Durch Wände und Kleider sehen

Der jetzt heiß diskutierte "Nacktscanner" ist eine Technik, die von der Bundesregierung und der EU schon seit Jahren gefördert wird

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Zwar beteuert Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, er sei gegen den Einsatz der Durchleuchter an Flughäfen. Gleichzeitig fördert jedoch die Bundesregierung die Entwicklung dieser Technik mit € 29 Millionen. Ein bisschen viel für eine Technik, über die behauptet wird, man wolle sie nicht einsetzen. Nicht einzelne, enthemmte Wissenschaftler forschen im Verborgenen an der Terahertz-Technik. Vielmehr geschieht dies mit ausdrücklicher Unterstützung des Bundesforschungsministeriums (BMBF). Also entweder gibt es einen Dissenz zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundesforschungsministerium, oder der Bundesinnenminister sagt nicht die ganze Wahrheit.

Die Projekte laufen unter den Code-Namen TEKZAS, TeraCam, TeraTom, THZ und andere. Diese Spezialkameras sollen gefährliche Materialien aufspüren – chemische, biologische, nukleare und konventionelle Sprengstoffe entdecken. Diese kündigte das BMBF im Januar dieses Jahres an.

Die Terahetz-Technik basiert darauf, dass jeder und alles bestimmte elektromagnetische Wellen erzeugt. Das Spektrum liegt zwischen Infrarot und Mikrowellen. Aufgrund der individuellen Handschrift der Wellen, werden Menschen, Waffen und Sprengstoffe unterschieden und dies selbst durch Wände.

Doch die Dimension der Anwendungsmöglichkeiten ist noch viel größer: Im Spielfilm "Staatsfeind Nummer 1" werden Will Smith und Gene Hackman gejagt, weil sie zuviel wissen. Verstecken unmöglich, denn der Nachrichtendienst kann durch Wände sehen, ihre Bewegungen selbst in Hochhäusern verfolgen. Bald könnte aus dem Spielfilm Realität werden, denn die Europäische Kommission hat bereits im Jahr 2004 im 6. Forschungsrahmenprogramm RADIOTECT (Ultra Wideband Radio Application for Localisation of Hidden People and Detection of Unauthorised Objects) angekündigt. In dem vertraulichen EU-Papier, das der Autorin vorliegt, heißt es in der Projektbeschreibung, es gehe darum, Menschen, die sich versteckt halten, aufzuspüren.

Unter dem Namen PROBANT wurde dann 2005 offiziell im 7. Forschungsrahmenprogramm eine vergleichbare Technik auf der Homepage der Europäischen Kommission angekündigt. Im Kontext des Antiterrorkampfes soll die Technik erprobt werden. Unter der Leitung der französischen Société d’Applications Technologiques de l’Imagerie Micro-Onde (Satimo) soll ein Konsortium von fünf Partnern aus drei Ländern die Technik erproben. Mit dabei: eine holländische Universität und zwei Polizeibehörden.

Satimo-Entwicklungsmanager Luc Duchesne antwortete auf Aufrage der Autorin im September 2005: „Das Projekt ist noch nicht offiziell genehmigt. Wir befinden uns noch immer in Verhandlungen mit der Europäischen Kommission. Daher werde ich Ihre Fragen im September oder Oktober beantworten.“ Es kam der Dezember 2005 und Herr Duchesne antwortete auf Nachfrage der Autorin: „Wir verhandeln noch immer.“ Aber im Februar 2006 bestimmt. Wir ahnen es. Es verstrich der Februar 2006, es wurde Juni 2006, Oktober 2006, und stets lautete die Antwort des Monsieurs gleich. Selbst als die Autorin im Frühjahr dieses Jahres für STERN online fragte, änderte sich nichts.

