Zuflucht unter den Fittichen des "starken Mannes"

Warum die Proteste im "rebellischen Nachbarland" ausbleiben und nicht die linke Opposition, sondern der Wirtschaftsliberale Sarkozy von der Krise profitiert

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Die finanz- und Wirtschaftskrise kommt in Frankreich derzeit nicht der sozialdemokratischen und linksreformistischen Parlamentsopposition zugute, sondern das konservative Regierungslager schlägt sich scheinbar besser. So konnte Sarkozy, laut den letzten vorliegenden Umfragen, im Moment September sechs Prozentpunkte „positiver Meinungen“ dazu gewinnen. Allerdings stagniert er damit noch immer auf einem, für einen amtierenden französischen Präsidenten im zweiten Amtsjahr, außerordentlich niedrigem Niveau. 43 Prozent äußern sich laut den letzten Umfragen positiv zu seiner Politik im Angesicht der Finanzkrise. Rund die Hälfte bleibt jedoch auf einer ablehnenden Position.

Ein Teil der französischen Gesellschaft – minoritär zwar, aber es ist im Augenblick kein starker oder ebenbürtiger Gegenpol vorhanden – scheint sich unter die Fittiche das „starken Mannes“ zu flüchten. Unterdessen reagiert der „sozialpartnerschaftlich“ orientierte Flügel der französischen Gewerkschaftslandschaft positiv auf den regierungsamtlichen Aufruf zur „nationalen Einheit“. Und in Deutschland begrüßen Oskar Lafontaine und der Linkspopulist Jürgen Elsässer Nicolas Sarkozy schon mal als vermeintlichen wirtschaftspolitischen Konvertiten in ihren Reihen.

Sarkozy ist überall

Figaro hier, Figaro da: Nicolas Sarkozy ist derzeit fast überall. In Zeiten der Krise wirbelt er herum, zeigt sich um Profilierung an allen Fronten bemüht. Am 15. November wird er neben dem US-Ratspräsidenten George W. Bush wohl im Mittelpunkt stehen, wenn die 20 stärksten Wirtschaftsmächte (unter ihnen die G8-Staaten, Indien, China, Brasilien) zu einem Weltgipfel für den Umbau des internationalen Währungssystems antreten. Sarkozy hatte ihn angeregt.

Nun schlug er vergangene Woche sogar vor, seine EU-Ratspräsidentschaft zu verlängern: Zwar soll diese Ende Dezember dieses Jahres zu Ende gehen, und im Jahr 2009 sollen die Tschechische Republik und dann Schweden das Ruder in der Union übernehmen. Aber, so rechtfertigte Sarkozy sein Verlangen, in Zeiten der Finanzkrise dürfte nur ein Land, das selbst den Euro als Währung führe, die EU führen.

Sein Vorschlag stieß bei den anderen EU-Regierungen, darunter der deutschen Bundesregierung, aber zunächst auf wenig Gegenliebe. Jetzt möchte er neben der - offiziellen - Ratspräsidentschaft eine zweite Institution einführen, die er gar zu gerne anführen würde, in Gestalt einer „europäischen Wirtschaftsregierung“. In Berlin zeigt man sich sowohl über den Hyperaktivismus Sarkozys wenig erfreut, vor dem Hintergrund wachsender nationaler Interessenkonflikte in Zeiten der Krise. Jüngst drückte man sogar offene Verärgerung über ihn aus.

Im Hintergrund stehen auch divergierende nationale Wirtschaftsinteressen: Berlin war vor zwei bis drei Wochen etwa gegen Nicolas Sarkozys Idee eines „europäischen Rettungsplans“ für die Banken und wollte ausschließlich nationale Maßnahmen. Am Ende lautete der Formelkompromiss, dass zwar nationalstaatliche Maßnahmen für den jeweiligen „eigenen“ Finanzsektor eingeleitet wurden, dies aber simultan und koordiniert. Unterdessen konnte man sich in Frankreich zunächst nicht für die in Berlin und anderswo verfochtene Idee einer Staatsgarantie für Kreditgeschäfte zwischen den Banken erwärmen, sondern wollte es bei einer Geldspritze für die Erhöhung des Eigenkapitals der Kreditinstitute bewenden lassen. An diesem Punkt musste Paris jedoch nachgeben.

