Verbotene Liebe und prekäre deutsche Männlichkeit

Fortwährende Vergewaltigung: Die "Anonyma" - ein deutsches Schicksal, jetzt auch im Kino

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Anfangs Geschepper im Bombenhagel, dann stolze, durchweg blonde deutsche Frauen, manchmal mit Zöpfchen, und sentimentale Russen, die singen, saufen, grölen, aber - der Russe bleibt halt ein Tier - eben auch mal massenvergewaltigen. Alles historisch belegt natürlich, im deutschen Kino gibt es ja sowieso nur "wahre Geschichten". Trotzdem bleibt alles irgendwie falsch. Diese staatstragende Verfilmung der großartigen Aufzeichnungen der "Anonyma" braucht niemand, und sie hat auch keiner verdient - nicht das deutsche Publikumsfußvolk, das im TV- und Leinwandkrieg des letzten Jahrzehnts schon genug entbehrt und durchlitten hat, und schon gar nicht die Anonyma selbst. Nur eine gute Nachricht gibt es: Die Kulissen aus "Der Untergang" konnten wiederverwertet werden. Das spart Gebührengelder.

Keins der Opfer kann das Erlittene wie eine Dornenkrone tragen. Ich wenigstens hatte das Gefühl, dass mir da etwas geschah, was eine Rechnung ausglich.

Anonyma
Alle Bilder: Constantin

Filme wie diesen gibt es, nicht weil die Macher sich fürs Thema interessierten, sondern weil jemand Geld verdienen will, und man dann Themen sucht, "die gehen". Weil ein Produzent auf einen Zug, der schon lange und sicher und mit hoher Geschwindigkeit dahinrollt, aufspringen will. Und er das Geld hat, die Rechte zu kaufen. Der Zug hat in diesem Fall gleich zwei Namen: "Bestseller" und "Deutsche Geschichte". Und das in Form von Zeugnisliteratur. Vermarktbar als weitere „Geschichte eines deutschen Opfers…“, „Tabu…“, „nach über 60 Jahren…“, „das Schweigen brechen…“. Man kennt das. Das Ergebnis ist ein Mainstream-Prestigeprojekt, ist cleanes deutsches Hochglanz-Schicksalskino, wie wir es - fast hätten wir gesagt: "bis zum Erbrechen" - kennen; saubere, hervorragende deutsche Schauspielerinnen bis in die Nebenrollen, mit schwarzer Schmutzschminke im Gesicht und sichtbar kratzigem Tuch auf der weißen Haut, als müssten sie ein Hauptmann-Stück aufführen, und dann zwischen fein säuberlich arrangierte Trümmerkulissen gestellt.

"Wir werden es überleben. Um jeden Preis."

Am Anfang wird erstmal klargemacht, dass der NS-Staat auch sexy war - es war halt nicht alles schlecht, auch abgesehen von den Autobahnen, das hat schon meine Großmutter erzählt. "Une fille de Führer" wird die Anonyma von Franzosen genannt, vor dem Krieg, dann geht es um ein paar deutsche Heldentaten, all das steht so zwar nicht im Buch, aber wenn kümmert's schon, höhere Wahrheit nennt man das, und Regisseur Max Färberböck ("Bella Block", "Aimee & Jaguar") war schon immer ein Frauenversteher und Meister der Einfühlung.

Trotzdem, man fragt sich eigentlich wieso, ging der Krieg dann verloren. "Unser Land ist am Ende", weiß die Erzählerin schon, aber nochmal eine "MG Falle", Geschepper, Rumms und Bumms, die Russen kommen, und dann dauert es wirklich nicht mehr lang, bis endlich passiert, worauf man wartet im Saal: Klimperkitsch, der irgendwie ätherisch ist, unterlegt die erste Vergewaltigung.

Die Anonyma spricht Hochdeutsch, gottlob, aber die einfachen Leute, die Dummen, Unglücklichen, und die Bösen müssen Dialekt sprechen: "Abjesucht", "nischt jefunden"… .Aber viele Frauen, gute Gesichter, einige der besten deutschen Schauspielerinnen. Irm Herrmann ist besonders cool. Nur weiß man nicht, ob ihr Humor wirklich in diesen Film passt, ins Buch hätte er allerdings schon gepasst. Was soll, was will uns dagegen die Musik sagen? Klimperklimper. Wahrscheinlich sowas, was auch der Off-Text transportiert: "Wir werden es überleben. Um jeden Preis."