Zu diesem Zeitpunkt verfügte die Autorin aber bereits über die Bestätigung des Projekts durch Dr. Joaquim Fortuny-Guasch vom Institut für Bürger-Schutz und Sicherheit des Joint Research Centers (JRC) in Italien: „PROBANT ist ein Zwei-Jahres-Projekt, das durch die Europäische Kommission gefördert wird. Ziel ist es, Bewegungen und Verhalten von Menschen hinter Mauern zu verfolgen. Hauptanwender dieser Technik wird die Polizei sein.“

Seltsam, dass erst jetzt, drei Jahre nach der Ankündigung auf der Homepage der Europäischen Kommission, das Europaparlament mehr Aufklärung verlangt. Schließlich lag sogar schon eine ethische Unbedenklichkeitserklärung in der Schublade. Die Tübinger Ethikerin Regina Ammicht-Quinn hatte 2007 auf 25 Seiten der Überwachungstechnik ihren Segen erteilt. Dennoch erhält sie unter den Codenamen Theben und Terasec weiterhin Geld vom Forschungsministerium für Sicherheitsethik. Fünf Terahertzforschergruppen soll sie begleiten und Ethikfragen ergründen.

Die Aufregung kommt zu spät

An alles ist also offenkundig gedacht. Nur nicht an die Gesundheit. Plötzlich soll innerhalb von drei Monaten geprüft werden, welche möglichen Gesundheitsgefahren die Geräte haben können. Dies ist kaum zu leisten. Immerhin kündigten die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, die Universität Würzburg und die Uni Braunschweig jetzt an, sich einmal über dieselbe Frage Gedanken machen zu wollen. Das Ergebnis steht allerdings schon heute fest: unbedenklich sei die neue Technik. Dennoch werde man Tests durchführen, das Resultat dann in 1,5 Jahren verkünden

Etwas anderes ist vermutlich in Wahrheit auch gar nicht gewünscht. Denn die Technik ist – wie zuvor schon in anderen, vergleichbaren Fällen – jetzt nur noch schwer rückholbar. Die Aufregung um die Nackt-Scanner kommt zu spät. Wer es wirklich hätte verhindern wollen, hätte vor Jahren politischen Druck machen müssen. Seit zu langer Zeit wird längst weltweit mit zu vielen Wissenschaftlern und Millionen bis Milliarden Euro daran geforscht, wie aus der bloßen Technik viele Anwendungen entwickelt werden können, die sich verkaufen lassen.

In Deutschland gibt es mittlerweile an der Universität Bochum einen eigenen Lehrstuhl. Auf der Dritten Fraunhofer Konferenz „Future Security“ (Die Juwelen der Sicherheit) Mitte September dieses Jahres in Karlsruhe wurde die Technikspezialisten vorgestellt – eingebettet in den Kontext, in dem sie angewendet werden soll: Gebäude-Überwachung und -Security; und natürlich nicht unter dem griffigen Namen Nackt-Scanner. Fachleute für Explosiv- und andere Gefahrstoffe sowie Statik- und Bau-Experten präsentierten ihre Erkenntnisse. Dieses Mal fehlte allerdings der Hinweis auf die Satellitentechnik Galileo, die auch zum sogenannten indoor-tracing eingesetzt werden kann und soll, also dem Verfolgen innerhalb von Gebäuden. Auf der Zweiten Fraunhofer Konferenz gab es diesen Hinweis noch.

Versteckte Menschen aufspüren, daran arbeiten Wissenschaftler der Technischen Universität Ilmenau, der Slowakischen Republik gemeinsam mit der Vrije Universität Brüssel, der Technischen Universität Delft sowie Unternehmen aus Litauen, der Slowakei, Schweden und Deutschland. Bislang werden die Kosten auf 2,3 Mio. Euro geschätzt. Diese hochsicherheitsrelevante Forschung hat Vorläufer: Unter Bezeichnungen DEMINE und DEMAND des 4. und 5. Forschungsrahmenprogramms, also bereits vor sechs Jahren, nämlich 2002, wurde an der Technik gearbeitet, die heute für soviel Furore sorgt. Der Einsatzzweck klang damals harmlos: neuartige Georadargeräte mit Metalldetektoren und Biosensoren. Was damals Minen sichtbar machte, zieht heute Menschen aus, und nur der Name Nackt-Scanner sorgt für Empörung. Die Technik ist aber dieselbe. Und wer nicht hellhörig wird, wenn unter komplizierten Namen im Kleingedruckten der EU eine neue Technik vorgestellt wird, die auch zur Überwachung aller eingesetzt werden kann, sieht die Anwendung erst, wenn Fotos gezeigt werden. Das war schon bei den biometrischen Sicherheitssystemen so, auf die die Autorin im „Spiegel“ 1989 hingewiesen hat. Die politische Aufregung kam fast 20 Jahre später.