Innenpolitisch gibt Sarkozy sich unterdessen ebenfalls aktiv. So verkündete er vor Kurzem ein Bündel von Maßnahmen zur Unterstützung durch die Finanzkrise bedrohter Kleinbetriebe und mittelständischer Unternehmen, im Umfang von rund 22 Milliarden Euro. Dabei geht es u.a. um die Einrichtung eines staatlichen Garantiefonds für angeschlagene Unternehmen, und um bedeutende Nachlässe bei der Unternehmenssteuer für „angeschlagene“ Betriebe.

Maßnahmenbündel gegen Arbeitslosigkeit: Altbekanntes…

Und, um Befürchtungen eines stärkeren Anstiegs der Arbeitslosen zu entgegnen, legte Sarkozy am Dienstag dieser Woche einen Maßnahmenkatalog vor. Er stellte ihn anlässlich eines Besuchs in Rethel vor, der Ort liegt in einer Krisenzone, die unter massiver Abwanderung früher dort ansässiger Industrien leidet, in den Ardennen.

Allerdings schlug Sarkozy weitestgehend die Umsetzung von Vorhaben vor, die er schon zu Zeiten seines Wahlkampfs angekündigt hatte: Erwerbslose sollen ein höheres Arbeitslosengeld, aber für eine kürzere Dauer als bisher erhalten. Anvisiert sind 80 Prozent des letzten Gehalts während eines Jahres.

Gleichzeitig soll aber der Druck auf die Arbeitslosen, möglichst jeden Job (zu fast egal welchen Bedingungen) anzunehmen, stark erhöht werden. Zukünftig wird es monatliche Vorladungen zu den SachbearbeiterInnen geben. Dadurch soll Erwerbslosen zwar garantiert werden, dass sie besser beraten werden, aber zugleich wächst der Druck auf sie. Die Idee als solche ist alles anders als neu, sondern Sarkozy hatte sie bereits während des Wahlkampfs Anfang 2007 vorgetragen. Zwischenzeitlich war die neue Regelung an sieben Orten in Frankreich „probeweise“ eingeführt worden, um ihre Wirkung zu setzen. Aber die Zuspitzung der Krise erscheint als günstiger Zeitpunkt, sie in die Tat umzusetzen.

…im Windschatten der Krise: Sonntagsarbeit, Zeitverträge, ABM

Zusätzlich kündigte Sarkozy weitere Maßnahmen, die von ihm als Beitrag zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit verkauft werden, aber schon seit längerem in den Schubladen der Regierenden schlummerten oder Bestandteil des Forderungskatalogs von Arbeitgeberverbände waren.

Dazu zählen eine starke Ausweitung der gesetzlich zulässigen Sonntagsarbeit, die Sarkozy seit Jahren gefordert hatte, und des erlaubten Rückgriffs auf Zeitverträge. Der Abschluss zeitlich befristeter Arbeitsverträge soll nach dem Willen Präsident Sarkozys zukünftig grundsätzlich möglich sein, während sie bislang nur bei Vorliegen bestimmter Rechtfertigungsgründe zulässig waren. Angeblich trägt all dies zum Abbau einer Massenerwerbslosigkeit, deren starkes Anwachsen für die nächste Zeit befürchtet wird, bei. In Wirklichkeit dürfte es sich allerdings so verhalten, dass diese Maßnahmen es den Unternehmen erlauben, „vorhandene“, also bereits von ihnen eingestellte Arbeitskräfte besser und intensiver zu „nutzen“. Sei es durch die Aufhebung bisheriger Beschränkungen der Wochenarbeitszeit - an Sonn- und Feiertagen -, sei es durch erhöhten Druck auf die Arbeitskräfte durch „Prekarisierung“ ihres Beschäftigungsverhältnisses.