Wolf unter Wölfen

Und mein Russisch wird besser.

Anonyma

Ein kühler, guter Ton, der Ton des Buches, dominiert. "Der Schändungsbetrieb nimmt seinen Lauf." "Die deutsche Frau macht auch das perfekt, ordentlich pickobello." "Und mein Russisch wird besser." Wow! Der beste Satz. Der sagt eigentlich alles.

Ein Sittenbild. So hätte man diesen Film genannt, zu anderen Zeiten. Ein Film über Frauenpower. Voller Spott über die Männer, über Männer, denen im Bett auch gar nichts einfällt, über Männer, die ein imaginäres Schild auf der Stirn tragen, "kein Schutz" steht darauf, über die Welt des Thomas Hobbes, in der jeder dem anderen ein Wolf ist, vor allem der Mann der Frau, und darum braucht man einen starken Leitwolf, der die anderen wegbeißt. Sie sei "nicht vergewaltigt" worden, konstatiert die Anonyma einmal im Film "Ich bin ihm zu Diensten...". Wichtige Nuance, ohne dass wir hier etwas schönfärben wollen. Dann aber mit Entfernung vom Buch sogleich wieder Niveausenkung: "Herz, Schmerz. Liebe, Triebe" - sie sagt das leider wirklich, aber im Buch ist es ein Zitat, hier eher Beschreibung der Handlung, wenn das Drehbuch der Anonyma eine Liebesschmalzgeschichte aus dem Vorabendprogramm über den kühlen Mund schmiert.

Der beste Filmmoment: Zweimal die Sowjethymne. Die Russen singen. Auch Kitsch, ganz klar. Aber guter. Eine Ahnung, wie das wohl gewesen sein muss, am Tag der Befreiung, am Ende von sechs Jahren Krieg, für die Sieger und die Befreiten jedenfalls. Es muss schön gewesen sein. Dieser Moment.

Die "Ehre der deutschen Frau"

In der Pumpenschlange erzählt eine Frau, wie in ihrem Keller ein Nachbar ihr zugerufen habe, als die Iwans an ihr zerrten: ,Nu gehen Sie doch schon mit, Sie gefährden uns ja alle!' Kleine Fußnote zum Untergang des Abendlandes.

Anonyma

Das Buch "Eine Frau in Berlin. Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945" von einer "Anonyma" genannten Verfasserin ist ein großartiges, ganz besonderes Buch. Es sind die Tagebücher einer Frau aus bürgerlichen Verhältnissen, die das Ende des Krieges und die ersten Wochen im Nachkriegsberlin beschreiben. Dazu gehört das "organisieren" im Schwarzmarkt ebenso, wie die Vergewaltigung durch russische Soldaten. Im Jahr 2003, als sie in der "Anderen Bibliothek" des Eichborn-Verlages erschienen, sorgten die Aufzeichnungen für großes Aufsehen und wurden zu einem großen Erfolg bei Kritik und Publikum. Felicitas von Lovenberg nannte es in ihrer Rezension in der Frankfurter Allgemeinen ein "ungeheuerliches", "einzigartiges" Buch, sprach von einem "bemerkenswert lakonischen, unsentimentalen, geradezu professionellen Ton" der Niederschrift, bezeichnete es als ein "außerordentliches historisches und literarisches Dokument".

Aber schon dieses Buch hat seine Geschichte. Denn im Frühjahr 1945 geschrieben wurde es bereits 1954 veröffentlicht - in den Vereinigten Staaten und in England, wo es sich rund eine halbe Million Mal verkaufte, dann in acht weiteren Sprachen. 1959 dann in dem kleinen Schweizer Verlag Kossodo auf Deutsch. Dort floppte es, die Kritiker aus der Tätergeneration warfen ihr inmitten der behaglichen Wiederaufbau-Adenauer-Bundesrepublik einen "sehr quälenden" Ton vor, meinten, die "Ehre der deutschen Frau" sei "beschmutzt" worden, und auch unter der Leserschaft rief es vor allem Aggressionen hervor. Zeit ihres Lebens (sie starb 2001) wagte es die Anonyma nicht mehr, das Buch ein weiteres Mal zu veröffentlichen.