Vermisste bergen, Menschenleben retten, das klingt gut, dafür geben wir alle gern unsere Zustimmung. Und so wurden nur wenige misstrauisch, als unter der Codenummer COOP-CT-2006-032744 Radiotect bei der Europäischen Kommission registriert wurde. High-Tech-Unternehmen und Institute aus Schweden, Großbritannien, Belgien, Österreich, Italien, Spanien bis hin zu Erfurter Firmen schlossen sich zusammen und dachten über Anwendungen nach im Bauwesen, Lebensmittelindustrie, Landwirtschaft, Biotechnologie, Medizin, Umweltschutz, betriebliche Abläufe, Transportwesen, vor allem aber für Überwachungs- und Sicherheitszwecke. Und so wundert es nicht, dass sich in Erfurt Beamte mit der Entwicklung des neuen Einsatzmittels beschäftigen.

Feuerwehrleute freuen sich seit zwei Jahren in internen Foren über die Möglichkeit, durch Wände sehen zu können. Wer will nicht einen Brandherd von außen beurteilen können. Auch Rettungskräfte könnten Verschüttete leichter bergen. Mit solchen positivistischen Begründungen lässt sich eine breite Unterstützung durch viele mögliche Anwender aufbauen.

Verschwiegen wird dabei die betriebswirtschaftliche Komponente. Solche Technik rechnet sich nur, wenn sie von Militär und Polizei genutzt wird. Denn die Entwicklung verschlingt Millionen bis Milliarden, zumal wenn in jedem Land das Rad neu erfunden, Arbeit doppelt gemacht wird. Natürlich wird auch in den USA die Technik seit langem entwickelt (Die Stadt und ihre Gebäude sollen zum Panopticon werden).

Das doppelte Gesicht der Technik

So unterschiedliche Medien wie der Telegraph und „Welt der Wunder“ brachten vor zwei Jahren die Meldung, Chris Phillips vom Imperial College arbeitet in London an einem anderen Ansatz, durch Wände zu sehen. Gemeinsam mit Dr Mattias Beck von der ETH Zürich und Prof. Jerome Faist von der Universität Neuchatel bastelt er quasi an der umkehrbaren Tarnkappe (Ich sehe, dass du mich nicht siehst). Faist sprach Anfang April dieses Jahres mit der Autorin über seinen fast esoterischen Ansatz. Demnach sind Dinge sichtbar durch die Art, wie ihre Atome mit einem Lichtstrahl interagieren. „Wenn der Lichtstrahl, eine elektromagnetische Welle, auf ein Atom trifft, dann absorbieren die Elektronen mit dem niedrigsten Energiezustand die Energie der Welle und kommen so zu einem höheren Energiezustand“, erläutert der Wissenschaftler auf Anfrage. Nur das Licht mit der richtigen Farbe, das nämlich, das korrespondiert mit der Energiedifferenz zwischen den beiden Zuständen, werde absorbiert, alle anderen Farben passieren. Was so kompliziert klingt, ist nicht weniger als die Widerlegung einer These Albert Einsteins. Faist erklärt seinen Ansatz: „Ein Elektron kann davon abgehalten werden, ein Teilchen Laser zu absorbieren und auf ein höheres Energieniveau zu springen, wenn ein zweiter Laserstrahl dazu benutzt wird, die beiden Energielevel mit einem dritten zu verbinden.“ Verblüffendes Ergebnis der eidgenössischen Harry Potter-Versuche: Die künstlichen Atome wurden gegenüber einem Strahl durchsichtig.