Ferner wird der Staat in naher Zukunft 330.000 ABM-Maßnahmen, also Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der öffentlichen Hand, finanzieren. Bislang waren es 230.000 jährlich. Sarkozy erfindet also an dieser Stelle nichts Neues hinzu, sondern fügt nur den vorhandenen ABM-Stellen weitere hunderttausend hinzu. Allerdings stellt diese Maßnahme einen Bruch mit bisherigen Positionen eines Großteils der regierenden Rechten dar. Denn die französischen Konservativ-Liberalen spotteten noch bis vor kurzem über die „sozialpolitische Verwaltung der Arbeitslosigkeit“ in Gestalt von ABM-Maßnahmen, solange sozialdemokratische Regierungen dafür verantwortlich waren. In ihren Augen lag es nämlich allein „am Markt“, zusätzliche Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, hingegen solle die öffentliche Hand sich tunlichst heraushalten. Nunmehr scheint ihr Glaube an „den Markt“ und seine „Selbstheilungskräfte“, die sich zumindest auf dem Finanzsektor in jüngster Zeit gründlich blamiert haben, jedoch teilweise erschüttert zu sein.

Allein am letztgenannten Punkt sind die neuen Maßnahmen, die Sarkozy ankündigte, tendenziell „sozialdemokratisch“ inspiriert. An den anderen Punkten setzen sie die bisher verfolgte, strikt wirtschaftsliberale Linie fort: Während das Wort „Regulation“ infolge der Finanzkrise zur Zeit in aller Munde ist und zum neuen Modebegriff zu werden scheint, geht es darum, bestehende „Reglementierungen“ abzuschaffen. Jedenfalls solange sie dem Schutz der abhängig Beschäftigten vor „Überausbeutung“ dienen.

Zuflucht unter den Fittichen des „starken Mannes“

„Die Krise stärkt die Exekutive“ schlagzeilte neulich das Journal du dimanche (JDD), eine französische Sonntagszeitung. Man hätte auch andere Entwicklungen erwarten können, angesichts der tiefen Finanz-, Wirtschafts- und auch Kaufkraftkrise, die Frankreich nicht erst seit gestern erfasst hat. Beispielsweise hätte sich mit wachsenden sozialen Protesten rechnen lassen. Aber so kam es bislang nicht: Die Mehrheit der Französinnen und Franzosen reagiert zumindest im Augenblick eher resigniert bis apathisch auf ihre soziale Situation, etwa auf das schwindende Realeinkommen der Haushalte und den begonnenen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Und ein Teil von ihnen flüchtet sich allem Anschein nach unter die Fittiche des „starken Mannes“ Nicolas Sarkozy, dessen Krisen-, Rettungs- und Katastropheneindämmungspläne zumindest momentan in den Augen so mancher Franzosen eher gut ankommen.

Nach einer Umfrage des Journal du dimanche unterstützen zur Zeit 43 Prozent der Befragten Sarkozys Kurs in der Krise, was einem Zuwachs seiner Umfragewerte um plus sechs Prozent innerhalb eines Monats entspricht. Das JDD titelt deswegen auch: „Starke Hausse für Sarkozys Werte“, als ginge es um einen Aktienkurs. Seiner Einschätzung widerspricht allerdings tendenziell die „arbeitgebernahe“ Wirtschaftszeitung Les Echos, die am Tag darauf schrieb, „trotz Krise“ blieben die Umfragewerte für Sarkozy insgesamt niedrig, und sie lägen für einen amtierenden Präsidenten der Fünften Republik außerordentlich tief. Allerdings befindet sich Sarkozys Premierminister François Fillon derzeit bei 53 % positiver Sympathiewerte, was einem relativ konstanten Wert für ihn in den letzten Monaten entspricht. Fillon, der lange Zeit im Schatten seines übermächtigen Vorgesetzten und Präsidenten stand, hat von dieser Rolle auf Dauer eher profitieren können.

Tatsächlich hatte die Kurve der Sympathiewerte für Sarkozy seit Herbst letzten Jahres, wenige Monate nach seiner Wahl zum Präsidenten - bei der er wohl zu viel versprochen hatte -, zunächst steil nach unten gezeigt und war dann in der Tiefebene verblieben. Im Sommer dieses Jahres erholten sie sich erstmals leicht, da Sarkozys schnell beschlossene Reise nach Afghanistan im August, nachdem dort zehn französische Soldaten getötet worden waren, ihm wieder eine „internationale Statur als Staatsmann“ verschaffte. Und die Franzosen so vergessen ließ, dass sie ihn kurz zuvor noch in großer Mehrheit für einen rücksichtslosen Profiteur hielten, der, nachdem die Wahl einmal gewonnen war, mit seinem Fimmel für Rolex-Uhren und seinem Privatvermögen prahlte.

