but this was his right as a human being. Nobody but nobody should judge him or anyone else.

Die Moralphilosophin Mary Warnock ist nun in die Bresche gesprungen und forderte im Observer, dass endlich mit der Bestrafung der Beihilfe zum Selbstmord Schluss gemacht werden müsse. Es gebe zwar auch junge Menschen, die durchaus weiter leben wollen, wenn sie körperlich erheblich eingeschränkt sind. Andere aber wie Daniel könnten es nicht ertragen, vollständig in Abhängigkeit von anderen (über)leben zu müssen. Daniel habe sich selbst entschieden, nicht mehr weiter leben zu wollen, die Eltern hätten seine Entscheidung respektiert.

Tatsächlich war das Verhalten der Eltern nach geltender Gesetzeslage illegal. Sollten sie nicht bestraft werden, dann hieße dies, so Warnock, dass Beihilfe zum Selbstmord in anderen Ländern geduldet würde und dass die Wohlhabenderen diesen Weg gehen können. Es wäre eine Verlegenheitslösung, wenn man dann nur die Augen zudrückt. Das würde auch dazu führen, dass das Gesetz zunehmend nicht mehr beachtet wird. Warnock tritt dafür ein, die gesetzliche Grundlage zu liberalisieren und nicht nur dafür zu sorgen, dass die Beihilfe zum Selbstmord nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird. Es gebe die moralische Verpflichtung, die Entscheidung anderen Menschen im Hinblick auf ihr eigenes Leben ernst zu nehmen und nicht das eigene Urteil über den Wert ihres Lebens über das ihre zu stellen.

Der Streit über die Patientenverfügung und die Sterbehilfe findet auch in Deutschland, obgleich hier die Beihilfe zum Selbstmord nicht unter Strafe steht, unter ähnlichem Vorzeichen statt. Allerdings könnte jeder, der bei der Begehung eines Selbstmords anwesend ist, der unterlassenen Hilfeleistung beschuldigt werden Es wird auch hier Zeit, dass die Menschen das Recht erhalten, über ihr Leben zu bestimmen – und sich auch dafür entscheiden können, ihr Leben mit Würde beenden zu können und nicht gezwungen werden, dies heimlich oder im Ausland machen zu müssen. Es geht nicht um staatlich verordnete Euthanasie, ganz im Gegenteil, es geht um Freiheit vor staatlicher, moralischer oder religiöser Bevormundung.

Kein Mensch wurde gefragt, ob er auf die Welt kommen will, aber in einer aufgeklärten Gesellschaft müssen erwachsene Menschen, gleich ob sie schwer krank sind oder nicht, das Recht haben, nein zu sagen und dies auch auszuführen. Und es muss Familienmitgliedern und Freunden möglich sein, einen solchen Entschluss, unterstützen zu können, ohne pauschal bestraft werden zu können. Solange es keine gesellschaftlich akzeptierte und geachtete Freiheit zum Tod gibt, wird es auch keine wirkliche Autonomie geben. Es ist grotesk, wenn Tötungsmaschinen erfunden werden müssen, um überholte Gesetze umgehen zu können (Sterbehilfe, Roger Kusch und die Pharisäer).