Trink, trink, Brüderlein trink

Rhetorik und Rituale des Finanzkrisenmanagements

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Wie jedes andere Großereignis auch schafft sich die gegenwärtige Finanzkrise ihre eigenen Umgangsformen, zunächst vor allem in der Sprache.

"Rettungspaket"

Wenn es nach der Häufigkeit geht, mit der dieser Begriff in den Medien auftaucht, hat er seinen Sieg als Wort des Jahres 2008 sicher. Was ist ein Rettungspaket? Eine unschuldige, ja moralisch unterstützenswerte Sache, die der Rettung von Notleidenden dient. Man könnte zu den aktuellen "Rettungspaketen" auch "Hochfinanz-Sozialhilfe" sagen, oder "Mutter aller Subventionen", aber das würde der Realität gefährlich nahekommen: dass es sich nämlich hier um einen gigantischen Akt der Solidarität der Schwächeren mit den Stärkeren handelt, genau wie bei den zurückliegenden Steuerverschiebungen von unten nach oben auch.

Griffig, eingängig, anschaulich und falsch: "Rettungspaket" ist ein idealer Propagandbegriff für die Verunklärung der Welt. Es wird "geschnürt", es wird auf den "Weg gebracht" und schließlich "kommt es an". Drollig, wie der Staat, der sich in den letzten Jahren nicht überflüssig genug machen konnte, nun die Backen aufpustet und gern Ordnungsfaktor sein will, drolliger noch, wie die Banken zuerst herumzicken, weil zusammen mit dem Paket ein paar Schönheitspflaster für den Finanzzirkus zugestellt wurden. Sie hätten gern das Geschenk unter dem Label "No strings attached", und kann man ihnen das wirklich verübeln, wenn es doch schon bald weihnachtet? "Fördern und fordern", so finden die börsennotierten Sozialhilfenbezieher in spe, soll eben nur für Hartz-IV-Empfänger gelten, nicht für sie.

Die "Gier"

Der Schlagzeilen-Evergreen schlechthin, wenn es um dunkle Nachrichten aus der Finanzwelt geht. Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, dass diese Beurteilung von wirtschaftlichen Vorgängen nach den Maßstäben der Bibel zu etwas Anderem führt, als zu Geseier? Die "Gier" sei schuld. Ach was. Der "Giant Pool of Money" war da, es wurde nach Möglichkeiten der Weiterverwertung verzweifelt gesucht, man fand ihn im US-Immobilienmarkt, der Rest ist bekannt. Ein Lehrstück aus der Abteilung Boom & Bust wie gemalt.

Gierige Kinder sind wir alle. Unsere Gesellschaftsform ermöglicht aber Situationen, in denen die ganz normale Gier nach Kaugummis und Spielzeugpistolen nicht zu kleinen Ladendiebstählen führt, sondern zu gigantischen finanziellen Kratern. Und während einzelne Banken- und Börsenloser angeprangert und geopfert werden, soll ausdrücklich mit den "Rettungspaketen" an den "Fundamenten des Kapitalismus" nicht gerüttelt werden. Als könnte das auch nur im Entferntesten ihr Zweck sein:

Die freie Wirtschaft

Die freie Wirtschaft (aka "Der Kapitalismus") ist nur dann richtig frei, wenn sie sich völlig frei von Forderungen fördern lassen, das heißt öffentliche Gelder zur Absicherung privater Profite nutzen kann. Das ist bei Hermes-Krediten so, bei der Bahnprivatisierung, bei EU-Subventionen und bei der gegenwärtigen Finanzkrise auch. So geht Kapitalismus immer. Aber taucht ein Hauch davon in den veröffentlichten Debatten auf, die mit dem Begriff "Kapitalismus" hantieren?

Die einen labern vom bevorstehenden Zusammenbruch, die anderen von Gier und Größenwahn, wieder andere wollen ein paar Finanzmanager ins Gefängnis stecken, die Ersatzgeldfetischisten kommen wieder mit ihren Kinder-Kaufladenideen an (siehe Kein Geld für Spekulanten). Die Regierung versieht ihr Rettungspaket mit "strengen Vorgaben", der eigenen Glaubwürdigkeit wegen, und will sich dann die gute und nahrhafte Graupensuppe von den Managern nicht herunterreden lassen, die sie so lieber nicht essen wollen (vielleicht aber doch, wenn's gar zu sehr drückt).

Sarkozy will angeblich die Schlüsselindustrien verstaatlichen und hat doch in Wirklichkeit nur die Instutionalisierung der Wirtschaftssozialhilfe auf europäischer Ebene und ein Wiederaufleben des Protektionismus im Sinn (siehe Sarkozy will Schlüsselindustrien verstaatlichen). Michael Glos fordert von Managern ein Zeichen der Reue, als sei er dann doch Priester und nicht Wirtschaftsminister geworden, und Muhammad Yunnus meint, die Weltwirtschaft sei zu einem Casino verkommen, als sei er nicht gerade er ein Croupier an den kleinen Tischen (vgl. Das Kleinvieh und sein Mist).

Und all die vielen Maßnahmen haben als Reparaturbetrieb nur den einen, einzigen Zweck, dass nachher alles so weitergeht wie vorher, wenn möglich noch reibungsloser, und all das Medien-Gerede wird nichts daran ändern, dass das Kapital als "Geld heckendes Geld" (Marx) zum Zweck seiner Vermehrung investiert werden wird, dass Kredit und Zins zum Kapitalismus gehören wie das Amen zur Kirche und der Crash zur Börse, mit einem Wort: dass es im Kapitalismus keine Alternative zum Kapitalismus gibt.

Die Angst vor der Barbarei

Es will niemand wahr haben, dass diese geschlossene Gesellschaft keine Reform kennt, und weil das so ist, werden die Hemdsärmel um so höher hinaufgekrempelt, umso weniger es zur reformieren gibt. Freilich, zum Lachen ist das alles nicht, denn während ein Ende des Kapitalismus von dieser Krise in keinem Fall eingeläutet wird, ist eine Verschärfung immer drin, und was das bedeuten kann, sollte in Deutschland nur allzu bekannt sein.

Das bitterste Kennzeichen der Situation ist, dass all die Rettungspakete und das Gequatsche, mit denen sie auf ihrem Weg durch die Institutionen begleitet werden, notwendig sein könnten, um die sprunghafte Zunahme der Barbarei, die von einer tiefen Weltwirtschaftskrise ausgelöst werden könnte, zu verhindern.

Hinter all der Rhetorik steckt: Unsere gegenwärtige Gesellschaftsordnung hat nur ein Bündel Lügen und Täuschungsmanöver anzubieten, um den selbst heraufbeschworenen Alptraum vorerst nicht voll zu verwirklichen. Das ist alles, und es ist innerhalb des Paradigmas alternativlos. Eine Restlinke, die als entschiedener Kritiker dieses Zustands agieren sollte, wird von ihrem eigenen hilflosen Gefuchtel ("Manager in den Knast!") selbst vorgeführt und demontiert. In der Tat, so finster wie die Zeiten Brechts sind unsere nicht. Aber hoffnungsfroh und leicht geht anders.