Rezession und Rettungspaket für Banken

Unterdessen ist es seit Anfang Oktober dieses Jahres nun regierungsamtlich, dass das Land in diesem Trimester in die Rezession eintritt, also im zweiten Vierteljahr hintereinander eine negative Wirtschaftswachstumsrate zu erwarten hat. Wie andere Regierungen der wichtigsten EU-Länder auch, legte auch Frankreich unter Sarkozy jüngst einen „Rettungsplan“ für die von der Finanzkrise „bedrohten“ Banken auf.

Dieser umfasst 360 Milliarden Euro, davon 40 Milliarden staatlicher Zuschüsse zur Aufstockung ihres Eigenkapitals und Staatsbürgschaften in Höhe von 320 Milliarden für Kreditgeschäfte zwischen den Bankinstituten. Die Ankündigung kam zur denkbar schlechten Zeit, denn am selben Tag, an dem das Kabinett von Sarkozys Premierminister François Fillon den Notfallplan für die angeschlagene Finanzwirtschaft verkündete, vernahmen Untersuchungsrichter in Paris neun Stunden lang den früheren Trader der Société Générale - der drittgrößten französischen Geschäftsbank -, Jérôme Kerviel (vgl. Affäre Kerviel vor Gericht).

Zudem wurde bekannt, dass auch bei dem französischen Dachverband der Sparkasseninstitute (Caisse nationale des caisses d’épargne) 695 Millionen Euro durch Spekulation innerhalb von wenigen Stunden in die Luft verpulvert worden sind. Drei Führungsmitglieder des Sparkassenverbands traten deswegen zurück, was durch die französische Politik offiziell rasch „begrüßt“ wurde.

Eigentlich war ihr Ruf beim Publikum schon ruiniert. In der Öffentlichkeit wurden Meinungen geäußert, denenzufolge man - durch die staatlichen Zuschüsse für die „Not leidenden Banken“ - den Zockern, die sich soeben ruiniert hatten, auf Kosten des Steuerzahlers das Geld gebe, das ihnen erlaubt, im Casino weiterzuspielen. Und dennoch verbreitete sich die Angst, dass eine Pleite der Banken - aufgrund ausbleibender Kredite für die Produktion - zu schnell um sich greifenden Folgen für die „Realökonomie“ führen könnte. Sarkozys Maßnahmen wurden deshalb von Vielen als „kleineres Übel“ empfunden.

Dabei sieht sein Plan, ähnlich wie jener der US-amerikanischen Regierung, keinerlei zusätzliche politische Kontrolle über das künftige Gebaren der Finanzinstitute vor: Das Eingreifen des Staates soll nicht etwa dazu führen, dass das Kreditwesen verstaatlicht und beispielsweise nach ökonomischen und sozialen Bedürfnissen gesteuert wird. Es soll ausschließlich dazu dienen, die angeschlagenen Banken wieder flott zu machen. Zu diesem Zwecke wurde in Frankreich das Instrument der so genannten ‚titres subordonnés’ (wörtlich: Untergeordnete Anspruchstitel) geschaffen. Diese Beteiligungstitel entsprechen zwar einer nominellen Beteiligung des Staates an den Banken, deren Eigenkapital er aufgestockt hat, wofür in der vergangenen Woche bereits 10,5 Milliarden Euro ausgeschüttet wurden. Allerdings geben diese Eigentumstitel besonderer Art, anders als „normale“ Aktienpakete, dem Staat kein Anrecht auf eine Vertretung im Aufsichtsrat: Er entzieht sich selbst das Recht auf Kontrolle der „Politik“ dieser Finanzinstitute.