Mit der neuen Technik ist es möglich, Wundermaterialien zu entwickeln, die quasi perfekte Stealth-Eigenschaften besitzen – also Dinge zu verbergen. Und so ist eine neue Rüstungsspirale längst in Gang gesetzt: Die Technik ermöglicht es zwar einerseits, u.a. verborgene Waffen aufzuspüren. Aber andererseits können durch dieselbe Technik neue Waffen und Militärausrüstung aus Materialien entwickelt werden, die nicht aufspürbar sind.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der Flüchtling Albert Einstein und seine Theorie bzw. die Widerlegung derselben soll jetzt u.a. dabei helfen, Flüchtlinge aufzuspüren. Denn mit Hilfe der neuen Technologien – sei es Terahertz, sei es Laser, könnten z.B. Flüchtlinge in LKWs, Containern, etc. aufgespürt werden. So ist auf der Homepage der Europäischen Grenzschutzbehörde FRONTEX unter dem Kapitel Forschung und Entwicklung zu lesen, man teste die Entwicklung neuer Algorithmen, um durch Wände sehen zu können. Als die Autorin den FRONTEX-Direktor Ilkka Laitinen im Februar dieses Jahres auf dem Europäischen Polizeikongress danach fragte, hieß es, er kenne das Projekt PROBANT nicht: Gut möglich, dann heißt es eben anders.

Das Strickmuster kennen investigative Journalisten: als vor einiger Zeit nach dem Napalm-Einsatz gefragt wurde, kam ein Dementi. Später stellte sich heraus, eine Substanz, die Napalm entspricht, wurde natürlich eingesetzt, nur der Verkaufsname geändert. Und so ist auch erklärlich, weshalb so viele unterschiedliche Ressorts zuständig sind: Bei der Europäischen Kommission sind es die Abteilungen Informationsgesellschaft, aber auch Justiz und Sicherheit, Forschung, Umwelt und viele andere mehr. Ebenso vielseitig, die Anzahl der Projektnamen für Nackt-Scanner, auch wenn sie alle auf demselben Prinzip basieren. PROBANT, RADIOTECT, DEMINE, TEKZAS, TeraCam, TeraTom, THZ, etc. – wer soll da noch durchsteigen?

Wenn die optische Wohnraumüberwachung genehmigt ist, wird sie auch schon obsolet sein, denn dann brauchen Polizisten nicht mehr einzubrechen und Kameras zu installieren, dann können die Polizisten von außen durch Wände gucken – Terahertz sei dank. Einen Terroranschlag mit Geiselnahme wird es bestimmt wieder geben, und dann werden sich alle freuen, über die Möglichkeit, durch Wände zu sehen. Für solche lebensrettende Maßnahmen wird es bestimmt eine breite Zustimmung unter den Abgeordneten geben.

Und so macht plötzlich auch das angebliche Dementi Wolfgang Schäubles Sinn. "Natürlich wird ein solches Instrument in Deutschland nicht eingesetzt, wenn es solche Bilder produzieren sollte", sagte er. Ein Dementi klingt anders. Denn dann werden die fraglichen Geräte eben andere Bilder erzeugen – oder gar keine öffentlich sichtbaren. Denn der eigentlich interessante Ansatz der Nackt-Scanner ist aus Security-Sicht sowieso der, durch Wände sehen zu können. Und das bekommt der Bürger nicht mit. Und bekanntermaßen gilt: Was man nicht weiß,...

Wer Schäuble genau gelesen hat, bemerkt, in Wahrheit kritisierte er gar nicht die Technik, das wäre ja auch überraschend gewesen. Im Gegenteil, die technischen Möglichkeiten elektrisierten ihn. Der Bundesinnenminister kritisierte vielmehr die ungeschickte PR des Bundesverkehrsministeriums, die für den möglichen Einsatz auf Flughäfen zuständig seien.

Auch ist die angebliche Empörung und Überraschung über die Nackt-Scanner keineswegs einhellig. Der CDU-Abgeordnete Gerald Weiß verkündet stolz, dass in seinem Kreis Groß-Gerau das BMBF eben diese Terahertz-Echtzeit-Kamera fördert - für Anwendungen in der Sicherheitstechnik (TEKZAS) „zur Personenkontrolle“. Das war im Juli.