Ein Kübel haltloser, wie ehrenrühriger Behauptungen

Auf andere, subtilere Art erging es ihr auch nach ihrem Tod schlecht. Nach den ersten, durchweg enthusiastischen Reaktionen, spaltete sich die Kritik nämlich bald in zwei Lager: Während das eine - von FAZ, NZZ bis taz - weiter an seinem Lob für den Text festhielt und auf dem Wesentlichen des Textes beharrte, begannen andere, interessanterweise durchweg männliche und (das darf man in diesem Zusammenhang dann auch "enthüllen") homosexuelle Autoren, die Textgestalt der Aufzeichnungen anzuzweifeln und der Identität der Autorin - gegen deren ausdrücklichen Willen - nachzuspüren.

Der Gipfel war eine Enthüllungsstory, die im Boulevardstil geschrieben, in der "Süddeutschen Zeitung" erschien: Darin bezeichnete der Autor das Buch als "ein gut inszeniertes Rätsel", und "als zeithistorisches Dokument wertlos. Es ist bisher in erster Linie ein Dokument für die Umtriebigkeit seiner Herausgeber" und suggeriert, es könne eine Fälschung sein.

Die Begründung für derartige, so ehrenrührige wie unbewiesene Angriffe blieb der Autor schuldig, stattdessen gab es eine Fülle unbegründeter, in den Raum gestellter Behauptungen und billige Insinuationen - "Die erste, die amerikanische Ausgabe aus dem Jahr 1954 wurde herausgegeben von Kurt W. Marek (1915-1972), einem Autor, dessen Spezialität es war, Tagebücher zu montieren und umzuschreiben, Zeugnisse zu literarisieren"; "Es waren gewiss nicht ausschließlich edle Motive, die Marek veranlassten, das Manuskript einem New Yorker Verleger zu übergeben"; "Die überaus schlampige Ausgabe des Eichborn-Verlags arbeitet weiter an der Verrätselung der Textgeschichte" - die in der rhetorischen Frage gipfeln: "Hat es die unbekannte Frau in Berlin überhaupt gegeben oder ist sie eine literarische Figur?" - nur um zwei Absätze später dann die Identität der Autorin zu enthüllen. Und man wird den Verdacht nicht los, das alles davor nur von der schamlosen Enthüllung ablenken soll.

Auch über die Autorin wird aber dann ein Kübel so haltloser, wie ehrenrühriger Behauptungen ausgegossen, die in der Bemerkung gipfeln, sie sei als "eine Art Kleinpropagandistin des Dritten Reiches tätig" gewesen. Weil der "Süddeutschen" dieser Argumentationsstil eines stalinistischen Parteitribunals dann offenbar selbst nicht ganz geheuer war und sich bald herausstellte, dass der Autor noch nicht einmal versucht hatte, das Originalmanuskript einzusehen, sprangen ihm in den nächsten Tagen der Redakteur (und promovierte Historiker) Gustav Seibt und der Historiker Götz Aly zur Seite.

Warum das alles? Man hat den Verdacht, dass das von der Anonyma konstatierte Wanken des "Mythos Mann" auch für heutige jüngere Männer - insbesondere, wenn sie als Schwule schon von sich aus ein gebrocheneres Verhältnis zur eigenen Männlichkeit besitzen - eine Provokation, unter Umständen gar eine massive narzisstische Kränkung bedeutet. "Sie tun uns leid, erscheinen uns so kümmerlich und kraftlos. Das schwächliche Geschlecht", schreibt die Anonyma. Das sitzt.

Teil einer Masse

Das eigentlich Infame der Enthüllungsstory, die in der Öffentlichkeit in erster Linie als "Profilneurose" (so Hans Magnus Enzensberger, NZZ 29.9.2003) eines "Nachwuchsjournalisten" und "journalistischer Machismo" (Iris Radisch, DIE ZEIT 41/2003) gesehen wurde, war aber weder die Enthüllung selbst, noch die männliche Arroganz oder das Besserwissertum oder der schleimig-anbiedernde Boulevardstil, als vielmehr die in alldem liegende doppelte politische Tendenz: Ein aus der DDR stammender, dort sozialisierter und im postkommunistischen Ossi-Establishment bestens verankerter Autor rettet die Ehre der sowjetischen Besatzungstruppen, indem er ihr Opfer verhöhnt und diskreditiert, und die Vergewaltigungen damit im Nachhinein, wenn nicht rechtfertigt, so doch in ihrer Härte mindert. Das ist das eine.