Ähnlich ist übrigens auch sein Eintreten für eine Teilverstaatlichung von durch die Finanzkrise gebeutelten Unternehmen motiviert: Am Dienstag voriger Woche verkündete Sarkozy vor dem Europäischen Parlament, in „Schlüsselindustrien“ solle der Staat in das Kapital solcher Firmen eintreten können (siehe Sarkozy will Schlüsselindustrien verstaatlichen). Dabei geht es allerdings nicht um gesellschaftliche Kontrolle und erst recht nicht darum, die Profitmaximierung künftig beispielsweise sozialen oder ökologischen Zielen unterzuordnen. Vielmehr erklärte Nicolas Sarkozy ausdrücklich, in seinen Augen drehe es sich darum, zu verhindern, dass sich stattdessen „Drittländer“ von außerhalb der EU in solche Firmen einkauften.

Staatseinstieg zur Rettung des nationalen Kapitals ist nicht gleichbedeutend mit gesellschaftlicher Kontrolle

Diese, gemessen an bestimmten neoliberalen Praktiken der vergangenen Jahre, relativ (staats)interventionistisch wirkende Politik hat auch manche Protagonisten der Linken zu dem Missverständnis geführt, Sarkozy sei nunmehr fast einer der Ihren. So liest es sich beispielsweise aus der Feder des linkspopulistischen Journalisten Jürgen Elsässer im ‚Neuen Deutschland’. Und so ähnlich hört es sich auch bei Oskar Lafontaine an, lauscht man seinen jüngsten Tönen.

Dabei geht es bei Nicolas Sarkozys Kurs im Kern keinesfalls um „soziale und demokratische Kontrolle“ über wirtschaftliche Vorgänge, die für Linke oder Kapitalismuskritiker allemal eine Minimalforderung darstellen müsste. Auch wenn beispielsweise der jetzt durch Sarkozy verkündete 400 Millionen-Zuschuss für die Entwicklung des Elektroautos, das, wie Elsässer darstellt, abgasfrei oder –arm sein soll, vielleicht im Sinne ökologischer Ziele zu begrüßen sein könnte. „Vielleicht“, denn so „sauber“ wie dargestellt ist das Elektroauto – trotz Abgasarmut - nicht notgedrungen: Es kommt völlig darauf an, woher der Strom kommt, mit dem es aufgeladen wird! Und wenn es sich dabei künftig beispielsweise um massenhaft dafür benutzten und deswegen zusätzlich erzeugten Atomstrom handelt, dann gute Nacht…

Sondern es geht im darum, in Zeiten krisenhaften Stockens der „Wirtschaftsmaschinerie“ dennoch dem Kapital, auf dem Boden des „nationalen Wettbewerbsstaats“ (um mit Joachim Hirschs Begriff zu operieren), weiterhin optimale oder jedenfalls stabile Verwertungsbedingungen zu garantieren. Dies wiederum ist gar nicht so neu bei ihm: Bereits im Jahr 2004, als es darum ging, den Schwerindustriekonzern Alstom unter nationaler Kontrolle zu behalten, befürwortete der damalige Wirtschafts- und Finanzminister Sarkozy einen (zeitlich begrenzten) massiven Staatseinstieg bei Alstom. Präsident Sarkozy ist also nicht seit der jüngsten Zuspitzung der Finanzkrise und quasi über Nacht „zum richtigen Keynesianer mutiert“, wie Jürgen Elässer in diesen Tagen im ‚Neuen Deutschland’ schreibt.

Die Tageszeitung ‚Direct Matin’ zitiert am vergangenen Mittwoch ein (ungenanntes) Mitglied von Nicolas Sarkozys engerer Umgebung. Ihm zufolge hat der Staat „in Perioden von Kriegen, größeren terroristischen Anschlägen oder bei Wirtschaftskrisen“ Eingriffe vorzunehmen, um eine Gefährung des (halbwegs reibungslosen) Funktionierens dieses Wirtschaftssystems zu verhindern oder zu überwinden. Der an diesem Ort zitierte Sarkozy-Berater gibt an, kurz nach dem 11. September 2001 habe etwa keine Versicherungsgesellschaft mehr Fluggesellschaften versichern wollen, und daraufhin habe eben der Staat einspringen müssen, um krisenhafte Aussetzer der Wirtschaftskonjunktur zu verhindern.

Allerdings will Sarkozy daneben schon auch bestimmte (begrenzte) Staatseingriffe vornehmen. So möchte er die Banken, denen jetzt ganz massiv durch die Ausschüttung von Milliarden Euro unter die Arme gegriffen wird, dazu verpflichten, in Zukunft in leicht verstärktem Ausmaß (4 % statt 3 % ihres Auftragsvolumens laut ‚Direct Matin’) Kleinfirmen und mittelständischen Betrieben sowie Privathaushalten Kredite zu erteilen. Vor allem aber möchte Sarkozy bestimmten, potenziell für die Banken oder Firmen selbst bedrohlichen Praktiken des eigenen Managements einen Riegel vorschieben, insbesondere den so genannten „Golden parachuts“ oder Goldenen Fallschirme (französisch: parachutes dorés), also den äußerst großzügigen Abfindungs- und Rentenregelungen für ausscheidende Direktoren und Manager, die sichtbar versagt haben. Daran, diesen „Lohn für Looser, die ihr Unternehmen gegen die Wand gefahren haben“ nun mindestens strengeren Regeln zu unterwerfen, wenn nicht gar diese Praxis zu unterbinden, hat nunmehr allerdings plötzlich auch der französische Kapitalverband MEDEF ein dringliches Interesse.

Nachdem der Arbeitgeberverband MEDEF am 6. Oktober einen 'Moralkodex' im Zusammenhang mit den Abfindungen vorschlug - die demnach auf maximal zwei Jahre Gehalt für abgehende Manager beschränkt werden sollen, liess Nicolas Sarkozy es bei diesem Einlenken dann auch bewenden. Er verzichtete sogleich auf eine umfassende gesetzliche Regelung, da das Arbeitgeberlager die "Selbstregelung" in die Hand genommen habe.

Abkehr vom Neoliberalismus – oder doch nicht?

In seiner Aufsehen erregenden Rede von Toulon, die er am 25. September dieses Jahres - während die Finanzkrise auf ihren bisherigen Höhepunkt zusteuerte - hielt, kündigte Nicolas Sarkozy lautstark an, „die Ära des wirtschaftlichen Laissez-faire“ sei nun vorüber. Das klang wie eine Absage an den Neoliberalismus. Auch wenn Sarkozy in derselben Rede in Toulon gleichzeitig beinhart darauf beharrte, die wirtschafts- und sozialpolitischen „Reformen“ müssten unbedingt vorangetrieben werden und würden weiterhin benötigt, um Frankreich vorwärts zu bringen.

Im selben Atemzug verkündete Sarkozy in Toulon die Streichung von über 30.000 Stellen in den öffentlichen Diensten für das kommende Jahr. Allerdings scheint nach allerneusten Berichten nun doch der neoliberale Reformeifer auch im Sarkozy-Lager ein bisschen gedämpft worden zu sein. So verkündete die dem persönlichen Milliardärsfreund Nicolas Sarkozys, Vincent Bolloré, teilweise gehörende Gratiszeitung ‚Direct Matin’ an diesem Mittwoch Vormittag – 22. Oktober -, die wirtschaftspolitische Agenda der Regierung werde unter dem Eindruck der Krise umgekrempelt. Und das Blatt titelt: „Die Reformen im Schraubstock der Krise“. So sei die programmierte Privatisierung der Postbank nun auf unbestimmte Zeit hin verschoben worden, die pro-neoliberale Zeitung spricht sogar vom „Sankt Nimmerleinstag“. Unterdessen würden andere Bestandteile des „Reformkurses“ beibehalten, so die für 2009 geplante Ausdehnung der legalen Sonntagsarbeit.

Der ultra-wirtschaftsliberale Journalist bei Le Monde, Arnaud Leparmentier, warf Nicolas Sarkozy deswegen in der Dienstagsausgabe sogar „antikapitalistische Schmäh-oder Hetzreden“ (diatribes anticapitalistes) vor - die in den USA nicht gut ankämen, wie er dem französischen Präsidenten vorhielt. Allerdings hatte Sarkozy in Wirklichkeit auch behauptet, dass jene, die die jetzige Krise durch ihr Finanzjonglieren verschuldet hätten, „alle Werte des Kapitalismus verraten“ hätten - als gehe es in diesem Wirtschaftssystem um andere „Werte“ als jene, die an der Börse gehandelt werden. Le Monde antwortete darauf übrigens vor circa 14 Tagen in der Einleitung zu einem doppelseitigen Dossier über Wirtschaftskrisen der Vergangenheit und Gegenwart, Sarkozy hege Illusionen, falls er glaube, dass es einen Kapitalismus ohne (zyklisch auftretende) Krisen geben könne.