Das andere, noch grundsätzlichere: Die Anonyma legte auch Wert auf ihre Anonymität, weil sie ihr Schicksal gar nicht als Einzelschicksal begriff und begriffen haben wollte, sondern es war ihr wichtig, als Teil einer Masse gesehen zu werden.

Wie Gustav Seibt in der SZ richtig bemerkt hat:

Allerdings verändert sich der Blick auf die dargestellten Leiden beträchtlich, wenn wir präzise erfahren, wer sie aufgeschrieben hat. Sie erhalten dadurch einen Sitz im Leben, einen Kontext, an den nachgeborene Betrachter anknüpfen können. Es ist dann nicht mehr vornehmlich der Schrecken an sich, der uns beschäftigt, sondern der Mensch, dem sie zugefügt wurden.

Genau das ist der Punkt, nur muss man ihn umgekehrt bewerten: Die Subjektivierung und Emotionalisierung des Universalen ist auch seine Relativierung und dieser Historismus, die Relativierung von allem und jedem war schon immer das Übel schlechthin deutscher Geschichtsschreibung. Im Gegensatz zur Anonyma nimmt ein Teil ihrer Rezipienten ihr Schicksal aus dessen politisch-militärischem Zusammenhang, verwandelt sie in vulgäre Schauerästhetik und "Leiden pur", an dem der Betrachter vor allem seine Empathiefähigkeit erprobt.

Die prekäre deutsche Männlichkeit

Immer wieder bemerke ich in diesen Tagen, dass sich mein Gefühl, das Gefühl aller Frauen den Männern gegenüber ändert. Sie tun uns leid, erscheinen uns so kümmerlich und kraftlos. Das schwächliche Geschlecht. Eine Art von Kollektiv-Enttäuschung bereitet sich unter der Oberfläche bei den Frauen vor. Die männerbeherrschte, den starken Mann verherrlichende Naziwelt wankt - und mit ihr der Mythos 'Mann'.

Anonyma

Das alles gehört zur Vorgeschichte des Films. Die Aufzeichnungen der Anonyma sind aufregend, gerade weil sie unsentimental sind, gerade weil hier nicht die in Deutschland so beliebte Opferperspektive bemüht wird. Die Deutschen hatten die Sowjetunion überfallen, hatten gemordet, gebrandschatzt, vergewaltigt. Eine Frau, Anfang Dreißig, hält es zumindest für möglich, dass ihr da etwas geschieht, "was eine Rechnung ausglich."

Das hört man nicht gern im Nachkriegsdeutschland, und noch heute musste erst Walter Kempowski kommen und bezeugen, dass es sich bei den Texten um Originale handeln müsse, bevor die abgebrochenen Gemanistikstudenten und Hobbydetektive in den Feuilletonredaktionen auch überzeugt waren, dass hier nicht der Emigrant Enzensberger als Herausgeber das Andenken den deutschen Frau besudeln wolle.

Das Buch reißt viele weitere Themen an, die bis heute tabuisiert sind. Die prekäre deutsche Männlichkeit; die Rolle der Kirchen, die diese Männlichkeit dadurch zu schützen wussten, dass sie seinerzeit das Abtreibungsrecht lockerten. Nicht zum Wohl der Frauen natürlich, so plädierte der protestantische Probst Heinrich Grüber:

…wir wollten es den deutschen Gefangenen nicht zumuten, daß sie nach der Entlassung unter ihren Kindern ein fremdes vorfanden. … Die Fälle, in denen Frauen trotz Vergewaltigung durch Angehörige der Sowjetarmee nicht zu einer Unterbrechung der Schwangerschaft bereit sind, müssen von dem Gesundheitsamt auf geeignete Weise überwacht werden, damit eine Erfassung rassisch unerwünschter Nachkommenschaft sichergestellt ist.