Unterdessen erklärt sich die Stärke des Regierungslagers derzeit vor allem aus der Schwäche oder Zahnlosigkeit der parlamentarischen Opposition, sowie der wichtigsten Gewerkschaften. Die größte Oppositionspartei, die französischen Sozialisten, bereitet sich auf einen Parteitag Mitte November vor, auf dem über die Nachfolge des ausscheidenden Parteivorsitzenden entschieden werden soll. Im Vorfeld zeigt sich die Partei auf das Heftigste zerstritten, wobei aber nicht um Ideen und Konzepte gerungen - sondern überwiegend über Personen, über deren Ambitionen und Ansprüche gestritten wird.

Zwar fürchtet die französische Sozialdemokratie ihre Konkurrenz zu ihrer Linken, wobei die französische Linksalternative zu den Sozialisten wesentlich weiter links steht, als „Die Linke“ (in Parteiform) in Deutschland. Aber die radikale Linke unter Olivier Besancenot befindet sich derzeit im Umbruch: Die trotzkistische LCR - Ligue Communiste Révolutionnaire -, deren recht beliebte Galionsfigur der 34jährige Postgewerkschafter und frühere Präsidentschaftskandidat Besancenot ist, plant ihre Auflösung zu Anfang Januar des kommenden Jahres. Danach möchten ihre bisherigen Mitglieder in einer breiteren, undogmatischen „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (NPA, Nouveau parti anticapialiste) aufgehen.

Deren Gründung befindet sich aber erst noch in Vorbereitung, und was bei dem Prozess herauskommt, ist bislang noch unbekannt. Und die Französische kommunistische Partei (PCF), eingekeilt zwischen der Sozialdemokratie und den radikaleren Linkskräften in Gestalt der Anhänger Besancenots, ist kopf- und orientierungslos. Auch ihre Führung wird im Dezember neu gewählt, nachdem die bisherige Parteichefin und frühere Jugend- und Sportministerin Marie-George Buffet durch ihre schwere Wahlniederlage von 2007 (nur noch 1,9 Prozent für die einst stärkste Partei Frankreichs) nach wie vor angeschlagen ist.

Auch bei den Gewerkschaften zeigt man sich im Augenblick eher außerstande, effektiven Protest zu organisieren. Am 3. Dezember dieses Jahres finden frankreichweit die so genannten „Sozialwahlen“ statt: Dann wählen rund 15 Millionen abhängig Beschäftigten im Lande, und ihre Arbeitgeber, die mit Laienrichtern besetzten Arbeitsgerichte (Prud’hommes). Die Gewerkschaftsapparate befinden sich also gewissermaßen „im Wahlkampf“ und sind dadurch abgelenkt. Zudem reagierte zumindest die „sozialpartnerschaftlich“ ausgerichtete, rechtssozialdemokratische CFDT - der zweitstärkste unter den französischen Gewerkschaftsbünden - positiv auf den Aufruf von Premierminister François Fillon „zur nationalen Einheit“. Ihr Generalsekretär, François Fillon, erklärte jedenfalls am 7. Oktober, auch er sei „für die nationale Einheit“ in der Stunde der Krise. Also gegen sozialen Konflikt. Auch wenn dieselbe Gewerkschaft sich diese Woche verärgert zeigte über die Vorladung zu Gesprächen bei Sarkozy über seine Anti-Krisen-Maßnahmen: Man sei „die Allgegenwart des Staatschefs leid“, ließ die CFDT-Führung erklären.

Einstweilen bleibt denjenigen, die sozial begründeten Zorn über Sarkozys Politik verspüren, nur übrig, seine Voodoopuppe mit Nadeln zu durchbohren. Denn deren Verbot hat ein Pariser Gericht ja diese Woche abgelehnt.