Trümmer-Schmonzette

Das alles ist unendlich viel spannender als der Film, den Max Färberböck nun gedreht hat. Dieser im Grunde wahnsinnig langweilige, inkoherente, naive Film will es allen recht machen und macht dadurch nichts richtig. Er erzählt das Buch so korrekt und bieder nach - unter Missachtung all der Details, die es einmalig machen -, dass man allen, die das Buch mögen nur dringend raten kann, den Kinobesuch zu meiden, und allen, die es eigentlich endlich mal lesen wollten, nur das Gleiche empfehlen. Aber nicht alles wird brav naherzählt. Natürlich gibt es Streichungen, Raffungen, Verkürzungen. Ungemein stört auch die Verdoppelung: Der Film lässt Nina Hoss als Anonyma fortwährend aus dem Buch vorlesen. Dazu zeigt er genau das, was Nina Hoss gerade vorliest. Für Blinde und Taubstumme mag das sinnvoll sein, für den Rest ist es eine Qual.

Aber vor allem gibt es ein paar bezeichnende Veränderungen: Die Liebesschmonzette über die verbotene Liebe zwischen der Anonyma und dem - natürlich gebildeten, sauberen, verwitweten Russenoffizier, von der die Frauenzeitschriftleserinnen im Publikum dann träumen sollen, ist das eine: "Komm mit mir" und zum Abschied ein "Wie sollen wir leben?" - wie eine übriggebliebene Notiz von Simmel (nicht Georg, sondern Johannes Mario). Aber es muss eben schon Kaviar sein im Kino.

Was an dieser freien Interpretation der Vorlage so saublöd ist: Dieser Frau wird nicht zugestanden, dass sie einfach nur Sex hat, sei es aus Lust, sei es aus Opportunismus oder reiner Müdigkeit. Unter Liebe geht es nicht - und derartige Kolportageklischees machen alles unerträglich. Färberböcks Ausmalung der Rückkehr von Anonymas Mann Gerd ist das andere: Er nennt die vergewaltigten Frauen nach Lektüre des Tagebuchs "schamlos wie Hündinnen" und "widerlich". Das mag Sinn machen, um eine Atmosphäre deutlich zu machen, ist aber auch nur Kolportage. Und im Buch aber steht das alles nicht. Aber Aufgabe wäre es eigentlich gewesen, etwas zu vermitteln, ohne den Stoff zu verfälschen.

Bieder, langweilig, feige

Man kann es auch mal einfach und offen so sagen: Max Färberböck ist ein schlechter Kinoregisseur. Er sucht sensationalistische Stoffe. Die findet er entweder in dokumentarischen Vorlagen, die verbiedert und sentimentalisiert er dann, und das Ergebnis ist so etwas, wie "Aimee & Jaguar": Langweilig, nicht wirklich richtig, aber auch nicht so falsch, dass es wert wäre, sich länger damit aufzuhalten, und zudem gut gespielt. Oder er wagt Fiktion: Wie "September" über 9/11 in Deutschland, einer der lächerlichsten und dümmsten und hilflosesten unter den ernstgemeinten deutschen Filmen des letzten Jahrzehnts, ausgegrinst in Cannes und dann in der Versenkung verschwunden.

Das nervtötendste an "Anonyma" ist die Biederkeit des Ganzen. Die Trägheit, das Saturierte und die nervöse Unsicherheit darunter. Und vor allem die Verachtung des Publikums, dem man nicht zutraut, dass es auch nur das kleinste ästhetische Risiko ertragen könnte. Inzwischen machen aber in Deutschland zu 80 Prozent auch nur noch Leute Kino, die gar nicht in der Lage wären, ästhetische Risiken einzugehen, weil sie gar nicht wissen, was da ist. Ja, der Film ist ganz und gar schlecht. Trotz der guten Leute, die mitspielen. Er schielt einfach viel zu sehr auf den Erfolg, biedert sich viel zu sehr an, hat alle Ecken und Kanten abgeschliffen, ist feige. Nichts Neues leider.

Anonyma: "Eine Frau in Berlin". Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945. Mit einem Nachwort von Kurt W. Marek. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003. 291 S., geb., 27,50 Euro.